Fünftes Kapitel.

[71] Der erste Rausch war vorüber; die Gräfin kam ein wenig zu sich selbst, und schien verwundert zu sein. Diese Lebhaftigkeit, diese Fülle, dieses Uebermaß von Zärtlichkeit war ihr unerwartet.[71] Das ungewöhnliche Stillschweigen, eine kleine Verschiedenheit gewisser Formen, eine kleine Veränderung in der Manier, alles gab ihr einigen Verdacht.

Pleßy war indessen in Todesangst. Er zitterte vor dem Ausgang, und wagte sich doch nicht zu entdecken. Wenn der Graf jetzt käme! – Wenn die Gräfin ihn morgen – – Tausend schreckliche Besorgnisse, tausend gräßliche Ideen!

Einige Minuten hatte er so zugebracht, endlich ermannte er sich. – Liebes Hannchen! sagte er, als ob es das Kammermädchen der Gräfin wäre – Jetzt weiß ich doch, daß du mich liebst! Mag der gnädige Herr dir's auch verbieten: was hat er darnach zu fragen?

Die Gräfin erstarrte. – Aber du sagst mir nichts, mein liebes Kind! fuhr er liebkosend fort: denkst du, daß der Graf? – Ach der ist weit von hier, der ist drüben bei der jungen Wirthin.

Kaum hatte die Gräfin das gehört, als ihr leichter um's Herz wurde. Ihr Mann war ihr ungetreu, der Himmel hatte ihn selbst bestraft. – Wodurch man sündigt! – Dieses Sprüchwort tröstete sie. Das Geschehene war nicht ihre[72] Schuld, Ihr Genuß war rechtmäßig gewesen; sie hatte sich keinen Vorwurf zu machen.

Freund! sagte sie sanft und leise: nimm diesen Ohrring, und morgen wirst du mich erkennen. Sei verschwiegen, und dein Glück soll gemacht sein.

Pleßy küßte sie noch einmal auf Mund und Busen, ohne daß sie es ihm verweigerte, und schlich unbemerkt in seine Kammer.

Quelle:
Christian Althing: Dosenstücke, Rom; Paris; London [o.J.], S. 71-73.
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