Zwanzigstes Kapitel

[204] Wochen waren verflossen. Alonzo schrieb seiner Mutter aus Rom:

»Von den Stufen der versöhnten, verzeihenden Kirche wende ich mich zu Ihnen, meine hohe, strenge Mutter. Wenn die Liebe mich das Leben vergessen ließ, so wußte sie auch Wege zu finden, mich mit seinen Anfoderungen auszugleichen. Worte sagen nicht, was ich hier erfuhr. Der Mensch wähne nicht, große Offenbarungen kommen ihm durch sich selbst. Auge und Sinne müssen empfangen, ehe die Seele erzeugt. In den Schauren geheimnißvoller Stille sahe Jesu Auge aus menschlicher Bildung auf mich nieder und ich empfand die Prüfung wie die Weihe des Lebens. Wem die Glorie göttlicher Sendung nie geleuchtet, wer vor dem herandringenden[204] Geheimniß niemals erbebte, wer das tiefsinnige Räthsel in des Menschen, in des Geweiheten Nähe nicht empfand, den durchzuckte nie höhere Ahndung, dem ist das Innere todt.

Ich bin gestärkt, zu neuem Dasein gerüstet. Mein Vaterland ruft mich, vieles verwirrt sich dort aufs neue, vieles muß sich lösen. Sie sehen mich in Kurzem wieder. Was aus der Vergangenheit mir blieb, möge Sie nicht stören, es ist die still begleitende Wehmuth, die niemand, der die Welt erkennt, verläßt. Sie sind gerecht, deßhalb bin ich Ihrer wie meiner selbst gewiß.« –

Während Philipp nun immer stiller und innerlicher seiner Kunst lebte und durch frische Heiterkeit einen hellen Glanz in Alonzo zurückwarf, bereitete dieser auf solche Weise seine Rükkehr nach Spanien vor. Er hatte sich schon von seinem treuen Gefährten getrennt, als er, recht wie ein Abschiedsgruß des kurzen, schwindenden Traumes, einen Brief von Frau von Saint Alban erhielt; sie schrieb ihm:

»Wüßten Sie, wie schwer es mir geworden ist, was es mich gekostet hat, wie lieb ich Sie[205] habe! doch alles war dagegen, ich sahe es wohl nachher, wie sehr ich mich auch anfangs selbst betrog. Ich habe geweint, geschluchzt, mit mir, mit dem Herzoge gescholten, ich wollte Blansche den letzten Abend, der mir so viel Thränen gekostet hat, zurückrufen, Sie im Triumph in unser Haus einholen, ich wäre Ihnen um den Hals gefallen, – aber was wäre es gewesen? Sie hätten mich nicht verstanden, so vieles in uns ist Ihnen ganz fremd, das ist es eben! das hat mich in den Tod beleidigt, das vergißt sich nicht. Lieber guter, junger Freund, der Mensch stelle sich wie er wolle, er ist unter Bedingungen da, von denen hängt er ab, die lassen ihn nicht, Sie nun ganz und gar gehörten nicht zu uns. –

Blansche ist so vernünftig, so still und freundlich! das liebe Kind! gestern fragte der Herzog seine Nichte, ob sie sich der Worte noth erinnere, die sie ihm bei ihrem ersten Wiedersehen gesagt habe: es giebt Verhältnisse, die das Gefühl bezwingen und uns harte Pflichten auflegen. Blansche küßte seine Hand, und erwiederte lächelnd, ich habe noch nicht aufgehört so[206] zu denken. Mein armer Alonzo, thut Ihnen das wehe? – Ich berge es Ihnen nicht, lieber Freund, ich habe viel an Louis und eine Verbindung mit meiner Tochter gedacht. Bocourt ist so bescheiden, er versteht das sanfte Kind so gut, aber es wird nichts draus! Blansche liebt ihn wie einen Bruder, doch ich glaube, sie stürbe lieber als diesen Schritt zu thun. Sie fragte mich gestern, wo nähme ich denn ein Gemüth zu solchem Betruge her? – Ich schwieg, lieber Alonzo, ich erröthete vor mir selbst, Pflicht und Gesetz halten die stillen Seelen stets in schicklichem Gleichgewicht, ich beneide sie darum!

Ich fürchte, Blansche hat weit anderes im Sinn. Sie geht fast täglich nach dem Kloster St. Genevieve. Klage ich darüber, so sieht sie mich so bittend an, daß es mir das Herz bricht. Gestern fand ich sie vor dem Bilde der schönen La Vallière. Armand mußte es ihr herunterheben, sie wischte und säuberte daran und betrachtete es mit leidenschaftlicher Theilnahme. Blansche! rief ich, Thränen stürzten mir aus den Augen, sie flog an meine Brust, ich zog sie sanft an mich, mein Kind, fragte[207] ich leise, denkst du daran mir Schmerz zu machen? sie weinte; was recht ist, sagte sie darauf, wird Sie nicht betrüben. Ich weiß es, Alonzo, ich werde Himmel und Erde in Bewegung setzen, zu hintertreiben, was ich fürchte, was ich nicht nennen mag, und werde es doch nicht hindern. Es geschieht gewiß, meine Angst sagt mirs.

Ich suche Sie heut, lieber Alonzo, um Ihnen zu sagen, wovon mir das Herz voll ist. Es ist wohl das letzte mal. Es ist recht betrübt, daß es so ist! ach so vieles ist betrübt im Leben. Es wird alles, alles anders als man denkt! Haben Sie mir denn vergeben, Alonzo? – thun Sie es lieber junger Freund, glauben Sie nur, ich bin auch nicht glücklich, es wird so kraus und bunt um mich her, vielleicht lerne ich mich noch finden! So sagen wir uns nun Lebewohl aus weiter Ferne? Alonzo, ich höre nicht auf ein Kind zu sein! ich weine über das, was ich selbst gewollt!«

Fromme Blansche! rief Alonzo, reife nur in deiner Einsamkeit zur Heiligen herauf! Was willst du auch unter den ungleichen, engen Gemüthern,[208] in der frostigen, abgeblaßten Welt, die sich den eignen Boden untergräbt und den Tag der Rache gewaltsam heranruft. Der Tag wird kommen, tausend Stimmen verlangen, tausend Herzen dursten danach, denn noch ist nichts abgebüßt und keine Schuld getilgt. Ihr Weltklugen mischt nur die Karten und berechnet das Spiel, das Schicksal spielt auch mit und ist ein unzuberechnender Gegner! – Sanfte Blansche, bete du, und rüste deine Schützlinge, laß die Kunst unter Philipps geweiheter Hand groß gewaltig aufblühen, gönne deinem Freunde mit glühenden Waffen seinen Namen in das Buch der Geschichte zu schreiben, und gelte es auch deinem Frankreich und müßte der versteinte Hochmuth noch einmal vor dem Spanier und dem Freiwilligen erzittern!

Er warf sich mit diesen Worten in den Wagen und eilte Kraft und Muth in den Unruhen des Vaterlandes, in neuem glimmenden Krieg zu messen.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Berlin 1814, S. 204-209.
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