VII

[438] Düsseldorf


Ich hatte Dir gestern noch viel zu sagen von diesen Schätzen der Kunst, die ich anzuschauen nicht ermüde; aber die Bemerkungen über das jüngste Gericht von Rubens versetzten mich allmälig in die Stimmung, die er seinem Weltrichter gegeben hat, und in diesem kritischen Humor möchte ich Raphaeln selbst nicht für Tadel stehen. Heute ist der Morgen so heiter, die Frühlingssonne scheint so allbelebend, die Luft ist so rein bei ihrer Kühle, daß man froh ist zu leben und dem verschiedenartigsten Leben Daseyn und Genuß des Daseyns gönnt. Friede sei mit allem, was da ist, Friede mit jedem Geiste, sein Wirken und Gebilde sei dem meinen so fremd wie es wolle! Ich fühle mich verjüngt aus den Armen des Schlafs erstanden; alles in der Natur lacht mich an; alles ist unzertrennlich von allem; der blaue Bogen über mir, die hellleuchtende Sonne, und Berg und Flur, Fels und Wald, Pflanzen und Thiere, der Mensch und seine Kunst, alles ist Theil eines großen nicht zu umfassenden Ganzen!

Millionen Menschen empfingen den Funken der Vernunft, und fachten ihn an zur größeren oder kleineren Flamme; Millionen empfanden, dachten und wirkten, jeder auf seine ihm eigene Weise; die Früchte ihres Fleißes, ihres Nachdenkens, ihres bildenden Triebes erfüllen die Erde, und dennoch sind die Verhältnisse der Dinge unter einander nicht erschöpft, und keine Macht bestimmt ihnen Gränze oder Zahl. Wir stehen da und schöpfen aus dem unermeßlichen Meere die mannichfaltigen Gestalten. Je mehr wir aufnehmen können, desto schöner und reicher ordnet sich in uns, wie im Spiegel, das Bild des göttlichen All. Von Einem Lichte wird alles umflossen, alles schimmert meinem Aug' entgegen, alles drängt mir sein Daseyn auf; eine Welt von unendlich kleinen Stäubchen sogar, tanzt sichtbarlich in diesem Sonnenstral, der zwischen den Vorhängen hindurch auf mein Papier gleitet, und behauptet ihren Platz in meinen Sehenerven wie in meinem Gedächtnisse. Willkommen, willkommen mir, heiliges Licht der Sonne, das allem, was da ist, gleiches Recht ertheilt! Wie ganz anders geordnet sind die Empfindungen und Gedanken[438] des sonnenhellen Morgens, als die gestrigen beim nächtlichen Lampenschein, der ein grelles Licht auf eine Stelle warf und rings umher die Finsterniß herrschen ließ!

Was von Eindrücken der Anblick der hiesigen Gemäldegalerie in meinem Gemüthe zurückgelassen hat, wollen wir jetzt in dieser Klarheit beschauen; viel werden wir bewundern, manches tadeln und einiges lieben müssen. Auch hier aber, wie im ganzen Leben, können wir uns nicht alles aneignen; es ist eine Ökonomie der Zeit und des Gedächtnisses nöthig, um nur das Wesentliche, uns Angemessene aufzufassen; glücklich, wenn die Wahl so ausfällt, daß die Bilder, die wir in uns aufbewahren, Abdrücke interessanter Geisteskräfte sind und manche andere entbehrlich machen.

Rubens kann in seiner Darstellung des jüngsten Gerichts vielfältig gefehlt haben, ohne deshalb den Ruhm eines großen Künstlers einzubüßen. Seine Werke füllen hier einen ganzen ihm allein gewidmeten Saal; sie bestehen in mehr als vierzig großen und kleinen Gemälden. Ein kleines Stück, welches die Niederlage der Amazonen am Thermodon vorstellt, gab dem Kuhrfürsten Johann Wilhelm die Veranlassung, seine große Sammlung von Gemälden anzulegen. Rubens ist hier in seinem Elemente. Die besiegten Kämpferinnen stürzen samt ihren Rossen von der Brücke in den Fluß; in mancherlei Stellungen hingeschleudert, schwimmend, fallend, sich sträubend, erblickt man den weiblichen Körper von der wilden Phantasie des Künstlers ergriffen. So unwahrscheinlich es immer ist, daß Weiberwuth zu diesem Grade gestiegen sei; so schön ist doch der Stoff für den Maler, der dieses Feuer in sich fühlte, die Extreme der Leidenschaft und die heftigste Handlung darzustellen. Von den beiden darüber hangenden Skizzen, der Bekehrung des Apostels Paulus und der Vernichtung der Heerschaaren Sennacheribs, möchte ich das nicht so unbedingt behaupten.

Bewundernswürdig war und bleibt Rubens im Porträt! Er faßte so wahr und so glücklich zugleich! Nur ist es mir räthselhaft, daß ein Künstler, der so tief in andere Wesen sich hineinschmiegen und ihr Innerstes so zu sagen herausholen konnte, in seine eigenen Schöpfungen nicht mehr hinübertrug. Unter so vielen hundert Köpfen, die er in seinem Leben nach[439] der Natur gemalt haben mag, hätten sich doch wohl die Urbilder zu allen Charakteren seiner historischen Gemälde mit Hülfe einiger Idealisirung leicht gefunden; und solche der Natur nachgebildete Formen hätten auf jeden Fall seine unbestimmten, von Individualiät entblößten Gesichter weit übertroffen. Hier ist das Bildniß eines Mönchs; der graue Rock scheint nur eine Verkleidung zu seyn, so wenig paßt er zu dem gebildeten Geiste, der aus diesen Zügen hervorstralt. So ein Gesicht, mit diesem Ausdruck des eingeärndteten Ideenreichthums, mit dieser Milde, welche nur Erfahrung und Weltkenntniß geben, mit dieser Ruhe, die aus einer richtigen Schätzung der Dinge und ihres unaufhaltsamen Laufs entspringt – warlich, das würde man unter tausend Mönchsgestalten ohne Mühe wieder erkennen. Wie der hagere Mann einst den Erdball in der Hand wägte, damit spielte, und doch zuletzt wohl inne ward, der Ball sei mehr als Spielzeug, wenn er's nur ergründen könne; so wägt er jetzt den Menschenschedel, ihm und aller Menschenweisheit nicht minder unbegreiflich! Es ist kein Traum, den ich da träume; dieser Franciskaner-General, so wie Rubens ihn malte, war zu seiner Zeit im Kabinet allmächtig. Maria von Medicis, bereits in guten Jahren, ist hier noch schön, aber so stolz, so tiefverschlossen, so gewandt in allen Künsten der Verwirrung! Ich weile jedoch lieber bei dem eigenen Bildnisse des Malers und seiner ersten Gattin. Es ist eine überströmende Geistesfülle in seinem Kopf, und sein ganzes Wesen, sein Anstand, seine Kleidung verrathen die höchste Eleganz. Wenn Rubens so ausgesehen hat – und dieses Bild trägt alle Kennzeichen an sich, daß es treu dem Leben nachgebildet worden ist, – so war der Mensch an ihm bei weitem das Edelste, Größte und Beste; keines seiner Werke giebt einen halb so erhabenen Begrif von ihm, als diese Nachahmung seiner eigenen Züge. Der schöne, kraftvolle Mann sitzt da in der Blüthe des männlichen Alters. Die tiefliegenden Augen sprühen Feuer hervor unter dem Schatten der dunklen Augenbrauen; auf seiner Stirne liest man den Reichthum, und ich möchte fast sagen, auch das Ungezähmte seiner Phantasie. Seine Seele ist auf einer Bilderjagd außer dem Bezirke des Gemäldes begriffen. Das hübsche Weib ruht zu seinen Füßen, ihre Rechte in seiner Rechten,[440] und diese Hände sind von vorzüglicher Schönheit. Wahr und treu ist auch ihr Kopf; allein die ungebildete Frau konnte den größeren Menschen nicht fassen, der zugleich Künstler und Staatsmann war, bald an Philipp's des Dritten Hofe, bald als sein Abgeordneter bei Karln dem Ersten von England seine Rollen spielte; den Mann, der nach den Mitteln seines Zeitalters vortreflich erzogen war, die Feder beinahe so gut, wie den Pinsel führte, um dessen Freundschaft Fürsten warben, und den Wolfgang Wilhelm, Herzog von Neuburg, in seinem eigenen Wagen rettete, als man ihm in Madrid nach dem Leben stand.

Was mag er wohl ersinnen in dieser traulichen Verschränkung, auf dem ländlichen Sitz am Gemäuer, wo sich das üppige Geisblatt mit duftenden Blüthen emporschlängelt und über seinem Haupte leichte Schatten webt? Etwa jenes liebliche Gedicht, wo sieben Amoretten sich hineinflechten in einen Kranz von Blumen und Früchten? Mit welcher Fülle, mit welcher Kraft sind diese Formen aus der Anschauung gegriffen! Welches Leben regt sich in ihren Gliedern! Wie gaukeln die gesunden Buben so froh in vollem Treiben ihrer neuerprobten Muskelkraft! Des schönsten Genusses Kinder, als Zeit und Sinne schwanden; Daseyn ihre ganze Bestimmung, Zweck und Mittel zugleich; und auch ihnen gelten Zeit und Zukunft noch nichts! Hieher den Blick, ihr Weisen, und sagt uns, ob es eine andere Wonne gebe, als das schöne Leben zu sehen, und zu fühlen: es ist!

Die reine, treue Darstellung des Lebendigen und Natürlichen würde diese gefällige Wirkung auf die Empfindung des Zuschauers nie verfehlen, wenn es nicht in der Natur selbst Gegenstände gäbe, deren erster und mächtigster Eindruck unsern Selbsterhaltungstrieb aufregt, und Abneigung, Widerwillen, Abscheu oder Furcht und Schrecken zuwege bringt. Der Anblick alles Mißgestalteten, Unzweckmäßigen, Schädlichen in der Natur, des Gewaltthätigen und Zerstörenden, des körperlichen Schmerzes, heftiger Krämpfe, ekelhafter Zerfleischungen, kranker oder auch leidenschaftlicher Entstellung, dies alles erschüttert zuerst unser Nevensystem mit dem Gefühle der eigenen Verletzbarkeit, welches zur Erhaltung eines endlichen Daseyns wirken muß. Ist es daher nicht sonderbar,[441] daß so viele Künstler, und unter diesen manche der berühmtesten, gerade diese Gegenstände zur Nachahmung wählten, um durch sie recht kräftig erschüttern zu können? Rubens selbst scheint sich in solchen Darstellungen mehr als in allen andern zu gefallen. Von jenen wilden Compositionen, wo Teufel und verworfene Menschen sich winden und kämpfen und knirschend den Engeln unterliegen, soll hier nicht mehr die Rede seyn. Es giebt noch andere Bilder in diesem Saale, von einem ähnlichen Effekt. Bald ist es ein trunkener Silen, umringt von einer bacchantischen Gruppe, deren verschiedene Grade der Trunkenheit sich allzunatürlich in faunischer Wollust oder in einer noch ekelhafteren Herabwürdigung äußern. Eine gräuliche Faunin liegt im Vordergrunde hingestürzt über ihren beiden bocksfüßigen Säuglingen, die zappelnd an den Brüsten, ich hätte bald gesagt, den Eutern, ihrer im Übermaaß der Völlerei entschlafenen Mutter hangen. Bald ist es ein sterbender Seneka, blutend, alt und schwach, die Todtenblässe im Gesicht und auf den Lippen. Hier eine Latona in den Sümpfen Lyciens, noch in bittender Stellung, indeß ihr gegenüber die störrigen, feindseligen Wilden, die ihr einen Trunk Wassers versagten, im flämischen Bauerncostum, aber mit Froschgesichtern schon halbverwandelt da stehen, gräßliche Carricaturen! – Wie konnte nur ein Mann wie Rubens das Bild des Ekelhaftesten in der Natur, eines betrunknen Weibes, in seiner Phantasie dulden, geschweige denn mit Wohlgefallen darüber brüten, mit Kunst und Kenntniß der Natur es ausmalen und nichts dabei fühlen, als nur die Stärke seiner Darstellungsgabe? Hätte nicht der Maler, der es wußte, was Schönheit ist, bei jenen Froschmenschen vor einem Mißbrauche seines Talents zurückbeben sollen, wodurch er sich zur plattesten Farce erniedrigte? Der Seneka wäre vielleicht am ersten zu entschuldigen, weil er genau die Stellung der alten Statue hat, und alte Kunst sonst tadelfrei zu seyn pflegt. Allein nicht alle Werke des römischen Meißels sind musterhaft, nicht alle der Nachahmung werth; bei vielen vermißt man den reinen, keuschen Geschmack der griechischen Kunst, und endlich ist das Widrige im Marmor weit weniger als in dem farbigen Gemälde widrig; der Pinsel drückt eben die Todtenfarbe und die Erschöpfung des Verblutens in ihrer[442] ganzen Abscheulichkeit aus. Allerdings gelingt es auch den Künstlern, durch diese Schilderung des Grobsinnlichen auf die gröberen Organe des großen Haufens zu wirken, dessen lauten Beifall und gaffende Bewunderung davon zu tragen; und nur, daß dieser Beifall, diese Bewunderung ihnen genügt, gerade darin liegt der ganze Jammer. Es ist leichter, gemeine Natur zu kopiren, als Seelenkräfte in der Materie sichtbar zu machen; leichter, durch groteske Züge dem Pöbel zu gefallen, als nach dem musterhaften Doryphorus den Kenner zu befriedigen; leichter endlich, zu erschüttern und sogar zu rühren, als den Forderungen des gebildeten Geistes, dem die grobgezeichneten dramatischen Larven anekeln, und der nach den zarten Schattirungen und Verschmelzungen der Charaktere des gesellschaftlichen Lebens verlangt, völlig Genüge zu leisten. Unsere Theaterdichter wissen dies so gut wie die Künstler, und eben darum spielt man die Stücke der höchsten dramatischen Kunst vor leeren Häusern, indeß die kläglichsten Erzeugnisse des Plattsinnes, ein Waltron, eine Lanassa und andere ihres Gelichters, wenn sie nur das Alltägliche anschaulich machen, den allgemeinsten Beifall nie verfehlen.

In der Himmelfahrt der Jungfrau, in der Geburt Christi, in der Ausgießung des heiligen Geistes, in dem Märtyrerthum des heiligen Laurentius und selbst im Nymphenraub der Zwillingsbrüder Kastor und Pollux, lauter großen, kraftvollen Werken von Rubens Hand, die ich hier um mich her erblicke, sind indessen so viele künstlerische Verdienste vereinigt, daß man sich willig finden läßt, auch über den wesentlichen Mangel einer feineren Vorstellungsart hinauszugehen, und sich mit dem Künstler in seinen niedrigeren Gesichtspunkt zu versetzen. Unter allen diesen Werken scheint mir dasjenige, wo die Apostel, am Pfingsttage, mit neuen Kräften erfüllt werden, in Absicht auf die Schönheit der Köpfe, vorzüglich bemerkenswerth. Es ist zwar auch hier der gewöhnliche Fehler auffallend, daß die Ergießung des heiligen Geistes weit mehr durch die von Licht umflossene Taube, die einzeln herabfallenden Flämmchen und das Erstaunen der Heiligen selbst über diese Erscheinungen, als durch eine wirklich auf ihren Zügen sichtbare Begeisterung und Verstärkung des geistigen Kraftmaaßes angedeutet wird; allein diesen Verstoß[443] abgerechnet, der vielleicht um so verzeihlicher ist, je weniger man sich zu Rubens Zeit über Gegenstände der Religion das Nachdenken erlaubte und je mehr der Künstler damals an die krassen Vorstellungen der Priester jenes finstern Zeitalters gebunden war; diesen Verstoß abgerechnet, bleibt dem Stücke wenigstens das Interesse, welches man an schöngebildeten Menschen nimmt. Wem es genügt, an einem hübschen flämischen Weibe statt der Madonna, an gesunden, pausbäckigen Knaben an der Stelle der Engel, der wird seine Forderungen durch den schönen Körper des Märtyrers auf dem Roste noch mehr befriedigt finden. Könnte man nur die Größe der Gegenstände vergessen, oder noch besser, könnte man diese Gegenstände nur mit Hintansetzung aller eigenen Vorstellung davon, so fühlen, wie Rubens sie in seiner Phantasie entstehen sah; dann wirkten vielleicht seine Bilder beides auf den Geschmack und auf das Herz, anstatt daß sie mir jetzt bei einem andern Maaßstabe und edleren Formen, nur Travestirungen des Heroischen und Göttlichen scheinen.

Indeß lieber diese gemeine, schwerfällige Phantasie, als jene des Luca Giordano und des Annibal Caracci, die sich in der Darstellung eines so gräßlichen Auftritts, wie der bethlehemitische Kindermord, gefallen können; und wiederum lieber noch diesen Kindermord vom Meister Annibal, als jenes ungleich greulichere Gemetzel der Christen in Persien unter dem König Sapor! Was ist ein großer Künstlername, wenn solch ein buntscheckiges, steifes, elend gruppirtes, ohne Perspektive, ohne Haltung, in harten Umrissen mühsam hingedrechseltes Werk nichts anders für sich hat, als Albrecht Dürers Ruhm? Empfindungsloser kann man nicht malen; und wenn es wahr ist, daß die beiden schwarzgekleideten Figuren in der Mitte des Gemäldes, die als müßige Zuschauer den verabscheuungswürdigsten Scenen der Menschenquaal ruhig zusehen, Portraite des Künstlers und seines besten Freundes sind, so möchte man auch hinzusetzen: empfindungsloser kann man nicht seyn. Ließe sich doch nur die Ächtheit dieses unedlen und zugleich so sehr mißrathenen Kunstwerkes mit einiger Wahrscheinlichkeit bezweifeln!

Unedel im höchsten Grade, aber auch trotz aller Niedrigkeit des Gegenstandes, an Wahrheit, Charakteristik und Ideenreichthum[444] zum Meisterwerk gediehen ist daneben der berühmte Marktschreier von Gerard Douw. Gewisse Seelen sind zum Auffassen gewisser Gegenstände geschaffen oder organisirt: diese spiegeln sie so rein und klar wieder von sich, daß man sieht, sie wurden gleichsam Ein Wesen mit ihnen; da sie hingegen für Eindrücke aus einer andern Klasse schlechterdings nicht empfänglich scheinen, von andern Objekten gar nicht berührt werden können. Hogarth, der Meister in der physiognomischen Bezeichnungskunst, der bewunderte Karrikaturenschöpfer, konnte keine schöne Figur entwerfen; Gerard Douw, der hier die geringeren Volksklassen nach ihren verschiedenen Geschlechtern, Gewerben und Leidenschaften ganz mit sich selbst identificirt zu haben scheint, der unendlichen Scharfblick beweiset, wo es auf die Sonderung der Wirkungen desselben Gegenstandes auf verschiedene Gemüther aus diesen Volksklassen ankommt, hätte für das Ideal einer griechischen Heldennatur keinen Sinn gehabt. Diese geistigeren Wesen gehen durch die grobe Seele hindurch und lassen keine Spur von ihrer Berührung zurück. Zart und mit vulkanischer Feuerkunst gewebt muß das Netz seyn, in welchem sich Mars und Venus fangen und den versammelten Göttern zeigen lassen. Sollen wir nun zürnen, daß nicht alle solche Tausendkünstler sind, oder lieber jedem Geiste seine Art und Weise zu wirken und zu schaffen gönnen, da es nun einmal nicht möglich ist, daß Raphael's und Tizian's und Guido's Seelen in den belgischen Schlamm hinabsteigen können? Zwar hätte Gerard Douw seinen Marktschreier wohl eben so interessant machen können, ohne jene Details anzubringen, welche die Thierheit des Menschen in ihrer härtesten Abhängigkeit von den unreinsten Bedürfnissen ins Gedächtniß rufen; allein wer trennt uns das von einander? wer mag selbst dem pfiffigsten und kunstreichsten Teufel den unwiderstehlichen Hang benehmen, unter die Säue zu fahren?

Der leichte, glatte, launige Teniers ist eben so niedrigkomisch; doch gefällt er mir besser. Es ist ungleich mehr Wahrheit und Treue, die sich bis auf die feinsten Zäserchen erstreckt, die kein Pünktchen unbezeichnet läßt, es ist vollkommnere Täuschung des Kolorits, es ist ein unermüdeter Fleiß in Gerard Douw's Arbeit, die bei ekelhaften Gegenständen desto widriger[445] wirken muß, je geduldiger und treffender sie die Natur in ihrer ganzen Scheußlichkeit kopirt. Teniers flüchtiger Pinsel hascht nur die wesentlichsten Züge, setzt Zeichen an die Stelle des Wirklichen, bringt mit dem wenigsten Aufwand von Zeit und von Farbe den Effekt heraus, und überläßt es dann der Einbildungskraft des Zuschauers, die Details sich selbst auszumalen. Wer also nicht gerade an dem Schmutzigsten seiner ganzen niedrigkomischen Compositionen besonderes Wohlgefallen hat, wird dieses übergehen; da es hingegen in Douw's Gemälde so in die Augen springt, daß man ihm unmöglich entrinnen kann. Hat man indeß nur Eins von Teniers Baurengelagen gesehen, so kennt man sie alle; sie sind nur in dem geringeren oder vollkommneren Grade der Ausführung verschieden.

Dasselbe gilt auch von Schalkens berühmtem Effekt des Lichts in den nächtlichen Scenen. Die hier vorhandenen Stücke von seiner Hand, ein Ecce Homo, die klugen und die thörichten Jungfrauen, eine Magdalene, und eine weibliche Figur mit einem Lichte, welches ihr ein muthwilliger Junge ausblasen will, sind alle nicht mit den Spielern zu vergleichen, die man in Kassel von demselben Meister in der erlesenen Galerie des Landgrafen bewundert. Die Jungfrauen mit ihren Lampen hat er jedoch vorzüglich gut behandelt, und man sieht, daß Schalken in dem engen Kreise, den er sich gewählt hatte, in der That sehr gut zu Hause war, daß er mit dem Lichte und seiner Wirkung spielen konnte, und durch fortgesetztes Studium einen Grad der Vollkommenheit in dieser Gattung von Darstellungen erlangt hatte. Nur muß man auch außer diesem Einen Vorzuge sonst nichts bei ihm suchen.

Soll ich mich jetzt von den niedrigsten Stufen der menschenbildenden Kunst zu den Thier- und Landschaftsmalern wenden? Ich halte mich nicht gern bei ihnen auf, wo höhere Gegenstände mich an sich reißen. Freilich ist der Gasparo schön: es herrscht eine dunkle, hohe, mächtige Phantasie durch dieses wilde Thal und seine einfache Größe; Schade nur, daß man in dieser Einsamkeit, wo der Blick auf den Trümmern alter Gebäude und Palläste am fernen Gebirge ruht, durch eine schale, historische Gruppe unterbrochen wird, und eben so Schade, daß das Bild schon so schwarz geworden ist! Auch[446] dieser ungeheure Eber von Snyers ist wunderbar gerüstet mit zermalmender Kraft und fürchterlichem Grimm; er verdiente der Eber von Kalydon zu heißen. Eben so gewaltig in ihrer Art, eben so rein der Natur nachgebildet, sind die muthig angreifenden und die von dem gräßlichen Zahn des Ebers niedergemähten, zappelnden und heulenden Hunde. Die Figuren der Jäger, kühn wie die Thiere, aber mit Zinnober unnatürlich kolorirt, sind von Rubens. Was Fyt, de Voß und Weenix von Thierstücken malten, kommt diesem nicht bei, so viel Verdienstliches auch ihre Arbeiten, und insbesondere die des erstern haben.

Laß mich hinwegeilen über die geleckten Bilderchen des Ritters van der Werff. Ihre zarte geschliffene Vollendung, ihre kunstreichgeworfenen Gewänder, können uns nicht schadlos halten für ihre Kälte und Gleichförmigkeit, für die manierirte unrichtige Zeichnung und das dem Elfenbein ähnliche Fleisch. Das beste unter ein und zwanzig kleinen Stücken ist die Erscheinung Christi im Knabenalter unter den im Tempel versammelten Ältesten. Der Knabe ist schön und geistreich, und diese Eigenschaften vereinigt, sind mehr als hinreichend, ihn interessant zu machen. Von der großen langbeinigen Magdalena des Herrn Ritters, läßt sich trotz allen mühseligen Künsteleien so viel gutes nicht sagen. Ehe ich meine Feder hinlege, nur noch ein paar Worte von Crayer und van Dyk. Crayer's größtes Werk, doch will ich eben nicht sagen sein Meisterwerk, ist das Altarblatt aus der Augustinerkirche zu Brüssel, welches der Kuhrfürst von den Mönchen für dreißigtausend Gulden und eine Kopie kaufte. Als Dichtung betrachtet, hat es nicht den mindesten Werth. Es ist ein Thron der Muttergottes, die zu oberst, mit dem Jesuskinde auf dem Arm, da sitzt, und von Heiligen umringt ist, die zum Theil neben ihr, zum Theil tief unten auf den Stufen stehen oder knieen. Ganz zu unterst im Vordergrunde kniet der Maler nebst seinem Bruder, und, wie die Überlieferung ferner lautet, seiner Schwester und seinem Neffen. Er kehrt das breite, wohlgenährte, selbstgefällige Gesicht nach dem Zuschauer hin, anstatt recht andächtig zu beten, und zeigt uns mit der Hand, daß dies alles seine Arbeit sei. Es ist wahr, die Heiligen selbst geben ein böses Beispiel; sie stehen zum Theil ganz müßig da, oder sie plaudern[447] mit einander; die wenigsten bezeigen der Gottheit oben ihre Andacht. Auch scheint es nicht, als ob sie eigentlich zu irgend einem andern Zweck versammelt sind, als weil etwa der Maler oder die Augustinermönche zu Brüssel sie gern einmal beisammen sehen wollten; und bei dem gänzlichen Mangel an Einheit und Zusammenhang ist es noch die Frage, ob Crayer an etwas von der Art gedacht hat. Damit man die Heiligen auch kennen möge, hält jeder etwas in der Hand: Johannes das Sinnbild des Glaubens, den Kelch mit der Schlange, Jacobus den Pilgerstab, die oben knieende Apollonia eine Kneipzange, St. Stephan einen Stein, Laurentius seinen Rost, Andreas sein Kreuz, u.s.f. Der heilige Augustin paradirt im Vordergrunde im prächtigsten Bischofsornat, mit dem Krummstab in der Hand. So weit ist alles unter der Kritik. Allein einzeln betrachtet sind die Köpfe und die Figuren meisterhaft gearbeitet. In allem was von Rubens in dieser Sammlung hängt, finde ich nirgends eine so richtige Akademie als Crayer's bis zum Gürtel entkleideten Andreas. Dem heiligen Lorenz hat er einen sehr schönen jugendlichen Kopf zugetheilt; Augustin aber, ich weiß nicht ob mit oder ohne Absicht des Künstlers, ist ein ächter Pfaffe. Das Kolorit sowohl als die Stellung und Organisirung der Gruppen, und die Behandlungsart sind eines Wetteiferers von Rubens vollkommen würdig, so schwerfällig auch das Ganze immer bleibt.

Van Dyks Arbeiten in dieser Galerie sind zahlreich und von mancherlei Art. Seine Porträte stehen mit denen seines Lehrers Rubens ganz in gleichem Range; manche sind unübertreflich und trotzen der Kunst und dem Pinsel, selbst eines Venezianers. Seine Phantasie erhebt zwar nicht so kühn den Fittig, aber sie ist züchtiger und erlesener als die seines Lehrers; seine Farben sind bescheidener und besser verschmelzt, und gränzen näher an italienische Wärme. Susanne im Bade ist jedoch ein widriges Gesicht, das nicht einmal dieses Verdienst der Farbe aufzuweisen hat. Die berühmte Grablegung ist zwar herrlich kolorirt, aber in der Zeichnung verunglückt; zudem gehört es zu den schwersten Aufgaben der Kunst, gerade dieser Scene ein eigenthümliches, nicht durch die Nebenidee der Religion hineingetragenes Interesse zu geben. Das kleine Bild, wo Christus mit dem von ihm geheilten Gichtbrüchigen[448] spricht, hat eine fast tizianische Wahrheit, der man aber wegen des äußerst unedlen Christuskopfes nicht froh werden kann. Eben so ärgerlich find' ich es, daß der travestirte Jupiter, der als Satyr die schlafende Antiope überrascht, so ganz im Satyr verloren, so ganz gemeiner Satyr ist, und nur, weil sein Adler sich blicken läßt, als Donnergott anerkannt werden muß. Die Nymphe hat zwar eine frische Farbe; aber so wunderschön ist sie eben nicht, daß sie eine Jupitersverwandlung verdiente. Eine Madonna mit dem Christkinde und dem kleinen Johannes hat alle Vorzüge der Farbe und des Fleisches, wiewohl dem Bilde noch die letzte Hand des Künstlers zu fehlen scheint; es umschwebt sie sogar etwas weniges von der Anmuth, die auf diesem Boden nicht gewachsen, sondern jenseits der Alpen her entlehnt ist. Allein das Schönste, was ich hier von van Dyks Arbeit bemerke, ist sein lieblicher Sebastian, in dessen Kopfe man eine idealisirte Ähnlichkeit mit dem Künstler selbst nicht verkennen wird. Der Augenblick dieser Composition ist gut gewählt. Eben bindet man ihn fest an den Baum, wo ihn die Pfeile seiner Widersacher treffen sollen; mithin ist keine widrige Empfindung früher rege, die den Eindruck stören könnte, welchen der schöne, blühende Jüngling auf den Zuschauer macht. Die Nebenfiguren sind ihm gehörig untergeordnet, und die weißere Farbe seines zarten Leibes dient dazu, ihn noch mehr von ihnen auszuzeichnen. Die Ausführung ist des Entwurfes werth, und meines Erachtens hat die flammändische Schule hier nichts Vollkommneres in Farbenmischung aufzuweisen. Ein bescheidener Siegesgedanke scheint durch die Gelassenheit, die auf dem Gesichte des Märtyrers ruhet, hindurch zu stralen, und dem Zuschauer bleibt nur der Wunsch noch übrig, daß der erste Pfeil gerade durch das Herz treffe, damit keine langwierige Quaalen ihn stören mögen in seinem vorempfindenden Entzücken.

Der köstlichen Werke von italienischer Kunst, die in großer Anzahl diese reiche Sammlung zieren, habe ich noch mit keiner Silbe erwähnt; doch Du begreifst, daß es mir in diesem Augenblick nicht möglich ist.[449]

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 438-450.
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