Zehntes Kapitel

[166] Der edle, vortrefliche Mensch! wie rettete er es! –

Von nun an sah ich ihn nur des Morgens. Nachmittags, wenn ich nach ihm fragte, wußte Niemand, wo er war – aber des Abends kam er gewöhnlich todtmüde, und mit Schweiß bedeckt wieder zu Hause.

Seit jenem Streite waren wir etwas gespannt, und ich hatte nicht den Muth, ihn zu fragen: wo er gewesen sey? – aber die Neugier trieb mich, ihm eines Tages unbemerkt zu folgen.

Wir waren schon weit von der Stadt, als ich ihm zwey halb nackte Kinder entgegenlaufen[166] sah. Sie schrien laut vor Freuden, und das Eine ruhte nicht, bis er es auf den Arm nahm, während das Andre sich an seine Kleider hing, und so von ihm mit fortgezogen wurde.

Sie gingen zu einem Hüttchen, wo ihm drey andere Kinder entgegen sprangen, und ihn laut jubelnd hinein führten.

Ich war zweifelhaft, ob ich ihm folgen sollte, als er aus einer andern Thür heraustrat, einen Pflug anspannte, und auf das benachbarte Feld zog.

Ich hatte mich hinter ein Gebüsch versteckt, und sah, wie er das Feld sehr ernsthaft auf und ab pflügte.

Mit jeder Furche, die er zog, verschwand eine Falte von seiner Stirn, und wenn er nach dem Hüttchen blickte, so strahlte sein Gesicht von einer beynahe überirdischen Heiterkeit.[167]

»Ah! doch wohl eine Liebschaft,« – dachte ich – »und wahrscheinlich eben so romantisch, wie er selbst. Das muß man doch ein wenig näher betrachten!« – und so schlich ich unbemerkt zu dem Hüttchen.

Ich fand einen abgezehrten Greis auf einem ziemlich reinlichen Lager. Er erzählte mir: daß sein Sohn – der Vater der fünf Kinder – auf einer Reise krank geworden, und daß seine Schwiegertochter ihrem Manne sogleich gefolgt sey, um seine Pflege zu übernehmen.

»Jesus Maria!« – rief er – »was wäre nun aus uns geworden, wenn Gott uns nicht einen Engel gesandt hätte? – Ja, einen Engel! denn er ist mehr als ein Mensch! er hat übermenschliche Kräfte! – mich trägt er wie ein Kind wohin er will, und was mein Sohn mit mehrern Arbeitern nicht bezwingen konnte, das ist ihm allein wie Kinderspiel.«[168]

»Sehen Sie! sehen Sie!« – fuhr er fort – »dort geht er und pflügt unsern Acker. Wenn meine Kinder nur erst wieder zurück sind! sie werden ihn anbeten!«

»Ach! wie mir so wohl geworden ist, daß ich es doch einen Menschen habe erzählen könne!«

Meine Augen wurden naß; ich drückte dem Alten sprachlos die Hand; ließ unvermerkt meine Börse auf dem Tische, und eilte, ohne auf das Feld wieder hinzublicken, in die Stadt.[169]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Gustavs Verirrungen. Leipzig 1801, S. 166-170.
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