XVII

[600] Brüssel


In Paris, wo das Bedürfniß mit dem Publikum zu sprechen so allgemein, und der leidige Autortrieb so unüberwindlich ist, wird nach Verhältniß der Größe des Orts kaum mehr geschrieben, als während der jetzigen Periode in den Niederlanden. Die Pressen überschwemmen täglich die Stadt mit einer Ladung von Pamphlets und fliegenden Blättern, die man, so lange das Revolutionsfieber währt, in allen öffentlichen Häusern begierig verschlingt; und obgleich die herrschende Partei nur solche Schriften duldet, die ihrer eigenen Sache das Wort reden, so werden dennoch unter der Hand von den Colporteurs auch die Aufsätze der so genannten Vonkisten verbreitet. Seitdem wir uns in Brüssel aufhalten, ist kein Tag hingegangen, der nicht etwas Neues in dieser Art hervorgebracht hätte; allein unter dem ungeheuren Wuste von neuen politischen Controversschriften, den wir in den Buchläden ansehen müssen, giebt es auch nicht ein einziges Blatt, das den Stempel eines höheren, über das Gemeine und Alltägliche auch nur wenig erhabenen Geistes trüge. Plumpheit im Ausdruck, der gewöhnlich bis zu Schimpfwörtern hinuntersteigt,[600] ein schiefer oder vollends eingeschränkter Blick, ein mattes, oberflächliches, einseitiges, abgenutztes Raisonnement, und auf der aristokratischen Seite noch zu diesem allem ein blinder Fanatismus, der seine Blöße schamlos zur Schau trägt – das ist die gemeinschaftliche Bezeichnung aller Niederländischen Hefte des Tages. Der Stil dieser Schriften ist unter aller Kritik; ein Franzose würde in dem Schwall von Barbarismen kaum seine Sprache wiedererkennen. Ich wüßte nicht, was hier eine Ausnahme verdiente; gewiß nicht das Manifest der Stände von Hennegau, das immer noch vor anderen gerühmt zu werden verdient; nicht Linguets Vertheidigung der Aristokratie, die so schal und dürftig ist, wie der Gegenstand es mit sich bringt; nicht die unzähligen Addressen an das Volk, und die Briefe der verschiedenen Demagogen, endlich auch nicht die Manifeste, Edikte und Staatsschriften des Congresses, der Stände und ihrer Minister.

Unter dem Neuen von dieser Art, das mir eben in die Hände fällt, ist aber eine sehr ernsthafte Vorstellung bemerkenswerth, wodurch man bei dem Congreß auf die Wiederherstellung des Jesuiten-Ordens in den Niederlanden anträgt. (Mémoire à leurs hautes et souveraines Puissances, Nosseigneurs les Etats-unis des Pays Bas Catholiques, sur le rétablissement des Jésuites. 1790. 8. 48 S.) Ihr Verfasser rügt die Illegalität der Proceduren bei der Aufhebung des Ordens, und erklärt das päbstliche Breve für nichtig und null, so wohl was das göttliche, als das natürliche, peinliche und geistliche Recht betrift. Diesen Satz führt er sehr weitläuftig und bündig aus; denn im Grunde ist wohl nichts leichter, als der Beweis, daß Macht und Gewalt in diesem Falle die Stelle des Rechts vertreten haben, wie wohlthätig auch immer die Folgen für die Fortschritte der Erkenntniß gewesen sind. Merkwürdig ist die Stelle, wo der Verfasser diesen Ausspruch von Pius VI anführt: »indem man die Jesuiten zerstörte, hat man alles zerstört; diese umgestürzte Säule ist die Hauptstütze des heiligen Stuhls gewesen.« (S. 41.) Wenn diese Äußerung so gegründet wäre, als sie auffallend ist, so hat der heilige Stuhl in der That schon lange sehr unsicher gestanden; denn dieser Orden, so viel Verdienst auch einzelne bessere Mitglieder desselben besaßen, war doch im Grunde, wie alle übrige Mönchsorden,[601] einzig und allein auf die Dummheit der Nationen berechnet, und sein Sturz selbst ist der überzeugendste Beweis von der Geringfügigkeit der in ihm vereinigten moralischen Kräfte, von dem Mangel an Geist und an Ausbildung im großen Haufen seiner Glieder. Nichts kann daher den traurigen Zustand der Gemüthskräfte in den Niederlanden anschaulicher und nachdrücklicher schildern, als dieses so lebhaft und dringend geäußerte Bedürfniß des Jesuitischen Unterrichts. Man möchte hier wirklich mit einem biblischen Ausdruck ausrufen: »wenn das Licht, das in euch ist, finster ist, wie groß wird denn die Finsterniß seyn!«

Hier habe ich noch einen ähnlichen Fang gethan. Ein gewisser Abbé Ghesquière hat eben eine Notion succincte de l'ancienne constitution des Provinces Belgiques drucken lassen, die ich Dir doch bekannt machen muß. Er ist in der That einzig, dieser Abbé; denn er findet die Vorrechte der Niederländischen Klerisei ganz klar im Tacitus aufgezeichnet. Tacitus sagt im siebenten Kapitel seines Aufsatzes über die Sitten der Deutschen, daß ihre Könige nicht unumschränkte Herrscher waren (nec regibus infinita aut libera potestas.) Also hatten die Belgier damals einen geistlichen, adelichen und dritten Stand, deren Repräsentanten die königliche Macht in Schranken hielten! Wer wollte die Bündigkeit dieses Schlusses antasten? Wer wollte noch in Zweifel ziehen, was ein gelehrtes Mitglied der Seeländischen Akademie, vermöge seiner seltenen Gewandheit in der Auslegungskunst, ergründet hat? Den Unglauben hat er indeß vorausgesehen, und tritt mit einem zweiten Citat auf, hinter welchem er unüberwindlich ist. Nicht erst im Tacitus, im Julius Cäsar steht schon der Beweis, daß die Staaten von Brabant die rechtmäßigen Souverains dieses Landes sind. Der König der Eburonen, Ambiorix, sagt der erhabene Überwinder des Pompejus, hatte nicht mehr Antheil an den öffentlichen Entschlüssen und Unternehmungen, als die Menge des Volkes. (Suaque ejusmodi esse imperia, ut non minus haberet in se juris multitudo, quam ipse in multitudinem.) Die Eburonen waren bekanntlich Belgier; die Belgier haben jetzt Bischöfe und Prälaten; also hatten die Eburonen einen Klerus, der zugleich erster Landstand war! Das ist klar wie die Sonne! Und wer es nicht glaubt, der sei Anathema[602] zu Löwen und Douai und überall, wo man Beweise führt, wie der fromme Bollandus!

Wenn es wahr wäre, daß die Bataven und Eburonen bereits vor Christi Geburt so christliche Zuchtmeister hatten, so müßte man aufhören sich über ihren treuherzigen Glauben zu wundern, und vielmehr erstaunen, daß ihnen doch noch mancher Zug von Menschlichkeit geblieben ist. In Ernst, je mehr ich die Brabanter kennen lerne, desto mehr söhne ich mich auch mit ihrer indolenten Gutmüthigkeit aus. Was Gutes an ihnen ist, könnte man mit dem Dichter sagen, ist ihnen eigen; ihre Fehler und Mängel fallen ihren Erziehern zur Last. Das Volk ist bescheiden, gefällig, höflich, und selbst dann, wenn es gereizt wird, in seinen leidenschaftlichen Ausbrüchen noch menschlich und schonend. Die Revolution hat diesen Charakter in vielfältigen Beispielen bewährt. Als die Generalgouverneurs flohen, der Minister und der Feldherr des Kaisers durch bewaffnete Bürger vertrieben wurden, blieben ihre Häuser unberührt; niemand versuchte, niemand drohete, sie zu zerstören, oder auch nur auszuplündern. So oft man es auch dahin zu bringen wußte, daß die niedrigsten Volksklassen in der furchtbaren Gestalt von Aufrührern erschienen und mit allgemeiner Zerstörung droheten; so selten sind gleichwohl die Fälle, wo ihrer Wuth ein Mensch geopfert ward. In dem Aufruhr vom 16. März dieses Jahres erbrach der Pöbel fünf Häuser von der demokratischen Partei, und plünderte sie; dies war das einzige Beispiel von Zügellosigkeit seit dem Anfange der Belgischen Unruhen. Allein dies veranstaltete ein geringer Haufe von etwa dreihundert zusammengerafften Menschen aus den Hefen der Stadt; keinen von ihnen trieb ein lebhaftes Gefühl von vermeintlichem Unrecht dazu an, sondern listige Anführer hatten sie durch Bestechungen und Verheißungen bewogen, eine Plünderung zu unternehmen, wobei für sie sehr viel zu gewinnen und wenig oder nichts aufs Spiel zu setzen war. Dieser verworfene Haufe hätte dennoch die Wohnung des Kaufmanns Chapel gänzlich verschont, wenn nicht in dem Augenblick, da eine beredte Stimme sich zu seinem Vortheil hören ließ, an sein Verdienst um seine Mitbürger erinnerte und bereits Eindruck zu machen anfing, drei Franciskanermönche, die sich in der Mitte des Tumults[603] befanden, die Umstehenden angefeuert hätten, den Mann, der ihre Partei nicht hielt, zu bestürmen. Ein Ältester von einer der neun Gilden, Chapels Nachbar, fiel jetzt über dessen Vertheidiger her, warf ihn zu Boden, und ließ das Volk, nach seinem Beispiel, ihn zertreten.

Vor den Schreckbildern des gegenwärtigen Zeitpunkts verfärben sich allerdings die Sitten; sie bekommen einen Anstrich von Mißtrauen, Zurückhaltung und Strenge. Die Unsicherheit der politischen und bürgerlichen Existenz bringt diese Erscheinungen da hervor, wo sonst die Üppigkeit ihren Wohnsitz aufgeschlagen zu haben schien. Die Freuden der Tafel sind verschwunden, alle Arten von Pracht und Aufwand eingestellt; genau, als ob man zu wichtigeren Bedürfnissen Mittel aufsparen müßte oder durch eitles Gepränge die Augen des Volkes jetzt nicht auf sich ziehen möchte. Nur Ein Artikel der hier im Schwange gehenden Ausschweifungen konnte keine Verminderung leiden, weil die einzige Subsistenz einer allzu zahlreichen Klasse von Unglücklichen darauf beruhet. Auch die Folgen der gar zu ungleichen Vertheilung der Güter, Armuth und Bettelei, mußten in ihrer ganzen Widrigkeit sichtbar bleiben; die Zahl der Bettler steigt, wie die Zahl der Mädchen, die ihre Reize feil bieten, bis in die Tausende. Wahrscheinlich auch in Beziehung auf jene despotischen Naturtriebe, die sich durch eine politische Revolution nicht so leicht, wie andere Gattungen des Luxus, bannen lassen, ist die Zahl der Modehändlerinnen hier so außerordentlich groß; ich erinnere mich nicht, einen Ort gesehen zu haben, Paris nicht ausgenommen, wo die zum Verkauf und zur Verfertigung des Putzes dienenden Kramläden in allen Straßen so zahlreich wären. Das schöne Geschlecht in Brüssel verdient vielleicht auch den Vorwurf, daß es sich durch öffentliche Unruhen und Calamitäten in den wichtigen Angelegenheiten der Toilette und des Putzes nicht irre machen läßt. Allein ich fange jetzt an, unter der wohlhabenden Klasse einige hübsche Gesichtchen zu entdecken, denen man diese Schwachheit verzeiht; ich sehe einige schlankere Taillen, einige Blondinen von höherem Wuchs. Nur vermißt man den Prometheischen Feuerfunken in ihrem Blick; diese schönen Automaten können nur sündigen und beten.[604]

Phlegma und überall Phlegma! Ich behaupte sogar, daß sich dieses charakteristische Phlegma in den Spielen der Kinder auf den Straßen wahrnehmen läßt. Wenigstens ist es merkwürdig, daß wir bisher in allen Brabantischen Städten, wo wir gewesen sind, ohne Ausnahme, die Mädchen von sieben bis dreizehn Jahren jeden Abend denselben Zeitvertreib vornehmen sahen; es war das bekannte Hüpfen über ein Seil, welches man sich im Kreise über den Kopf und unter den Füßen wegschwingt. Bald schwang jede ihr Seil für sich allein; bald waren es zwei, die ein längeres Seil um eine dritte bewegten. Diese lebhafte Bewegung ist vermuthlich eine Wirkung des Instinkts, der für die Erhaltung eines Körpers wacht, in welchem sonst die Spontaneität fast gar nicht bemerklich ist. Eine weit allgemeinere Erfahrung lehrt, daß gerade die trägsten Kinder, wenn sie einmal in Bewegung sind, am längsten und heftigsten toben. Ich erinnere mich nicht, in Brabant einen Knaben bei diesem Spiele gesehen zu haben, und auch das ist eine Bestätigung meiner Hypothese.

Bei den Erwachsenen ist diese Langsamkeit des Temperaments nicht zweifelhaft; allein sie äußert sich am stärksten in Absicht auf den Gebrauch der Vernunft. Oft haben wir uns über die gleichgültige Ruhe gewundert, womit die Brabanter in die Zukunft sehen. Die Möglichkeit eines Östreichischen Angrifs scheint ihnen verborgen zu seyn, und fast durchgehends werfen sie jetzt den Gedanken von der Unentbehrlichkeit eines auswärtigen Beistandes sehr weit weg. Vorgestern, als ein Gerücht sich verbreitete, daß Preußische Truppen von Lüttich nach Huy marschirten, in der scheinbaren Absicht, sich Luxemburg zu nähern, entstand eine allgemeine Mißbilligung dieses Schrittes; so wenig Begrif hatte man von der Wichtigkeit einer Cooperation dieses mächtigen Nachbars mit ihnen gegen ihren ehemaligen Landesherrn. Von den politischen Gesprächen der hiesigen gesellschaftlichen Kreise läßt sich, nach dem bisher Gesagten, wenig mehr als Ungereimtheit erwarten. Die Französische Dreistigkeit, über solche Gegenstände ein eignes Urtheil zu fällen, zeugt wenigstens, auch wenn es ungehirnt genug klingen sollte, von einer gewissen eigenthümlichen Beweglichkeit der Geisteskräfte. Hier hingegen merkt man es jedem Wort und jeder Wendung an,[605] daß diese Kräfte bisher brach gelegen haben. Könnte man die verschiedenen Urtheile jedesmal bis an ihre Quelle verfolgen, so würde sichs ausweisen, daß sie alle in drei oder vier Köpfen von der einen oder der andern Partei, ja, was noch merkwürdiger ist, zum Theil in fremden Köpfen entstanden sind. Die gewöhnliche Gewandheit in Vertheidigung, selbst angenommener Meinungen, die von einigem Nachdenken unzertrennlich ist, vermissen wir hier in einem kaum glaublichen Grade. Die Eingebungen sind so kenntlich, daß man den Hauch zu bemerken glaubt, mit dem sie aus einem Kopf in den andern übergingen. Die Verfechter der Stände, bei weitem die zahlreichste Partei, führen nur die alte Verfassung und die Joyeuse Entrée im Munde; sie sträuben sich heftig gegen die Freiheit, und kennen kein größeres Übel, als eine Nationalversammlung. Umsonst versucht man es, ihnen begreiflich zu machen, daß zwischen einer oligarchischen Tyrannei und einer Französischen Demokratie noch ein drittes, eine verbesserte Repräsentation des Volkes, möglich sei: sie denken nichts bei den Ausdrücken, auf welche sie geschworen haben, und desto gewissenhafter beharren sie darauf. Allein, man glaube ja nicht, daß es der blinden Nachbeter in der andern Partei wenigere giebt. Neulich hörte ich einen eifrigen Demokraten sehr ernsthaft behaupten: die neuen Belgischen Staaten könnten das aristokratische System nicht behalten, – weil es schon in Holland angenommen sei. Also hätte sein Vaterland nach dieser Logik am Ende gar keine Regierungsform bekommen müssen; denn unter den angränzenden Staaten giebt es auch schon Demokratien und Despotien! In dem heftigen Wortstreit, den man fast täglich an öffentlichen Orten hören kann, werfen die Parteien einander, und wie es scheint mit Recht, gänzlichen Mangel an Grundbegriffen vor; das heißt: aus Erfahrung kennen sie einander genau; doch damit ist dem Übel nicht abgeholfen. Es ist indeß unläugbar ein gewisser Enthusiasmus vorhanden, der nur darum fremden Impulsionen folgt, weil er mit einer so ungewöhnlichen Leere der Phantasie, und einer gänzlichen Unfähigkeit, sich nach eigener Einsicht zu bestimmen, verbunden ist.

Dieser Mangel an Spontaneität ist nirgends offenbarer, als in dem entschiedenen Siege der Aristokraten über die demokratische[606] Partei. Van der Noot, der auch in Brabant den Ruf eines mittelmäßigen Kopfes hat, war gleichwohl schlau genug, gleich bei der Gründung der Belgischen Unabhängigkeit diese Wen dung vorauszusehen. Seine Talente machten ihn dort unentbehrlich, wo sie, wie er wußte, immer noch ohne Rivalität hervorleuchteten; allein sie hätten ihn nicht gerettet, wenn er es gewagt hätte, sich dem alles hinreißenden Strome des geistlichen Einflusses zu widersetzen. Um an der Spitze zu stehen, und alles, wenn nicht dem Namen nach, doch in der That zu lenken, mußte er also zu dieser Fahne schwören. Der Großpönitenziar von Antwerpen, der so berüchtigte van Eupen, ein Bonze vom gemeinsten Schlage, dessen ganze Superiorität in niedriger Verschmitztheit und heimlichen Ränken besteht, ward sein Vertrauter und Gehülfe. Der schwache Kardinal war alles was man wollte in jedermanns, und blieb es folglich auch in ihren Händen. Die einzelne Stimme des Bischofs von Antwerpen, eines Prälaten, dem man Einsicht und Festigkeit des Charakters zuerkennt, verhallt ungehört im Fauxbourdon einer Majorität von Mönchen, die im Gefühl ihrer Talentlosigkeit Alles der Anordnung ihrer Minister überlassen und nur dafür sorgen, daß ihr heiliges Interesse auf jedem Votum zuoberst schwimmt.

Bei allen Vortheilen, in deren Besitz die Partei der Stände sich behauptet hat, bietet indeß dieses unglückliche Land, und vorzüglich die Hauptstadt, dennoch das Schauspiel der innerlichen Zerrüttung dar. Das mannichfaltig verschiedene Interesse der Einwohner; die Verbitterung, die bei den Siegern vom Widerstand, bei den Besiegten vom Gefühl des erlittenen Unrechts herrührt; die Eifersucht, womit ein Nachbar den andern belauscht; die Hinterlist, wovon die Stände selbst das Beispiel geben; die Hoffnung endlich, welche den Bedrückten noch immer neuen Zunder giebt und sie auf eine glücklichere Zukunft vertröstet: – dies Alles wirkt zusammen, um den Niederländern die Früchte ihrer Anstrengung zu rauben und vielleicht in kurzem wieder den Schatten einer Unabhängigkeit zu entreißen, dessen Wesen sie noch nicht besitzen. So empörend auch die Anmaßung der Brabantischen Stände scheinen mußte, die sich die gesetzgebende und die ausübende Macht zugleich zugeeignet haben, so unglücklich[607] scheint der Zeitpunkt gewählt, die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen zu untersuchen oder die Verfassung neu zu organisiren. Innere Einigkeit und festes Zusammenstimmen zum gemeinschaftlichen Zwecke der Erhaltung konnte ganz allein das Zutrauen der auswärtigen Mächte gewinnen, und die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit beschleunigen. Trennung und Zwietracht können allein dem Östreichischen Hofe den Weg zur Wiedereroberung der Niederlande bahnen. Nicht umsonst bemerkt man hier noch geheime Emissarien von verschiedenen mächtigen Höfen, statt der öffentlich akkreditirten Gesandten, die mit den Generalgouverneuren fast zu gleicher Zeit verschwunden sind. Von einigen Mächten gehen sogar mehrere Personen mit verschiedenen und zum Theil entgegengesetzten Aufträgen herum; Kanzellisten, Kaufleute, Juden korrespondiren auf verschiedenen Wegen mit demselben Minister, in so fern er hier die aristokratische Partei, dort die Patrioten, und noch an einem dritten Orte eine dritte Klasse von politischen Sektirern sondiren läßt. Die Vereinbarung der Moral mit der Politik der Kabinette, deren Möglichkeit ich nicht bezweifeln will, ist wenigstens bis jetzt noch immer Spekulation geblieben, wenn man nicht etwa in dem hohen Grade Neuling ist, die öffentlichen Protestationen von Redlichkeit der Absichten, und die Lobsprüche, die mancher Hof, mancher Fürst, manches Departement sich selbst ertheilt, für baare Münze zu nehmen. Thöricht wäre es also, glauben zu wollen, daß irgend ein Europäisches Kabinet die Ausnahme machen, und allein in einem Spiele, wo es darauf ankommt nach der Regel zu gewinnen, eine zwecklose und ihm selbst nachtheilige Großmuth ausüben werde. Ich erhalte hier Winke und Aufklärungen, die es außer allem Zweifel setzen, daß sowohl von einem auswärtigen Erbstatthalter des katholischen Belgiens, als auch von einem unabhängigen Belgischen Herzoge, aus der Mitte des Niederländischen Adels, zu seiner Zeit sehr ernsthaft die Rede gewesen ist. Allein die Auftritte vom 15. bis 19. März, zusammengenommen mit dem, was eben jetzt bei der Armee in Namur vorgeht, müssen, für den gegenwärtigen Zeitpunkt wenigstens, den Eifer der Nachbaren, sich in die Belgischen Angelegenheiten zu mischen, bis zur Gleichgültigkeit abkühlen.[608]

Außer den Anhängern der Stände und der Geistlichkeit, außer den Freunden der Demokratie, die aber durch die vorgestern erfolgte Entwafnung des Generals van der Mersch den empfindlichsten Stoß erlitten haben, giebt es hier noch eine starke kaiserliche Partei, wozu besonders die reichsten Banquiers und Handlungshäuser gehören. Bisher blieben sie hinter der Larve der Demokratie versteckt; allein jetzt ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß selbst die eifrigsten Freunde der Volksfreiheit lieber mit den Royalisten die Wiederkehr des alten Systems zu befördern suchen, als unter dem eisernen Zepter der Stände länger geduldig leiden werden. Diese Gesinnung ist wenigstens bei allen Freunden der hohen Häuser Aremberg und Ursel offenbar; sie geben sich kaum noch die Mühe, sie zu verhehlen. Diese beiden Häupter des Niederländischen Adels haben sich jederzeit standhaft gegen die Usurpation der Stände erklärt und die Volkspartei mit Enthusiasmus ergriffen; nie haben sie den Ständen den Huldigungseid, wozu man sie bereden wollte, abgelegt, und der flüchtige Gedanke einiger Patrioten, dieser Familie den Belgischen Fürstenhut zu ertheilen, so fern er auch von der Ausführung war, beruhte wenigstens auf einer wirklichen Anerkennung ihrer persönlichen sowohl, als ihrer angestammten Vorzüge.

Der Herzog von Ursel diente im kaiserlichen Heere vor Belgrad und Orsova. Als die Revolution ausbrach, suchte der Kaiser ihn durch die schmeichelhafteste Begegnung zu gewinnen; allein umsonst. Der Herzog schlug alle Gnadenbezeigungen aus, eilte nach Brüssel, entsagte allen seinen militärischen Verhältnissen, und schickte seinen Kammerherrnschlüssel zurück. Die Stände übergaben ihm das Kriegsdepartement, indem sie ihm den Vorsitz darin ertheilten; sobald er aber merkte, daß ihre Minister es sich anmaßten, auch hier ohne sein Vorwissen Verfügungen zu treffen und ihn von aller eigenen Wirksamkeit auszuschließen, (wovon die Ernennung des Generals von Schönfeld zum zweiten Befehlshaber der Armee das auffallendste Beispiel war;) resignirte er sogleich seinen Posten, und erklärte sich bald hernach, wie sein Schwager der Herzog von Aremberg, für die demokratische Partei. Am 8. März, bei der Ablegung des Eides, dessen Abfassung[609] die Parteien heftig erbittert hatte, bis endlich eine von beiden Seiten gebilligte Formel angenommen ward, erwählten die Freiwilligen von Brüssel den Herzog von Ursel mit einstimmiger Akklamation zu ihrem Generalissimus, und zum Zeichen des Friedens umarmte ihn van der Noot auf öffentlichem Markte. Allein am 16ten, als der Herzog in die Versammlung der Stände ging und Vollmacht forderte, um die Ruhe in Brüssel wieder herzustellen, erhielt er die stolze Antwort, es würde schon ohne sein Zuthun geschehen; und als er vor etlichen Tagen mit dem Grafen la Marck nach Namur reisete, um die Armee unter van der Mersch zu besänftigen, wurden beide in Verhaft genommen, sobald es dem General von Schönfeld gelungen war, sich Namurs zu bemeistern. Man ist noch ungewiß, ob er sie mit dem General van der Mersch hieher nach Brüssel schicken werde, oder nicht.

Dies ist ein Beispiel der Eifersucht, die es den beiden Freunden, van der Noot und van Eupen, zur wichtigsten Angelegenheit macht, jeden größeren Mann, es koste was es wolle, vom Ruder entfernt zu halten. Der Wettstreit mit der demokratischen Partei, in welchem sie die Oberhand behielten, giebt hiervon noch einen vollständigeren Begrif, und beweiset zugleich, wie tief das Volk gesunken seyn muß, dem bei einer allgemein bekannten Ruchlosigkeit in der Wahl der Mittel, die Augen über das Betragen dieser herrschsüchtigen Menschen dennoch nicht aufgegangen sind. Die Unionsakte war kaum unterschrieben, die Unabhängigkeit der Provinzen kaum feierlich angekündigt worden, als der Ausschuß der Stände schon die Versammlungen der patriotischen Gesellschaft, der man den glücklichen Erfolg der Revolution fast einzig verdankte, unter dem Vorwande der Gehäßigkeit und Gefahr geheimer Zusammenkünfte verbieten wollte. Allein damals trotzte die Gesellschaft auf ihre gute Sache: »Den Tag und die Stunde«, ließ man dem Committé zur Antwort sagen, »wird öffentliche Sitzung gehalten; alle ruhige Bürger, alle Freunde des Vaterlandes dürfen zugegen seyn und die Berathschlagungen mit anhören, die nur das allgemeine Wohl zum Ziele haben.« Der Vorwurf des Geheimnisses traf also nicht eine Gesellschaft, welche aus den Banquiers und reichen Kaufleuten, aus dem ganzen nicht repräsentirten Adel, aus[610] den Bürgern mehrerer Städte, verschiedenen Mitgliedern des dritten Standes von Brüssel, und den vornehmsten Advokaten dieser Stadt bestand.

Allerdings hatte die Aristokratie wohl Ursache, gegen diese Gesellschaft die heftigsten Maaßregeln zu ergreifen, wenn sie sich in ihrer angemaßten Oberherrschaft behaupten wollte. Den Patrioten genügte es nicht, den Kaiser vertrieben zu haben; sie wollten Freiheit in den Niederlanden, nicht die alte Tyrannei unter einem neuen Namen. In dieser Absicht entwarfen sie eine Bittschrift an die Stände, welche bald von zwölfhundert der angesehensten Männer in der Provinz unterzeichnet ward. Sie stellten ihnen darin die Nothwendigkeit vor, nach dem Beispiele der Stände von Flandern die Souverainität des Volkes feierlich anzuerkennen, die Finanzadministration zu verbessern und die Lasten des Volkes zu erleichtern, das Kommerz zu beleben, die Armee zu organisiren, die Preßfreiheit zu bewilligen, und alle Stellen und Ämter nur ad interim, bis zur Versammlung der Nation, zu besetzen.

Nie hatten die Forderungen Josephs des Zweiten dem Ansehen der Stände furchtbarer gedrohet, als diese Bitten jetzt zu drohen schienen, denen Vonk in seinen Considérations impartiales sur la position actuelle du Brabant durch unumstößliche, mit Bescheidenheit und Mäßigung vorgetragene Gründe, den größten Nachdruck verlieh. Der erste und fruchtbarste Gedanke, den van der Noot und seine Gehülfen diesem patriotischen Vorhaben entgegensetzten, war natürlicherweise der, daß man suchen müßte, den Eindruck jener billigen und vernünftigen Vorstellungen durch den Einfluß der Geistlichkeit auf die Gemüther zu verwischen, indem man jede Neuerung unter den jetzigen Umständen als gefährlich und feindselig gegen das Vaterland schildern ließe. Es ward sogleich ein Cirkularschreiben an alle Pfarrer im ganzen Lande erlassen, worin man ihnen anbefahl, eine Gegenaddresse an die Stände, welche auf Bestrafung der Neuerer und Störer der öffentlichen Ruhe drang, in ihren Kirchspielen unterzeichnen zu lassen. Zwei Brabantische Officiere reiseten mit dieser Addresse im ganzen Lande umher, und bedienten sich allerlei unerlaubter Mittel, und sogar der Gewalt, um[611] Unterschriften zu erzwingen. Der Kanonikus du Vivier, Sekretär des Kardinals, arbeitete mit einem frommen Eifer zu demselben Zweck; und solchergestalt brachte man in kurzer Zeit die Namen von viermal hunderttausend Brabantern zusammen, welche diese Gegenaddresse unterstützten.

Durch diese Spiegelfechterei ließ sich indeß die patriotische Gesellschaft nicht irre machen; vielmehr setzte sie ihre Versammlungen fort, und bemühte sich, ihre republikanischen Grundsätze in ein helles Licht zu stellen. Die sechs Kompagnien von Freiwilligen, welche zu den fünf so genannten Sermens oder Bürgerinnungen von Brüssel gehörten, und keinesweges die Oberherrschaft der Stände begünstigten, waren vielleicht den Aristokraten vor allen übrigen Einwohnern furchtbar, weil sie die Waffen trugen und die Sicherheit der Stadt ihnen allein anvertrauet war. Sie durften nur wollen, und die ganze oligarchische Tyrannei verschwand. Um sich ihrer zu versichern, ward ihnen am 6. Februar ein Eid deferirt, den sie den Ständen, als ihrem rechtmäßigen Landesherrn, leisten sollten. Eduard von Walkiers, ein reicher Banquier, der unter der vorigen Regierung den Titel eines Vicomte erhalten hatte, widersetzte sich dieser Zumuthung als Ältester (doyen) der Innung von St. Sebastian und Chef der einen zu dieser Innung gehörigen Compagnie von Freiwilligen. Auch die übrigen Compagnien weigerten sich, diese Eidesformel anzunehmen, die ihre Absicht gar zu deutlich an der Stirne trug. Van der Noot sah sich also genöthigt, einen günstigeren Zeitpunkt abzuwarten.

Mittlerweile kehrte der Herzog von Aremberg aus dem südlichen Frankreich in sein Vaterland zurück, und nahm am 10ten von den sämmtlichen Freiwilligen, die auf dem großen Platze vor dem Rathhause versammelt waren, den Ehrennamen ihres Élu des élus (Erwählten der Erwählten) unter lauten Freudensbezeugungen des Volkes an. Am folgenden Tage leistete er in dieser Eigenschaft den Bürgerinnungen einen Eid, aber nicht, wie man auch von ihm gefordert hatte, den Ständen, deren Rechtmäßigkeit er zu gleicher Zeit in Zweifel zog. Ohne der patriotischen Gesellschaft förmlich beizutreten, billigte er nebst seinem Bruder, dem Grafen de la Marck, nicht nur alle ihre Schritte, sondern äußerte auch[612] bei mehreren Gelegenheiten seine ausgezeichnete Hochachtung für verschiedene Mitglieder dieses demokratischen Bundes und namentlich für den Advokaten Vonk, den eifrigen Verfechter der Volksfreiheit.

Von diesem Augenblick an erhob die demokratische Partei das Haupt, und schien sich mit großen Hofnungen zu schmeicheln. Die patriotische Gesellschaft wählte Herrn Vonk zu ihrem Präsidenten, sie wählte einen Sekretär, sie führte nach dem Beispiel ähnlicher Clubs in England und Frankreich eine gewisse Ordnung ein, nach welcher ihre Versammlungen gehalten wurden, sie entschied über die vorkommenden wichtigen politischen Fragen durch Mehrheit der Stimmen, und ließ die Generale van der Mersch, de Rosières und Kleinberg durch eine Deputation feierlich zum Beitritt einladen. Alles schien zu erkennen zu geben, daß sie sich für eine Kopie der Französischen Nationalversammlung und vielleicht sogar für das Vorbild einer Niederländischen angesehen wissen wollte. Desto unglücklicher war es für sie, wenn ihre Absichten wirklich rein und auf das wahre Wohl des Vaterlandes gerichtet waren, daß ein unreifer Enthusiasmus in einigen Köpfen brauste, und am 25. Februar, an dem Tage nachdem der General van der Mersch ganz unverhoft in Brüssel von der Armee eingetroffen war, einen Auflauf bewirkte, wobei es auf nichts geringeres als eine Gegenrevolution angesehen schien. Ein dunkles Gerücht verbreitete sich am Abend des 21sten durch die ganze Stadt, daß man eine neue Kokarde – die Kokarde der Freiheit wurde sie emphatisch genannt – in der Kirche zu St. Gudula aufstecken wolle, und dabei sagte man sich die Absicht ins Ohr, – die Stände müsse man vom Ruder des Staats entfernen. Am folgenden Morgen strömte alles nach St. Gudula, und Eduard Walkiers versammelte, auf allen Fall, seine Compagnie. Diesmal zitterten die neuen Minister für ihre politische Existenz. Die ehrwürdige Stimme des Priesters war nochmals ihre einzige Zuflucht; sie schickten dem Pfarrer der Hauptkirche diese schriftlich abgefaßte Erklärung: »Wir Unterzeichneten versichern, daß das Manifest des Brabantischen Volkes nach allen Stücken seines Inhaltes befolgt werden soll; daß alles, was vorgeht, im Namen des Volkes geschieht, in welchem die Souverainität inwohnend[613] ist, und wogegen die Stände sich nie etwas haben anmaßen wollen.« Van der Noot und van Eupen hatten diesen Aufsatz eigenhändig unterschrieben, und der Pfarrer las ihn von der Kanzel ab. Eine so unerwartete Nachgiebigkeit von Seiten der Stände veränderte plötzlich die Stimmung des zusammengerotteten Volkes, und beim Weggehen aus der Messe, anstatt die Aristokratie zu bestürmen, fielen einige fanatische Köpfe über einen demokratischgesinnten Officier her, den Walkiers aber mit seinen Freiwilligen sogleich aus ihren Händen riß. In der Kirche hatte hier und dort einer versucht, die neue Kokarde aufzustecken, und einige wurden in Verhaft genommen, bei denen man sie in der Tasche fand. Noch jetzt ist es daher gefährlich, sich mit einer andern, als der ächten Brabantischen dreifarbigen Kokarde sehen zu lassen; und es ist uns selbst widerfahren, daß ein Freiwilliger uns höflich anredete: wir wären vermuthlich Fremde und wüßten nicht, daß das weiße Bändchen an unserer Kokarde verboten sei.

Niemand in Brüssel wollte etwas um diesen Auflauf gewußt haben; man setzte ihn auf Rechnung der Royalisten, denen man die Absicht beimaß, sie hätten dadurch alles in Verwirrung bringen wollen; als ob durch diese Verwirrung, zu einer Zeit, wo keine Östreichische Truppen sie benutzen konnten, etwas für die Sache des Kaisers wäre gewonnen worden? Den Ständen und ihren Ministern schien der Schlag von einer ganz andern Seite her zu kommen; allein ohne die deutlichsten Beweise war jetzt eine öffentliche Beschuldigung von dieser gehässigen Art nicht rathsam. Zudem stand ihnen Walkiers mit seinen Freiwilligen und seinem thätigen, unternehmenden Geist überall im Wege. Gern hätte man ihm diesen Auftritt vom 25. Februar Schuld gegeben; es wurden sogar in dieser Absicht Briefe zwischen dem Kriegesdepartement und ihm gewechselt; allein diese Korrespondenz schlug ganz zu seinem Vortheil aus, indem er den Winken und Anspielungen der Ministerialpartei den Ton eines beleidigten Mannes, der seiner guten Sache gewiß ist, mit allem Trotze dieses Bewußtseyns entgegensetzte. Die eben bekannt gewordene nachdrucksvolle Remonstranz der demokratischen Partei an die Stände, worin man ihnen nochmals vorhält, daß die gesetzgebende und die vollziehende Macht ohne Gefahr für den[614] Staat nicht länger in einer Hand vereinigt bleiben dürfen, gestattete jetzt keine andere als indirekte Maaßregeln gegen einen so mächtigen Feind. Man wußte den Stadtmagistrat dahin zu bewegen, daß er am 28. Februar die Compagnie von Walkiers aufhob, unter dem Vorwande, daß jeder Serment deren nur Eine haben könne; allein die Freiwilligen eilten am folgenden Morgen mit Ungestüm auf das Rathhaus, und auf ihre Vorstellung nahm der Magistrat seine Verordnung zurück. Walkiers, an dem die Reihe war, zog mit den Seinen auf die Wache, und triumphirte im lauten Beifall des Volkes.

Es war nunmehr nöthiger als jemals, die Freiwilligen beeidigen zu lassen. Man berathschlagte sich über die zu adoptirende Formel, und van der Noot bot die Hände zu einem Vergleiche mit der patriotischen Societät. So wichtig schien diese Ceremonie in den Augen Aller, daß man nicht Behutsamkeit genug anwenden zu können glaubte, um keine Zweideutigkeit übrig zu lassen, hinter welche sich die eine oder die andere Partei flüchten könnte. Endlich, nachdem man mehr als Einen Vorschlag verworfen, nachdem van der Noot vergebens die versammelten Freiwilligen auf dem großen Platze haranguirt hatte, ward eine ganz kurze Formel in allgemeinen Ausdrücken adoptirt, die Alles so unbestimmt ließ, wie beide Parteien es wünschen konnten, um bei einer scheinbaren Übereinkunft sich zu überreden, man habe auf keinen Anspruch Verzicht gethan. Diese Feierlichkeit, wobei sich, wie ich Dir schon erzählt habe, der Herzog von Ursel und van der Noot zum Zeichen der Versöhnung beider Parteien umarmten, ward am 9. März vollzogen, und gleich darauf wies auch der hohe Rath oder Justizhof von Brabant die Bitte um Aufhebung der patriotischen Gesellschaft als unstatthaft zurück. Dagegen aber kassirte der Congreß, als Souverain der Niederlande, bereits am 13. März ein Regiment von besoldeten Truppen, welches den Einfall gehabt hatte, nach dem Beispiele der Freiwilligen, dem Volke den Eid der Treue schwören zu wollen.

Walkiers hatte indessen den Ehrgeiz der Minister und der Stände zu tief beleidigt, und sein hochfliegender Patriotismus war ihnen zu furchtbar geworden, als daß sie nicht vor allem[615] seinen Sturz hätten beschließen sollen. Man grif ihn von der einzigen Seite an, wo er verletzbar blieb, das ist: man wirkte durch eine Überschwemmung von fliegenden Blättern, und durch öffentlich ausgestreute Beschuldigungen auf die Leichtgläubigkeit des unwissenden und immer noch von Priestern beherrschten Volkes. Es gelang den Emissarien der Geistlichkeit und der Aristokratie, den Saamen des Mißtrauens unter die Bürger von Brüssel und sogar unter die Freiwilligen auszustreuen; es gelang ihnen, sie zu trennen, indem man den Grund einer verabscheuungswürdigen Verschwörung aufdeckte, einer Verschwörung, wodurch eine geringe Anzahl von Ehrgeizigen, unter dem Vorwande das Volk in seine Souverainitätsrechte einzusetzen, sich selbst der Regierung zu bemächtigen gedächten. Walkiers, sagte man, sei das Haupt des Komplots; die Officiere der Freiwilligen wären seine Verbündeten, und eine Nationalversammlung, die man berufen wolle, würde nur als Werkzeug ihrer Tyrannei, nach dem Beispiel der Französischen, alle Rechte der Bürger umstoßen, die Altäre berauben und die heiligen Diener der Religion mißhandeln.

Hatte denn, wirst Du fragen, das Volk von Brüssel in einer so langen Periode von politischer Gährung noch nicht gelernt, gegen Verläumdungen auf seiner Hut zu seyn, und seinen Verdacht aus reineren Quellen als den Brochüren des Tages zu schöpfen? hatte es noch nicht Gelegenheit genug gehabt, den Charakter der verschiedenen Häupter der Parteien zu ergründen, und ein Urtheil über sie zu fällen, welches nicht von jedem Hauche verändert werden konnte? Unstreitig muß sich jedem Unparteiischen bei einer so plötzlichen Umstimmung der Gemüther der Gedanke lebhaft vergegenwärtigen, daß gerade die Wahrscheinlichkeit der Beschuldigung diese große Wirkung hervorgebracht habe. Auch ohne etwas von wirklich vorhandenen geheimen Absichten, von einem trüglichen dessous des cartes zu ahnden oder zu glauben, konnte gleichwohl die Schilderung wahr und treffend seyn, die man im voraus von einer Niederländischen Nationalversammlung entwarf. Sie mußte, wenn sie Gutes bewirken wollte, die bisherige Verfassung vernichten und die Mißbräuche ausrotten, welche der moralischen Freiheit, dieser einzig wahren Quelle[616] der bürgerlichen, entgegen wirkten; sie wäre folglich dem Klerus und besonders der Ordensgeistlichkeit furchtbar geworden. Nach dem Zustande der Aufklärung in den Belgischen Provinzen, und nach der Seltenheit gründlicher Einsichten und großer Talente zu urtheilen, war endlich auch, ohne dem Patriotismus der Demokraten zu nahe zu treten, die Prophezeihung, daß die Nationalversammlung nur ein Instrument in den Händen weniger Demagogen werden könne, die unverdächtigste Lobrede aus des Feindes Mund auf das Verdienst und die Fähigkeiten eines Walkiers, eines Vonk und der übrigen Häupter der patriotischen Gesellschaft.

Unter den jetzigen Umständen war die ausgestreute Besorgniß, daß die Religion in Gefahr sei, gleichsam eine Losung für die Majorität der Bürger von Brüssel, die demokratische Partei zu verlassen und für die Erhaltung des einmal bestehenden Regierungssystems zu eifern. Kaum war van der Noot dieser Stimmung gewiß, so sprang die Mine, die er seinen Nebenbuhlern bereitet hatte. Es kam jetzt darauf an, welche Partei der andern zuvorkommen würde, und er hatte seine Maaßregeln so gut berechnet, daß er sein Vorhaben ausführte, ehe die Armee die Bewegungen in Brüssel unterstützen konnte. Am 15. März überreichte die patriotische Gesellschaft den Ständen eine Bittschrift, worin sie zwar sehr bescheiden, jedoch mit Ernst, auf eine neue Organisation der Verfassung antrug und den Ständen gleichwohl, wegen ihres bekannten Widerwillens gegen eine Nationalversammlung, die Art der Zusammenberufung der Volksrepräsentanten gänzlich anheimstellte. Diese Bittschrift war kaum überreicht und gelesen, so verbreitete man im Publikum ein Verzeichniß der Störer der öffentlichen Ruhe, deren ganzes Verbrechen in der Unterzeichnung jenes Aufsatzes bestand, welchen man sich indeß wohl hütete, durch den Druck bekannt zu machen. Dagegen aber las man an den Kirchthüren überall einen Anschlagszettel, worin man das Volk aufforderte, sich am folgenden Morgen um neun Uhr zu versammeln, indem eine Verschwörung wider den Staat und die Religion im Werke sei. Ähnliche Zettel verurtheilten die Herzoge von Aremberg und Ursel, den Grafen la Marck, Eduard Walkiers, Vonk, Herries und Godin zum Laternenpfahl. Früh am 16ten erschien[617] der Pöbel und ins besondere die Bootsknechte, Träger und anderes Gesindel, welches sich in der Nähe des so genannten Hafens aufhält, und unter dem Namen capons du rivage bekannt ist, vor dem Rathhause, unter Anführung der beiden Ehrenmänner, die vor einiger Zeit so viele Unterschriften für die berüchtigte Gegenaddresse eingetrieben hatten. Die Gildemeister standen auf den Stufen, und schwenkten dem Haufen, der den Staaten und van der Noot ein Vivat über das andere brachte, mit Hüten und Schnupftüchern Beifall zu. Auf dieses Signal ging die Plünderung der Häuser an, welche man zuvor zu dem Ende gezeichnet hatte. Der Kaufmann Chapel kam mit eingeworfenen Fenstern und Thüren davon; hingegen fünf andere Häuser wurden nicht nur erbrochen und gänzlich verwüstet, sondern auch in einem der Besitzer tödlich verwundet. Walkiers mit seinen Freiwilligen gab verschiedentlich Feuer auf diese Banditen; allein die anderen Compagnien, anstatt ihn zu unterstützen, droheten vielmehr, ihre Waffen gegen ihn zu kehren.

Am 17ten erkaufte van der Noot die Ruhe der Stadt von den Plünderern mit einem Versprechen von dreitausend Gulden, die ihnen richtig ausgezahlt wurden; allein noch nicht zufrieden mit diesem Opfer, und ihrer Instruktion getreu, forderten sie den Kopf ihres Widersachers, Walkiers. Man lud ihn in der Dämmerung vor die versammelten Stände, stellte ihm vor, seine Compagnie habe den Haß des Volkes auf sich gezogen, und bewog ihn durch diese bloße Vorstellung, sie abzudanken. Van der Noot geleitete ihn mitten durch den aufgebrachten Pöbel nach Hause. In derselben Nacht verließ er Brüssel, und mit seiner Abreise erlosch die letzte Hofnung der Demokraten. Der hohe Rath von Brabant publicirte noch an demselben Tage das Aufhebungsdekret der patriotischen Gesellschaft, und ihre Häupter entflohen theils zur Armee in Namur, theils nach Lille im Französischen Flandern. – So gewaltsam dieses Mittel auch war, wodurch die Stände über die Freunde der Volksfreiheit den Sieg behielten, so hätte man es ihnen dennoch in einer solchen Krise verziehen, wenn nur auch ihre Regierung von nun an die wohlthätigen Wirkungen geäußert hätte, um derentwillen es sich verlohnte, dem Kaiser die Oberherrschaft zu entreißen. Allein von einer[618] so übel organisirten Versammlung durfte man sich keinen edlen Gebrauch der Kräfte versprechen. Sie benutzte den ersten Augenblick, in welchem sie sich ohne Nebenbuhler fühlte, um vermittelst tyrannischer Maaßregeln die Möglichkeit eines abermaligen republikanischen Kampfes zu verhüten. Die Preßfreiheit, das Palladium freier Völker, ward unverzüglich abgeschaft; eine strenge Büchercensur wachte für die Erhaltung politischer und geistlicher Finsternisse, und das Verbot aller auswärtigen Zeitungen, welche demokratische Grundsätze begünstigten, krönte diese des achtzehnten Jahrhunderts unwürdige Verordnungen. Der Schleier des Geheimnisses deckt alle Berathschlagungen der gesetzgebenden Macht; feindseliger Haß verfolgt die Überreste der patriotischen Gesellschaft; aus Furcht vor strenger Ahndung werden die Namen Vonk, Walkiers, Ursel und la Marck an öffentlichen Orten nicht ausgesprochen, und der Enthusiasmus der noch glühet, und noch zuweilen ein paar hitzige Disputanten an einander bringt, wird allmälich erkalten und in jene todte Gleichgültigkeit gegen das gemeine Beste ausarten, welche überall herrschen muß, wo nicht von den Gesetzen, sondern von der Willkühr und den Leidenschaften der Regenten das Leben und das Eigenthum des Bürgers abhängt.

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 600-619.
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