Funfzehntes Kapitel

[140] Der Aerger zitterte ihm noch lange in Herz und Gliedern. Er hörte noch immer die höhnenden Worte, er sah das lächelnde, verschmitzte Gesicht; und Frau von Saint Alban hatte zu dem allem geschwiegen, sie hatte nichts versucht, um dem anwachsenden Uebermuth Einhalt zu thun, sie hatte ihm das Wort überlassen und eben dadurch das Widerwärtige, Nieauszugleichende herbeigeführt. Gesinnungen waren laut geworden, die bis dahin nur geahndet, unter dem Schleier zarter Schonung ihren Stachel verbargen. – Jetzt war der Damm durchbrochen. Was Blut und Tod nicht vermochten, das unbezwingliche Wort hatte es für ewig und immer angefacht. Die rasche That konnte ein dunkler Augenblick erzeugt haben, Liebe und Mitleid fühlten sich groß im Verzeihen, wie aber der lang verkleidete Unwille das Innere schreiend auseinander riß, und das Herz des Lebens zerfleischte, da war an kein vergeben und vergessen zu denken. Die Kluft, die von jetzt zwischen[140] Alonzo und der französischen Familie lag, verdeckten nicht Worte, nicht Thaten. Nur an Blansche konnte er sich noch mit seinen Gedanken wenden, sie war über Streit und Unwillen, über Vaterland und Welt hinaus gehoben, beziehungslos ewig Eins in seinem Herzen. Er flüchtete zu ihr, er schrieb ihr in diesen qualvollen Stunden.

»Warum meine Blansche, mußte ich Sie vergeblich suchen, warum waren Sie so weit von ihrem Freunde? Ihr Auge, ihre Stimme, ihre Nähe hätte alles abgewendet! Es sollte so sein! Alles um uns her mußte erst zusammenbrechen, der feindliche Haß alles untergraben, alles dunkel werden, nirgend eine Rettung, als in uns in unsrer Liebe! Ich habe das lange geahndet, jetzt ist es ja ganz unauslöschlich da! Erschrecken Sie Blansche? Ich nicht. Ich habe mich nun erst ganz wieder, ich fühle mich wie über allen Streit hinaus. Was geht mich dies Frankreich an, was habe ich mit seinen Einwohnern zu schaffen! Nichts, in der Welt nichts! Sind Sie auch eine Bürgerin Frankreichs, Blansche? O um Gottes Willen überreden Sie sich das[141] nicht. Sie sind es nicht, Sie dürfen es nicht sein! Welches Land, welches Volk ist stolz genug, Sie sein zu nennen? Sie eine Französin! Wie thöricht und wie unwahr! Der Liebe gehören Sie, das ist Ihre Heimath. Bin ich mit dieser zerfallen, Blansche? Sagen Sie das wirklich! Wie ihre stillen Züge dies dunkle Land erhellen! wie ich bei Ihnen all' die Störungen vergaß! Wird das nun anders sein? Ich weiß es, Ihre Mutter kann das nie verzeihen! Wo werde ich Sie denn wiedersehen? wann wird Ihr liebes frommes Auge Friede in meine Seele gießen? Meinen Sie etwa, ich sei nun entschlossen, Frankreich zu fliehen, Sie aufzugeben? Haben Sie denn ein Herz, Blansche und denken Sie so Entsetzliches? Nein, ich bleibe, ich werde Sie suchen, und so Gott will, finden. Kann Blansche durch die Meinung ihrer Freunde bestimmt werden? Kann irgend etwas mein Bild in Ihrem Herzen verrücken, so stand es niemals fest und dann möge es nur lieber gleich zerbrechen.«

Der eben ausgesprochene Gedanke trat so lebhaft auf ihn zu, er sah ihn so entsetzlich an,[142] daß er ganz gelähmt und erschrocken die Feder wegwarf und nun auch nicht wieder mit sich zurecht kam.

Des folgenden Tages eilte er mit jenen Zeilen zu Blansche, in der Absicht sie ihr heimlich einzuhändigen. Die kleine Scheu vor Frau von Saint Alban konnte ihn nicht zurücke halten. Im Gegentheil empfand er einigen Stolz, ihr so frei und unbekümmert unter die Augen zu treten. Er traf Blansche allein. Sie schien etwas überrascht ihn zu sehen, doch war sie nicht unruhig, noch verlegen. Er gab ihr das Blatt. Sie sah ihn groß an, an mich? fragte sie, von Ihnen? Was können Sie mir denn zu sagen haben, das ich so blöde, so ängstlich in diesem Papier einwickeln müßte? Lesen Sie, bat Alonzo. Sie faltete kopfschüttelnd das Blatt auseinander, und es vor sich hinlegend, las sie, den Kopf in die Hand gestützt, sehr langsam und genau, ohne durch irgend eine ängstliche Anstrengung die Klarheit ihrer Züge zu trüben. Alonzo ging während dem heftig auf und ab. Zuweilen blieb er stehen, sah sie dringend an, oder zählte ungeduldig die ablaufenden Sekunden[143] an der Wanduhr. Jetzt hatte sie geendigt. Sie legte das Blatt sorgfältig in seine Falten zurück, und verschloß es, ohne aufzusehn in dem Nähetischchen. Alonzo faßte ihre Hand. Sie sahe ihn lächelnd an; was sind Sie nur so unruhig, sagte sie mit anmuthiger Freundlichkeit. Sie thun so viel Fragen, lieber Alonzo, ich weiß nicht, wie ich das könnte, ich habe eine außerordentliche Scheu vor dem Ausgesprochenen, lassen Sie doch dem Geheimniß, das bisher waltete, ferner seinen stillen Gang. Sie wollen mir entgehen, Blansche, unterbrach sie Alonzo hier, Sie wissen mir nichts zu antworten, Sie selber sind unsicher. Freilich, entgegnete sie leutselig, Sie könnten mich ängstlich machen, ich habe Sie so nicht erwartet, ich glaubte Sie auf das Unvermeidliche gefaßt, Sie sind so entzweiet mit allem, so unsicher, wo ist denn die Ueberzeugung und die Treue, die allein beglücke? Von welcher Ueberzeugung, Blansche, fiel Alonzo ein, reden Sie hier? Von der einfachsten und natürlichsten, die es giebt, von der Wahrheit des Wesens, das Sie liebend in ihrer Seele tragen, Alonzo, mein Freund, können Sie zweifeln und[144] vertrauen zugleich? Sagen Sie mir, Blansche, hub Alonzo nach einigem Besinnen an, was soll ich bei so widerstrebenden Verhältnissen für ein Opfer von Ihrem Muthe er warten dürfen? Täuschen wir uns nicht; es ist plötzlich ein gewaltsamer Riß zu Ihren Füßen entstanden, Sie sind allein mit mir am jenseitigen Ufer, dorthin das Jugendland, die Mutter, die Freunde, Blansche, werden Sie mich nicht auch verlassen wollen? Was drängen Sie doch, rief Blansche wehmüthig, unser verborgenes Dasein so hastig in das bunte Leben hinein, und geben ihm die dreiste Figur und Sprache! Ach mein Freund, die Scheu, die ich davor habe, sagt mir, daß wir niemals aus dieser Verborgenheit hinaus sollen. Also doch! rief Alonzo heftig, Sie selbst verweisen mich zu ewigem Verstummen, zu Entsagung und Tod! Was Blansche, was denken Sie aus mir zu machen? Wollen Sie den Ueberlästigen aus Ihrer Gegenwart verbannen? Oder soll ich in verzehrender Gluth ein ängstliches, peinliches Leben auf- und abwinden, ein Leben, in welchem Streit und Zorn das einzig Lebendige ist? Das einzig Lebendige? rief Blansche[145] mit gefaltenen Händen, o Herr, mein Gott, so lehr du ihn doch, was Leben ist!

Frau von Saint Alban war herein getreten. Sie warf einen schnellen, scharfen Blick auf Blansche, der dann blitzartig an Alonzo vorüberflog. Sie schien gerührt, gereitzt, heftig und schnell wieder besonnen. Sie wußte das Gespräch am Rande der Vertraulichkeit hinzuhalten, Alonzo hatte sich just nicht zu beklagen, gleichwohl schwebte etwas Aengstigendes im Hinterhalte, was gern herauswollte, und nur der Gelegenheit ermangelte. Man wehrte diese ab, denn niemand hatte Lust es zu einer Erklärung kommen zu lassen. Frau von Saint Alban war Meisterin der Conversation, sobald Sie es wollte. Es schien, sie könne ihrer innern Bewegung plötzlich Einhalt thun. Mit Gewandtheit faßte sie jedes Aeußere an, warf es hin und wieder, und machte es in der Wechselberührung der Laune und des Witzes nach und nach zu etwas, das unterhielt, ohne zu beschäftigen. Alonzo vergaß an ihrer Seite einen kurzen Augenblick, was seine Seele so schwer belastete, was aus der Ferne drohete, was zum Theil schon ganz[146] nahe war. Die flüchtigen Worte wirbelten sich so leicht wie ein gefälliger Tanz an ihm hin, und stahlen seinen Beifall und sein Wohlgefallen, ohnerachtet des Disperaten ihres beiderseitigen Verhältnisses. Zum Lachen gezwungen, vergaß er leicht worüber und verlor ein paar Stunden an einem Spiel, dessen absichtlichen Gang er weit entfernt war zu ahnden. Als er endlich durch Blansches schwebenden Gang und ihr lautloses Verschwinden aufgeschreckt ward, verließ er Frau von Saint Alban etwas wüst und betäubt, ohne ins Klare über sie und sich selbst kommen zu können.

Auf den Straßen sang man das Couplet auf Heinrich den Vierten. Er hatte das tausend und tausendmal gehört, heute frappirten ihn die Worte angenehm. Das höchst wunderbare Gemisch von Galanterie, gutmüthiger Treuherzigkeit und neckendem Volkssinn sprühete auf eigene Weise an sein Gemüth. Er glaubte eine Einsicht in den Volkscharakter gewonnen zu haben. Der Duft frischer Jugendzeit wogte noch in dem alten Liede. Die anmuthigen Gestalten französischen Ritter- und Heldenthums traten[147] höchst lebendig in ihrer feinen, jovialen Sitte in seine Erinnerung zurück. Er glaubte noch verwandte Elemente in dem Herzog und Türgis entdecken zu können. Er dachte an die ritterlichen Könige, an die rührenden Worte Ludwig des Achtzehnten vor seinem Einzug in Paris: die Religion allein vermag mich diese Dornenkrone auf mein greises Haupt zu setzen. Er sahe das würdig stille Angesicht, er fühlte den Kampf und die Leiden der geweiheten Königsfamilie, tiefe Ehrfurcht erfüllte ihn. Er war milder gegen alles, was er sahe. Er ging heute in die Variétés au françois, er glaubte sein Unrecht gegen Frau von Saint Alban nicht genug abbüßen zu können. Das reizende, ergreifende Spiel großer Künstler bezwang seine strenge Abneigung! Vieles ward ihm hier klar, was ihm im Leben verwirrte, die Funken originellen, treffenden Witzes sprüheten fast blendend umher, der behende, flüchtige Verstand wagte die raschesten Flüge, er riß die Bewunderung um so eher fort, als niemand vor sich selbst zu besteh'n, zurückbleiben wollte. Alonzo glaubte sich dem allem mehr und mehr verwandter, je mahnender[148] er zur Theilnahme gezwungen ward. Er stand im Begriff noch heute an Blansche zu schreiben, sich selbst hart anzuklagen, das arme schöne Herz durch Ungestüm und schroffen Ernst erschreckt zu haben. Er wollte es ihr bekennen, daß er alles zu hoch und trübe und gewaltsam genommen, daß er es empfinde, wie im Erkennen fremder Eigenthümlichkeit der Friede im Leben aufgehe, es schien ihm der Gedanke an Versöhnung mit allem, was dem lieben Geschöpf angehörte, so süß, er wollte ihr das sagen und noch vieles andre, wovon sein Herz voll war, als ihm eine Einladung des Herzogs, diesen zu Frau von Saint Alban zu begleiten, die Hoffnung gab, Blansche morgen zu sehen, und in der alten Eintracht und dem schönen, wechselseitigen Vertrauen mit ihr und ihren Freunden. Er schrieb jetzt nicht. Er dachte und malte sich die Stunden nächster Zukunft in dem Gewinn schwankender, unruhiger Leidenschaft bald lockend, bald ängstigend aus, die Bilder flossen ungewiß in einander, und er mußte sich zuletzt fragen, was von dem allem darfst du denn wünschen, bethörtes Herz?[149]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 140-150.
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