1. Kapitel
Dietrich und Johann von Quitzow im väterlichen Hause bis 1385

Ganz in der Nähe der Einmündung der Havel in die Elbe, zwei Stunden unterhalb Havelberg, liegt Dorf Quitzöwel.1 Ersteigt man, um Umschau zu halten, den Turm der wenigstens an ihrem Giebel noch gotischen alten Kirche, so gewahrt man, nach Norden hin, das reiche, früher zu Bistum Havelberg gehörige Dorf Legde (jenseits desselben die Wilsnacker Wunderblutkirche), während, nach Süden zu, die Rauchfahnen auf und abfahrender Schleppdampfer die Stelle bezeichnen, wo hinter dem hohen Elbdamm, und deshalb unsichtbar, die Elbe selbst ihren Lauf nimmt. So weit der Blick in die Ferne. Zu Füßen des uns Umschau gönnenden Turmes aber steigt ein aus Wiesen und Eichengruppen malerisch zusammengestellter Park und aus eben diesem Park ein Herrenhaus auf: das gegenwärtige Schloß Quitzöwel. Das ist die Stelle, wo die Stammburg der berühmten Quitzowfamilie stand. Überbleibsel der alten Umfassungsmauern werden noch gelegentlich in großen Steinblöcken ausgegraben und ein bis heute dem modernen Schlosse verbliebenes Stück Wallgraben erinnert an alte, längst zurückliegende Burgtage. Sonst verlautet nichts von Beschaffenheit und Umfang der ursprünglich hier gelegenen Quitzowstätte, während wir über alle diejenigen, die während der sogenannten »Quitzowzeit« diese Stätte bewohnten, verhältnismäßig gut unterrichtet sind. Einer der interessantesten Abschnitte der märkischen Geschichte, vielleicht der interessanteste, hat in einem Mitlebenden, dem Kleriker Engelbert Wusterwitz, einen Chronisten gefunden und unsere besten Spezialhistoriker, wie Raumer, Riedel, Klöden, haben das uns von Wusterwitz Überlieferte durch Heranziehung urkundlichen Materials bereichert und berichtigt. Wenn trotzdem hier abermals der Versuch einer Darstellung der Quitzowepoche gemacht wird, so geschieht es nicht, weil Neues vorläge, Neues, das vom Standpunkte der Forschung aus dazu auffordern könnte, sondern lediglich in der Absicht, den in kleinen und was schlimmer, in oft unterschiedslosen Details erstickenden Stoff übersichtlicher zu gestalten[9] und durch größere Klarheit und Konzentration seine dramatische Wirkung zu steigern. Erst in den Schlußkapiteln dieses Aufsatzes werd' ich in der angenehmen Lage sein, meinen Lesern auch minder bekannt Gewordenes, weil einer andern späteren Epoche Zugehöriges, aus dem berühmten Quitzowhause zur Kenntnis zu bringen.


Wann die Quitzows, deren im Jahre 1295 zuerst Erwähnung geschieht, Dorf und Haus Quitzöwel in ihren Besitz brachten, ist nicht mit Bestimmtheit festzustellen gewesen, ebensowenig wie die Namen und Reihenfolge der Besitzer bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Wir wissen nur, daß, als Kaiser Karl IV. um die Mitte der siebziger Jahre nach Mark Brandenburg kam, Köne von Quitzow, ein »alter und hoflicher Reuter« wie der Chronist sich ausdrückt, auf Burg Quitzöwel saß. Das Ansehen, das er genoß, so groß es war, war ein rein persönliches und erwuchs ihm weder durch seinen keineswegs ausgedehnten Besitz, noch durch seine Geburt. Die Familie zählte zu den Ritterbürtigen, nicht aber zu den »Edlen«, stand vielmehr in Lehnsabhängigkeit vom Hause Putlitz, das seinerseits wieder bei den Mecklenburgischen Herzögen zu Lehn ging. In die vielen Fehden ebenso der Herzöge wie der Putlitze, sah sich Köne von Quitzow als mittel- und unmittelbarer Lehnsträger beständig hineingezogen, dabei »der Not, aber sehr wahrscheinlich auch dem eigenen Triebe gehorchend«. Mannigfach begegnen wir seinem Namen in Urkunden und Chroniken, die die Kämpfe jener Zeit beschreiben, aber so viel und oft er zu Kampf und Fehde draußen sein mochte, so viel war er doch auch daheim auf seinem Quitzöwelschen Hause, drin ihm, zu Beginn unserer Erzählung, zwei Knaben und eine Tochter heranwuchsen, Dietrich, Johann und Mathilde, von denen Dietrich 1366, Johann 1370, die Tochter aber, die sich später einem von Veltheim auf Schloß Harpke vermählte, wahrscheinlich zwischen 1366 und 1370 geboren war. Der Geburt zweier jüngerer Söhne werden wir in einem folgenden Kapitel Erwähnung tun.

So war, soweit die Familie mitspricht, der Quitzöweler Hausstand um 1375, ein Hausstand, der sich immer nur auf Wochen und Tage hin erweiterte, wenn die benachbarte Vetternschaft aus Stavenow, Rühstädt und Kletzke zu Begehung einer Familienfeier oder auch zu gemeinschaftlichem Kriegszuge vorsprach. Mit ihnen kamen dann die Putlitze,[10] zwei Brüder, Achim und Busso, deren ohnehin intime Beziehungen zum Quitzöweler Hause noch wuchsen, als sich zwischen Busso von Putlitz' ältestem Sohne Kaspar Gans und den beiden Quitzowschen Söhnen eine Freundschaft herausbildete, von der schon hier gesagt werden mag, daß sie, durch vier Jahrzehnte hin, alles Glück und Unglück des Lebens siegreich überdauerte. Zunächst nahm das vielfache Beisammensein der Knaben, wobei Quitzöwel die bevorzugte Stätte blieb, den Charakter einer gemeinschaftlichen Erziehung an, der es, unter den Plaudereien alter Burgknechte, nicht an Anregungen für die Phantasie fehlte. Dicht vor dem Dorfausgange lagen die Seegeberge, wo die diesseits der Elbe noch in Macht und Unabhängigkeit verbliebenen Wendenstämme den um 1056 über die Elbe vordringenden Sachsen eine große Schlacht geliefert und den Markgrafen Wilhelm, den Führer der Sachsen, besiegt und erschlagen hatten. Seine Leiche war nicht gefunden worden und Kaiser Heinrich III. hatte sich sowohl den Tod des Freundes, wie den Niedergang seiner Sache derart zu Herzen genommen, daß er darüber starb. Aber schon im nächsten Jahre war ein neues Sachsenheer über die Elbe gegangen und am Abhange derselben Berge, wo man das Jahr zuvor gestritten, war nun zum zweiten Male gekämpft und den Bergen selbst, auf denen man jetzt gesiegt hatte, der Name der »Sieg-« oder Seegeberge gegeben worden. Ausgepflügte Schwerter- und Panzerstücke bewahrheiteten das Erzählte.

Das waren zurückliegende, gelegentlich auch wohl mit Sagenhaftem ausgeschmückte Vorgänge; was aber die Gemüter mächtiger erregte, das war, wenn fahrende Leute des Weges kamen und nach Sitte der Zeit, in Liedern und Balladen, allerlei Geschehnisse berichteten, die sich fern und nah, ja nicht selten in unmittelbarster Nähe, zugetragen hatten. Unter diesen Vorgängen stand damals ein Kampf obenan, der zwischen den sogenannten Harzgrafen und den Stendalern ausgefochten worden war. Einer der Wernigeröder Grafen, dazu die Grafen von Regenstein und von Egeln, hatten sich mit Busso von Alvensleben auf Erxleben und zugleich auch mit Gebhard von Rundstede, der den Führer machte, zu einem Streifzug nach der Altmark hin verbunden, der denn auch wirklich am 3. November 1372 gegen die zur Altmark gehörigen Dörfer Schäpelitz, Badingen, Deetz und Garlipp unternommen wurde. Der Zug war sehr stark, gegen fünfhundert[11] Mann, so daß die sich zum Widerstande zu schwach fühlenden Dörfer die Hilfe der Stendaler anriefen, die denn auch gewährt wurde. Sie kamen. An ihrer Spitze stand Werner von Calve, Bürger oder vielleicht auch Bürgermeister der Stadt. Bei Deetz traf er auf den Feind, der sich hier, samt dem zahlreich geraubten Vieh, hinter einem Berge gelagert hatte. Sofort ging er zum Angriff über, die Grafen in die Flucht schlagend, wobei Busso von Alvensleben auf Seite der Gräflichen und leider auch Werner von Calve auf Seite der Stendaler fiel. Das Lied aber, eines der schönsten aus der Zeit, lautete:


Herr Busso von Erxleben sich vermaß

Wohl auf dem Hause, da er saß:

»Wär' ich fünfhundert starke,

Ich wollte so viele Kühe wegholen

Wohl aus der alten Marke.


Wüßt' ich, wer uns Fußmann wollte sein

In die alte Marke hinein,

Ein Pferd wollt' ich ihm geben.«

»Ein Pferd möcht' ich verdienen«,

Sprach da Gebhard von Rundstede.


»Ich will Euch führen in ein voll Land,

Das ist unberaubt und unverbrannt,

Da ist wohl viel zu nehmen.

Wir haben viel starke Gewappnete,

Wer sollte da das uns wehren?«


Zu der Hagemühle zogen sie hin,

Bading war ihre von Anbeginn,

Dazu auch Schäpelitze.

Vor Klöden zogen sie vorbei, –

Sie zogen nach Garlippe.


Das ward der Badingsche Schulze gewahr,

Er ritt nach Stendal vor das Tor:

»Wohlauf ihr Bürger alle,

Wollt ihr nichts weiter dazu tun,

Bleibt uns keine Kuh im Stalle.«[12]


Die Bürger von Stendal waren so stolz,

Sie zogen nach Deetz wohl hinter das Holz,

Daß man keinen vorzeit erschaue.

Das beweinte sehr Herrn Bussos Weib

Und so manche stolze Fraue.


Von ihrer wahrscheinlich hochgelegenen Stellung aus sahen die Stendaler unter ihrem Werner von Calve, daß die Harzgrafen samt dem geraubten Vieh an einem Hügelabhang auf der Feldmark von Klinke lagen und ohne Rast oder Ruhe zu nehmen, packten sie den Feind...


... Und ehe der Tag zum Abend ging,

Mußte der die Beute lassen.


Sie schlugen Herrn Busso auf den Kopf,

Dazu auf seinen Waffenrock

Und auf seine Pickelhaube.

Da machte manch stolz Gewappneter

Sich flüchtig aus dem Staube.


Werner von Calve, der gute Mann,

Er ritt die Feinde selber an,

Er griff wohl nach dem Schwerte.

»Wer uns ein ehrlicher Mann will sein,

Der steche gut in die Pferde.«


Werner von Calve war in der Mitten,

Er ward wohl durch und durch geritten,

Das war der größte Schade,

Den die von Stendal haben genommen, –

Gott gebe ihm seine Gnade.


Bänkelsänger und fahrende Leute, die solche Gesänge vortrugen, zogen viel durchs Land, denn die Zeit zeitigte beständig dergleichen, weil man, im Gegensatz zu der gewöhnlichen Annahme, mehr erlebte wie heutzutage, wo sich das Dasein ausschließlich in große Politik und kleines und kleinstes Hausund Privatleben teilt. Damals aber gab es noch etwas Dazwischenliegendes, das nicht groß und nicht klein war, das war der nie ruhende Kampf der Stadt- und Adelsgruppen unter- und gegeneinander. Dazu das reiche kirchliche Leben.[13] Alles sprach zu Gemüt und Phantasie. Versuch' ich beispielsweise in nachstehendem aufzuzählen, was man auf Burg Quitzöwel in einem Zeitraume von zehn Jahren und zwar im Umkreise weniger Meilen erlebte.

1375 weilte Kaiser Karl IV. fast beständig in dem nahegelegenen Tangermünde, das er beflissen war in einen Kaiserhof umzugestalten. Ein Schloß entstand und eine Kapelle, deren Edelsteinpracht ans Märchenhafte streifte. Mehr als einmal war man von Quitzöwel aus drüben, um den fortschreitenden Bau zu verfolgen und anzustaunen, und wenn dann Dietrich und Johann, und Kaspar Gans mit ihnen, wieder daheim und ihre Herzen und Sinne von dem Erschauten erfülle, waren, so spielten sie, des Reiches Herrlichkeit unter sich teilend, Kaiser und König. »Und so kindisch diese Spiele waren, sie riefen doch allerlei Ideen von Macht und Größe wach, die Wurzel schlugen und fortwuchsen.«

1378 starb der Kaiser und das ganze Land trauerte, zumeist aber Altmark und Priegnitz, denen der Heimgegangene durch alles das, was er für Tangermünde getan hatte, vielfach eine Quelle des Wohlstandes geworden war. Das Jahr darauf erschien der siebzehnjährige Sigismund in der ihm zugefallenen Markgrafschaft Brandenburg, um Eid und Huldigung in Empfang zu nehmen und den Städten und Ständen ihre Privilegien zu bestätigen. Am 17. März war er in Salzwedel, am 27. zu Tangermünde. Von allen Seiten her strömte man daselbst zusammen und unter denen, die, zujubelnd, auf dem Markt- und Rathausplatze der Stadt standen, waren auch die Quitzowschen Junker, ahnungslos, daß sie bestimmt waren, sich dereinst der Majestät eben dieses Sigismund gegenüber zu stellen. Und abermals ein Jahr und Berlin ging in Flammen auf: das Rathaus, die Marien- und Nikolaikirche brannten nieder, und ein lateinisches Distichon ging von Mund zu Mund, das in Übersetzung lautete:


Am Tiburtiustag verheerte, Berlin, dich ein Feuer

Und in Asche versenkt, trauert der Städte Zier.


Das war 1380 am 11. August. Im selben Jahre stand ein Komet am Himmel und predigte Krieg. Und der Krieg kam und auch die Priegnitz sah ihn.

Am 4. März 1381 zog ein von Bassewitz vor Kyritz und bestürmte die Stadt. Und siehe da, schon waren die Mauern[14] erstiegen, als sich die Bürgerschaft noch einmal zu verzweifelter Gegenwehr zusammentat und in einem Ausfall den Feind zurückschlug und besiegte. Dieser aber getröstete sich, »daß ein Engel auf der Mauer gestanden und irdische Kraft und Tapferkeit zu Schanden gemacht habe.«2

Das Jahr darauf brachte gleiche Streit- und Raubzüge, die sich diesmal aber gegen das nur zwei Meilen von Quitzöwel entfernte Perleberg richteten. Auch waren es keine Bassewitze, sondern etwelche Königsmarcks (deren einer damals Landvogt der Priegnitz war), von denen die Stadt »gehuldet« wurde, wie der Chronist sich ausdrückt.

1383 starb Herzog Heinrich von Mecklenburg auf seinem Schlosse zu Schwerin. Er wurde betrauert als ein großer Verfolger der Räuber und Diebe, »deren er manche selber hängete, damit er sie von ihren Tagen brächte«, Worte, die die Junker auf Quitzöwel in der noch Unbedrohtheit ihrer Hälse lächelnd nachsprachen.

All das waren Vorgänge zwischen 1375 und 1385, das eigentliche große Geschehnis jener Zeit aber, insonderheit, soweit die Priegnitz mitspricht, war doch die Zerstörung Wilsnacks und der Aufbau der Wilsnacker Wunderblutkirche. Sehen wir, wie sich beides zutrug.

1383 am 16. August steckte Heinrich von Bülow – ganz nach Art der Bassewitz und Königsmarck, deren Fehde sich gegen Kyritz und Perleberg gerichtet hatte – Dorf Wilsnack in Brand, bei welcher Gelegenheit auch das Kirchlein ausbrannte.[15] Der Priester des Dorfes aber grub einige Zeit danach im Schutt umher, um das eine oder andere vielleicht noch zu retten, und fand auch in einer Vertiefung des steinernen Altars eine Hostienbüchse, deren drei geweihte Hostien weder verbrannt noch verkohlt, sondern wie mit Blut gefärbt waren.3 Er machte davon Anzeige nach Havelberg hin und der Bischof Dietrich Mann kam, um sich über das Mitgeteilte zu vergewissern. Er fand alles bestätigt; auch der Erzbischof von Magdeburg stimmte zu, so daß schon 1384, ein Jahr nach dem Brande, das Wallfahrten begann. Als bald danach Johann von Wopelitz, an Dietrich Manns Stelle, den Havelberger Bischofsstuhl bestieg, war das »Heilige Blut von Wilsnack« schon in der ganzen christlichen Welt berühmt. Es kamen Pilger nicht nur aus der Mark und allen Teilen Deutschlands, auch aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Polen und Ungarn. Die Ungarn kamen alle Jahre an vierhundert Mann stark und unterhielten ein Wachslicht von solcher Größe, daß es oben von dem hochgelegenen Orgelchor her angesteckt werden mußte. Der Andrang war so groß, daß die durch den Dorfbrand verarmten Bauern sich als Gastwirte wieder auftaten, Handwerker gesellten sich ihnen, um für das Sorge zu tragen, was die Tausende von Pilgern brauchten, und so wuchs die Stätte derart, daß man ihr Wall und Mauern und ein Stadtrecht gab. Allerlei Mittel dienten ebenso zur Bereicherung der Wilsnacker Kirche, wie des Havelberger Stifts überhaupt.[16] Eines dieser Mittel war die Sündenwaage. Jeder wußte mehr oder weniger genau, wieviel er wog; ergab sich nun, daß das Aufsetzen einer entsprechenden Anzahl von Steinen außerstande war, das Gleichgewicht der Waage herzustellen, so rührte das von der Sündenschwere her, deren Extragewicht durch allerlei Gaben balanciert werden mußte. Waren es Reiche, so traf es sich immer so, daß diese Sünden-Extraschwere ganz besonders groß war. Unter der Waage nämlich befand sich ein unsichtbar in das Kellergewölbe hinabführender Draht, mit dessen Hilfe man die Waage nachgiebig oder widerspenstig machte. Der Zweck rechtfertigte die pia fraus. Eine vielleicht noch größere Einnahmequelle bildeten die »bleiernen Hostien«, die man als »Pilgerzeichen vom Heiligen Blut« in Wilsnack kaufen konnte. Der Ertrag, der hieraus floß, war so groß, daß nicht nur die Wilsnacker Wunderblutkirche, sondern auch eine Prachtkapelle zu Wittstock (wo der Bischof meist residierte) davon bestritten werden konnte, des gleichzeitigen Domumbaus zu Havelberg ganz zu geschweigen. Täuschungen, wie die mit der Sündenwaage, liefen beständig mit unter und in ihrem Gefolge selbstverständlich auch Mißhelligkeiten und Verlegenheiten aller Art. Ein böhmischer Graf, der eine lahme Hand hatte, weihte genesungshalber dem Wunderblut eine silberne Hand, ohne daß die Weihgabe helfen wollte. Trotzdem wurde gepredigt, die silberne Hand habe geholfen, welcher Lug und Trug freilich auf der Stelle bestraft wurde. Denn der Kranke, den man irrtümlich abgereist glaubte, hatte Wilsnack noch nicht verlassen und hob, als er die Lüge hörte, seine lahme Hand auf, um sie dem Volk unter Verwünschungen zu zeigen.

Aber solche Verlegenheiten, so viel ihrer sein mochten, erfuhren immer rasch ihren Ausgleich. Ein von Wenckstern auf Lenzerwische hatte das Wunderblut verspottet und erblindete. Zitternd kam er, seine Sünde zu beichten und seinen erneuerten Glauben zu bekennen, und in derselben Stunde kehrte dem Reumütigen das Augenlicht zurück. Unter allen Umständen aber, und das war die Hauptsache, setzten sich die Wallfahrten fort, die, soweit sie von Süden und Westen kamen, an Burg Quitzöwel vorüber mußten und das Ihrige dazu beitrugen, das ohnehin bewegte Leben daselbst immer bunter und anregender zu gestalten. Am meisten für die beiden Söhne Dietrich und Johann.[17]

1

Die gegenwärtig übliche Form des Namens ist Quitzöbel.

2

Dies 1381er Ereignis fällt in der Überlieferung mit einem gerade dreißig Jahre später stattfindenden, ebenfalls von einem von Bassewitz unternommenen Angriff auf Kyritz zusammen. Dieser zweite von Bassewitz, der des 1381 seitens der Bürgerschaft so tapfer abgeschlagenen Sturmes gedenken mochte, beschloß diesmal mittelst eines unterirdischen Ganges in die Stadt einzudringen. Es traf sich aber, daß ein schwerer Verbrecher im Stadtturme saß, der hörte das Wühlen und Klopfen und ließ dem Bürgermeister melden, daß er ihm etwas Wichtiges entdecken wolle, wenn man ihm das Leben schenke. Das wurde zugestanden. Und nun erzählte der Gefangene von dem Wühlen und Graben, das er in der Tiefe gehört habe. Zur Sicherheit ließ man eine Trommel bringen und streute Erbsen darauf. Da begannen diese hin und her zu springen von der Erschütterung, die die unterirdische Arbeit verursachte. Nun war man sicher und als bald danach der von Bassewitz, statt in der Kirche, wie sein Plan gewesen war, auf offenem Marktplatz zutage stieg, wurd' er gefangen genommen, entwaffnet und mit seinem eigenen Schwerte hingerichtet. Schwert und Panzer aber befinden sich bis diesen Tag im Rathause, während die Stadt selbst alljährlich am Montage nach Invokavit ihr doppeltes Bassewitzfest feiert.

3

Diese drei Wunderbluthostien blieben der Wilsnacker Kirche bis 1552 erhalten, in welchem Jahre sie der erste lutherische Geistliche Johann Ellefeld als Teufelswerk und papistischen Unfug verbrannte. Von seinem Standpunkt aus mit Recht; heute freilich würden uns die drei Hostien als »historisches Kuriosum« aufrichtig interessieren. Zugleich mit ihnen (den Hostien) ist vieles aus der alten Wunderblutzeit zerstört worden, anderes dagegen hat sich bis in unsere Tage hinein gerettet, darunter ein etwa zwanzig Fuß hoher Leuchter, der das Opferlicht der ungarischen Pilger zu tragen pflegte, die holzgeschnitzte buntfarbige Statue des Bischofs Wopelitz, die Sündenwaage, vor allem das ausgebrannte Kirchlein selbst, dessen, bei der Zerstörung von 1383 stehengebliebene Feldsteinwände, beim Bau der Neukirche mit in diese hineingezogen und zur »Wunderblutkapelle« hergerichtet wurden. Alle diese Dinge sind historisch interessant, ohne künstlerische Bedeutung beanspruchen zu können. Von künstlerischer Bedeutung ist nur eins: ein kleiner bronzener Klappaltar (Bestimmung unbekannt), hinsichtlich dessen Professor Bergau darauf drang, daß er aus der Kirche, darin er sich befand, in die Sakristei genommen werde, weil sonst der Tag zu berechnen sei, wo dies bemerkenswerte Kunstwerk, Rarität und Bijou zugleich, der Leidenschaft eines Kunstenthusiasten zum Opfer fallen müsse.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 13, München 1959–1975, S. 7-18.
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