Hugo an Heinrich

[138] Ich habe recht sehr über Deinen Brief gelacht. Du hast immer noch die alte Gewohnheit, bei einem freundschaftlichen Besuche den Gallarock über das Hauskleid anzuziehen. Wozu der Prunk mit mir? Ich kenne die Gelegenheit, und weiß, was diese täglichen Redensarten bedeuten.[138] Gerade herausgesprochen, Du bist irre an mir geworden, und willst wissen, woran Du bist.

Ich kann Dir es nicht verdenken, wenn Du Dir überhaupt etwas Besonderes bei mir gedacht hast. Lieber Heinrich! es geht Freunden, wie Eltern und Verwandten, die immer das Außerordentliche von denen erwarten, die ihrem Gefühle am nächsten stehen. Selten ist dies aber etwas mehr als schwankende, in das Blaue hineintaumelnde Vorstellung von allgemeiner Berühmtheit. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie uns da die Eitelkeit ein X für ein U vormacht.

Deine Frage, auf die es Dir hauptsächlich ankommt, und die eigentlich nichts anders heißt, als ob ich wirklich jemals gewußt habe, was ich wollte? sagt mir, daß es Dir auch nicht sonderlich klar geworden ist, was ich soll?

Wir waren beide einmal jung, wie andere Jünglinge. Laß es dabei, Heinrich, und frage nicht weiter. Ich bitte Dich, sieh' um Dich! da lernt man schweigen, und den Narrenspossen den Abschied geben.

Hast Du nicht mehr Achtung für die Idee, als daß Du sie abhängig glaubst von dieser oder jener Stellung im Leben? – Sie stirbt nicht, da sei Gott vor! Er weiß, wenn die Sonne scheinen[139] oder Dünste sie verhüllen sollen. Man muß warten können, Doch diese Kunst ist nicht leicht. Basta! hierüber! Worte thuns nicht. Eins ist indeß eine gar zu schwache Stelle in Deinem Briefe, die muß ich doch rügen. Du thust ja, als habe ich mich von meinem Oheim für bequemen Lebensgenuß erkaufen lassen und ihm meine bessere Ueberzeugung mit in den Handel gegeben. Wärest Du ohne so viel Umstände geradezu in meine Stube gekommen, und hättest Dich darin umgesehen, so würdest Du Bescheid wissen.

Das Verhältniß zu dem Comthur ist Folgendes:

Mein Vater ging seines Erbes aus Ursachen verlustig, die Du kennst, sein Bruder trat in seine Rechte. Er wird Geistlicher, der Zweig ist todt. Nun entsteht die Frage, rankt eine Nachbarpflanze an dem Stamme heran? oder ist der junge Schößling, der aus der Wurzel heraustreibt, durch Saft und Blut mit jenem eins geblieben? und werth erkannt, das Ganze zu beleben? – Diese Frage entstand immer einmal. Ob nach dem Tode des Oheims? oder bei dessen Lebzeiten? Der ganze Unterschied ist der, daß sie jetzt schneller entschieden ward.

Kam mir das Erbe zu, sollte ich es wegstoßen?[140] Weshalb? wozu? Sage doch, glaubst Du, daß man Flügel bekommt, wenn man dem Glück ein Schnippchen schlägt und sich in seine Armuth hüllt. Wem die Flügel gewachsen, den tragen sie wohl, wohin er Lust hat. Die Metapher hat überdem seit der Geschichte des Ikarus einen Stoß weg. Brauche sie nicht mehr, es liegt etwas Lächerliches darin.

Und nun zu andern Dingen.

Es mag Dich unterhalten, wie wir hier leben.

Recht erträglich, ich versichere es Dich. Die schönen Waldungen, welche unmittelbar hinterm Schloßbezirk anheben, die Höhen bekränzen, spiegelhelle Seen umschließen, und sich bis an den Strom ausbreiten, würden hinreichen, eine mannigfaltige Unterhaltung zu geben. Ich hause hier Tage lang. Wege und Stege sind mir überall bekannt. So manches kleine Abentheuer mit Menschen und Thieren stößt mir hier auf. Jäger, Reisende, Arbeiter und Bettler, alle geben mir Stoff zu Beobachtungen, mit allen gerathe ich in Berührung, schwatze, verkehre mit ihnen. Ich kenne nach gerade ihre Art. Es wird mir leicht, ihnen in ihrem Ideengange zu folgen. Wir sind sehr eitel, Heinrich, wenn wir uns einbilden, auf solche Leute herabzusehen. Ich weiß, man hat[141] das schon oft gesagt, aber ich denke mir vielleicht etwas anders dabei. Es ist nicht sowohl, daß sie auch öfters Geist, Gemüth, Verstand haben wie Andre, mir fällt besonders auf, daß sie diesen Verstand so scharf auszubilden, so gerade zu richten, und so fest zu halten verstehen. Bei größerer Lebensfrische bleibt ihnen auch länger die gesunde Art des Gebrauches. Der Kreis, in dem sie sich bewegen, ist eng, das ist wahr, aber sie sind Herr darin, und was hinein fällt, verfällt ihrem Urtheil, das dann auf energische Weise die Dinge auf beide Füße stellt, und sie zeigt, wie sie sind. So flach hin sehen sie nichts an, bis auf den rohen Frevler, faßt jeder seinen Gegenstand ganz und tüchtig. Man kommt auf besondere Resultate im Umgange mit ihnen. Sie sind doch wenigstens etwas. Was sind wir? Wir werfen ihnen die Rohheit ihrer Laster vor, und nennen deren Quell: thierische Selbstliebe. Die Sünde, ohne Deckmantel erregt ungefähr das nämliche Entsetzen, als wenn man sich in einem entstellenden Spiegel sieht. Es ist die Phisiognomie, es sind die Grundzüge, nur durch zufällige Bedingungen verschoben. Verfeinerter Egoismus geht unterhalb der Formen weg, ohne diese sichtbar zu erschüttern, er gräbt nach[142] Innen, und verwüstet da unmerklich so viel, als sein frecher Zwillingsbruder äußerlich zu Stande bringen kann. Menschen aus den untern Klassen stehen, wie das Wild der Forsten, in einer Art Krieg mit der Welt. Darum ist so viel List und Spürkraft in ihnen. Ihre Taktik macht meine Bewunderung aus. Nenne diese immerhin beschränkt. Wer sieht denn viel rechts und links, wenn er auf etwas Bestimmtes los geht? Der Instinkt findet seine Schranken vorgezeichnet. Die Erfahrung muß sie erst ziehen lernen.

Und lieber will ich blind geboren sein, als blind werden!

Mein loses Gesindel im Walde hat, ich versichere Dich, eher die Gabe, das Unsichtbare zu fühlen, als wir andern, an den Block vornehmer Einseitigkeit Geschmiedete. Die Begriffe der Letztern, die nicht mehr Anschauungen sind, machen sie ganz aberwitzig. Ich bin nun einmal auf die Natur jeder Gestalt angewiesen. Es ist so viel Wehmuth in ihrer Entstellung. Mir erscheint sie oft, wie ein schönes Kind, das die Blattern verzerrte. Die Augen sind doch wenigstens geblieben. Zuweilen blinkt eine Thräne darin, und dann spiegelt sich der Himmel zurück.

Meine gegenwärtige Lage paßt auch wohl[143] noch am meisten für mich. Ich bin freier, als irgendwo. Emma ist das beste Herz. Sie läßt mich thun, was ich will. Ich danke es ihr, und freue mich, daß sie eine Unterhaltung in der Gesellschaft einer artigen Frau der Nachbarschaft gefunden hat, ja einer seltenen Frau, Heinrich, wie ich glaube. Sie ist sehr geistreich, und scheint es nicht zu ahnden. Ihr Wesen hat die Farbe der arglosesten Heiterkeit. Mir gefällt sie ungemein. Ich kenne nichts Einfacheres als sie. Ihr Mann ist eine ziemlich gewöhnliche Figur, nicht ohne Verstand, doch auf den ersten Blick hat man das Zunftmäßige an ihm weg. Er gehört zu den Leuten, deren Meinungen sich den Verhältnissen so anpassen, daß sie bald nicht einen Funken Eigenthümlichkeit mehr haben. Zuletzt schrumpfen sie ganz eng zusammen. Je trockner sie dann werden, je reifer glaubt man sie. Du kennst wohl diese Art Menschen, die bis auf das stumme Lächeln immer ein Urtheil aussprechen. Ich lasse sie gern bei Seite. Dieser ließ mich aber nicht. Wahrscheinlich wollte er sehen, ob ich wisse, wie sehr ich ihm verpflichtet. Er hat an der Entscheidung meiner Angelegenheit großen Theil. Wir sprachen darüber. Ich weiß selten viel zu sagen, insbesondere wenn ein Anderer[144] mich hören will. Hier lag mir noch dazu etwas ganz Fremdes im Sinne. Ich suchte mir es deutlich zu machen, wie der Mann zu einer solchen Frau kommen konnte? In einem Haare hätte ich laut aufgelacht! Man zeichnet keine ärgeren Karikaturen, als die, welche Zusammenstellungen aus dem Leben bilden!

Darin liegt der Witz der großen Welt, durch den sie sich über sich selbst lustig macht. Wer diese Seite an ihr weg hat, der kennt keine Langeweile. Ich fürchte dies Gespenst sonst mehr als die geträumten, und sah mit einer Art heimlichem Grauen auf eine sogenannte allerliebste Parthie im Grünen, zu der uns die Gräfin Ulmenstein bei sich einlud. Da nun das Grün jetzt schon ziemlich gelb ist, die modernen Gärten mit ihren vielen abgestreiften Pappeln kahl und dürr aussehen, die Gesellschaft mir fremd war, unsere Wirthin ohne Jugendreiz, den Mangel an Geist durch viele unruhige Eitelkeit ersetzt, welche ihr das Prädikat: die Seele der Gesellschaft erwarb, so hegte ich großes Mißtrauen gegen den versprochenen Zauber der Abendversammlung.

Aber siehst Du, alles das waren falsche Schlüsse. Denn erstlich nahmen sich die geputzten, städtischen Figuren unter dem herbstlichen Blätterdache,[145] von manchem scharfen Windstoß getroffen, in ihrer Toilette derangirt, und auf diese achtend, so gezwungen, so unsicher, so sichtlich unbequem aus, daß ihre Mühe, sich und Andern hierin zu entgehen, allein schon eine komische Unterhaltung bot. Dann belustigte mich auch die Art und Weise der Gräfin ungemein. Die Sicherheit, mit der sie das Gewöhnliche für etwas Besonderes ausgiebt, und wirklich ihren Zweck erreicht, niemals um eine Antwort verlegen ist, jede Einwendung berichtigt. Ich sage Dir, es ist zum Todtlachen! Und Viele lassen sich belehren, obgleich eigentlich kein Sinn und Verstand in allen den angeführten Gründen ist. Wie geht das zu? Solche Probleme machen mir sehr viel Spaß! Ich bin diesem indeß ziemlich auf der Spur. Die Frau rückt gleich mit ganz außerordentlicher Höflichkeit ins Feld. Dadurch stumpft sie, von Hause aus, die Waffen ihrer Gegner ab, dann wickelt sie die Aufmerksamkeit eines Jeden, den sie überzeugen will, mit unglaublicher Behendigkeit auf einen Knäuel, in welchem die gemischten Fäden zusammen laufen. Niemand ist im Stande, einen einzigen festzuhalten. Mit dem Letzten schürzt sie dann geschwind das Ganze zusammen und wirft den Ball auf gut Glück in die Luft. Man sieht[146] ihn fliegen, und läßt es gut sein! Sie ist fertig. Die Wenigsten denken daran, daß sie es nicht sein können. Dadurch behauptet sie ihren Ruf. Selbst der Comthur glaubt einigermaßen an sie. Sein Benehmen drückt eine Berücksichtigung aus, die eigentlich nichts rechtfertigen kann, als eben dieser Ruf. Ueberhaupt finde ich die heutigen alten Leute immer viel leichter bestochen und über die Gegenstände der Anerkennung getäuscht, als unsers Gleichen. Dem galanten Manne aus jener Zeit fällt es nicht ein, daß eine Frau von Ton anders als bedeutend sein könne. Der Onkel beweist mir übrigens täglich mehr, daß die Abgeschlossenheit, in der er so streng verharrt, nichts als ein enger Rock ist, der ihn tausendmal kneift, und ihn gleichwohl nicht ablegt, weil er einmal der Welt darin bekannt ist. Zuweilen knöpft er ihn auf. Dann schlägt sein Herz frei, die Worte gehen von selbst über die Lippen, er wird ein anderer Mensch. Unsere Nachbarin, die schöne Elise, gilt viel bei ihm, und er huldigt ganz unverholen dem jugendlichen Reiz ihrer lebendigen, geistvollen Unterhaltung. Ich sehe aus allem dem, daß wir mit dem Hause des Präsidenten in ein freundschaftliches Verhältniß treten werden. Die wenigen Monate, die wir auf dem Lande noch[147] zuzubringen gedenken, mag, wie gesagt, ganz angenehm für Emma sein. Ich bin wenig dabei interessirt. Die hübsche Frau müßte es sonderbar anfangen, wenn sie mich meiner Waldeinsamkeit entrisse! Dort geben mir meine Landstreicher etwas auf zu rathen. Wenn sie nicht selbst eine besondere Art von Räthsel ist, so würde sie Mühe haben, mich zu fesseln. Zur Zeit ist mir nichts an ihr unbegreiflich, als ihre Heirath. Doch über dies Kapitel kann man bis zum Wahnsinn grübeln, und man kommt damit nicht aufs Reine.

Lebe wohl? Solche Gedanken verweht ein rascher, scharfer Nachtwind am besten! Ich gehe auf die Jagd. Noch einmal, Lebe wohl!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 138-148.
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