Drittes Kapitel

[309] Es waren drei erlebnisvolle, köstliche, wunderbare Tage, wahre Flitterwochentage.

Die beiden wohnten im Boulogner Hof am Hafen. Dort hausten sie bei verschlossenen Türen und herabgelassenen Fensterläden, unter überallhin gestreuten Blumen und bei Fruchteis, das man ihnen alle Morgen in der Frühe brachte.

Abends mieteten sie einen überdeckten Kahn und aßen auf einer der Inseln.

Es war die Stunde, da man von den Werften her die Hämmer gegen die Schiffswände schlagen hörte. Der Dampf von siedendem Teer stieg zwischen den Bäumen empor, und auf dem Strome sah man breite ölige, ungleich große Flecken, die im Purpurlichte der Sonne wie schwimmende Platten aus Florenzer Bronze glänzten.

Sie fuhren zwischen den vielen vor Anker liegenden Flußkähnen hindurch, und bisweilen streifte ihre Barke die langen Ankertaue. Das Geräusch der Stadt, das Rasseln der Wagen, das Stimmengewirr, das Bellen der Hunde auf den Schiffen wurde ferner und ferner. Emma knüpfte ihre Hutbänder auf.

Sie landeten an ›ihrer Insel‹. Sie setzten sich in eine Herberge, vor deren Tür schwarze Netze hingen, und aßen gebackene Fische, Omeletten und Kirschen. Dann lagerten sie sich im Gras, küßten einander im Schatten der hohen Pappeln und hätten am liebsten wie zwei Robinsons immer auf diesem Erdenwinkel leben mögen, der ihnen in ihrer Glückseligkeit als das schönste Fleckchen der ganzen Welt erschien. Sie sahen die Bäume, den blauen Himmel und das Gras nicht zum ersten Male, sie lauschten nicht zum ersten Mal dem Plätschern der Wellen und dem Wind, der durch die Blätter rauschte, aber es war ihnen, als hätten sie das alles niemals so genossen, als wäre die Natur vorher gar nicht[310] dagewesen oder als wäre sie erst schön, seitdem ihr Begehren gestillt war.

Wenn es dunkel ward, kehrten sie heim. Der Kahn fuhr am Gestade von Inseln entlang. Die beiden saßen im Dunkeln auf der Bank unter dem hölzernen Verdeck und sprachen kein Wort. Die vierkantigen Ruder knirschten durch die Stille in ihren eisernen Gabeln, taktmäßig wie ein Uhrwerk. Hinter ihnen rauschte das Wasser leise und das herrenlose Steuer.

Einmal erschien der Mond. Da schwärmten sie natürlich vom stillen Nebelglanz über Busch und Tal und seinen Melodieen. Und Emma begann sogar zu singen:


Weißt du, eines Abends

Fuhren wir dahin ...


Ihre metallische, aber schwache Stimme verhallte über der Flut, vom Wind entführt. Wie sanfter Flügelschlag streifte der Sang Leos Ohr.

Emma saß an die Rückwand der kleinen Kabine gelehnt. Durch eine offene Luke im Dache fiel der Mondenschein herein und in ihr Gesicht. Ihr schwarzes Kleid, dessen faltiger Rock sich wie ein Fächer ausbreitete, ließ sie schlanker und größer erscheinen. Die Hände gefaltet, hob sie den Kopf und schaute zum Himmel empor. Von Zeit zu Zeit verschwand sie im Schatten der Weiden, an denen der Kahn vorüberglitt, und dann tauchte sie plötzlich wieder auf, im Lichte des Mondes, wie eine Geistererscheinung.

Leo, der sich ihr zu Füßen am Boden des Fahrzeuges gelagert hatte, hob ein Band aus roter Seide auf. Der Bootsmann sah es und meinte:

»Das ist von gestern! Da hab ich eine kleine Gesellschaft spazieren gefahren, lauter lustige Leute, Herren und Damen. Sie hatten Kuchen und Champagner mit und Waldhörner. Das war ein Rummel! Da war einer dabei, ein großer hübscher Mann mit einem schwarzen Schnurrbärtchen, der war riesig fidel! Sie baten ihn immer: ›Du, erzähl uns mal einen Schwank aus deinem[311] Leben, Adolf!‹ Oder hieß er Rudolf? Ich weiß nicht mehr ...«

Emma fuhr zusammen.

»Ist dir nicht wohl?« fragte Leo und legte ihr die Hand um den Nacken.

»Ach nein, es ist nichts! Es ist ein bißchen kühl.«

»Er mochte auch viel Glück bei den Frauen haben«, redete der Bootsmann leise weiter. Er wollte seinem Fahrgaste offenbar eine Schmeichelei sagen. Dann spuckte er sich in die Hände und begann von neuem zu rudern.

Endlich kam die Trennungsstunde. Der Abschied war sehr traurig. Sie verabredeten, Leo solle durch die Adresse der Frau Rollet schreiben. Emma gab ihm genaue Anweisungen. Er solle doppelte Umschläge verwenden. Er wunderte sich über ihre Schlauheit in Liebesdingen.

»Und das andere ist doch auch alles in Ordnung, nicht wahr?« fragte sie nach dem letzten Kusse.

»Aber gewiß!«

Als er dann allein durch die Straßen heimging, dachte er bei sich:

»Warum macht sie denn eigentlich so viel Wesens mit ihrer Generalvollmacht?«

Quelle:
Flaubert, Gustave: Frau Bovary. Leipzig 1952, S. 309-312.
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