Elise an Sophie

[101] Nein, ich schelte, ich urtheile nicht über Sie. Es ist zu viel Wehmuth in mir, um der Galle Raum zu geben! Könnte ich es bis zum Unwillen bringen, ich wäre einer großen Last überhoben! Der Kummer schwächt mich. Ich habe ungern mit ihm zu schaffen.

Mein Gott! wie hängt Eines am Andern! Ich dachte es gleich, als Sie abreisten. Es war der erste Riß in dem sanften, beruhigenden Gewohnheitsleben. Ich dachte es gleich, dabei bleibt es nicht!

Solche Erschütterungen machen gewöhnlich einen Abschnitt in den Verhältnissen. Die unterbrochene Zeit scheidet sich in zwei Stücke. Das erste ist durchlebt, es liegt hinter uns. Von dem, was kommen wird, wissen wir nichts. Aber haben Sie schon gesehen, daß ein geschürzter Faden keine Spur des Knotens zurückließe? Geben Sie Acht, an dem Absatz oder Höcker im Gewebe geht viel, viel von der bisherigen Uebereinstimmung verloren.

Sie haben eine seltene Gabe, sich Ihren Freunden unentbehrlich zu machen! Es ist eine Leere um mich entstanden, die der ganzen Gegend die unfreundlichste Kälte giebt. Ich weiß nicht,[101] wo ich mit mir selber hin soll. Werden Sie es glauben? Die Zeit wird mir lang! Und das ist mir so neu, so unbequem, daß ich, aus Schaam und Mitleid mit mir selbst, weine.

Kennen Sie wohl die Stimmung, wo Einem Muße und Beschäftigung, beide gleich lästig sind. Ich kenne und verabscheue sie, und doch werde ich sie nicht los.

Es ist nicht allein die Trennung von Ihnen, die mich so abspannt; weit eher ist es Ihr Brief. Sie rollen in diesem ein Blatt Ihres Innern auf, und lassen mich gleichwohl nichts anders als den räthselhaften Titel eines langen Romans lesen. Ich weiß es jetzt gewiß, Sophie, eine tiefe, noch jetzt fortdauernde Leidenschaft brachte Sie in die Mauern Ihres Stiftes. Die Gräfin gab längst etwas Aehnliches zu verstehen, und ihre Schuld ist es auch wahrhaftig nicht, wenn ich den Gegenstand nicht kenne. Ich gestehe Ihnen, es war nicht sowohl Bescheidenheit, als unüberwindliche Scheu, was mich ihre Mittheilungen vermeiden ließ. Von Ihnen konnte ich nur durch Sie selbst hören. Solche verstimmte Bruchstücke aus der Geschichte eines Herzens sind mir immer ein Gräuel gewesen.[102]

Die Gräfin lachte mich aus. Sie glaubte mich von allem unterrichtet, und behauptete, ich spiele die Unwissende aus Verschwiegenheit. Ich gab das weder zu, noch bestritt ich ihre Meinung. »Gehen Sie, kleine listige Katze,« rief sie mir mit dem aufgehobenen Finger drohend, »Sie haben sich neulich bei dem Besuch des Comthur verrathen.« – Ich sah sie überrascht an. Das Blut trat mir, mit einem plötzlich aufschliessenden Gedanken, in die Wangen. Die Gräfin bemerkte es nicht sobald, als sie auf meine verwunderte Frage: »bei dem Besuche des Comthur?« vor Entzücken, mich ertappt zu haben, laut jubelte, sich abwandt, und mich stehen ließ.

Sophie! auch Ihnen möchte ich wiederholen: »bei dem Besuche des Comthur.« Weshalb erwähnen Sie in Ihrem Briefe gar nichts von allem, was der meinige enthielt? Warum schweigen Sie jetzt bei dem Namen eines Mannes, den Sie vertheidigten, wenn ich ihn angriff, ohne ihn zu kennen?

Es ist überall solch schwankendes Andeuten, jene unselige Allgemeinheit der Gefühle, die mich immer ungeduldig macht, in dem, was Sie sagen und verschweigen, daß ich schon deshalb nicht anders[103] als unbefriedigt, geängstet und mißmuthig sein kann.

Georg ist ein Engel! Er saß mir gegenüber, als ich schrieb, und schnitzte sein hölzernes Pferdchen aus einer Fliedergerte zurecht. Ich hatte die Feder in der Hand, und heftete, wie ich es öfter thue, den Blick auf irgend einen Gegenstand meiner Gedanken. »Warum schreibst Du denn nicht?« fragte er, während er Ruthe und Messer sinken ließ, und mich klug und prüfend ansah. »Vater schreibt immer, wenn er einmal dabei ist,« fuhr er nachsinnend fort. Ich lächelte. Er sprang mir schnell auf den Schooß, schlang beide Arme heftig und fest um meinen Hals, und fing an zu weinen. »Sei nicht so traurig!« schluchzte er, »Du siehst so traurig aus, warum lachst Du denn nicht? Lache doch! bitte, lache doch!« rief er immer dringender. Ich war fast erschrocken. Wie hat das kleine Seelchen so schnell und ahndungsvoll das Gegenbild der meinigen aufgefaßt! Denken Sie doch, Sophie! ich sah ihn ja freundlich an, als er zu mir sprach. Und doch! und doch! Wie anders liest der Knabe in meinen Blicken als – Doch genug! er wenigstens wird mich verstehen, und hierin ist unendlicher Trost.[104]

Ich komme von des Amtmanns Gut, und habe dort ein Paar angenehme Stunden zugebracht.

Georg war einmal aus seinem Spiel heraus. Die Thränen der Kinder sind an manchen Tagen schneller erregt, als gestillt. Der Rührung folgte Unwillen, und ich mußte nun ein Uebriges thun, um ihn aufzuheitern. Die Weintrauben drüben am Spalier, dachte ich, werden ihn wohl auf andere Gedanken bringen.

Ich gab ihm die Hand, nahm das schlanke Pferdchen in die andere, so gingen wir beide, immer noch ein wenig verstimmt, bis an das grüne Gitterthor mit den weißen Spitzen. Es war offen. Die Kinder des Amtmanns fuhren auf einem kleinen Wagen, den ein geduldiger Esel zog. Körbe mit abgeschnittenen Trauben standen darauf. Der Weg ging nach dem Winzerhause, unten am Berge. Georg riß sich sogleich von mir los, und fort ging es mit ihm und den Andern in einem Trabe. Ich blieb stehen, während ich ihm, nicht ohne Besorgniß, nachsah, und dem Aeltesten der Knaben zurief, achtsam auf die Kleinern zu sein. »Fürchten Sie nichts, gnädige Frau!« sagte eine angenehme Stimme hinter mir, »der Wilhelm ist verständig für seine Jahre, man darf ihm trauen.« Ich wandte mich um. Eine[105] kleine, feine Matrone, in einem grauen Röckchen und schwarzem Shwal, stand einige Schritte von der Geisblattlaube, aus der sie nun so eben herausgetreten sein mochte. Sie hielt die schmale Hand schirmend gegen die Stirne, und sah unter dem breiten, herausgerollten Strich ihrer Haube klug und achtsam auf das Treiben der Kinder, verbeugte sich indeß sogleich sehr artig, als sie meinem Blick begegnete. Ich eilte auf sie zu. Wir begrüßten einander. Ihr weißes, sanftes Gesichtchen flößte mir Vertrauen ein. »Wäre Ihnen nicht gefällig,« sagte sie, mir den Platz auf ihrem gepolsterten Armstuhl anbietend, während sie ein hölzernes Schemelchen für sich heranzog. Nichts in der Welt hätte mich dazu vermocht, ihr den bequemen Sessel, der ganz zu ihr gehörte, und in welchem sie sich auch nachher vortrefflich ausnahm, zu rauben. »Bewahre! Bewahre!« rief ich, und kam jeder Einrede dadurch zuvor, daß ich ohne Weiteres das Schemelchen in Besitz nahm. Sie erröthete verschämt, knixte, und wiederholte fast ängstlich: »Darf ich nicht bitten?« Doch es blieb dabei, und wir saßen einander bald an einem Tischchen gegenüber, das mit glänzender grüner Wachsleinwand überzogen, von einer weißen Leiste eingefaßt, so[106] fleckenlos und sauber, wie sie selbst, vor ihr stand. Ein Korb mit Spielzeug und einem Strickstrumpfe, neben diesem ein Deckelglas, dessen klares Wasser eine feine Rinde Brod färbte, war alles, was sich darauf befand. Wir waren einander fremd. Es entstand eine Pause. Sie wußte noch nicht sogleich, wen sie sich vorstellen sollte. Ich dachte hieran nicht. Mir fiel die Luft des Gärtchens, die vielen Herbstblumen, und die abgeblätterten, gebräunten Sterne der weißen und rothen Rosen, an den hohen Stöcken, aufs Herz. Seit dem Tode der Amtmännin war ich heute zum erstenmale hier. Als wir zuletzt in der Laube saßen, blühten die Büsche so voll und prächtig. Sie schnitt mir, zum Abschied, mit großer Emsigkeit, einen Straus der schönsten Rosen ab. Es waren ganz purpurfarbene darunter. Ich verglich diese noch mit ihren Lippen, die sich lächelnd theilten, und um so frischer gegen die weißen Zähne abstachen. Gute, gute, hübsche Frau! dachte ich, wie schnell ist dein junger Morgen durch eine lange, finstere Nacht verhüllt worden.

Mein graues Mütterchen wandte in diesem Augenblicke den Kopf über die Schulter, und sagte, heiter zurücksehend, mit herzlichem Lächeln:[107] »Komm nur immer hervor, Annchen! die gnädige Frau thut dir nichts.«

Ich bemerkte erst jetzt das allerliebste Kind, das ganz in die Zweige hinein gekrochen, dennoch den Kopf neugierig zwischen den Blättern hervor steckte.

Ich nickte ihr verstohlen zu, winkte ihr hervor, und ließ Ringe und Armbänder in der Sonne glänzen, um sie anzuziehen. Sie kicherte heimlich mit abgewandtem Gesicht, wollte lange von nichts wissen, plötzlich stand sie neben mir, und spielte mit den angebotenen Schätzen. Ich faßte sie unters Kinn, sah ihr in die scheuen Augen. »Wie gleicht sie der Mutter!« rief ich überrascht. »Finden Sie das auch?« entgegnete meine Nachbarin, in einem leisen, von Rührung gedämpften Tone, der mir ein gepreßtes Herz verrieth. Mir drängten sich die Thränen herauf. Ich nickte bejahend. Sie wischte, fast unmerklich, ihre feucht werdenden Augen, und die andere Hand auf den Kopf der Kleinen legend, sagte sie: »Ja, mein Sohn hat einen unersetzlichen Verlust erlitten, aber die armen Kinder sind doch weit übler daran.«

Ich wußte jetzt, wer sie war, und erwiederte: »freilich wohl, aber es bleibt ihnen doch die[108] Großmutter.« »Ach, was will das sagen!« wandte sie kopfschüttelnd ein. »Mangelt es ihnen auch nicht an Pflege, und liebe ich sie vielleicht nur zu sehr, es artet sich doch alles anders. Der Muth, der jugendliche Sinn fehlt, dem sich die Kinder näher verwandt fühlen. Wir Alten sind ängstlich, wir peinigen durch stete Vorsicht, und glauben die Gefahr abzuwenden, wenn wir sie scheuen. Eine Mutter hegt besseres Vertrauen, und ist meist immer beglückt durch den Erfolg; überhaupt, was soll den Waisen die Mutter ersetzen!« seufzte sie, in den Anblick der kleinen Anna verloren. Ich fühlte, daß sie wahr spreche. Mir schlug das Herz heftiger, als rege sich, um Georgs willen, die Furcht vor dem Tode in mir. Aber es war dies auch wohl nicht! Ich weiß nicht, welche Bangigkeit mich befiel. Der kleine, wilde Trupp stürmte hier wieder in den Garten herein. Mit den stillen Nachgedanken hatte es nun ein Ende. Den Knaben war es nicht anzumerken, daß sie irgend etwas in der Welt vermißten, und Georg sah auch nicht aus, als ahne ihm nahes Unglück. Gleichwohl fand ich die Ersteren roher, und nichtachtender in Worten und Gebehrden, wie ehemals.

Ich verstand, was die Großmutter vorher[109] sagte. Sie kann sie nicht begleiten in ihrem Sinn, sie steht ihnen zu fern, und darum fahren sie flüchtig und unbekümmert über sie weg. Es war ein anderes Wesen in der Familie. Ich ward lebhaft davon ergriffen. Es schien mir, wie nach einer Feuersbrunst. Man bauet sich wohl wieder auf, aber die Erinnerungen liegen unter der Asche begraben. Die verständige alte Frau fühlte vielleicht etwas Aehnliches. »Solche Veränderungen,« hob sie gleichsam entschuldigend an, »lassen immer zerstörende Spuren zurück. Mein Sohn ist auch nicht mehr derselbe. Sein Haus ist verödet. Er hält nicht lange darin aus. Es ist nicht gut,« setzte sie bekümmert hinzu. »Die Wirthschaft stockt. Die wilden Jungen bleiben sich selbst überlassen, und am Ende fällt doch die Last der schlimmen Folgen auf seine Schultern zurück.« Ich konnte hierzu nichts sagen. »Das macht,« fuhr sie fort, »er hat die Frau zu sehr geliebt. Seit der frühesten Jugend lag ihm nichts, als ihr Besitz im Sinne. Wir waren Nachbarn des Hofpredigers in der Stadt. Mein Mann stand im Dienste des Fürsten. Dieser beschützte ihn und seine Kinder. Er wollte glückliche Menschen aus ihnen machen, darum gab er dem Aeltesten späterhin das Amt hier, das seinen Mann nährt,[110] und eine Frau obendrein, um die es dem leidenschaftlichen Jünglinge hauptsächlich zu thun war. Alles fügte sich wie von selbst. Zufriedenheit und Wohlstand zogen mit dem jungen Paare ein.« Sie schwieg einige Sekunden. Ihr Blick lag am Boden. Als sie wieder aufsah, rollten Thränen über ihr Gesicht. »So schnell,« sagte sie, »folgt Nacht auf Tag. Ist die Sonne eines Hauses untergegangen, so wird es dunkel und verworren im Innern.«

»Ja,« entgegnete ich, »das Glück ist nur ein Gast auf Erden.« »Oder,« bemerkte sie lächelnd, »ein Bote,« gnädige Frau, »der die Gäste einladen soll.« Die Worte fielen mir auf. Ich sann mehrere Augen blicke darüber nach. Sie fügte nichts weiter hinzu. Vielleicht dachten wir beide etwas ganz Verschiedenes dabei. Mir ist immer das Glück eine Aufforderung zu größerer Klarheit, zu freierem und erhöhetem Aufschwung der Gedanken gewesen. Der Geist scheint dadurch Flügel zu bekommen. Ich verliere mich in Dank und Anbetung. In dem Sinne ergeht wirklich eine Botschaft an mich, die ich, doppelt froh, willkommen heiße. Allein, dem flüchtigen Gruß des himmlischen folgt Abschied und Trauer, wie aller Glanz die Dunkelheit noch dunkler macht.[111]

Ich empfand in meiner Welt, Sophie. Die gute, kleine Alte deutete offenbar nach einer andern hin, die mir ein so erhabenes Geheimniß ist, daß ich dem Spiel der Vorstellungen und Begriffe hierüber niemals Raum gebe. Doch rührte mich ihr Auge und der Ausdruck stiller Zuversicht in den gelassenen Mienen. Sie ward auch wieder heiter, spielte mit der kleinen Anna, und als sie unsern Freund Walter am Gitterthor gewahr ward, stand sie geschäftig auf, fragte nach diesem und jenem, und zögerte sichtlich nur aus Rücksicht für mich, ihn eintreten zu lassen. Ich kam ihrer Unsicherheit zu Hülfe, indem ich den Handelsmann, der, mit geforderten Waaren versehen, hierher bestellt war, aufs Beste begrüßte, worauf er denn auch unverzüglich näher kam. Er packte Kisten und Kästchen aus, wir beschauten seine Schätze. Er lobte und pries sie an. Wir ließen uns dabei die Neuigkeiten des Tages erzählen. Urtheilen Sie, ob ich nicht ganz Ohr war, als er anhub: »Diesen Morgen trug sich ein Unglück mit dem großen Marktschiffe zu. Es schlug um. Ein junges Weib mit zwei Kindern stürzte in die Fluth. Der Strudel unterhalb dem Wehr riß sie fort, ehe ihnen Hülfe werden konnte.«[112]

»Gott! mein Gott!« rief ich, entsetzt aufspringend, »so sind sie rettungslos umgekommen?« »Sie wären es,« entgegnete Walter mit Nachdruck, »wenn nicht die Tollkühnheit eines Fremden, der sich am Strande zeigte, als das Schiff abfahren wollte, Eins nach dem Andern dem Verderben entriß.« »Ein Fremder?« versetzte ich, seinen Arm mit unruhiger Neugier fassend! Er sah mich groß an. »Ja wohl,« erwiederte er, »oder wissen Sie, wer der Mann war?« Ich schüttelte den Kopf, ohnerachtet mir es innerlich vorkam, als müsse ich ihn kennen. »Die Leute,« fuhr Walter lächelnd fort, »wollen wohl sagen, es sei der junge Herr von der Burg gewesen. Mehrere versichern, ihn erkannt zu haben. Aber Niemand weiß es gewiß. Denn schnell wie der Blitz, hatte er die lästigen Kleider abgeworfen, und hinein sprang er, ins Wasser bis an's Kinn, ehe sich diejenigen, welche herzuliefen und eine Strecke davon, mit den andern Verunglückten zu thun hatten, noch besinnen konnten.«

»Was ward denn nun aber aus der Frau und ihren Kindern?« unterbrach ihn des Amtmanns Mutter. Walter entgegnete gelassen, indem er seinen Kram auslegte: »O mit denen hatte es nachher keine Noth. Wie sie ihr Retter[113] ans Land gebracht hatte, so sorgte er denn auch für das Uebrige.

Ehe das kleine Häufchen noch das Vorgefallene fassen konnte, saßen alle drei schon in warmen Kleidern, bei hellem Feuer droben in einer der Lachsfängerhütten, eine gute Suppe kochte lustig vor ihren Augen, sie hatten, was sie brauchten, der, welchem sie es verdankten, war über alle Berge.«

Sophie, mir klopfte das Herz vor Freude und Ungeduld. Nichts Erhebenderes, als eine kühne und anspruchlose That! Meine kleine Alte forschte indeß umständlich nach dem Hergange der Sache. Walter wußte nur im Allgemeinen hierüber Auskunft zu geben. Der Schiffsraum, meinte er, sei schon überfüllt gewesen; zuletzt, als die Frau mit den Kindern hereintrat, wären Alle, am meisten der Schiffer, unwillig geworden. Scheltend und brummend stieß er vom Ufer ab. Sein Gesicht weissagte nichts Gutes. Wir verstanden hierbei nur nicht, weshalb man die Frau einließ, wenn Gefahr dabei war?

»Wie es wohl so in der Welt kommt!« sagte Walter, den Kopf nachläßig aufwerfend. »Es muß sich denn immer alles gerade so fügen, wie es sein soll.«[114]

Bewundern Sie nicht, liebe Sophie, daß dieselbe unabänderliche Nothwendigkeit zu allen Zeiten, bei allen Völkern, in jeder Glaubenslehre vorherrscht? Die Einen nennen es Geschick oder Verhängniß, was den Andern das gewaltige Schicksal ist. Wir wechseln die Worte, der Begriff ist derselbe!

Ich hatte nicht lange Zeit, hierüber nachzugrübeln. Der Amtmann kam von einem Ritt über Feld zurück und meldete mir, daß mehrere Herren und Damen bei mir angefahren seien.

Ich brach sogleich auf, doch hörte ich noch die Begebenheit mit dem Marktschiff und der Rettung der Verunglückten vom Amtmann bestätigen. Er fügte hinzu, das Fahrzeug sei schon losgebunden gewesen und habe bereits über seine Anzahl Passagiere geladen, als jenes junge Weib athemlos, ein Kind auf dem Arme, das andere bei der Hand, gelaufen kam, und mit dem Ton verzweiflungsvoller Angst den Schiffer anflehte, sie aufzunehmen.

Ihr Mann, schluchzte sie, sei bei einem Bau in der Stadt als Zimmergeselle angestellt, und dort von einer tödtlichen Krankheit befallen worden. Erst in diesem Augenblicke komme ihr die Kunde hiervon; sie wisse sich nicht vor Angst zu[115] fassen, und bitte und beschwöre die Männer im Kahn, wenn sie ein menschliches Herz in der Brust trügen, sie nicht zurückzuweisen. Die hastige Zuversicht, mit der sie sich während dem anschickte, das Fahrzeug zu besteigen, der Schmerz in ihren Zügen, das Schneidende einer gepreßten und doch gewissermaßen um Hülfe schreienden Stimme, überraschte die Besonnenheit der Schiffer. Sie ließen es geschehen, daß Jene im Schiffe Platz nahm. Ward nun dieses wirklich hierdurch aus dem Gleichgewicht gebracht, oder ist das Geschehene einem andern Umstande zuzuschreiben? genug der Erfolg war, wie ihn Walter zuerst berichtete. Die leidenschaftliche Heftigkeit, mit welcher die Frau ihre Kinder ergriff und sie zu retten strebte, riß sie wahrscheinlich zuerst dem Verderben entgegen! Sie soll sogleich über Bord gestürzt sein. Ihr Angstgeschrei: »Herr Jesus hilf!« ward noch gehört, als man sie schon nicht mehr sah. Doch in demselben Augenblick sprang ein Mann in Jagdkleidung hinter niederm Buschwerk am Ufer hervor, und wie er die Verunglückten errettete? und wer er war? darüber blieb keinem unter allen Augenzeugen ein Zweifel.

Voll von den Vorstellungen, die sich an das erschütternde Ereigniß reiheten, ging ich jetzt nach[116] Hause, fest überzeugt, meine Gäste könnten Niemand anders als der Comthur und seine jungen Anverwandten sein. Mir schlug das Herz unwillkührlich vor innerer Bewegung. Nennen Sie es Neugierde, Sophie, oder Theilnahme, ich weiß nicht, welcher von beiden Regungen meine Ungeduld angehörte, allein ich ging so schnell, daß mich Georg selbst aufmerksam ma chen mußte, wie schwer es ihm werde, mir zu folgen. Ich erschrack über die unzeitige Eile. Doch urtheilen Sie, wie doppelt beschämt ich war, als ich im Hofe Curds wunderliches Cabriolet mit den zwei hintereinander gespannten Pferden und neben diesem, die Equipage der Gräfin erblickte. »Sie also sind es, die mich erwarten!« sagte ich kleinlaut, und ging die Anhöhe hinauf. Agathe und Rosalie hatten mich schon von weitem kommen sehen. Sie flogen mir entgegen. Beide redeten zugleich. Sie waren voll von irgend einer Neuigkeit, und brannten vor Ungeduld, mich in aller Eile durch Gruß und Umarmung in soweit abzufertigen, daß sie erzählen konnten, und ich hören mußte. So hing sich mir dann jede an einen Arm. Wir eilten dem Vorsaal zu, während beide mir sagten: »Wir haben die junge Emma, im Vorbeifahren, am Gitter des Thiergartens stehen sehen! Sie glauben[117] nicht, wie sie uns in dem Grün, unter den hohen Bäumen, überraschte! Eine Hirschkuh mit zwei allerliebsten Kälbchen stand vor ihr. Sie hielt ihnen Blätter, die sie aus einem Korbe nahm, ohne alle Furcht entgegen; die Hand schien allerliebst! Ein Jäger mit einem Waldhorn stand neben ihr. Er war groß, und sah vornehm aus. Mama behauptete, es sei der Graf selbst gewesen. Wir grüßten, die Gräfin dankte etwas fremd, doch mit vielem Anstande. Ihrer Haltung sieht man es gleich an, daß sie bei Hofe erzogen ist.« »Sie hatte ein schwarzes Kleid an,« fiel Rosalie ein, »mit langen, weiten Aermeln, ich wette, es war ihr Reisekleid, und in Wien gearbeitet. Es hatte ganz den Schnitt, die Taille so sehr lang, die krausen Falten nach unten so breit ausfallend. Es saß allerliebst!«

Mit diesen Worten traten wir in den Salon. Die Mutter verwies es den Töchtern, mich mit ihrem Geschwätz aufgehalten zu haben, indem sie auf ihre höfliche Weise hinzusetzte, daß sie mit jeder Minute geize, die sie meiner Unterhaltung abstehlen könne. »Aber ich weiß schon,« fuhr sie fort, »Sie sind auch ein Bischen neugierig auf unsere neue Nachbarin; es macht Ihnen Spaß, von ihr zu hören, und wirklich läßt ihr erstes Erscheinen[118] einen recht bizarren Eindruck zurück. Die junge Person nahm sich ordentlich pitoresk unter den uralten Bäumen aus. Es ist etwas Dunkles und Fremdes in ihrem Gesichte. Sie hatte den Hut, im Schatten der Bäume, aus den Augen gerückt. Ihr Teint erinnert an den feinen, bräunlichen Farbenton der Italiener. Auch ist das Haar ganz schwarz. Sie trägt es gescheitelt, wodurch das allerliebste Oval des kleinen Gesichtchens sehr vortheilhaft bezeichnet wird.«

»Mein Gott!« lachte ich unwillkührlich, »Sie haben mit dem vorüberfliegenden Blick die ganze Person aufgefaßt! Sie steht, wie sie lebt und webt, vor mir.« – »Wahrhaftig!« entgegnete die Gräfin geschmeichelt; nun, ich bin auch nicht gerade vorüber geflogen. Unter uns gestanden, ich wußte, daß die jungen Leute gestern angekommen waren, und da ich mich immer, was man auch gegen den Comthur sagen mag, für ihn interessire, so fühlte ich mich gespannt auf die Bekanntschaft seiner Hausgenossen. Ich ging deshalb den Thalweg, der an die Burg hinführt, überzeugt, bei dem schönen Wetter die Gesellschaft im Park zu finden. Wie Sie sahen, ist mir meine kleine List gelungen!« lächelte sie selbstzufrieden.

Ich lächelte auch über die Naivetät, mit der[119] die gute Frau den Zweck ihres Besuches aussprach. Sie war indeß so voll von dem einen Gegenstande, daß sie ganz arglos blieb, und wirklich, wie so oft in der Welt, mit offnen Karten spielte, ohne eine Ahndung davon zu haben. Curd flüsterte mir zu, alles dies sei geschehen, um sich sogleich zu überzeugen, ob die hübsche Nachbarin wohl den Sieg über Rosalie und Agathe davon tragen werde? – Der Umstand, daß jener ein glänzender Ruf voranging, habe die Eitelkeit der Mutter und der Töchter erregt. Er sei blos mitgefahren, um alle drei zur Verzweiflung zu bringen, ich möge nun Acht geben, wie ängstlich sie jedes lobende Wort begleiteten, und durch welche Gründe sie sich zu trösten wüßten. Ich war gar nicht geneigt, ihn in so hinterlistigen Plänen zu unterstützen. Im Gegentheile warf ich den Pfeil auf ihn selbst dadurch zurück, daß ich erklärte: er habe seine Begleiterinnen nur deshalb die steinige Straße geführt, weil er hoffte, die Aufmerksamkeit der Dame des Schlosses auf ein so tolles Fuhrwerk zu lenken. – »Sie thun ganz recht,« setzte ich hinzu, »denn seit es keine Originalität des Charakters mehr giebt, reicht es vollkommen aus, die Ordnung umzukehren, damit man bizarr erscheine. Wie witzlose Leute[120] gewöhnlich Worte oder Sätze umdrehen, um die Lacher zu flüchtigem Beifall zu zwingen.«

»Cousine,« flüsterte Curd halb empfindlich, halb gutmüthig neckend, »ich räche mich, ich kenne auch schon das Werkzeug hierzu. Sein Sie gewiß, Sie büßen den Muthwillen über kurz oder lang.« Und als wolle er sogleich Wort halten, fuhr er dann lauter redend fort: »Wenn Sie mir den Wunsch zutrauen, von einer reizenden Frau beachtet zu werden, so bin ich meiner Seits gewiß, daß Sie nicht gleichgültiger gegen die ächte Originalität eines genialen Sonderlings sein können, der aus dem Schlamme unserer verächtlichen Zeit sehr glücklich auf den Schauplatz der Welt auftaucht. Graf Hugo hat seine Probe diesen Morgen gemacht. Er ist es werth, den Ritterschlag zu empfangen.«

Mit vielem Pathos erzählte Curd jetzt die Begebenheit mit dem Marktschiff, und schloß den Bericht damit, daß er versicherte, später habe der Graf die Frau und ihre Kinder selbst in einem kleinen Fischerkahn zur Stadt gerudert, und sie dort bis an das Krankenlager des Mannes begleitet.

Agathe überschrie sich vor Entzücken und Bewunderung. Sie hielt das zierlich gestickte Batisttuch[121] einigemal vor die Augen, und wirklich wurden diese auch feucht. Rosalie lachte sie deshalb eben nicht gar zu rücksichtsvoll aus, doch fand auch sie die Begebenheit einzig und den Grafen sehr interessant.

Die Mutter horchte lächelnd auf die Aeußerungen der Töchter, dann sich zu mir wendend, flüsterte sie: »die Kleine ist ganz wie ich, das Herz läuft mit dem Kopf davon, ich schwöre Ihnen, ich habe Mühe, mich der Thränen zu enthalten. Es ist wahr, Graf Hugo muß allerliebst sein! Es ist so viel Herz in allem, was er thut, und so erstaunlich viel originelle Energie! Aber ein Bischen bange bin ich doch, daß er zu weit geht in seiner angenommenen Manier. Die Welt vergiebt eher das zu Wenig als das zu Viel. Man wird das Geniale darin seiner beschränkten Beziehung und dem Mangel an Kenntniß der Formen zuschreiben. Und ehrlich gesprochen, ich glaube, daß auch etwas daran ist. Aber ums Himmelswillen, kein lautes Wort hierüber. Sie fühlen wie ich, man muß gewisse Saiten nicht zuerst anschlagen!«

Sie hatte sie indeß angeschlagen, und hörbar oder nicht, sie klangen bald hell und schneidend durch einen immer größer werdenden Kreis[122] hinzukommender Gäste hindurch, die der Gräfin auf dem Fuß folgten, und meine kleine Villa zu einem andern Ulmenstein machten.

Curd wiederholte bis zum Ertödten aller Anwesenden Hugo's Abentheuer. Sichtlich gefiel er sich, das Urtheil eines Jeden herauszufordern.

Man wünschte dem Grafen Glück, mit einer poetischen Farce aufgetreten zu sein; schmeckte diese gleich nach veralteten Romanen, so gab sie doch Veranlassung, von sich sprechen zu machen. Es ward wirklich viel gesprochen. Ich aber konnte kein einziges Wort finden. Es war nichts in mir, was sich an diese Fäden anknüpfen ließ. Das Schlimmste dabei ist, daß auch ich über den Menschen selbst Anfangs confus geworden bin. Mein früheres Bild von ihm ist mir verwischt. Unwillkührlich schlüpft so etwas von provinzieller Abentheuerlichkeit in meine Vorstellung hinein. Ich will das weg haben. Ich bin ärgerlich, und komme nicht mit mir zurecht.

Nun, ich werde ja selbst sehen und urtheilen! Sie fühlen aber auch aus allem dem, welche Aufgabe Ihre Schützlinge hier zu lösen haben. Ich wünsche, daß es Ihnen damit glücken möge.

Leben Sie wohl, Sophie! und glückliche Reise![123] Ich bin betrübt und verstimmt, ich verlasse Sie, um nicht noch trüber zu werden.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 101-124.
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