Elise an Hugo

[300] Der Einfall, mir durch den Hausirer zu schreiben, war recht glücklich. Ich empfing Ihren Brief zu einer Stunde, wo ich allein war, und Vieles mit mir abmachen konnte. Sie haben recht, da wo ich Sie verstehe. Allein ich glaube, Sie reden klarer, als Sie schreiben. Ich kann mir wohl vorstellen, daß Sie geschriebene Auseinandersetzungen scheuen. Es wird einem damit unter der Hand anders, als man will! für Leute, wie Sie und ich, die nicht anders als wahr sein können, ist eine solche Künstelei unerträglich. Allein halbe Andeutungen können auch eine Sünde gegen die Wahrheit werden.

Ich bin nicht gewohnt, meine Freunde auf Socken um mich herum schleichen zu sehen. Das hilft auch zu nichts. Ich höre sie kommen, und bin nicht eher ruhig, bis ich weiß, was mir naht. Sie, Hugo, treten an manchen Stellen Ihres Briefes dreist genug hervor. Es kann nicht Ihre Absicht sein, mir zu entschlüpfen. Sie wollen sich eine Mühe ersparen, und ich soll Ihre Aphorismen ergänzen.

Ich verstehe das nicht. Mir sind dergleichen Räthsel eine Qual. Kurz und gut, sagen Sie, in einfacher Prosa, ohne Ausrufungen und Phrasen,[300] wie die Gefahr heißt, die Sie heranrücken sehen. Ist sie mehr als ein Luftbild, das in Ihren Burgnebeln schwimmt, so haben Sie unrecht, sich nicht bestimmter darüber auszulassen.

Es ist so viel Fremdes in Ihrer pathetischen Beschwörung, nicht weiter forschen zu wollen, daß ich mich erst auf Sie besinnen mußte, ehe ich Sie wieder erkannte.

Sie waren zu gespannt, als Sie schrieben, um zu bedenken, was Sie forderten. Genügen soll ich mir lassen, daß Sie wissen, was Sie mir verbergen, ohne es abwehren zu können?

Nun, beruhigen Sie sich. Ich weiß es, und verliere weder Fassung noch Muth.

Konnten Sie glauben, man werde mich schonen, wenn man überhaupt den Sinn für Zartheit verläugnet? Wo die Fähigkeit des Verstehens fehlt, können verletzende Mißgriffe nicht ausbleiben. Es ist viel schwerer, als man denkt, mit gutem Gewissen durch die Welt zu kommen. Die Menschen nehmen an Allem Aergerniß, und ein Herz, wie das meine, möchte das gern Jedem ersparen. Aber das ist vergebene Mühe!

Ich bin unbefangen, und gebe mich so. Die Wenigsten wollen das glauben. Es mag auch wohl für alle diejenigen schwer sein, welche Zwecke[301] und Absichten haben. Ich hatte niemals andre, als mir in jedem Augenblicke treu zu bleiben, das heißt, dem innern Gefühle nicht entgegen zu handeln, das mich zu Offenheit und Wahrheit zwingt. Ich sagte das gestern, bei irgend einer Gelegenheit in des Caplans Gegenwart. Er sah mich überrascht an, ohne etwas zu erwiedern. »Nun?« fragte ich, aus guten Gründen bemüht, mich mit ihm zu verständigen. »Ich zweifle,« äußerte er bescheiden, »daß es uns gerade durch das Gefühl klar werden könne, was das eigentliche Wahre in uns sei.«

»Gerade im Gefühl!« entgegnete ich lebhaft, »wo dies unverdorben ist, hat es eine Stimme, die uns leise und hörbar zuruft: du belügst dich selbst! hüte dich!« »Wo das Gefühl unverdorben ist?« wiederholte der bleiche Tavanelli. »Wo ist das? werden unsere Leidenschaften uns nicht auch glauben lassen, wir folgen den Geboten eigenthümlicher Wahrheit, da es doch nur die Lüge geblendeter Sinne ist, die uns eine andere Natur aufzwingt?«

»Ich halte nicht viel,« erwiederte ich kalt, »von den zwei Naturen, zwischen denen man uns herumhetzt, ohne daß das gequälte Gemüth jemals zur Ruhe kommen kann. Das sind Bilder,[302] um die Undeutlichkeit der Begriffe klar zu machen. Es geht damit, wie mit allem Bildlichen, man hält dieses fest, und läßt den Gedanken fahren.« –

»Wie?« unterbrach mich mein Gegner erstaunt. »Sie glauben nicht an ein Doppelwesen in uns, dessen wechselndem Regimente wir erliegen würden, hätten wir nicht eine höhere Vermittlung?« »Sprechen Sie Ihr Anathema nicht all zu eilig über mich aus,« lächelte ich vertraulich. »Ich bin keine so große Ketzerin, um den Einfluß des Bösen und Guten aus der Welt des Menschen wegphilosophiren zu wollen. Allein ich halte dafür, beides entspringe aus einer Natur, die, ihrem Wesen nach, göttlicher Art ist, und nur durch falsche Beziehungen des Lebens verzerrt und entstellt wird.« Er schüttelte den Kopf. »Wäre es auch so,« sagte er ernst, »was sichert uns, daß wir, unter den unzähligen Trugbildern der Sinne, diese ursprüngliche Natur in uns finden?« –

»Wir drehen uns im Kreise herum,« rief ich aus. »Ihre Frage ist schon durch meine erste Annahme beantwortet. Jenes instinktartige Gefühl, das wir den himmlischen Theil unsers Selbsts nennen sollten, das warnende Wort einer[303] unsichtbaren Stimme, das sichert uns vor aller trügerischen Verwechselung.«

Der Caplan wollte mich hier unterbrechen, allein wir verstummten beide vor Eduards Dazwischenkunft. Ihnen aber, Hugo, habe ich das mitgetheilt, um Ihnen zu zeigen, was mich gegen Angriffe stählt, denen Sie nicht sonderlich zu begegnen wissen. Ein Paar schlechte Epigramme aus der Ulmensteiner Klike, eine Wolke auf der Stirne Ihrer Schwiegermutter reichen hin, Sie außer Fassung zu setzen. Sind das Ursachen, um einer Melancholie Raum zu geben, die Sie in der Freundschaft schwankend, in allen andern Verhältnissen schwach und ängstlich erscheinen läßt? Während Sie sich einbilden, die Gränzen einer Region bewacht zu haben, welche Sie meinem schwachen Vermögen anweisen, vergessen Sie, daß Ihr Eifer ziemlich ins Schrankenlose ausartet, und ich viel Muth haben muß, um einen Brief zu beantworten, der so auf Schrauben steht und nichts oder zu viel sagt.

Ich wiederhole es Ihnen, ich bin unbefangen, und gebe mich so. Auf dieser Unbefangenheit beruht mein Vertrauen zu Ihnen, mein Verhältniß zu Ihrem Hause. Zeigen Sie sich ängstlich, so haben Sie mich nie gekannt.[304]

Deutlicher mag ich hier nicht reden. Genug, ich wünsche nicht, daß auch Sie dem ganz Natürlichen künstliche Farben anlegen. Die häusliche Unzufriedenheit, die Sie jetzt wohl zu Zeiten drückt, macht Sie zum Sclaven Ihrer Stimmung. Der Unwille darüber steigert die Empfindlichkeit in Ihnen bis zur Leidenschaft. Ich kann das begreifen und verzeihen. Allein so weit dürfen Sie sich nicht vergessen, daß Sie Emma's Weg durchkreuzen. Sind Sie unbillig genug, ihrer Freiheit zu nahe zu treten, während Sie eifersüchtig über die eigene wachen?

Lassen Sie sie gehen, wie sie kann. Ich verstehe Ihre Unruhe über einen Briefwechsel nicht, der ganz natürlich auf dem Verhältniß gegenseitiger Uebereinstimmung beruht. Wollen Sie den Austausch aller Ansichten hemmen, die nicht die Ihrigen sind, wen nennen Sie denn noch Tyrann in Ihrem Geschlechte, wenn Sie es nicht sind? Ich habe mich geschämt in Ihre Seele, daß Sie eine Zufälligkeit blos darum so hoch anschlagen, weil sie zu ungewöhnlicher Stunde Ihre kranke Phantasie erschütterte. Wie, wenn der hausirende Walter Ihnen heute Abend meinen Brief eben so unerwartet überbrächte, wäre er auf verbotenem Wege zu Ihnen gelangt?[305]

Emma mag glauben und denken wie sie will, sie hat einen hohen Sinn, und kleinliche Machinationen sind Niemand fremder als ihr.

Fürchten Sie übrigens nichts von Tavanelli. Leute seiner Art, sind entweder bei näherer Beleuchtung anders, als wir sie uns denken, oder dieser ist zu weich und erregbar, um sich in strenger Abgeschlossenheit bewahren zu können. Er wird nie meinen Rechten auf Georg zu nahe treten, und nicht um die Welt, könnte er mich in dem Knaben verletzen. Ich denke, wir werden uns wohl verständigen. Ueber den ersten Schreck hinaus, konnte es auch nicht fehlen, daß mich ein ordentlicher Entschluß zu gewünschten Resultaten führen mußte. Taugte der Mann nur etwas, so ließ sich leicht abnehmen, daß wir auf gemeinschaftlichem Wege einander nicht fremd bleiben würden. Und nun ich Sie gescholten und beruhigt habe, mein armer Freund! will ich Sie auch bedauern, und Ihnen die Last unvermeidlicher Widersprüche tragen helfen, die zu gewissen Zeiten, und in manchen Stimmungen geringern Widerstand als sonst in uns finden. Man kann da mit Niemanden rechten, warum er die Dinge so und nicht anders sieht? Es giebt nur einen Gesichtspunkt für ihn.[306]

Hugo, Sie haben sich selbst bei dem Kauf um Ruhe und Frieden gebracht. Jetzt reuet Sie der Handel; zumal, da man nicht müde werden wird, zu fordern, und Sie doch einmal »Halt!« rufen müssen.

Das kommt von dem gleichgültigen Geschehen lassen. Man wußte es hier gleich, daß der Fürst bei Ihnen war, und fabelt davon allerlei. Können Sie denn nicht einen Augenblick stehlen, um zu mir zu kommen? Ich habe Ihnen tausenderlei zu sagen, was sich nicht schreiben läßt, was ich wenigstens nicht weitläuftig abhandeln mag. Oft sind ein Paar mündliche Worte von unermeßlichem Werthe! Bedenken Sie dieses!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 300-307.
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