Zwölftes Kapitel

[44] Als ich mich den andern Morgen nach einer durchwachten Nacht, wieder auf den Weg zu meiner Eiche machte: kam mir Heinrich mit einem blassen und verstöhrten Gesicht entgegen.

»Was ist dir?« – fragte ich; und zitterte vor der Antwort.

Er. Marie ist krank.

Ich. Woher weißt Du das?

Er. Die Mutter hat es mir gesagt. Auch ist der Reisewagen reparirt und eine Menge Briefe geschrieben worden.

Ich. Wohin?

[44] Er. Zwey nach England, einer nach Hamburg, die Andern? ..... habe ich vergessen.

Ich. O mein Gott!

Er. Sie sind zu rasch gewesen. –

Ich. Konnte ich anders!

Er. Ja aber nun – –

Ich. Ach Heinrich hilf mir!

Er. Gern! gern! aber wie? – wer kann sie halten? – sie sind frey, und man versprach ihnen einen ruhigen Aufenthalt.

Ich. Heinrich ich muß sie sehen!

Er. Wen?

Ich. Wenigstens die Mutter.

Er. Ich will mein Möglichstes thun: aber ich zweifle.

Er ging, und kam mit der Antwort zurück: es sey heute unmöglich. »Aber morgen« – rief ich. – »Auf morgen – sagte er – habe man weder ab noch zusagen wollen.«

[45] Ich. Und Marie?

Er. Hat sich den ganzen Tag nicht sehen lassen.

»Meine Flöte«! – rief ich – meine verdammte Flöte ist an Allem Schuld! und jetzt würde ich sie an einem Baume zerschmettert haben, wenn sie mir Heinrich nicht entrissen hätte.

Gieb mir sie wieder – sagte ich wehmüthig; indem ich mich unter meine Eiche warf – gieb mir sie wieder! ich liebe sie doch noch: denn nur sie kann sagen was ich leide.

Er gab sie mir; aber ich vermochte keinen Ton heraus zu bringen. Ach! kann der höchste Schmerz noch klagen! – –

Heinrich bezeigte mir sein Mitleid; aber es rührte mich nicht. In Wehmuth[46] versunken, saß ich an meine Eiche gelehnt, die Augen unverwandt auf Mariens Fenster gerichtet.

»Es kann nicht schlimmer werden als es schon ist«! – rief ich endlich; indem ich mich aufrafte. Wenigstens will ich sie noch einmal sehen! werde daraus was da wolle! –

Jetzt war ich an Mariens Fenster. Ich wußte daß es sich nach innen öffnete. Mit einer Art von Verzweiflung stieß ich dagegen. Es mußte nicht recht geschlossen gewesen seyn; denn es sprang augenblicklich auf, und Marie fiel mit einer Ausrufung des Schreckens in ihren Sessel zurück.

Sie hatte geschrieben, und ihre Augen waren roth von Weinen.[47]

»Ach Marie«! – sagte ich; und streckte meine Arme sehnsuchtsvoll nach ihr aus. –

»Meine Mutter«! – antwortete sie mit halb erstickter Stimme.

Ich. Marie! werden Sie reisen?

Sie. Ich fürchte es.

Ich. Werden wir uns wiedersehen?

Sie. Ach Gott!

Ich. Marie haben Sie mir nichts zu geben? – haben Sie kein Andenken für mich? –

Sie stand auf und schien sich dem Fenster nähern zu wollen; aber plötzlich trat sie zurück, und eine hohe Röthe überzog ihre Wangen.[48]

»Marie!« – sagte ich – warum gehen Sie zurück? – wollen Sie mich noch unglücklicher machen? – wollen Sie mich aufs Aeußerste brinaen? –

Blaß und erschrocken näherte sie sich jetzt dem Fenster.

Ich bedeckte ihre Hand mit brennenden Küssen; und beschwor sie: ihre Abreise wenigstens um einige Tage zu verzögern; als plötzlich ein Geräusch an ihrer Thüre entstand.

»Ein Andenken Marie!« – rief ich; und Liebe und Verzweiflung kämpften in meinem Herzen. »Ein Andenken«! – wiederholte ich; und versuchte einen goldnen Ring von ihrem Finger zu ziehen. Das Geräusch verstärkte sich, ihre Hand konnte nicht widerstehen – der Ring war mein! – noch einen Blick in das Himmelauge, und ich war verschwunden.[49]

Ach! am folgenden Morgen waren auch sie verschwunden, und keine Spur von ihnen zu entdecken.

Da fällt eine Thräne auf meine Hand – sie gehört der ersten Liebe – wer darf sie tadeln?[50]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 44-51.
Lizenz:
Kategorien: