7. Zünfte

[790] In Deutschen Büchern steht bald, England habe Zünfte; bald, England habe keine Zünfte. Beides ist wahr, beides falsch. Man verstehe sich nur! Deutsches Zunftwesen herrscht in England freilich nicht. Warum? weil das Municipalwesen in England anders als auf dem festen Lande ist, weil England weniger als Deutschland und Frankreich das Unglück hatte, Italienisch-ägyptische Laster anzunehmen. – – Die Englischen Zünfte zielen wenig auf die vermeintliche Vervollkommnung der Künste ab, wie in Deutschland; sie haben bloß politische Zwecke: denn keiner braucht sich da einzunften zu lassen, wohin er seines Handwerks wegen gehört. Ein Buchdrucker kann sich zu den Malern, Bäckern etc. halten. In der city of London und in jeder Stadt, wo Incorporationen sind, darf keiner ein Gewerbe für sich treiben, der nicht zu einer Zunft gehört. In eine Zunft gelangt man, wenn man die Freiheit der Stadt erwirbt, oder Freeman of the city wird. Diese Erwerbung der Freiheit geschieht entweder durch sieben Lehrjahre bei einem incorporirten Meister, oder durch Kauf. Die Freiheit der Stadt kostet im Durchschnitt dreißig Pfund Sterling. Bei einigen Incorporationen ist sie wohlfeiler, und kostet nur vier und zwanzig Pfund Sterling; deshalb hält man sich gewöhnlich zu einer wohlfeileren Zunft, zum Beispiel zu den Musicians, da es einem Schustergesellen frei steht, sich zu der Zunft zu halten, zu welcher er will. Dieses Einzunften als Freeman of the city geschieht durch Einschreiben in der Guildhall (dem Rathhause) und der Zunfthalle. Wer Freeman durch die sieben verflossenen Lehrjahre oder durch Erkaufung der Stadtfreiheit ist, kann für eigne Rechnung, wie wir sagen, als Meister sein Handwerk treiben. Ein Freeman, ob er gleich zu einer Zunft gehört (was Volkmann in seinem ersten Theil, Seite 225 fälschlich leugnet), nimmt noch keinen Theil an Parlamentswahlen; dazu gehört das Pelzkleid. Ein Freeman, der also auch diesen Vorzug genießen will, muß[790] Liveryman werden, welches abermal einige Pfunde kostet. Besondere Geschicklichkeit aber, wie Volkmann wähnt, gehört gar nicht dazu; die Englischen Zünfte haben Vervollkommnung der Zünfte kaum zum Nebenzweck. Keine Zunft ist geschlossen, jeder Meister, er sey Freeman oder Liveryman, kann so viele Gesellen halten, als er will. Meisterstücke kennt man in England auch nicht. Zwischen Lehrjungen und Gesellen ist ebenfalls keine Scheidewand. Gesellen (ich nenne die Leute so, die nicht auf eigne Rechnung arbeiten) lassen sich, wenn sie außer Arbeit sind, in der Halle einschreiben. Ein Meister, der Gesellsen nimmt, muß gerade die nehmen, die zuerst eingeschrieben sind, er mag sie für geschickt halten oder nicht. Will er sich welche auswählen, so muß er ein gewisses Geld dafür erlegen. Das Gesellenlohn ist nur bei einigen Zünften, zum Beispiel bei den Schneidern, durch eine Parlamentsakte bestimmt; ein Meister, der mehr Lohn giebt als vorgeschrieben ist, kann gerichtlich belangt werden. Fast jede Innung hat ihre Armenhäuser. Das Geld dazu fließt aus der Zunftkasse, in welche jeder Geselle, Freeman und Liveryman jährlich einige Schillinge zahlen muß. Ein Geselle, der diese Schillinge nicht gezahlt hat, muß sie alle nachzahlen, wenn er Meister werden will, sei es nach Ablauf der sieben Dienstjahre oder durch Erkauf der Freiheit.

Die Royal Society eine Zunft zu nennen, wie einige Deutsche Schriften thaten, ist sehr lächerlich. Sie ist indeß allerdings eine durch Charter incorporated Society, das heißt: sie gehört zu der allgemeinen Klasse von dem Staat untergeordneten Gesellschaften.

In allen Städten, wo keine Incorporationen sind, kann jeder nach Belieben jegliches Gewerbe treiben; zum Beispiel in ganz Westminster, und in den Liberties der corporirten Städte. Dieser Umstand macht allen auch in ungeschloßnen Zünften noch möglichen Schaden nichtig; denn die Waare des unzünftigen Meisters concurrirt immer mit der Waare des zünftigen. In Westminster zum Beispiel, kann jederman Schneider oder Schuster seyn, oder aus einem Schneider morgen ein Schuster werden, u.s.w. Hier ist auch keine politische Verbindung unter den Handwerkern; die Parlamentsglieder werden in Westminster bloß von den Hausbesitzern gewählt. Ein Jude[791] kann in England alle Handwerke treiben, nehmlich die, welche von keiner Corporation sind. Daß das Mosaische Gesetz sich auch wohl damit verträgt, zeigen die vielen jüdischen Handwerker in Westminster, besonders die vielen jüdischen Schlächter in Goodmansfield. Man findet einen beschnittenen Schlächter nicht unreinlicher, als einen unbeschnittenen.

Auf dem platten Lande kann jegliches Gewerbe getrieben werden, und nur in der Gerichtsbarkeit corporirter Städte muß ein Handwerker sich zu einer Incorporation dieser Stadt halten.

Das Unwesen eines blauen Montags ist in England so arg als in Deutschland.

Warum ist genaue Kenntniß des Englischen Zunftwesens in Deutschland so nöthig? –

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 790-792.
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