Eilftes Kapitel

[82] Einen ganzen langen Tag hatte Alonzo zugebracht, ohne Blansche zu sehen. Es war so wüst und dumpf in ihm, daß er nichts dachte, nichts zu wollen vermochte. Was in ihm vorging, was trübe und schwer aus der tiefen Seele heraufdrängte, und die Bande lang gehegter Festigkeit und Ruhe zu sprengen drohte, es[82] schwebte ihm dunkel vor, er wußte es nicht zu nennen, doch an der gährenden Angst im Herzen spürte er, daß er sich länger selbst nicht trauen dürfe, und arbeitete nun über einen Gedanken, der ihn retten könne.

Unter dem unsichern Dämmern ging die Zeit unbemerkt an ihm hin. Der Abend nahete, er hatte nichts gewonnen, der Pfeil steckte nur noch tiefer in der Wunde. Und wie denn Umstände und Ereignisse selten die Hand bieten uns zu retten, wenn wir es selbst nicht anzufangen wissen, im Gegentheil Kraft und Wille nur noch ängstlicher verstricken, so waren auch folgende Zeilen, die Alonzo jetzt erhielt, wenig geeignet es zu einem klaren Entschluß in ihm kommen zu lassen. Frau von Saint Alban schrieb ihm:

»Was hält Sie ab, daß Sie nicht kommen? Ich bin glücklich, und deßhalb brauche ich Sie; Türgis ist heut so still, so schmerzensfrei, ich hoffe so viel, dürfen Sie uns fehlen, wenn wir hoffen? Lassen Sie jetzt alles andre bei Seite, auch ihren gestrigen chinesischen Ernst, Sie waren mir ganz fremd geworden. Ueberlegen Sie[83] nicht lange, kommen Sie. Wir rechnen auf Sie,« Hat denn, rief Alonzo plötzlich aufgeschüttelt, hat denn die Ehre zwei Stimmen? Darf sie das Eine gebieten und zugleich untersagen? Kann ich hier zurückbleiben? Soll ich den Verdacht auf mich laden, als habe ich wie ein Mörder meines Gegners Tod gewollt, zweideutig mit dem Worte Versöhnung gespielt und dem Genesenden jetzt gehässig den Rücken gewandt? Soll ich kleinmüthig mit mir selber heucheln und aus früherer That eine Lüge machen? Blansche, darf ich das Gift des Mißtrauens in deinen Freudenbecher gießen? Nein Engel, zweifeln sollst du nie an deinem Freund.

Er war unter diesen Worten schon über die Schwelle der Thür, schon aus dem Hause getreten. Immer schneller und schneller trug ihn die Ungeduld nun vorwärts. Er hatte zuletzt keinen Athem mehr, und stand verschnaufend an dem Gartenpförtchen. Es war nur angelehnt, er trat hinein. Der Tag war fast ganz gesunken. Der Himmel unendlich rein und duftig. Hin und her funkelte schon ein Sternchen durch das bleichende Licht. Die blassen Umrisse des Mondes[84] traten leuchtend hervor. Alles war still; schweigend ging er an den flüsternden Blumenwänden hin. Die glühende Lichnis, der hochflammende Mohn neigten sich grüßend auf ihren zarten Stengeln, von fern sah er in den geöffneten Saal, die Thüren standen auf, Blansche schwebte daran hin und wieder. Wie sie ihn erblickte, flog sie zurück, bald darauf trat sie mit der Mutter heraus, ihm entgegen. Alle drei hatten eine Freude, als wären sie einander aufs neue gegeben. Zuerst schalt Frau von Saint Alban, dann erzählte sie von ihrer Hoffnung, von Türgis sichtlicher Besserung. Alonzo hatte beiden den Arm geboten, er ging, ohne Worte zu finden, zwischen ihnen. Blansche war so innig, so gerührt, ihre Blicke richteten sich aufwärts zum Himmel. Alonzo suchte ihr Auge, sie sah ihn lächelnd an, aber es schwebte eine Wehmuth um ihren Lippen, vor der sein ganzes Herz zitterte. Leise drückte er ihren Arm an seine Brust. Die Mutter trat zuerst in den Saal. Alonzo hielt noch Blansches Hand, ihre Finger schlüpften leicht durch die seinigen, ihm war als flöge ein sanfter Druck, fast wie ein[85] Lufthauch, drüber hin. Alle Nerven bebten ihm, die glühenden Augen lagen verzehrend auf Blanches Gestalt. Sie war schon weit von ihm, neben dem Bruder, der aufgerichtet im Bett, Alonzo freundlich zunickte. Diesem ging die Welt noch in wunderlichen, ungleichen Kreisen hin und wieder. Er sahe und hörte nur halb. Gleichwohl fiel ihm die außerordentliche Blässe und der feste, beinah verklärte Blick des Kranken auf. Er trat überrascht zu ihm. Türgis redete stark und schnell. Er schien voll Theilnahme, empfänglich für alles. Seine Zärtlichkeit für die Mutter hatte etwas unbeschreiblich Reizendes. Ueberall entfaltete er in der großen Beweglichkeit der Züge unwiderstehliche Anmuth.

Frau von Saint Alban sah liebkosend auf ihn nieder, mein bestes Kind, sagte sie, wenn werde ich dich wieder so frisch und freudig pfeifend und singend die Treppe hinauffliegen, deinen raschen Schritt durch Zimmer und Säle schallen hören. Gott weiß es, mir ist all' die Tage so still und ängstlich gewesen, wie im Grabe. Blansche barg das Gesicht in Türgis Kissen. Es wird alles nach grade kommen,[86] sagte der Oheim auf- und abgehend. Ja Gottlob, fiel Frau von Saint Alban ein, den heutigen Tag darf ich als eine Crisis ansehen, heut' ist er ganz umgewandelt. Nicht wahr, Türgis, dir ist viel leichter? Viel, erwiederte der Kranke, dankbar, ihre schmeichelnde Hand mit seinen Lippen suchend. Blansche küßte ihm auf die Stirn, sie hatte ihm Früchte und Blumen, und alles was ihr junges Herz erfreuen konnte, auf die Decken gelegt. Er sah sie liebreich an, auf seinen Lippen schwebten die herzlichsten, süßesten Worte, doch schwieg er, und ließ die Blicke in stiller Rührung an sie hingleiten. Als sie aber aus Furcht ihn zu hindern, zurücktrat, hielt er sie bei der Hand: bleibe so, sagte er leise, deine sanfte Nähe thut mir wohl. Ueberall ängstete ihn das zerstreuete Umhergehn im Zimmer. Er wollte niemand entfernt wissen, und sahe es gern, als der Theetisch dicht an sein Bett geschoben ward, und alle nun ruhig umhersaßen.

Frau von Saint Alban war von der sorglosesten Heiterkeit. Ein wenig vorgelehnt, mit übereinandergeschlagenen Armen, saß sie recht[87] behaglich da, und sprach von Türgis Krankheit wie von etwas, das nun überwunden, nur noch in der Erinnerung schrecklich sei. Ein Vorgefühl von dem, was mich treffen würde, sagte sie, hatte ich doch wohl. Mir träumte, ich sah Türgis ganz klein in seiner Wiege liegen. Ich wollte ihn putzen und trug allerlei veraltete Stücke Zeug und staubigen Wust herbei. Sehr geschäftig hielt ich das zusammengetragene prüfend gegen das Licht. Eins kam mir ganz auserlesen vor, ich zeigte es mehreren, die umherstanden, man lobte es sehr, ich legte es zurecht, als ich es aber dem Kinde nun anthun wollte, sah ich mit einem mal, daß es ein steifer, schwerer grauer Mantel war, ich erschrack sehr, und ließ vor Entsetzen das häßliche Ding auf die Wiege fallen. Mir zitterten alle Glieder beim Erwachen, und als ich gar drüber nachdachte, und die Nacht mir das Blut rascher durch die Adern jagte, befiel mich solch ein Schauder, daß ich nicht zu athmen wußte. Früher, fuhr sie fort, habe ich niemals darüber reden wollen. Aber nun, da das Unglück geschehen und zum Theil wieder gehoben ist, hat es weiter nichts zu bedeuten.[88]

Wie gebannt lagen alle Blicke am Boden, niemand wagte die Augen aufzuschlagen, niemand sprach. Frau von Saint Alban bedachte zurücksehend das Vergangene, und blieb einen Augenblick gedankenvoll. Nach einer Weile sagte Türgis: ich vermisse ungern den jungen Deutschen unter uns, er brachte mir die erste versöhnende Bothschaft von Ihnen Alonzo, ich wollte er wäre hier, mein Friedensbote! Er kommt wohl gewiß noch, entgegnete Frau von Saint Alban, denn hat er auch nicht das Ansehn die Menschen zu suchen, so kann er doch nicht von ihnen lassen. Ihm steht das etwas spröde Verschmähen im Umgang recht wohl. Der Künstler muß nicht allzuviel umhersehen, es stört ihn nur, darum liebe ich den abhaltenden Ernst, ja den ganzen wunderlichen Trotz in Philipp, der doch auch niemals die gute Sitte und den Anstand verletzt. Und denn, fuhr sie fort, hat er so innige verklärte Augen, so heilig verschämte Blicke, sein treuer Mund redet so liebe Worte. Ich bin gewiß, er hegt und bewahrt im Herzen, was Andre fahrig am Leben veräußern. Sie redeten noch mancherlei über[89] Philipp und das Uebersehen und flüchtige Abschätzen der Jugend. Es liegt, nahm der Herzog das Wort, in dem Nichts oder Alles, dem Entweder: Oder der Jünglingsseele einzig der Keim zu festerer Lebensgestaltung. Die Verhältnisse der Gesellschaft, die Behaglichkeit des Daseins vermitteln und gleichen nachher aus, wogegen früherhin die frische Jugend in Zorn und Bewunderung aufloderte. Wir lassen es eben gehn, aber was wir empfinden und denken, es wird blaß und fahl. Wer nicht über alles lieben und aus voller Seele verabscheuen kann, der denke nicht zu leben. Frau von Saint Alban legte zutraulich ihre Hand auf seine Schulter, sie dachte mit Ehrfurcht an die feste Treue seines ganzen Lebens, und wie er sich auch im wiederkehrenden Glücke nicht verleugne. Doch das Gespräch auf Vergangenes zurücklenkend, nicht allzu ernst werden zu lassen, sagte sie mit angenehmen Lächeln: nun, wenn wir Frauen uns auch nicht so streng und scharf bezeigen, so übt auch das Alter keinesweges diese niederschlagende Gewalt über uns. Ich für mein Theil empfinde noch immer die lebendigste[90] Theilnahme, ich kann mich heute wie ehemals mit derselben Lebhaftigkeit dem Schmerz und der Freude entgegenwerfen, und so außer mir vor Entzücken und Leidwesen gerathen, tadeln, loben, lieben, hassen, schelten und entschuldigen, als wäre ich achtzehn Jahr. Die Frauen, entgegnete der Herzog, mit gutmüthiger Galanterie ihre Hand küssend, wollen schon höher beachtet sein. Wir sollten ihnen billig eine andre Sphäre anweisen, sie stehn keinesweges so mitten inne im Lebensverkehr, oder wissen sich doch drüber hinauszuheben, die Zeit kann ihnen, wenn sie indeß wollen, eben nicht sonderlich viel anhaben. Zu Anfang sind sie in lieblicher Unbestimmtheit alles zugleich, man ahndet jede schöne Tugend in ihnen, man empfindet den schuldlosen Einklang aller Gefühle an ihrer Seite, dann zwingt sie das Geschick so oder so in eine besondere Richtung, und scheint sie zu bestimmen. Sie stehn ausgesprochen vor uns, und man vermißt nicht selten die verschwimmende Weichheit und anmuthige Sorglosigkeit früherer Zeit an ihnen. Absichtlich berechnet, verschlossen oder zerrissen, verarbeiten und durchsteuern sie so ein[91] paar Umschwungsperioden, dann aber haben sie gesiegt, oder sind erlegen. Wir fühlen uns wohl bei den ältern Frauen, deren Wesen sich klärt und setzt und ihnen die Gluth der Reife läßt. Man spürt noch all' die tausend Elemente menschlicher Leidenschaften und wird durch sie mit dem Leben in bewegliche Verhältnisse gesetzt, ohne jemals das Unbequeme gegenwärtiger Vorwirrung zu empfinden.

Frau von Saint Alban begleitete seine Worte mit beifälligem Blicke, jedes Stufenjahr weiblicher Anmuth, sagte sie lächelnd, findet doch in Frankreich seinen Ritter. Niemand taste mir mein galantes Frankreich an! Alonzo sahe überrascht auf sie hin. Es fuhr schneidend durch seine Seele, er spürte ein unangenehmes Beben und das Unheimliche verborgener Störung. Aengstlich suchte er Blansche. Sie saß in qualvoller Anstrengung neben Türgis, seine Hand in der ihrigen, von Zeit zu Zeit einen Strauß weißer Rosen gegen die heißen, überfließenden Augen drückend. Ach! dachte er, könntest Du so alle schringende Wunden der Seele kühlen.

Philipp war indeß geräuschlos eingetreten,[92] er grüßte sittig und still, und nahm seinen Platz zu Türgis Füßen, Blansche gegenüber. Seine Blicke lagen mitempfindend auf beiden Geschwistern. Blansche hielt sich kaum noch, ihr Bruder sah sie oft lang und forschend an. Wehet es Sie nicht zu kühl aus der offnen Thür entgegen? fragte Philipp den Kranken. Dieser lächelte und machte eine verneinende Bewegung. Er schien schlafen zu wollen, die Wimpern senkten sich so bleiern nieder. Alle redeten nun leiser, das Licht ward unter einer gefärbten Glasglocke gedämpft, die mondhelle Nacht spielte in grüßenden Flämmchen durch die bewegten Zweige vor Thür und Fenstern, in den Blättern säuselte es hörbar durch die wispernden Worte. Blansche schlüpfte zur Thür hinaus. Alonzo sah sie in den dunkelsten Gängen langsam auf- und niedergehen. Er konnte nicht zurückbleiben, er folgte ihr unsicher und beklommen nach. Die Stirn an eine junge schlanke Birke, wie an Schwesterbrust gelehnt, unvermögend sich länger zu bezwingen, weinte das arme bekümmerte Kind aus voller heißer Seele. Alonzo faßte ihre Hand, sie wehrte es nicht, sie dachte nichts, sie[93] fühlte nur den unaussprechlich tiefen Schmerz. Blansche, flüsterte er scheu und innig, meine arme Freundin, was ängstet Sie nur gerade jetzt so herzzerreißend, so unbezwinglich? Er stirbt, ach Gott er stirbt ja! schluchzte sie. Sehn Sie's denn nicht! Sieht's denn kein Mensch als ich, welch' ein Lächeln ihm den ganzen Tag schon um die Lippen schwebte, so lächeln nur Engel, das ist der Tod! – Der Tod! wiederholte Alonzo schaudernd! ihm war als stoße er erst jetzt den kalten Stahl in des armen Türgis Brust! Es schien ihm ganz unglaublich, ganz unerhört, daß es jemals dahin kam! Wie im Traum blieb er vor Blansche stehn, er ließ ihre Hand fahren und sahe starr vor sich nieder. Ich konnte, klagte sie leise, länger die entsetzliche Angst nicht aushalten. Ganz langsam hörte ich den Todesengel heranrauschen und als Türgis die Augen senkte, da brach mir das Herz, da war mir's als sehe ich den dunkel glänzenden Fittig, der sein liebes, liebes Gesicht beschattete. Sich abwendend, weinte sie still in die kleinen, vorgehaltenen Hände. Ihre Thränen fielen brennend in Alonzos[94] Herz, zerreißender als Vorwürfe es gekonnt, klagten sie ihn an, er hatte nicht den Muth, Blansche anzusehn, und eiskalt überlief es ihn, als sie plötzlich gefaßt und ernst sagte: die Mutter ahndet es nicht, sie ist so kindlich vertrauend, alles, alles überhört sie. Mein Gott, wie wird ihr sein, wenn nun der verhaßte graue Todtenmantel auf ihren Liebling niederfällt.

Sie schlug die Augen bittend zum Himmel und ging langsam nach dem Hause zu. Alonzo wagte es nicht sie zu begleiten. Er blieb den einen Arm um die Birke geschlungen tiefsinnig zurück. Der weiße Stamm leuchtete so hell im Mondenlicht, die schwanken Zweige spielten kühlend um seine Schläfe, aber ihn konnte nichts erfreuen, nichts trösten. Das Leuchten und Flüstern jagte ihm nur Graus in die Seele, er wand sich von dem Baume wie aus Gespenstes Armen und schritt rasch durch die Gänge Blansche nach.

Bei dem Kranken war es dunkler und stiller geworden. Frau von Saint Alban hatte sich entfernt, der Herzog und Philipp saßen etwas abwärts, ohne zu reden. Alonzo sah schüchtern[95] umher, er glaubte dem Todesengel irgendwo zu begegnen. Ich bitte, sagte Blansche zu ihrem Oheim gewandt, lassen Sie uns noch einige Stunden hier versammelt bleiben, ich fürchte mein Türgis ist nicht mehr lange unter uns. Der Herzog strich ihr die blasse Wange und sah mit feuchten Augen auf das schmerzliche Beben ihrer Lippen, die nur mühsam die wenigen Worte herausbrachten. Er versprach zu thun was sie wolle und gestattete, daß der Beichtvater geholt ward, der unter frommem Gebet die scheidende Seele des Sterbenden geleitet.

Philipp sah ernst in den Garten hinein. Ueber dem breiten Rasenplatz hin zogen Nachtdünste in seltsamen Nebelbildern aufwärts. Alonzo war seinen Blicken gefolgt. Es ist eine tiefsinnige Bedeutung deutscher Sprache, sagte Philipp leise, daß Nebel umgekehrt Leben ist, und Eines in dem Andern liegt. So ist es ja denn auch wirklich, und erst wenn die Wahn-und Trugspiele sinken, bricht die Lebenssonne an! Er hatte die Knie übereinander geschlagen, und das Gesicht in die aufgestemmte Hand gesenkt, als spüre er im Innern das Dämmern ew'ger Glorie.[96]

Türgis griff indeß unruhig mit den Händen in die Luft, dann zupfte er an den Decken und schien in Gedanken Blumen zu zerpflücken. Noch einmal schlug er die gebrochenen Augen auf, er machte eine verlangende Bewegung mit den durstenden Lippen. Der Geistliche hielt das Crucifix an seinen Mund. Blansche zitterte heftig, doch faßte sie sich schnell. Niederkniend betete sie mit Engelsklarheit, Alonzo und Philipp an ihrer Seite. Es ist vorbei! sagte der Geistliche zu den Umstehenden gewandt. Blansche richtete sich auf. Sie drückte die Hand aufs Herz. Der Athem verging ihr. Tief aufseufzend sank sie ohnmächtig an Alonzos Brust. Er hielt sie, er trug sie wie ehemals aus der Kirche. Erde und Dasein, Leben und Tod, alles was Worte nennen, schwand vor seinen Blicken. Er fühlte das arme Herz matt an seinem schlagen, den holden Leib kraftlos hingegeben in seinen Armen ruhen! Das zarte Köpfchen senkte sich gebeugt auf tiefbewegter Brust, ein scharfer Nachthauch schien es, habe der schlanken Blume wehe gethan. Alonzo fürchtete sie mit seinem Athem zu berühren. Ganz leise legte er sie im Nebenzimmer[97] auf ein Ruhebett, ein Schauder, eine Scheu wehete ihn an, er hatte sie einen Augenblick sein genannt, zum zweitenmal hatte sie Gott unter heil'ger Weihe an seine Brust gelegt, doch er durfte, er konnte sie so nicht halten, er selber ließ sie aus seinen Armen los. Noch hielt er ihre beiden Hände, er kniete schweigend neben ihr, kein Wort, kein Laut drang über seine Lippen. Jetzt regte sie sich, sie schlug die Augen auf. Blansche, flüsterte er, sagen Sie, das Sie mir den ungeheuren Schmerz verzeihen, daß Sie mich nicht hassen! Sie sahe klar zum Himmel, wie käme, sagte sie, in dieser Stunde Haß in meine Seele. Er starb ja versöhnt. Vor dem Klang ihrer weichen, rührenden Stimme sprangen alle Banden von seiner Seele. Nichts mehr sehend als sie, unfähig zu denken, alles andre vergessend, rief er ganz außer sich, so nehmen Sie denn das Opfer meines ganzen Lebens, Blansche, lassen Sie mich nur für Sie Herz und Dasein haben, verwerfen Sie mich nicht, ich bin, ich athme nur durch Sie! Aufgerichtet, innig in sein schönes Auge sehend, schwieg Blansche einen Augenblick, dann legte sie die erröthende[98] Wange wie der auf die Kissen zurück und winkte Alonzo schweigend, mit linder Güte in Blick und Bewegung, sie zu verlassen.

Er gehorchte. Wie im Traume schwankte er nach dem Saale zurück. Philipp stand seitwärts neben der Leiche, den einen Arm über sie hingestreckt, drückte er sanft dem schlummernden Jüngling die Augen zu, die seinen schwammen in dunkelm Glanz, er sah fast aus wie der Todesengel selbst. Der alte Herzog lehnte weinend an ein Fenster. Die Lichte waren ausgebrannt, der Morgen dämmerte fahl herein, Einer erschrack vor des Andern Leichenblässe. Armand trat ein, er nahm seinen Platz zu seines jungen Herrn Füßen, der Herzog wandte sich traurig zu den beiden Freunden, die schwere Nacht, sagte er, war überstanden, wir wollen uns alle einen hellen Morgen wünschen! Er neigte sich sehr liebreich und ging, das Taschentuch gegen die brennenden Augen haltend, aus dem Zimmer. Noch einmal faßten beide Türgis Hand, sie sahen sich gerührt an und sanken laut schluchzend einander in die Arme. Schweigend, mit gesenktem Blick gingen sie darauf durch den hellen,[99] lauter werdenden Tagesschein, in der Seele schmerzliches Entzücken und die Verheißung unvergänglichen Daseins.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 82-100.
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