Siebentes Kapitel

[71] Der feuchte, lösende Hauch des Wassers, wie das linde Wiegen des Kahnes, hatte nach grade alle Gemüther beruhigt. Die Gefahr trat mit Frankreichs Küsten zurück. Ein fremder Boden sollte ihnen eine neue Welt, neue Verhältnisse, neue Glückseligkeit, zuführen. Die Erinnerung jener verstörenden Schreckbilder ward von den vorüberrauschenden Wellen verdrängt. Wo diese herkamen, war es anders; dahin ging ihr Weg. Zudem boten ihnen Savoyens nahe Ufer Augenblickliche Rettung. Und als der Köhler dem Marquis vorschlug, mit ihm nach Chambery zu gehn, und so lange dort zu bleiben, bis er einen festen Plan für die Zukunft gefaßt habe, willigte dieser ein, worauf sie sofort ans Land stiegen, und ihre Wanderung durch das anmuthige Thal bis zur Hauptstadt voll belebender Hoffnung fortsetzten.

Als sie dort ankamen, und durch die schmale[71] Gassen, zwischen hohen, schönen Häusern hingingen, ihre Blicke bald hier bald dorthin auf den belebten Gang ungefährdeten Verkehrs richtend, der lang entbehrten bürgerlichen Sicherheit froh, ward in mehreren Kirchen die Messe eingeläutet. Der Glocken metallene Schwingungen bebten durch die eng aneinander gereiheten Gebäude, und brachen sich, wie Himmelsruf, in den Herzen der glücklich Erretteten. Unwillkührlich lenkten diese ihre Schritte zu den Stufen einer Kathedrale, und dort niedersinkend, beteten alle aus tiefstem Innern, ja in beschämender Freude, so vieler Huld gewürdigt zu sein.

Unter der Menge hier aus und ein strömender Menschen, streifte auch eine ärmlich in Trauer gekleidete Frau an ihnen vorbei. Sie blieb einen Augenblick stehn, und sah leutselig froh auf die verschiedenartige Gruppe schöner, bedeutender Köpfe, als sie, plötzlich den Marquis in die Augen fassend, näher hinzu trat; doch eben so plötzlich durch das Gedränge neu Herzukommender fortgerissen, sich in die große Masse verlor.

Der Marquis hatte weder sie, noch überall einen der Vorübergehenden bemerkt. Durch das eigene Innere überrascht und bezwungen, hatte er gebetet, und folgte nun fast träumend dem Köhler, der ihn freundlich einlud, bei seinem Schwager[72] einzukehren, welcher Goldarbeiter, wohlhabend und gastlich sei, die ausgewanderten Nachbarn daher gern aufnehmen werde. Die Frau, setzte er hinzu, treibe daneben einen Spitzenhandel, der wie bekannt überall stark in der Stadt getrieben werde, habe deshalb viel Verkehr, selbst im Auslande, bis nördlich über die Berge hin, und, gewandt und freundlich wie sie sei, könne sie ihnen wohl über manches Auskunft geben.

Dem Marquis war das ganz willkommen. Er trug außer mehrern wichtigen Papieren noch das Schmuckkästchen der Marquise bei sich, und hoffte, mit Hülfe des Goldarbeiters, einige Kleinigkeiten desselben vortheilhaft benutzen zu können, indem es ihm wichtig war, die Papiere, alle auf bedeutende Summen ausgestellt, nicht eher umzusetzen, als bis sein äußeres Verhältniß sich fest gestaltet habe.

Sie kamen jetzt an ein sauberes Häuschen oberhalb der Leisse gelegen, als der Köhler sagte, nun sind wir an Ort und Stelle! Der Goldarbeiter hatte seine Werkstatt in der Vorhalle aufgeschlagen, und arbeitete dort emsig. Die Thür nach Innen zu war offen. Man sah um einen grünbehangenen Tisch Kinder und Jungfrauen im Vorsale sitzen, alle die schweren Kissen vor sich, und die feinen Knöppel, wie zum Spiel, zwischen[73] den Fingern hin und her werfend. Als der Köhler zuerst mit Frau und Kind herantrat, stand der Mann höflich grüßend von seinem Sitze auf, doch plötzlich ward sein Gesicht hell wie die Freude, und ein Zug weichen Mitleids um den Mund, sagte was in seinem Herzen vorging. Er nahm den Knaben auf den Arm, hertzte und küßte ihn, streichelte der Köhlerin blasse Wange, und eilte, nach einer flüchtigen Unterredung, dem Marquis, voll Bereitwilligkeit, ihn und die Seinen aufzunehmen, entgegen. Es bedurfte wenig Worte, um daß alle befreundet in das Haus traten. Auch Felicitas, die Hausfrau, zeigte sich wohlmeinend; und gewohnt, die geschäftigen Hände flink zu rühren, hatte sie alles bald angeordnet, Zimmer geräumt, jeden seinen Platz angewiesen, Erfrischungen herbeigeschafft; und wohl fühlend, daß Ruhe das Nothwendigste sei, was die armen Erschöpften bedürften, diese im Hause geboten, und sich mit den Ihren zurückgezogen.

Es gab auch wirklich Niemand unter ihnen, welcher den Schlaf nicht gesucht und gefunden hätte. Er legte sich besonders den beiden Schwestern so bleiern auf Auge und Bewußtsein, daß andern Tages beider Erwachen recht beklemmend war. Das ungewohnte Zimmer, das fremde Bett, die eigens dem Bedarf angepaßten bürgerlichen[74] Umgebungen, ja ehe sie alles das noch deutlich wahrnehmen konnten, das lose Schwanken des innern und äußern Blickes, bis er die wirkliche, nun aufgegangene Gegenwart gefaßt, alles drückte sie schüchtern in ihre Decken zurück. Was gestern noch wünschenswerth erschienen, was der Noth des Augenblicks plötzlich abhalf, war heute doch beengend. Wie aus dem Schlaf, so erwachten sie jetzt erst aus der Verwirrung ihrer Sinne. Frankreich, dem schönen Vaterlande, hatten sie in ängstlicher Eile den Rücken gewandt, und sich blindlings fremdem Boden anvertrauet! Anders, sagte Antonie, ist es hier, ganz anders, das ist gewiß! ob besser oder schlechter? wir wissens nicht! Niemand von uns weiß es! Mir fällt, vielleicht zur Unzeit, die Geschichte eines Offiziers bei, welcher während eines Krieges in den Transcheen kommandirend, endlich abgelöst, zu seinem Regimente geht, und aller Gefahr entgangen, auf dem Wege dahin vom Gewitter erschlagen wird. Liebe Marie! wer weiß was sich da hinter den blauen Gebirgen für Gewitter gegen uns aufthürmen!

Marie sah ängstlich in dem engen Zimmerchen umher, und zu der trüben Schwester hin, deren Worte immer so schwer in ihre Seele fielen. Ihr stiegen die Thränen in die Augen, sie ging zum Fenster, öffnete das, und erheiterte schnell ihren[75] Blick, an den schönen, vollen Früchten, den Blumen, den Cither- und Mandolinen- Klängen, den freudigen Menschenstimmen, an all dem bunten Wesen der Menge. Sieh, o sieh! liebe Antonie, rief sie dieser zu, hier ist es wirklich gar nicht so traurig! Die Menschen sehn recht lustig aus! bemerkst Du wohl das kleine Mädchen, mit dem glänzenden Strohhut! wie allerliebst! sieh, wie zierlich ihr die Mandoline über der Schulter hängt, wie sie mit einer Hand zwei Orangen spielend in die Höhe wirft, und immer eine wiederfängt, indeß sie mit der andern Hand leicht über die Saiten hinfährt, als greife sie die Töne und den Takt aus der Luft, mit welchen sie die tanzende Bewegung ihres Körpers begleitet! komm, ich bitte Doch, laß uns das näher sehn, geh mit mir hinunter!

Antonie folgte ihr Gedankenvoll in den Vorsal. Er war noch leer. Sie traten in die Halle. Hier saß Alexis auf dem Sessel des Oheims, vor dessen Arbeitstisch, und einen Stift in der Hand grub er, diesen nachahmend, in eine kleine Silberplatte lauter Pünktchen, einen neben den andern. Antonie verwies es ihm, aus Furcht, daß er etwas verderben möchte. Das Kind hatte immer eine große Scheu vor ihr gehabt. Ihr strenger Blick und die starre Schönheit ihrer Züge machten ihn heben. Jetzt sah sie besonders strafend auf ihn[76] nieder. Er fuhr bei dem Ton ihrer Stimme zusammen, und wollte erschrocken fliehen, als er unversehens den Stuhl, auf dem er saß, mit dem Tisch und allem darauf liegenden, zur Erde warf.

Antonie ward sehr bestürtzt über diesen Vorfall. Denn Gold und Silber, Feile, Schmelztiegel und Goldwage, Cirkel und Maaßstab, alles lag neben edlen und unedlen Steinen bunt durcheinander. Marie war ihr sogleich behülflich, alles wieder an Ort und Stelle zu legen. Auch Antonie wollte das Ihre thun, als sie, ein aufgesprungenes Futteral schließend, einen schön gearbeiteten Dolch erblickte, der sie erst mit einer Art Entsetzen erfüllte, dann aber ihr Blut glühend durch die Adern trieb. Dunkel sagte sie sich: ich will dem Goldarbeiter davon sagen, und steckte ihn in den Busen. Da klopfte eine leise Hand auf ihre Schulter, sie wandte sich, und die Frau in Trauer stand vor ihr, ein Kästchen mit Arbeitsgeräth und ein Kissen, worauf angefangene Spitzen befestigt waren, unter dem Arm tragend. Verzeihen Sie, sagte diese im feinsten Pariser Accent, wenn ich eine Unbescheidenheit begehe, indem ich Sie frage, ob Sie sich gestern mit einem ältlichen Herrn am Eingang der großen Kathedrale befanden? ob dieser Herr Ihr Vater war? ob Sie – O mein Gott vergeben Sie, setzte sie hinzu, als Antonie etwas[77] zerstreuet, und mit dem Vorhergehendem beschäftigt, ungeduldig auf sie hinsah, aber ich muß Sie bitten, mir das zu beantworten. Nun ja, sagte Antonie, er ist mein Vater. Der aber rief jene unbeschreiblich bewegt, ist kein anderer, kann kein anderer sein, als der Marquis von Villeroi! und ein Fräulein Villeroi steht hier vor mir! Mein liebstes Kind, umarme mich immer! ich habe Rechte auf Dein Herz, glaube mir das! Sie zog Antonien an ihre Brust; dann aber, sich besinnend, fragte sie hastig, wo ist Deine Schwester? lebt sie nicht mehr? Marie näherte sich, und ihre Hand mit Schüchternheit fassend, sagte sie leise, ich bin es! Arme hübsche Kinder! rief die Dame! wandte sich dann ab, und weinte einige Augenblicke heftig in ihr Taschentuch.

Wo soll ich denn anfangen, sagte sie drauf gefaßter, Euch kenntlich zu werden! Ihr wißt nichts von Eurer Familie! Ihr seid so jung, die Vergangenheit ist so alt! es ist so lange her, daß Frankreich schön war, daß Freunde und Verwandte von einander wußten. Ihr kennt wohl Niemand! habt niemals von mir sprechen hören! und geträumt hat Euch auch nicht von der armen ausgestoßenen, bejammernswerthen Tante Clairval!

Marie lag schon lange schluchzend an ihrer Brust, als Antonie nachsinnend sagte: ich habe[78] Sie früher gesehn, meine Tante, ich erinnere mich dunkel! Niemals, niemals, mein Kind, entgegnete die Baronin. Nach dem Tode Deiner armen Mutter hat der Marquis sich und seine Kinder von der Welt fern gehalten. Die Aebtissin Eures Klosters war nicht meine Freundin. Seit dem ersten Jahre Eures Lebens trafen wir nicht wieder zusammen. Doch! doch! sagte Antonie in sich zurücksehend, als der Marquis eben in den Vorsaal trat. Die Baronin blieb einen Augenblick überrascht stehn! Das ist er also geworden! rief sie, so hat die Zeit gearbeitet! Der Marquis ward bei dem Ton ihrer Stimme von verworrner Erinnerung getroffen. Er sah fragend auf seine Töchter. Armer Schwager! sagte die Baronin, so ist alles todt! die schöne Jugend, und die Liebe, und das Andenken an den Wahnsinn der Leidenschaft, und den beruhigenden Balsam treuer Freundschaft! Mein Gott, Pauline, rief der Marquis, wie vom Blitze getroffen, meine liebe, meine unglückliche Pauline! Was machen Sie hier? was wollen Sie hier? in diesem Aufzuge, in Trauer sehe ich Sie wieder! Was ich hier will? erwiederte sie, lieber Himmel! weinen und arbeiten, da drüben haben sie mir das Herz aus dem Busen gerissen, und nachdem sie es mit Füßen getreten, stießen sie mich zum Lande hinaus! Schloß Clairval ist geschleift,[79] der Baron – sie stockte einen Augenblick – die Henker schleppten ihn aufs Blutgerüst, – mich wollten sie nicht, ich weiß nicht, warum ich leben muß, aber ich muß! ich thue selbst dazu, ich friste mir das Leben, ich arbeite für Geld; dieselbe Frau die mir sonst häufig große Pakete Spitzen auf heimlichem Wege zuschicken mußte, hat mich nun selbst auf heimlichem Wege hiehergebracht, und lehrt mich, für den Schmuck, und das elegante Bedürfniß Anderer sorgen. Es liegt darin nichts besonderes, es ist der Lauf der Dinge! und doch ist hier etwas, sie drückte beide Hände gegen die Brust, was sich empört, was mir bittere Thränen auspreßt. Es ist so schwer, allem zu entsagen, was, wie das Tageslicht, Leblosem und Lebendem erst Glanz und Farbe giebt. Doch ich rede von mir. Sagen Sie mir, wie es Ihnen erging? Was mein Bruder macht und sein Sohn? ob sie noch in Frankreich, ob der Letztere noch bei seinem Regimente ist?

Beschämt, nichts von den Freunden zu wissen, sah der Marquis zur Erde, und sagte kleinlaut, ich denke, wir begrüßen einander alle recht bald in unserm Vaterlande wieder. Glauben Sie das? fragte die Baronin, damit haben sich die Leichtgläubigen seit Jahren einander selbst belogen. Und wenn auch! Das Alte kommt nicht wieder. Wie[80] wir beide nicht noch einmal zwanzig Jahr werden können, so macht auch das Gesammtleben keinen Rückschritt. Politische Crisen sind Stufenjahre, geistige und leibliche Natur, alles geht einen Weg. Verwachsen Kinder ihren Schuh, so verwächst der Zeitmoment Formen. Lieber Marquis, wir betteln uns wohl einmal wieder in unser Vaterland zurück, aber die abgefallene Frucht ist doch tod. – Sie wissen also nichts von den Meinen? fuhr sie nachsinnend fort. Es ist schlimm! ich hatte auf meinen Bruder gehofft!

Sie haben den Bruder wieder, liebe Pauline, sagte der Marquis sehr bewegt, wir verlassen einander nicht! Sie müssen meinen Töchtern die Mutter ersetzen. Ich verstehe nichts mehr von der Welt, die Welt nichts von mir, die armen Kinder sind wohl übel daran mit mir, gewiß liebe Freundin, Sie können nicht so ungroßmüthig sein, sie jetzt zu verlassen.

Mußte denn so vieles geschehn, sagte die Baronin, ehe wir uns wiederfanden! Und sind wir nun zwei Andere geworden, daß Sie Vertrauen zu mir fassen? Mein alter Freund, ich sehe in dem umdämmertem Auge da dieselbe dunkle Gluth, die Hochzeit- und Todtenfackeln anzündete, die Schloß Clairval mit tausend Blitzen durchschoß, vor der sich Herzen zusammenzogen und die dennoch Schmerz[81] und Entzücken hineinbrannte! Ich höre aus dem Ton Ihrer Stimme jene Worte des Mahomet herausklingen, mit der Sie von der Bühne aus die Seele der Geliebten, wie die der Freunde, heftig anfaßten:


»Ha, wiß um meine Wuth, um alle meine Schwächen!«


Und dann wieder:


»Mein Leben ist ein Kampf, durch meine Mäßigkeit

Hab ich Natur dem Joch des strengen Sinns geweiht!«


Ja, ich fühl es dem unbezwinglichen Herzen an, daß es Heut wie in jenem Sinnverwirrenden Winter zu Paris die Abgründe der Zeit wie der Erde sprengen, der Natur ihr hohes Geheimniß und die Zügel der Weltherrschaft entreißen, sich aber zum Gott und Tyrannen der Welt hinaufmeistern möchte!

Sie sagte die letzten Worte unter heftigem Weinen, denn sie dachte an die blühende Schwester, die ein Opfer jener vermessenen Versuche ward! Der Marquis hatte sich in einen Stuhl geworfen, und mehr durch die Frühlingslichter jener Zeit, als durch ihre Vorwürfe, getroffen, ließ er ungehindert einzelne Thränen über sein Gesicht hinrollen. Die Baronin trat zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter, und sagte gutmüthig, ich will nicht rechten mit Ihnen, auch nicht tadeln, was[82] die Natur und das Leben einmal so gemacht, einmal so gewollt haben! aber fragen muß ich Sie doch, ob Sie es Heut besser wie damals in mir dulden werden, wenn ich über manches anders denke, anders empfinde, wie Sie? Ich bin in der Hauptsache dieselbe geblieben. Sie haben das so eben noch gesehn. Ich muß sagen, wie ich es empfinde, berechnen kann ich nicht, solchen Kopf hatte ich nie. Und wenn mich nun meine Welterfahrung, mein rasches Hineinempfinden in das Leben, andere Dinge sehen läßt, als Ihnen Ihr mystischer Feuerblick zeigt, werden sich die Kinder da in dem Streite behaupten können? Was von allem wird ihnen wahr, nothwendig, und bestehend erscheinen?

Der Marquis schwieg einen Augenblick. Meine Freundin, hub er nach einer Weile an, ich bin unruhig in mir selbst geworden. Ich glaubte mit dem Außenleben fertig zu sein. Ich durfte das lange Zeit glauben, jetzt scheint die allgemein menschliche Wirksamkeit die gefristete Stundenzahl einzufodern, ich weiß nicht, wie ich mich darin finden werde, ich weiß nicht, wie ich mich überhaupt finden soll! Der Blick für das Maaß und die Verhältnisse des ganzen Außenwerkes ist mir verloren gegangen. Man hat den Boden unter mir verschoben, deshalb stehe ich zu dem neuen Leben in schiefer Richtung, und alles darin stört und verletzt[83] mich. Urtheilen Sie nun, wie überraschend, wie erwünscht es mir ist, Sie zu finden, der ich getrost den verwickelten Faden in die Hand geben kann, die Töchter daran fortzuleiten, ohne selbst meine eigenste Welt zu verlassen, die ich niemals verlassen kann, in der weder Sie, noch irgend einer mich findet, und die deshalb jedem verschlossen bleiben muß, den nicht tiefe Nacht die flammenden Hieroglyphen entziffern lehrte. Pauline, es ist etwas fruchtbar Heiliges um die Nacht; glauben Sie mir das! sie spinnt ihre Fäden durch Schlaf und Traum, wirkt und webt Bilder in die Seele, die aus Gräbern hinaufsteigen, die Decke von dem tiefen Grunde wegziehen und hinweisen auf das große Räderwerk des ewigen Weltmechanismus! Der Schlüssel, der ihre Thore öffnet – Er hielt betroffen inne, – der Schlüssel – mein Gott! wohin hat mich der geführt! –

In die Welt! unterbrach ihn die Baronin etwas ungeduldig. Täuschen Sie sich nicht, Sie kommen so leichten Kaufs nicht los! Das Leben hat Sie einmal gerufen, es giebt Sie nicht wieder frei. Doch lassen wir das! es findet sich von selbst am besten. Vor der Hand nur das Nächste. Der Augenblick hat uns, wie viele Andere, unversehens zusammengeführt. Sie reichen mir die Hand, aus Großmuth? aus bequemer Eil die eigene Ruhe[84] zu erretten? ich will nicht grübeln! Nehmt mich hin, Ihr Kinder, rief sie, beide Mädchen umschlingend! Ich berge es nicht, mir bangte recht nach Herzen, die meines Stammes Blut bewegt, sich höre wieder Frankreichs Sprache! Paris, die Welt, die Jugend, das volle Leben ist wieder da! Ich liebe auch das Fremde, es sieht oft so groß, oft recht zierlich aus, aber wenn ich denke, daß es mich festhalten will, dann ist mirs ein Gräuel! Seht! so habe ich unzählige Thränen auf die Kantenarbeit fallen lassen, die Nadeln da auf dem grünen Kissen drückten sich mir jedesmal ins Herz zurück, die Hände zitterten vor Ungeduld, dacht' ich, daß all die Schlingen und Oesen mein armes Dasein so eng einspannen. Und doch werde ich noch recht oft Kanten knöppeln! Es ist ein liebes Spiel! Man wirft die Fäden so hin und wieder, wie oft die Menschen und die Ereignisse im Leben, und wenn es fertig ist, ist's doch etwas! Werdet Ihr mich auch lieb haben Kinder? fragte sie jetzt, ohne Eure Liebe könnte ich nicht eine Stunde unter Euch sein. Du da, mit den Junoaugen und der wunderbaren Stirn, sie strich Antonien leise über die Augenbrauen, was liegt da für eine dunkle Welt? Eine Welt voll tiefer Liebe, sagte Antonie, schnell auf ihre Hand gebeugt. Die Baronin küßte ihr die Stirn. Du hast was Eigenes,[85] Kind, sagte sie, was Fremdes! ich muß Dich wider Willen ansehn! Nun wir werden uns alle in ein ander finden lernen!

Marie flog jubelnd durch das Häuschen, erzählte Bertrand, Felicitas, allen die es hören wollten, daß sie eine liebe Verwandte, die Tante Clairval gefunden hätten, und nun immer mit ihr sein, mit ihr reisen, und vielleicht auch nach Frankreich zurückkehren würden. Alle nahmen Theil, besonders freuete sich Felicitas des Glückswechsels ihrer ehemaligen Beschützerin, sie setzte hinzu: sie habe sie zwar gern ihr kleines Handwerk gelehrt; doch habe es sie jedesmal geschmerzt, es sie so ängstlich, des Gewinnftes willen, treiben zu sehn.

Der Marquis hatte indeß der Baronin das Schmuckkästchen seiner Frau gegeben, und sie gebeten, dasjenige herauszunehmen, was ihr jetzt am nutzbarsten zu sein schiene. Sie empfing es nicht ohne Erröthen, und hielt das sauber ausgelegte Maroquinfutteral einen Augenblick, unschlüssig, was sie thun solle? Doch öffnete sie es. Steine und Perlen sahen schön von dem weißen Sammet herauf, mit welchem die innern Fächer ausgelegt waren. Die Baronin ließ überrascht den Deckel wieder zufallen. Helle Thränen schossen ihr in die Augen. Die furchtbarste Sprache in der Natur,[86] sagte sie, hat das Leblose, es fällt wie eine Leiche auf unsere Brust! Ein ausgeräumtes Haus, ein Kleid, ja ein bloßer Handschuh, können einem die Seele zerreissen! und nun diese Steine! Aus jedem sieht mir das liebe Gesichtchen entgegen! Sie setzte sich, das Futteral vor sich auf den Tisch legend! Lange spielte sie gedankenvoll an dem silbernen Schloß, dann öffnete sie es langsam, als wolle sie sich mit dem Anblick bekannt machen. Die Schwestern sahen ihr neugierig über die Schulter, aber Antonie hatte kaum einen halben Blick hinein gethan, als sie schnell nach eines Mannes Bild, reich mit Steinen eingefaßt, griff, und unruhig fragte, wer der Herr sei? Mein Bruder, der Herzog, entgegnete die Baronin. Ohne weiter Antonien zu beachten, nahm sie das Bild, und zu dem Marquis gewandt, sagte sie; wenn ich die glänzende Einfassung hier abnehme, will ich denken, ein Theil von dem verlorenen Glanze des armen Herzogs, wie des Vermögens meiner Väter, sei auf mich gekommen, und ich empfange nur, was mir früher zukam. So schalte ich wie mit dem Meinen, und mir ist wohler Ihnen gegenüber. Kommt eine Zeit der Ausgleichung, so wird das Spiel ein ernster Tausch, wo nicht – so löscht eine höhere Hand meinen Schuldbrief.[87]

Antonie faßte jetzt mit großer Heftigkeit der Baronin Hände, sah ihr fast bittend in die Augen, ließ dann langsam die Hände sinken, und wandte sich schweigend ab. Die Baronin verstand sie nicht, sie schüttelte den Kopf, sagte indeß nichts weiter, sondern schritt gleich zur Ausführung dessen, was sie so eben dem Marquis mitgetheilt hatte. Deshalb hieß sie dem herzukommendem Juwelier, ihr das Bild sauber aus der Fassung heben, diese dann abschätzen, und den Handel selbst übernehmen, oder ihn gefälligst anderweitig zu besorgen.

Der Mann ging sogleich an die Arbeit. Felicitas stellte sich neben ihn, den Werth der Steine mit ihm zu besprechen, sie wollte der Freundin gern zum Vortheil, und sich auch nicht zum Schaden die Sache eingeleitet wissen, und legte Maaß und Gewicht in ihre Blicke, die auf und ab über das Bild hingleiteten. Die Schönheit der Züge fiel ihr daneben auch in die Sinne, sie faßte sie daher scharf auf, und sagte, da ihr die Sache klar ward: ich habe den Herrn kürtzlich gesehn, als die französischen Regimenter die Stadt besetzten. Ihn gewiß nicht, erwiederte die Baronin, vielleicht seinen Sohn, denn die Aehnlichkeit ist sprechend, vergleiche ich diesen mit dem, was der Herzog in seinem Alter war. Nun, auch mit Ihnen, gnädige[88] Frau, sagte Felicitas, ist die Familienähnlichkeit sehr auffallend. Antonie fuhr schmerzlich mit der Hand auf die Brust; sie fühlte dort den Dolch, welchen sie vergessen hatte, sah verwirrend zur Erde, und ging mit gesenktem Auge zum Zimmer hinaus.[89]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 71-90.
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