Zwey und vierzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

[145] Ihr Brief, meine theure Freundin, ist so richtig besorgt, als er besorgt werden konnte. Das heißt: er ist durch des Generals Hände gegangen. Ein anderes Mittel giebt es jetzt nicht. Heimliche Wege, Bestechungen, das mag für andre Leute gut seyn; für uns ist dergleichen nicht gemacht.

Ihr Brief war offen, und so ist er geblieben.[145] Der General hat ihn gelesen, und das kann Ihnen sehr gleichgültig seyn. Doch nein! nicht so ganz gleichgültig. Sie haben ihn – dies sind seine Worte – auf etwas sehr Wichtiges geleitet. Auf was? – Die Zeit wird es ja lehren.

Mehr als jemals kämpft er mit sich selbst. Das ist gewiß. Aber wie dieser Kampf endigen wird? – wer kann es bestimmen! – Auf mich – ich gestehe es – wirkt das alles ganz sonderbar. Schon seit geraumer Zeit bin ich aufgefodert etwas Entscheidendes für mich zu wagen. »Ein sorgenloseres, bequemeres Amt – sagen meine Freunde – Späterhin brauchst Du mehr Ruhe.«[146]

Aber mir ist wie einem Landmanne, über dessen Saaten ein schweres Gewitter aufsteigt. Man spricht von der nahen, gesegneten Ärndte. »Verbeßre dein Haus! Erweitre die Scheuren!« – ruft man ihm zu. – Aber sein Ohr ist verschlossen, sein Auge starrt unverwandt nach der Wetterwolke. Trifft sie die Saaten; was bedarf er der Scheuren? –[147]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 145-148.
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