Ernst Germershausen

[474] folgte 1704 seinem Vorgänger Andreas Seehausen im Amt und verwaltete es achtundzwanzig Jahre. In die Zeit seiner geistlichen Oberherrschaft fällt das große Feuer von 1711, das dreihundert Häuser und in ihrem Innern auch die Kirche zerstörte. Mit dem Magistrate lag er in beständiger Fehde, was auf den Wiederaufbau der Kirche nachteilig wirkte. Die Stadtbehörde verweigerte beispielsweise die Lieferung von Holz, infolgedessen[474] die Kirche drei Jahre lang ohne Dach blieb. Beiläufig eine Strafe, die diejenigen, die sie verfügten, mittraf, wenn sie nicht vielleicht »aus Rache« auch die Predigt versäumten. In der Magistratsregistratur ist noch ein starkes Aktenbündel vorhanden, das Kunde gibt von der gegenseitigen Erbittertheit.

Aus Predigten, die Germershausen hinterlassen, erkennt man ihn als einen sehr eigenartigen Herrn. So findet sich in einem Leichensermon aus dem Jahre 1728 folgende sonderbare Bemerkung über Ebbe und Flut: »Die Lästerer der Religion geben vor, Moses habe die Juden bloß aus Hochmuth und Ehrgeiz durchs rothe Meer in die Wüste geführt, um über sie zu herrschen und habe des Meeres Ab- und Zufluß verstanden. Allein solche Spötter haben keinen Begriff von der Seefahrt, da den geringsten Schiffsleuten bekannt ist, daß Ebbe und Fluth in der Welt nirgend existirt als in der Nord-See, am heftigsten in Schottland, weshalb man meint, daß dort der Schlund sei, wo das Meer, als wenn es Othem holete, das Wasser gleichsam verschlucke und wieder von sich stoße, da, je weiter von Schottland, diese Ebbe und Fluth desto weniger zu spüren.«

Er konnte aber auch besser sprechen. So beispielsweis in einer andern Leichenrede, die er im selben Jahre hielt. Sie begann: »Am 6. Mai 1728 starb in seinem 84. Jahre der Vorachtbare und Wohlvornehme Herr Daniel Grieben Senior. Er trat dreimal in den Stand der heiligen Ehe und hinterläßt 16 Kinder, 56 Enkel und 8 Urenkel. Sein Leben und Wandel betreffend, so hat er sich als einen Christlichen und Gottseeligen Bürger wohl aufgeführet, Gottesdienste, selbst in der Wochen, nie versäumet und mit gebührender Andacht das heilige Abendmahl fleißig gebrauchet; seine Kinder und Gesinde zur Gottesfurcht gehalten und wohlerzogen, daß auch, Gott sei Dank, unter solcher starken Zahl kein Ungerathenes vorhanden. Er gab einen guten Haushalter ab; gegen den Nächsten war er mitleidig, so daß er in der Noth mit Geld und Getreide jedermann ohne jeden Eigennutz gern gedienet. Und da ihn Gott im Zeitlichen reichlich gesegnet, hat er sich durch solches weder zu Stolz und Hoffahrt, noch zu Verschwendung bewegen lassen, sondern ist nach wie vor in Gottesfurcht, Demuth und Fleiß verblieben. Viel Menschen hat er mit Vormundschaft und Zurechtweisung ihres Vermögens gedienet und seine Leibes- und Gemüthskräfte Gott zu Ehren und dem Nächsten zu Nutz wohl angewendet.«

Das sind Kernworte, die auch den ehren, der sie sprach. Seine beständigen Streitigkeiten mit der Stadtbehörde beweisen nicht[475] allzuviel gegen ihn. Sie scheinen (wenn sie überhaupt dazu angetan sind, einen Schatten auf seinen Charakter zu werfen) lediglich in einem hochgespannten Selbstbewußtsein ihren Grund gehabt zu haben. Und zu diesem Selbstbewußtsein war er in dem damaligen Gransee vielleicht berechtigt. Er war gelehrt und charaktervoll, in Welt und Büchern gleich erfahren, und ragte mutmaßlich um Haupteslänge über den »Magistrat« hinaus. Um einen Kopf größer sein, ist aber an und für sich schon ein Verbrechen, und es zeigen, ein doppeltes. Seine von ihm selbst verfaßte Grabschrift gibt uns, ungewollt, zugleich ein Lebens- und Charakterbild:


Memoria

Ernesti Germershausen, Gransoviensium praesulis,

Cui Magdeburgum vitam, Hamburgum fortunam,

Maria Germanicum, Atlanticum, Gaditanum, Liguricum,


Thyrrhenum experientiam,

Urbes Olysippum, Gades, Malaga, Alicante, Genua,

Livorno, Pisa, Florentia et ipsa

Roma prudentiam,

Lichterfelda et Gransoviense Territorium

Honores conciliaverunt.

Quibus cum (33) Annos et quod excurrit praefuisset.

Placide obiit die (6 Decembris Anni MDCCXXXII.)

Cujus anima requiescat in pace.


Zum Gedächtnis

von Ernst Germershausen, Inspektor zu Gransee,

Dem Magdeburg das Dasein, Hamburg Vermögen,

Das Deutsche, Atlantische, Spanische Meer,

Das Thyrrhenische und auch das Ligurische, Erfahrung,

Die Städte Lissabon, Cadix, Malaga, Alicante, Genua,

Livorno, Pisa, Florenz und selbst

Rom Weisheit,

Die Bezirke von Lichterfelde und Gransee aber

Amt und Würde gaben,

Starb, nachdem er sie 33 Jahre und darüber verwaltet, sanft

Den 6. Dezember 1732.

In Frieden ruhe seine Seele.


Von der Marienkirche fort wenden wir uns jetzt der andern Sehenswürdigkeit der Stadt zu. Es ist:[476]

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 9, München 1959–1975, S. 474-477.
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