Zernikow

[299] »So heute Mittag die Sonne scheint,

werde ich ausreiten; kom doch am Fenster,

ich wollte dihr gerne sehn.«

Friedrich an Fredersdorff


In der Nähe von Boberowwald und Huwenowsee liegt noch ein anderer Güterkomplex, der durch den Aufenthalt des Kronprinzen Friedrich in Rheinsberg zu historischem Ansehen gelangt ist – ich meine die sogenannten Fredersdorffschen Güter, die Friedrich der Große, beinah unmittelbar nach seiner Thronbesteigung, seinem Kammerdiener Fredersdorff zum Geschenk machte. Ursprünglich bestand die Schenkung nicht aus jenen vier Besitzungen, die man jetzt wohl als »Fredersdorffsche Güter« zu bezeichnen pflegt; es war vielmehr ein einziges Gut nur, Zernikow, das der Kronprinz am 17. März 1737 von Leutnant Claude Benjamin le Chenevix de Beville käuflich an sich bringend, nach dreijährigem Besitz unterm 26. Juni 1740 seinem Kammerdiener urkundlich vermachte. Erst nach zehn Jahren begann Fredersdorff selber sein Besitztum durch Ankauf zu erweitern: 1750 erwarb er Kelkendorf, 1753 Dagow und 1755 Burow. Dagow ist seitdem wieder aus der Reihe der Güter ausgeschieden, Schulzenhof aber dafür angekauft worden, so daß der Besitzstand nach wie vor aus vier Gütern besteht.

Das Wenige, was man über Fredersdorff weiß, ist oft gedruckt worden, außerdem hat Friedrich Burchardt in seinem Buche[299] »Friedrichs II. eigenhändige Briefe an seinen geheimen Kämmerer Fredersdorff« diesen Briefen auch noch eine Biographie Fredersdorffs beigegeben. Ich verweile deshalb nicht bei Aufzählung bekannter Tatsachen und Anekdoten, deren Verbürgtheit zum Teil sehr zweifelhaft ist, und beschränke mich darauf, bei jenem einzig neuen Resultat einen Augenblick stehen zu bleiben, welches die seitdem erfolgte Durchsicht der Gartzer Kirchenbücher hinsichtlich der Herstammung Fredersdorffs ergeben hat.

Es galt bisher für zweifelhaft, ob Fredersdorff wirklich zu Gartz in Pommern (vier Meilen von Stettin) oder aber in Mitteldeutschland geboren sei, ja die meisten Stimmen neigten sich der letzteren Ansicht zu und bezeichneten ihn als einen durch Werber aufgebrachten wohlhabenden Kaufmannssohn aus Franken. Diese Ansicht ist aber jetzt mit Bestimmtheit widerlegt. Im Gartzer Kirchenbuche findet sich eine Angabe, daß ein dem Stadtmusikus (musicus instrumentalis) Fredersdorff geborener Sohn am 3. Juni 1708 getauft worden sei und die Namen Michael Gabriel erhalten habe. Da nun der Kammerdiener Fredersdorff nach übereinstimmenden Nachrichten wirklich Michael Gabriel hieß, auch wirklich 1708 geboren wurde, so kann nicht gut ein längerer Zweifel in dieser Streitfrage walten. Zwar findet sich auf Fredersdorffs Bild in der Zernikower Kirche die Angabe: »geboren am 6. Juni 1708« (wonach er nicht am 3. Juni getauft sein kann), diese Angabe ist aber entweder einer jener Irrtümer, wie sie auf derartigen Bildern sehr häufig vorkommen, oder es hat sich umgekehrt bei Eintragung ins Kirchenbuch ein Fehler eingeschlichen. Vielleicht muß es heißen am 13. Juni.

Fredersdorff war achtzehn Jahre lang, von 1740 – 1758, im Besitz von Zernikow, an welche Tatsache wir die Frage knüpfen, ob er dem Dorf und seinen Bewohnern ein Segen war oder nicht? Die Beantwortung der Frage fällt durchaus zu seinen Gunsten aus. Wie er trotz Ehrgeiz und einem unverkennbaren Verlangen nach Ansehn und Reichtum doch überwiegend eine liebenswürdige und gutgeartete Natur gewesen zu sein scheint, so erwies er sich auch als Gutsherr mild, nachsichtig, hilfebereit. Seine Bauern und Tagelöhner hatten gute Zeit. Und wie den damaligen Bewohnern, so war er dem Dorfe selbst ein Glück. Die meisten Neuerungen, soweit sie nicht bloß der Verschönerung dienen, lassen sich auf ihn zurückführen. Er fand eine vernachlässigte Sandscholle vor und hinterließ ein wohlkultiviertes Gut, dem er teils durch Anlagen aller Art, teils durch Ankauf von Wiesen und Wald das gegeben hatte, dessen es zumeist benötigt war. Die[300] Tätigkeit, die er entwickelte, war groß. Kolonisten und Handwerker wurden herangezogen, und Weberei und Strohflechterei von fleißigen Händen betrieben. Zu gleicher Zeit und mit Vorliebe nahm er sich des Seidenbaues an. Gärten und Wege wurden mit Maulbeerbäumen bepflanzt (schon 1747 standen deren achttausend) und das Jahr darauf hatte er zum ersten Male einen Reinertrag aus der gehaspelten Seide. Kaum daß er ein Stück guten Lehmboden auf seiner Feldmark gefunden, entstand auch schon eine Ziegelei, so daß er 1746, und zwar aus selbstgebrannten Steinen, das noch jetzt existierende Wohnhaus erbauen konnte. Noch im selben Jahre führte er, ebenso wie in Spandau und Köpenick, große Brauereigebäude auf, in denen das so beliebt gewordene und nach ihm genannte »Fredersdorffer Bier« gebraut wurde. In allem erwies er sich als der gelehrige Schüler seines königlichen Herrn, und an der ganzen Art und Weise, wie er die Dinge in Angriff nahm, ließ sich erkennen, daß er den organisatorischen Plänen des Königs mit Verständnis zu folgen und sie als Vorbild zu verwerten verstand. Er mochte es dabei, besonders was die Mittel zur Ausführung anging, leichter haben als mancher andere, da ein König, der ihm schreiben konnte: »Wenn ein Mittel in der Welt wäre, Dir in 2 Minuten zu helfen, so wollte ich es kaufen, es möchte auch so theuer sein, wie es immer wolle«, sehr wahrscheinlich auch bereit war, durch Geschenke und Vorschüsse aller Art zu helfen. Es scheint indessen, daß diese Hilfen immer nur innerhalb beschränkter Grenzen blieben und daß die Meliorationen erst von 1750 ab einen größeren Maßstab annahmen, wo sich Fredersdorff mit Karoline Marie Elisabeth Daum, der reichen Erbtochter des schon 1743 verstorbenen Bankiers Daum vermählt hatte. Wenigstens beginnen von da ab erst jene Güterkäufe, deren ich schon oben erwähnt habe. Fredersdorff lebte mit seiner jungen Frau in einer sehr glücklichen, aber kinderlosen Ehe. Daß er andauernd in Zernikow gewesen sei, ist nicht anzunehmen, doch scheint es, daß er von 1750 ab (also nach seiner Vermählung) wenigstens so oft wie möglich auf seinem Gute war und namentlich die Sommermonate gern daselbst verbrachte. Ob er seine alchimistischen Künste und Goldmacheversuche auch in ländlicher Zurückgezogenheit geübt hatte, ist nicht zu ermitteln gewesen, übrigens nicht wahrscheinlich. Er starb zu Potsdam in demselben Jahre (1758), das seinem königlichen Herrn so viele schwere Verluste brachte, und seine Leiche wurde nach Zernikow übergeführt.

Michael Gabriel Fredersdorff war am 12. Januar 1758 gestorben.[301] 1760 vermählte sich seine Witwe zum zweiten Male mit dem aus Pommern stammenden Geheimen Stiftsrat zu Quedlinburg Hans Freiherrn von Labes, der, ursprünglich bürgerlich, erst später vom Kaiser in den Adelsstand erhoben worden war.

Auch Freiherr von Labes tat viel zur Verschönerung des Gutes, eine Lindenallee wurde gepflanzt, ein englischer Park angelegt, und der frühere Fasanengarten in einen Tiergarten mit Fischteichen, Wasserleitungen und Pavillons umgeschaffen. Er scheint andauernder als Fredersdorff in Zernikow gelebt zu haben und verschied daselbst am 27. Juli 1776. Frau von Labes aber, nachdem sie durch milde Stiftungen, besonders durch Erbauung eines Hospitals segensreich gewirkt hatte, starb erst am 10. März 1810, achtzig Jahre alt, mehr denn fünfzig Jahre nach dem Tode ihres ersten Gatten. Aus ihrer zweiten Ehe waren ihr zwei Kinder geboren worden, ein Sohn und eine Tochter. Der Sohn, Geheimer Legationsrat von Labes, vermählte sich mit einer Komtesse Görtz-Schlitz, wurde selbst in den Grafenstand erhoben und nahm, nach der Burg Schlitz, die er sich im Mecklenburgischen erbaut hatte, den Namen Graf Schlitz an.

Dieser Graf Schlitz starb 1831. Er hinterließ nur eine Tochter, die sich 1822 dem Grafen Bassewitz vermählte, welcher letztere seitdem den Namen Graf Bassewitz-Schlitz führte. Das einzige Kind dieser Ehe, eine Tochter, wurde nur elf Jahre alt; von den Eltern starb die Mutter 1855, der Vater, Graf Bassewitz-Schlitz, im Juli 1861. Beide wurden auf Hohen-Demzin, einem in der Nähe von Burg Schlitz gelegenen Familiengute beigesetzt. Schon 1855, also nach dem Tode der Gräfin, waren die Fredersdorffschen Güter, da keine direkte Nachkommenschaft da war, auf die weibliche Linie, d.h. also auf die Nachkommenschaft der Tochter der Frau von Labes übergegangen.

Diese Tochter war seit 1777 an den Freiherrn Joachim Erdmann von Arnim vermählt, starb aber schon 1781 infolge ihrer zweiten Entbindung, nachdem sie dem später so berühmt gewordenen Achim von Arnim das Leben gegeben hatte. Sie hinterließ zwei Söhne: Karl Otto Ludwig von Arnim, geb. am 1. August 1779 und Karl Friedrich Joachim Ludwig von Arnim (Achim von Arnim), geb. am 26. Januar 1781.

Von diesen beiden Brüdern starb der jüngere schon am 21. Januar 1831, der ältere (gemeinhin Pitt-Arnim geheißen) ererbte die Fredersdorffschen Güter, nach dem, wie vorstehend schon hervorgehoben, im Jahre 1855 erfolgten Tode der Gräfin Bassewitz-Schlitz. Er ist sechs Jahre lang im Besitz der Güter geblieben,[302] bis zu seinem am 9. Februar 1861 erfolgten Tode. Da er kinderlos verstarb, so waren seine Neffen und Nichten, die Kinder Achims von Arnim und der Bettina Brentano, die nächsten Erben. Diese Kinder, drei Söhne und drei Töchter, sind jetzt die Besitzer von Zernikow.


Zernikow besitzt neben einer sehenswerten Kirche, in der sich, ebenso wie im Herrenhause, die Porträts von Fredersdorff, dem von Labesschen Ehepaar und von deren Tochter, der 1781 verstorbenen Frau von Arnim befinden, auch ein mit Geschmack und Munifizenz hergestelltes Grabgewölbe, das Frau von Labes bald nach dem Tode ihres zweiten Gemahls errichten ließ. Es trägt an seiner Front die Inschrift: »Fredersdorff'sches Erbbegräbniß, errichtet von dessen hinterlassener Wittwe, gebornen Caroline Marie Elisabeth Daum, nachmals verehelichten v. Labes. Anno 1777«. Darunter in goldenen Buchstaben folgende verschlungene Namenszüge: MGF (Michael Gabriel Fredersdorff) und CMED (Caroline Marie Elisabeth Daum). Sofort nach der Vollendung dieses Grabgewölbes nahm Frau von Labes in dasselbe die sterblichen Überreste ihrer Ehegatten Fredersdorff und von Labes auf, welche sich bisher in einer Gruft unter der Kirche zu Zernikow befunden hatten.

Der mit Leder überzogene und mit vergoldeten Füßen und Handhaben versehene Sarg Fredersdorffs, auf dem sich noch die Patrontasche befindet, die derselbe während seines Militärdienstes im Schwerinschen Regiment getragen hat, steht an der rechten Seitenwand, der Sarg des Freiherrn von Labes unmittelbar dahinter.

Vier Jahre später gesellte sich zu diesen beiden Särgen ein dritter. Noch nicht zwanzig Jahre alt, war die mehrgenannte Freifrau Amalie Karoline von Arnim, einzige Tochter der verwitweten Frau von Labes, im Januar oder Februar 1781 zu Berlin gestorben und wurde von dort nach Zernikow übergeführt. Ihr Sarg, in dessen Deckel ein kleines Fenster befindlich ist, steht an der Hinterwand des Gewölbes, und noch jetzt liegen auf demselben Kränze und Gedichte, welche letzteren von der Hand der Mutter geschrieben sind. Am 10. März 1810 entschlief Frau von Labes selber und nahm, ihrem letzten Willen gemäß, nach Freud und Leid dieser Welt, ihren letzten Ruheplatz an der Seite derer, die ihr das Teuerste gewesen waren. Auch auf dem Deckel ihres überaus prachtvollen Sarges ist ein kleines Fenster angebracht, durch das man die entseelte Hülle der alten Freifrau[303] erblickt. Auf allen vier Särgen befinden sich die Familienwappen, auf drei derselben auch Name, Geburts- und Todestag.

Über fünfzig Jahre vergingen, ehe ein neuer Ankömmling vor der Kirche hielt und Raum in der Familiengruft beanspruchte. Alles, was den Namen Graf Schlitz angenommen hatte, hatte sich auch im Tode noch von Zernikow, dem ursprünglichen Familiengut, geschieden und dem Graf Schlitzschen Mausoleum auf Hohen-Demzin den Vorzug gegeben. Nicht so der älteste Sohn der Tochter der Frau von Labes. Am 16. Februar 1861 öffneten sich die schweren Gittertüren des Fredersdorffschen Erbbegräbnisses noch einmal und der Sarg des Oberstschenk Karl Otto Ludwigs von Arnim wurde neben Mutter und Großmutter beigesetzt. Seine Inschrift lautet:


Dubius non impius vixi,

Incertus morior, non perturbatus;

Humanum est nescire et errare.

Ens entium miserere mei.


In Zweifeln hab' ich gelebt, nicht unfromm,

In Ungewißheit sterb' ich, nicht in Bangen;

Nichtwissen und irren ist Menschenlos.

Wesen der Wesen erbarme dich mein.


Sein jüngerer Bruder, Achim von Arnim, ist auf dem Familiengut Wiepersdorf bei Dahme begraben. Auch Bettina (gest. 1859 zu Berlin) ruht daselbst.[304]

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 9, München 1959–1975, S. 299-305.
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