Vierundzwanzigstes Kapitel

[158] Am dritten Tage traf ein im Abreisemoment aufgegebenes Telegramm ein: »Ich komme heut abend. K.«

Und wirklich, sie kam. Botho war am Anhalter Bahnhof[158] und wurde der Frau Salinger vorgestellt, die von Dank für gute Reisekameradschaft nichts hören wollte, vielmehr immer nur wiederholte, wie glücklich sie gewesen sei, vor allem aber, wie glücklich er sein müsse, solche reizende junge Frau zu haben. »Schaun S', Herr Baron, wann i das Glück hätt und der Herr Gemoahl wär, i würd mi kein drei Tag von solch ane Frau trenne.«Woran sie dann Klagen über die gesamte Männerwelt, aber im selben Augenblick auch eine dringende Einladung nach Wien knüpfte. »Wir hoab'n a nett's Häusl kei Stund von Wian und a paar Reitpferd und a Küch. In Preußen hoaben s' die Schul und in Wian hoaben wir die Küch. Und i weiß halt nit, was i vorzieh.«

»Ich weiß es«, sagte Käthe, »und ich glaube, Botho auch.«

Damit trennte man sich, und unser junges Paar stieg in einen offenen Wagen, nachdem Ordre gegeben war, das Gepäck nachzuschicken.

Käthe warf sich zurück und stemmte den kleinen Fuß gegen den Rücksitz, auf dem ein Riesenbouquet, die letzte Huldigung der von der reizenden Berliner Dame ganz entzückten Schlangenbader Hauswirtin, lag. Käthe selbst nahm Bothos Arm und schmiegte sich an ihn, aber auf wenig Augenblicke nur, dann richtete sie sich wieder auf und sagte, während sie mit dem Sonnenschirm das immer aufs neue herunterfallende Bouquet festhielt: »Es ist doch eigentlich reizend hier, all die Menschen und die vielen Spreekähne, die vor Enge nicht ein noch aus wissen. Und so wenig Staub. Ich find es doch einen rechten Segen, daß sie jetzt sprengen und alles unter Wasser setzen; freilich lange Kleider darf man dabei nicht tragen. Und sieh nur den Brotwagen da mit dem vorgespannten Hund. Es ist doch zu komisch. Nur der Kanal... Ich weiß nicht, er ist immer noch so...«

»Ja«, lachte Botho, »er ist immer noch so. Vier Wochen Julihitze haben ihn nicht verbessern können.«

Sie fuhren unter den jungen Bäumen hin, Käthe riß ein Lindenblatt ab, nahm's in die hohle Hand und schlug drauf, daß es knallte. »So machten wir's immer zu Haus. Und in Schlangenbad,[159] wenn wir nichts Besseres zu tun hatten, haben wir's auch so gemacht und alle die Spielereien aus der Kinderzeit wiederaufgenommen. Kannst du dir's denken, ich hänge ganz ernsthaft an solchen Torheiten und bin doch eigentlich eine alte Person und habe abgeschlossen.«

»Aber Käthe...«

»Ja, ja, Matrone, du wirst es sehn... Aber sieh doch nur, Botho, da ist ja noch der Staketenzaun und das alte Weißbierlokal mit dem komischen und etwas unanständigen Namen, über den wir in der Pension immer so schrecklich gelacht haben. Ich dachte, das Lokal wäre längst eingegangen. Aber so was lassen sich die Berliner nicht nehmen, so was hält sich; alles muß nur einen sonderbaren Namen haben, über den sie sich amüsieren können.«

Botho schwankte zwischen Glücklichsein und Anflug von Verstimmung. »Ich finde, du bist ganz unverändert, Käthe.«

»Gewiß bin ich. Und warum sollt ich auch verändert sein? Ich bin ja nicht nach Schlangenbad geschickt worden, um mich zu verändern, wenigstens nicht in meinem Charakter und meiner Unterhaltung. Und ob ich mich sonst verändert habe? Nun, cher ami, nous verrons.«

»Matrone?«

Sie hielt ihm den Finger auf den Mund und schlug den Reiseschleier wieder zurück, der ihr halb über das Gesicht gefallen war, gleich danach aber passierten sie den Potsdamer Bahnviadukt, über dessen Eisengebälk eben ein Courierzug hinbrauste. Das gab ein Zittern und Donnern zugleich, und als sie die Brücke hinter sich hatten, sagte sie: »Mir ist es immer unangenehm, gerade drunter zu sein.«

»Aber die drüber haben es nicht besser.«

»Vielleicht nicht. Aber es liegt in der Vorstellung. Vorstellungen sind überhaupt so mächtig. Meinst du nicht auch?« Und sie seufzte, wie wenn sich ihr plötzlich etwas Schreckliches und tief in ihr Leben Eingreifendes vor die Seele gestellt hätte. Dann aber fuhr sie fort: »In England, so sagte mir Mister Armstrong, eine Badebekanntschaft, von der ich dir noch ausführlicher[160] erzählen muß, übrigens mit einer Alvensleben verheiratet, in England, sagte er, würden die Toten fünfzehn Fuß tief begraben. Nun, fünfzehn Fuß tief ist nicht schlimmer als fünf, aber ich fühlte ordentlich, während er mir's erzählte, wie sich mir der Clay, das ist nämlich das richtige englische Wort, zentnerschwer auf die Brust legte. Denn in England haben sie schweren Lehmboden.«

»Armstrong, sagtest du... Bei den badischen Dragonern war ein Armstrong.«

»Ein Vetter von dem. Sie sind alle Vettern, ganz wie bei uns. Ich freue mich schon, dir ihn in all seinen kleinen Eigenheiten schildern zu können. Ein vollkommener Kavalier mit aufgesetztem Schnurrbart, worin er freilich etwas zu weit ging. Er sah sehr komisch aus, diese gewribbelte Spitze, dran er immer noch weiter wribbelte.«

Zehn Minuten später hielt ihr Wagen vor ihrer Wohnung, und Botho, während er ihr den Arm reichte, führte sie hinauf. Eine Girlande zog sich um die große Korridortür, und eine Tafel mit dem Inschriftsworte »Willkommen«, in dem leider ein »l« fehlte, hing etwas schief an der Girlande. Käthe sah hinauf und las und lachte.

»Willkommen! Aber bloß mit einem ›l‹, will sagen nur halb. Ei, ei. Und ›L‹ ist noch dazu der Liebesbuchstabe. Nun, du sollst auch alles nur halb haben.«

Und so trat sie durch die Tür in den Korridor ein, wo Köchin und Hausmädchen bereits standen und ihr die Hand küßten.

»Guten Tag, Berta; guten Tag, Minette. Ja, Kinder, da bin ich wieder. Nun, wie findet ihr mich? hab ich mich erholt?« Und eh die Mädchen antworten konnten, worauf auch gar nicht gerechnet war, fuhr sie fort: »Aber ihr habt euch erholt. Namentlich du, Minette, du bist ja ordentlich stark geworden.«

Minette sah verlegen vor sich hin, weshalb Käthe gutmütig hinzusetzte: »Ich meine nur hier so um Kinn und Hals.«

Indem kam auch der Bursche. »Nun, Orth, ich war schon in Sorge um Sie. Gott sei Dank, ohne Not; ganz unverfallen, bloß[161] ein bißchen bläßlich. Aber das macht die Hitze. Und immer noch dieselben Sommersprossen.«

»Ja, gnädige Frau, die sitzen.«

»Nun das ist recht. Immer echt in der Farbe.«

Unter solchem Gespräche war sie bis in ihr Schlafzimmer gegangen, wohin Botho und Minette ihr folgten, während die beiden andern sich in ihre Küchenregion zurückzogen.

»Nun, Minette, hilf mir. Erst den Mantel. Und nun nimm den Hut. Aber sei vorsichtig, wir wissen uns sonst vor Staub nicht zu retten. Und nun sage Orth, daß er den Tisch deckt vorn auf dem Balkon, ich habe den ganzen Tag keinen Bissen genossen, weil ich wollte, daß es mir recht gut bei euch schmecken solle. Und nun geh, liebe Seele; geh, Minette.«

Minette beeilte sich und ging, während Käthe vor dem hohen Stehspiegel stehenblieb und sich das in Unordnung geratene Haar arrangierte. Zugleich sah sie im Spiegel auf Botho, der neben ihr stand und die schöne junge Frau musterte.

»Nun, Botho«, sagte sie schelmisch und kokett und ohne sich nach ihm umzusehen.

Und ihre liebenswürdige Koketterie war klug genug berechnet, und er umarmte sie, wobei sie sich seinen Liebkosungen überließ. Und nun umspannte er ihre Taille und hob sie hoch in die Höh. »Käthe, Puppe, liebe Puppe.«

»Puppe, liebe Puppe, das sollt ich eigentlich übelnehmen, Botho. Denn mit Puppen spielt man. Aber ich nehm es nicht übel, im Gegenteil. Puppen werden am meisten geliebt und am besten behandelt. Und darauf kommt es mir an.«

Quelle:
Theodor Fontane: Romane und Erzählungen in acht Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 21973, S. 158-162.
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