Elise an Sophie

[1] Der redselige Walter hat nicht zuviel gesagt. Der erwartete Gast ist wirklich auf dem Schlosse des alten Comthur angekommen. Gestern, bei unserer Rückkehr von Ihnen, sahen wir, während das Schiffchen den Strom hinabglitt, die Fenster im obern Stockwerk der Burg erleuchtet. Dort brannte seit ewigen Zeiten kein Licht.

Mein kleiner Georg, der unter dem Vorwande der Müdigkeit, sich von mir auf dem Schoos hätscheln ließ, machte mich zuerst aufmerksam darauf, denn, indem er die allerliebsten Augen bald zusammen kniff, als wollte er schlafen, bald von hunderterlei, das um ihn vorging, angeregt, sie wieder öffnete, streckte plötzlich das Händchen aus, und rief: »ein großer Stern, Mama!« Ich mußte lachen, als ich, der Richtung seiner kleinen Finger[1] folgend, den zusammengezogenen Lichtstrahl hinter den Bäumen entdeckte, und mich dabei Walters Wichtigthun, bei Erwähnung des unbekannten Fremden, erinnerte, der Gevatterinnen und Gastwirthen ein erwünschtes Räthsel sein wird, über das ich schon viele die Köpfe zusammen stecken sehe. Nun ich merke, ich, ich mache es nicht besser, als jene! Die Neugier gehört gewiß zu den Erbsünden; denn es theilen sie meist alle Men schen mit einander. Und was man gleich für Mährchen zusammen spinnt. Unten im Amthofe hat man in vorletzter Nacht eine sechsspännige Kutsche, von mehreren Leuten zu Pferde begleitet, vorbei fahren sehen. Sie nahmen die Richtung nach den Bergen zu. Höchstwahrscheinlich waren es die Schloßgäste. Denke ich nun an Georgs großen Stern und die geheimen Anstalten auf der Burg, so haben wir das intrikanteste Abentheuer von der Welt ganz in der Nähe.

Ich schreibe Ihnen das in aller Eile! theils um Recht von Ihnen zu behalten, in Bezug unsers gestrigen Streites über des Comthur bizarre Hypochondrie, theils um die Anwesenheit unsers Merkurs, des flinken Walters, zu benutzen, der stehenden Fußes zu Ihnen hinüber will, um seinen neu auf der Frankfurter Messe erhandelten Kram, vor[2] Ihnen auszulegen. Beiläufig gesagt, solche umherstreifende Hausirer sind doch bequeme Werkzeuge für den Verkehr auf dem Lande! Mit den Waaren tragen sie auch gelegentlich Bestellungen, Briefchen und diese und jene Botschaft zu ihrer Behörde. So schaffen sie Theilnehmer für Freude und Leid.

Nach dieser Lobrede auf Walters Beruf, die eigentlich ihm selbst, und dem Zufalle galt, der mir ihn gerade heute in den Weg wirft, will ich denn nun auch mit dem Bekenntnisse schließen, daß mir die Unvorsichtigkeit, so spät durch die Nacht mit dem Kinde über den Fluß gefahren zu sein, einen kleinen Verweis von Eduard zugezogen hat, der mich weniger verletzt, als ihn verstimmt, was denn immer wie Wolken an meinem Himmel vorübergeht.

Liebe Sophie, es wäre noch Manches über das rasche Umschlagen der Laune, und das Aetzende der Uebel zu sagen, die alles, am liebsten aber die Süßigkeit des Friedens wegzehrt, führte das Eine nicht zu vielem Andern, was keine Erörterung erlaubt. Leugnen kann ich mir es aber nicht, daß ein Instrument, welches den Ton nicht mehr[3] halten kann, an dem die Wirbel zu lose wurden, um die schlaffen Saiten wieder straff anzuziehen, vergeblich vor jeder Berührung bewahrt wird, die äußere Lebensluft dringt hinein und reißt disharmonische Töne heraus.

Ganz mag das mein langes Außenbleiben gestern wohl nicht entschuldigen, aber glauben Sie nur, zu manchen Zeiten kann der Wind so oder so herkommen, es giebt immer Gewitter! Nun, auf baldiges gutes Wetter! was wir auch in gewöhnlichem Sinne gebrauchen können, denn ich möchte Ihnen wohl auf morgen eine Partie auf den Burgwall, bei der Tannenhäuserin, vorschlagen. Die Frau hat eine saubere Wirthschaft, und ihre wohleingerichtete Wohnung am See ist vielfach von Gästen besucht. Bedenken Sie, den Sonnabend bin ich frei. Eduard hat Vortrag, und muß zur Stadt, wo er bis zum folgenden Tage bleibt. Also – –

Und bringen Sie mit, wen Sie werben können. Ich, meiner Seits, werde alles anordnen. Sie denken wohl, daß ich mich für die kleine Mühe reichlich durch die Unterhaltung mit der ehemaligen Schaffnerin des Comthur wieder bezahlt machen will! Merken Sie jetzt die Absicht? – Lachen Sie mich immer aus. Man lebte nur halb,[4] bekümmerte sich nicht Einer um den Andern, und gäbe es nicht Geschwätz und Geschichten.

E.


N. S.

Zur Steuer der Wahrheit kann ich das Blatt nicht ohne Commentar abschicken. Die sechsspännige Kutsche hat sich in eine offne leere Chaise, mit vier Pferden bespannt, verwandelt, welcher ein Reuter, in einiger Entfernung, folgte. Ob der nun zu der Equipage gehörte oder nicht? das steht dahin. So schrumpft meist alles zur Unbedeutenheit zusammen, was einem, Wunder wie wichtig, zur Behauptung einer abentheuerlichen Grille dünkte! Adieu, liebe Sophie!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 1-5.
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