Elise an Sophie

[17] Können Sie sich denn keinen Augenblick abmüßigen? – Ich sitze hier in tausend Aengsten, von Gewissensbissen und Sorgen gemartert. Fort kann ich nicht, allein wird mirs zu viel, und Sie schweigen und kommen nicht.

Denken Sie nur ums Himmels Villen, die gute kleine Amtmannsfrau ist tödlich erkrankt. Erhitzung, Erkältung, Gott weiß, ob on später her oder jetzt erst veranlaßt? hat sie mit einem Fieber niedergeworfen, das selbst den Arzt für ihr Leben zittern läßt.

Gestern Abend ward ich hinüber gerufen. Die Leute wußten nichts mehr mit dem Manne anzufangen. Ich war im Augenblicke dort. Schon von aussen hörte ich die Kranke laut und hell[17] sprechen. Mir schlug das Herz, die Kniee zitterten mir, ich öffnete zögernd die Thüre.

Vorn, in der Wohnstube, saßen die ältesten Knaben und weinten still in ihrem Winkelchen. Ein allerliebstes kleines Mädchen aß in seliger Unbewußtheit unter Lachen und Kreischen die Abendsuppe. Der rüstige starke Amtmann schwankte mit gefaltenen Händen, ganz zusammengebrochen, von einer Thüre zur andern, wollte Dies und Jenes bestellen, holen, wußte nicht, was er sagte, was er that; die Augen waren ihm, von der ungewohnten Thränenfluth, wie erloschen, die Stimme bebte, unaussprechlicher Jammer sprach aus den schlaffen Zügen.

Als er mich gewahr wurde, brach er von neuem in Thränen aus. Ach! stöhnte er, meine Hand in der seinen pressend, und sie krampfhaft festhaltend! »Wer hätte das gedacht.« Es war alles, was er hervorbringen konnte. Während dem rief ihn die Kranke wiederholt. Er stürzte an ihr Bett. Sie schien unruhig. Es waren aber nur wirthschaftliche Erinnerungen, die sie zu machen hatte. In diesem Augenblick war sie gewiß besonnen. Es hatte alles Zusammenhang, und Hand und Fuß, was sie sagte. Ich näherte mich ihr. Sie bemerkte es. Ganz verständig sagte sie[18] mir guten Abend. Ich drückte blos ihre Hand, die sie mir reichte, ohne etwas zu sagen, aus Furcht, sie durch fremde Vorstellungen zu verwirren. Allein die Vorsicht war unnütz. Mein bloßer Anblick zog sie in ein Zwielicht schwankender Erinnerungen zurück. Sie lächelte, sprach von ihrem Vater, und sagte dann noch etwas, das mir recht auffiel. Es war, als rede sie vom Comthur, indem sie des Fremden auf dem Schlosse erwähnte und hinzu fügte: Jetzt bereuet er alles! was wird's helfen! der Bruder ist todt! Der junge Mensch! – – Sie warf den Kopf in die Höhe, so, als gehe sie der nicht sonderlich viel an. Hernach fragte sie etwas, das ich nicht verstand. Das ging alles durch einander. Allein jedesmal, wenn ihr die Besonnenheit zurückkehrte, war sie mit den Gedanken in ihrer Wirthschaft und den häuslichen Angelegenheiten. Sie hatte recht freundliche Worte für ihren Mann. Der Kinder gedachte sie nur, in Hinsicht ihrer Pflege und Wartung, auch Einiges zu erinnern. Verfiel sie dann wieder in Phantasien, so hatte sie eine ganz andere Sprache, erhöhte Gefühle, confuse, aber doch besondere Bilder. Es war Vater und Mutter, und eine schöne Zeit der Jugend, von der sie mit Liebe träumte.[19]

Sophie! in welcher von beiden Welten leben wir denn eigentlich? in der sichtbaren oder unsichtbaren? Wenn es gerade umgekehrt wäre, und wir hier träumten und dort wachten!

Die meisten Menschen, und wir selbst vielleicht, würden es übel nehmen, wenn man zu behaupten wagte, wir gingen wie Nachtwandler umher. Der Ernst, den wir an unsre kluge Geschäftigkeit setzen, bedeute am Ende nicht mehr, als der im Traume, worüber wir beim Erwachen so vielen Spaß haben.

Doch, was sollen die bizarren Reflexionen hier, wo die einfache Wahrnehmung so traurig ist! Wir blieben in großer Spannung über die Kranke. Es konnte nichts für sie geschehen, bis der Arzt kam. Endlich ward er herbeigeschafft. Er trat in das Haus, ohne daß der Amtmann das Herz hatte, ihm entgegen zu gehen. Ich that es an seiner Stelle. Sie wissen, ich glaube nicht leicht das Schlimmste. Ich zitterte daher nicht vor dem Ausspruche des Einzigen, der hier, mit der richtigen Einsicht, auch Hülfe bringen konnte. Ich beeilte mich nur, dem Manne, der mir übrigens fremd, und hier in der Familie nur wenig bekannt war, eine allgemeine Uebersicht von dem vorliegenden Falle zu verschaffen. Er hörte[20] mehr höflich als beachtend zu, zeigte sich eilig, nahm von allem Aeusserlichen obenhin Notiz, und flößte mir eher Mißtrauen als Glauben an seine Fähigkeit ein. Ich wandte mich daher ab, als er sich dem Bette der Kranken nahte. Des Amtmanns ganze Seele hing indeß an seinen Blicken. Auch die armen Kinder standen lauschend in der Thüre. Es war indeß auf dem, plötzlich ganz Auge und Ohr gewordenen Gesichte des Arztes, nichts als fortgesetztes Forschen, aber keine Spur eines Urtheils zu lesen.

Mit demselben Ausdrucke in der Miene stand er jetzt von seinem Platze, an dem Krankenbette, auf, indem er sehr bestimmt sagte: »Nun, ich werde etwas verordnen;« worauf er Feder, Dinte und Papier forderte, rasch zwei Worte aufschrieb, und einen reitenden Boten nach der Stadt sandte, dem er Eile empfahl.

Niemand befragte ihn. Er verstand das. »Ich kann nichts entscheiden,« äusserte er nach einer stummen Pause. Für die kurze Zeit der Krankheit hat sich das Uebel so sehr ausgebildet, daß man nicht wissen kann, ob es schon ganz da, oder nur der Vorläufer von etwas ist, das noch dahinter steckt. Er ging von nun an sogleich zu Fragen und Erkundigungen über, und sah es jetzt[21] recht gern, daß ich im Stande war, ihm gehörige Auskunft zu geben.

Seine Art fing an, mir zu gefallen. Erst wollte er sehen und dann hören, was ihm nöthig dünkte, um weiter vorzudringen. Mein rasches Entgegenfahren war ihm unbequem. Er hatte recht. Es half ihm zu nichts.

Ich gewinne leicht Achtung für Leute, die ihre eigene Art haben und behaupten. Deshalb ward ich auch hier ruhiger, und tröstete die Familie, die des Doctors Zurückhaltung peinigend drückte.

Die Nacht ging auf diese Art hin. Die Kinder schliefen endlich ein. Am Morgen fanden sich unwillkührlich alle Gemüther mehr im Gleichgewicht. Man hoffte nichts Bestimmtes, aber das Gefürchtete stand doch ferner.

Es ist ohngefähr noch so. Indeß fühle ich dem Arzt an, er greift behutsam, aber unbefriedigt nach dem unsichtbaren Faden durch dies Labyrinth. Wenn die Frau stürbe! Mein Gott! die Kinder, der Mann! – Sophie, es ist doch etwas sehr Tiefsinniges um Familienbande. Welch geheimnißvoller Verein! Und was heilt den Riß, den hier der Tod machen kann! Das Leben? – Ja, es gleicht äußerlich alles aus, aber die[22] Kinder ohne die Mutter! Die Welt ist nicht reich genug, die Lücke zu füllen.

Ein ganzer Tag und eine Nacht ist wieder vorüber. Wir stehen auf dem alten Fleck.

Mir ist so beklommen, als läge ein Fels auf meiner Brust.

Was daraus werden wird!

Der Arzt ist jetzt in der Stadt. Er kommt erst spät Abends.

Ich bin unaufhörlich auf den Beinen, entweder hinunter nach dem Amthofe oder hierher zurückzugehen. Deshalb flüchte ich mich auch nur auf Momente mit der Feder zu Ihnen. Ich thäte es gern mit Leib und Seele. Allein, fort kann ich nicht von hier, so sehr mich auch alles preßt und klemmt. Ich hielte es nicht in der Ungewißheit anderwärts aus. Die Familie ist zu unglücklich.

Walter war eben hier. Er kam von Ihnen. Ist es wahr, was er behauptet? Sie verreisen? Ihre Leute haben es ihm anvertraut, und Sie selbst es angedeutet, indem Sie grauen Taffet zu einem Staubmantel, und einen grünen Schleier von ihm kauften.[23]

Was gehen Sie denn für Umwege mit mir, Sophie? Ein Fremder war bei Ihnen. Ein junger, feiner Herr, wie Walter versichert. Im Hause wußte man seinen Namen nicht. Wenn es der wäre, den ich meine.

Es ist mehr als wahrscheinlich. Ihr plötzliches Verstummen und Abwehren führt auf seltsame Schlüsse.

Leben Sie wohl! Ich bin betrübt und verdrüßlich, seit Sie die Geheimnißvolle gegen mich spielen.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 17-24.
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