9. Matlock

[843] Endlich ist sie hinabgesunken hinter die himmelan strebenden Berge im Westen, diese Sonne, die mich blendete, wärmte, bezauberte durch ihre vermannichfaltigte Beleuchtung dieses Wunderthals, seiner Felsen und seiner Haine. Sei mir gegrüßt, holde Dämmerung, und du blauer Abendhimmel, mit den Purpurstreifen im Westen, und willkommner als sie, göttliche Kühle, rauschend in dem wogenden Meere von Wipfeln, lauter als die lispelnden Fluthen der sanften Derwent, und überstimmt nur von einzelnen schmetternden Tönen der Nachtigallenchöre, die in jenem Schatten das Lied der glücklichen Liebe singen! Gebt mir stillen Genuß; umrauscht mich sanft zur nachsinnenden, nachempfindenden Ruhe! Ich bin des Schauens für heute satt, und erliege unter der Unerschöpflichkeit der Natur; ich sehne mich nach mir selbst. – Des heutigen Tages tausendfältige Bilder einen Augenblick nur im Vorübergehen aufzufassen, ohne sie festhalten zu können, ist Herabwürdigung zum leblosen Spiegel: sie alle zu verzehren, alle ins eigene Wesen verwandeln zu wollen, stürmisches Schwelgen, ohne Zweck, wie ohne Empfindung. Wie wohl ist mir in dieser Einsamkeit! Hier will ich nicht mehr mit umherspähendem Blick den Gegenständen nachjagen; nicht mit Anstrengung und Spannkraft haschen, was mir links und rechts entfliehen will; nein, ich entbinde meine Sinne ihres Dienstes, und überlasse mich leidend dem all-eindringenden Berühren der Natur. Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht zergliedern die Gestalten, die Töne, die Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild ströme sie mir durch Aug' und Ohr, und fülle meine lechzende Seele mit der Wonne, die keine Zunge stammeln kann! Dies ist die allgemeine Zauberei der schönen Natur, Allen fühlbar, wenn gleich nicht von Allen erkannt; die wohlthätige Macht, die uns Alle hält und nährt und erfreuet, und deren Wirkungen die Vernunft nicht fassen kann; denn des Genusses Gränze ist Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! – wunderbares Gesetz der Menschenform! – dennoch sind die Weiseren unter uns glücklich nur wie ein Kind, das, wenn es die Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und Farbe einen[843] Augenblick froh wird, sie dann bricht und zerpflückt. Heilige Pflegerin! mehr Blüthen als wir zerstören können, schufst du um uns her; und den Quell der ewig wiederkehrenden, ewig sich verjüngenden Wesen verbargst du vor unserm verzehrenden Geiste? O, ich wähne dir nachzuwandeln auf deinem verborgenen Pfade, und Absicht und Mittel, wie in dem Lebensgang eines Menschen, darauf zu erblicken. Er ist nicht ohne Zweck, dieser Trieb des Forschens und Sonderns, den du in uns legtest, der schon im Kinde sich regt, der bis ins Alter uns begleitet. Du durchbebst die Saiten der thierischen Bildung, du führst den Ätherstrom des Lebens in ihren Adern umher, und das ferne Geblöke, das jetzt aus den Triften emporsteigt und in den säuselnden Abendwind tönt, – und diese Jubelgesänge in den hochbelaubten Buchenästen, sind der Widerhall deiner alles erquickenden Freude. Aber ein anderer Genuß wartet des sinnenden, sondernden Menschen: im Labyrinthe der Gefühle sucht er das empfindende Wesen; im unendlichen Meere von Bildern den Seher; in der duldsamen Materie den gebietenden Willen; in Allem außer ihm, sich selbst.

Ich finde hier Ähnlichkeit mit dem Plauenschen Grunde bei Dresden. Die Partie der Brücke in Plauen ist romantischer, und fehlt hier; auch hat es einen schönen Effekt, daß die Felsenwände an einigen Orten bis ins Wasser senkrecht stehen, und folglich größere einfachere Wände bilden; der Kontrast des Lichtes wird durch die großen winklichten Brüche des Thales romantischer und lieblicher; die Mühlen sind dort angenehme ländliche Bilder. Die Aussicht nach Darand ist wegen des weißen Thurms und der malerischen Gipfel des Sonnen- und Königsteins, des weit durch das Thal sichtbaren sich schlängelnden Flüßchens, und vor allem des Reichthums der goldenen Saaten, von entzückender Schönheit.

Hingegen hat Matlock den Vorzug, daß es zwischen ungleich höheren Bergen liegt; daß in den schönen Partien das Thal noch enger zusammentritt, und daß die Vegetation ohne allen Vergleich reicher, üppiger, und eigentlich mit verschwenderischer Hand auf die Felsenmassen hingeworfen ist. Die Derwent läuft ruhig und auf ebenem Bette, außer wo sie über Kiesel in gelinden Fällen hinrieselt. Die Bäume mit dem[844] dicksten Laube wölben sich über sie hinaus; ihre Zweige stehen wie Schirme über einander; die untersten tauchen ihre Spitzen in den Fluß, und der ganze mit Wald gekrönte Berg spiegelt sich im Wasser, wie man von der andern Seite die weißen Gebäude darin erblickte. Die weißen Felsmauern kommen nur hier und dort mit hervorspringenden Ecken durch das Gebüsch, welches aus ihren Klüften mit unbeschreiblicher Üppigkeit herauswächst, zum Vorschein. An andern Stellen zeigen sie sich von einer unermeßlichen Höhe. Die Gebirge im Westen sind einige der höchsten in Derbyshire. Die Abrahams-Höhe (nach der bei Quebek so genannt, wo Wolfe und Montcalm blieben) hinan, geht ein schlängelnder Pfad, dessen Länge zwar ermüdet, wofür man aber, wenn man ihn zurücklegt, mit einer herrlichen Aussicht über den ganzen Lauf der Derwent durch alle Windungen des Thals, über die schönen, reichen Hügel und Thäler mit ihren Heerden, u.s.f. über das nahe Dorf Matlock, belohnt wird. Die Natur ist hier so verschwenderisch mit den schönsten Formen der Landschaft, der Bäume, mit Licht und Grün, daß man sich umsonst nach einer ähnlichen Gegend im Gedächtniß umsieht. Die schönen Aussichten bei Münden im Hannöverischen haben den Vorzug der breiteren Weser und der am Zusammenflusse der Werre und Fulda malerisch liegenden Stadt mit ihren alten Thürmen; hingegen fehlen ihnen die hiesige endlose Abwechselung und die schönen Felswände, die sich zwar wieder bei Allendorf an der Werre, jedoch ohne die Begleitung des reichen, unbezahlbaren Schattens finden lassen. Die Badehäuser sind zum Empfange der Gäste sehr bequem angelegt, und eben nicht gar theuer. – Das Bad ist lau und sehr erfrischend; ich badete Nachmittags mit der besten Wirkung, und fühlte mich außerordentlich dadurch gestärkt. Das Wasser ist nur reines Quellwasser. – Die Haine sind insbesondere wegen der vielerlei Arten von Bäumen so wunderschön; Eichen, Eschen, Buchen, Hainbüchen, Tannen und Lärchen wechseln mit einander ab.[845]

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 843-846.
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