Hugo an Heinrich

[209] Wenn Du Dir, wie ich nicht zweifle, die alte Gewohnheit bewahrt hast, lieber Heinrich, mich auf gute Manier auszulachen, so biete ich Dir heute die willkommenste Veranlassung dazu. Nichts Lächerlicheres als ein abgeblitzter Spaß, und keine ärgere Zielscheibe des Witzes, als der unglückliche Urheber desselben!

Siehst Du, ich wollte den Leuten zeigen, was gesellige Unterhaltung sei, welchen Schwung eine Posse nehmen, wie der Geist sich mitten im Wechsel der Belustigung erheben könne. Ich wußte mir etwas mit diesem Plane, ich that groß damit vor mir und wichtig vor Andern. Nun, und das Ende war, die ganze Sache fiel platt[209] zu Boden. Kein Mensch wußte, was ich wollte, Niemanden hat es unterhalten, geschweige denn ergötzt, der Abend ging auf die miserabelste Weise hin, und das Schlimmste ist, Spott und Tadel folgten mir.

Das ist des Menschen Klugheit.

Um Dir den Vorgang zu erklären, müßte ich weit ausholen, Dich an eine Gräfin Ulmenstein erinnern, deren Nachbarschaft uns von Zeit zu Zeit in ihre bewegliche Lebensweise hineinzieht. Vielleicht besinnst Du Dich auf sie. In einem meiner Briefe glaube ich von ihr gesprochen zu haben; anfänglich war mir das Treiben in ihrem Hause, wie sie selbst, neu, es überraschte mich Manches, ich bildete mir ein, neue Fäden des innern Lebenszusammenhanges zu entdecken. Nachher war es damit, wie mit dem Meisten, nichts. Das flache Wesen fing mich an unglaublich zu langweilen. Indeß hatte sie mich einmal mit vieler Emphase als ein ausgezeichnetes Genie gepriesen, mich ihrem Kreise so empfohlen. Sie und ich, wir mußten Wort halten. Deshalb war nicht von ihr loszukommen. Die Töchter, so vergnügungssüchtig wie die Mutter, ziehen einen Schwarm nüchterner Gecken hinter sich her. Unter gewissen Menschen muß immer etwas vorgenommen werden,[210] um die Langweile zu bannen. Gesellschafts-Theater bilden sich überall, wo man am bequemsten durch Andere sprechen und antworten kann. Eine Weile unterhält das, was aber gemeinhin für die Darstellung ungeübter Dilettanten gewählt wird, gleicht deren alltäglichem Treiben auf ein Haar. Es ist immer heute und gestern, macht denselben Effekt, läßt denselben Eindruck zurück. Man ist damit fertig, sobald die Schminke abgewischt, das umgestaltende Costüm weggeworfen, und das Theater einem andern Schauplatze, im Ball- oder Speisesaal gewichen ist. Ich hatte das bald weg. Mehrere waren eben so klug; das Ding fing an, matt zu werden. Jetzt stachelte mich die Eitelkeit. Mein Plan war gemacht. Eine neue kleine Welt stand mir zu Gebot. Die Fee, welche mir ihren Beistand lieh, rief Kobolde und Geister von fern und nahe herbei. Ein wandernder Schauspielertrupp, vertheilten wir uns, auf abentheuerliche, ausstaffirte Karren und Wagen, versteckten uns hinter Larven und tollen Putz, und nahmen so den Weg nach Ulmenstein. Bis dahin ging alles gut. Wir lebten in der Posse, Witz, Humor, die schellenkappige Thorheit mit ihrem buntscheckigen Mantel, waren unsere Reisegefährten. Plötzlich erhebt sich, wie aus heiterm[211] Himmel, aus einer einzigen Wolke, der heftigste Sturm, den ich je hörte. Regenströme stürzten nieder, wir konnten uns kaum bergen; die bunten Decken, daß übergespannte Linnen, Mäntel, Hüte und Schleier, nichts widerstand der Wuth der Elemente. So übel zugerichtet, steuerten wir mit abgetakeltem Fahrzeuge mühsam in den Schloßhof der Gräfin. Hier hatte man vor dem Unwetter Thüre und Thore geschlossen. Keine Seele ließ sich an den Fenstern sehen. Wir lenkten unter den Schutz einiger schirmenden Bäume. Unser Häufchen drängte sich dicht zusammen. Lange konnte die Prüfung nicht dauern, der blaue Himmel schimmerte bereits zwischen dem zerrissenen Wolkenberg hindurch. Indeß wog in diesem Zustande jede Minute schwer. Die Nässe hatte einen merklichen Theil des phantastischen Feuers ausgelöscht. Ungeduldig regte sich Dieser und Jener. Einige murrten laut, Andere verwünschten im Stillen den ganzen Einfall. Ich hätte mich ausschütten mögen, vor Lachen, warf ich einen Blick auf die trübseligen Gestalten in der närrischen Verkappung. Indeß unterdrückte ich jeden Ausbruch des Muthwillens, den mir meine übelgelaunten Gefährten wohl um so weniger verziehen hätten, als sie im Geheim die Schuld ihrer[212] mißlichen Lage auf mich warfen, und nun erwarteten, ich solle derselben ein Ende machen. Ich säumte denn auch nicht. Ein neugieriger Stallbube, der sehr verwundert aus einer Lucke auf die bunten Puppenspieler, für die er den fremden Troß hielt, hinstarrte, ward sogleich herbeigerufen. Ich übergab ihm eine Botschaft an die Gräfin. Als Direktor kündigte ich dieser meine dramatischen Vorstellungen an, bat um die Erlaubniß, Scenen aus dem Shakespeare auf ihrem Theater geben zu dürfen u.s.w. Leute von Welt sind selten durch Fremdartiges oder Ungewöhnliches zu täuschen. Das tritt nicht in den Bilderkreis ihrer Vorstellungen. Wenn es ihnen naht, suchen sie etwas dahinter, gespielten oder wirklichen Betrug! Die Gräfin war sogleich entschlossen. Ihre Thüren wurden uns geöffnet, sie selbst eilte uns entgegen. Doch wie das Bedürftige in der menschlichen Natur sogleich allem Scherz ein Ende macht, so zerstörten auch hier die nassen Kleider, die Furcht vor Erkältung, und was es sonst noch alles zu bedenken gab, den letzten Rest mühsam bewahrter Illusion. Kurz, wir standen entlarvt da, und hatten Niemand als uns selbst gequält. Glücklich genug, wenn es damit sein Bewenden gehabt hätte! Allein, nachdem sich jedweder in[213] seinem gewohnten Rocke warm und bequem fühlte, sollte er diesen wieder abwerfen, und das versprochene Spiel beginnen. Ich wich dem Anliegen aus, das ich weit mehr einer gewissen vorschriftsmäßigen Höflichkeit, als dem Wunsche, uns figuriren zu sehen, zuschrieb. Wir waren aus dem Charakter gefallen, die Stimmung war eine andere geworden, es lag eine Lächerlichkeit darin, sich bei völliger Nüchternheit berauscht zu stellen. Doch die Meinung Einiger, daß man nicht so umsonst und um nichts solche Anstrengungen gemacht, sich in Unkosten gesteckt, die Gesundheit daran gewagt habe, trieb uns am Ende Alle auf die Bretter. Jetzt erst, da es zu einer wahrhaften Ausführung meines Entwurfs kam, fühlte ich die ganze Schwierigkeit davon. – Denke Dir den Sommernachtstraum – die Rüpel- und Elfenscenen – und unser heutiges Publikum aus den feinen Zirkeln! – Unglücklicherweise hatte die lebhafte schöne Elise, unsre liebenswürdige Nachbarin, nur zu schnell meine Gedanken verwirklicht; sie war es, die ein Paar schnell aufgeschossenen Knaben die Frauenrollen, zierlichen Mädchen die der Elfen zutheilte, junge Leute aus der Nachbarschaft für Zettels Schaar warb, ihm selbst, dem Heros aller witzigen Eselsköpfe,[214] sein Pensum einstudirte, kurz, die Puppen an ihren Drähtchen lenkte, und feenartig ein Feenspiel schuf. Aber was wollen die luftigen Wesen auf der ausgebildeten, fertig gestalteten Erde? – Sie sind so sehr aus der Mode, daß selbst ihre Allegorie abschreckend geworden ist. Lieber Heinrich, es giebt ein Feld, wo der beste Witz, wie taube Nüsse zu Boden fällt, und Niemand ihn aufhebt. Nun, wir standen mit unsern Bemühungen auf einem solchen Felde. Um uns herum lauter müde und matte Blicke, lange Gesichter, gezwungene Aufmerksamkeit, ängstliche Wiederholung aller Regeln der guten Erziehung, um nur nicht die tödtliche Langweile blicken zu lassen, und nachher die Ausrufungen: »Und wie gespielt! Aber wie vollendet!« Und Zettel! der ist nun meine ganze Passion! Siehst Du, Heinrich, mein innerer Mensch zuckt vor abgedroschenen Redensarten zusammen. Die Lüge des Hergebrachten preßt mir Angstschweiß auf die Stirn! sie nimmt sich so lumpicht aus, und macht sich so breit mit dem abgetragenen Plunder. Kennst Du die Empfindung, wenn fremde Dürftigkeit uns zu Boden drückt? Ich will nicht den reichen Mann auf Kosten Anderer spielen. Ich will glauben, daß der Aufwand, mit dem ich aufzutreten meinte,[215] wie veralteter Prunk, zu schwer wog; auch, daß ich unrecht hatte, mich darauf zu stützen, allein denken sollte man doch, Gold halte immer die Probe, wie lange es auch im Winkel verborgen stand. Das ist aber nicht wahr. Kein Mensch glaubt Dir, daß es welches ist; und Niemand stellt die Probe an. Genug, wie dem auch sei, ich zog geschlagen aus dem Felde. Ich hatte mich verrechnet, das lag am Tage. Es blieb auch so eine gewisse, verlegene Aengstlichkeit nach geendigtem Spiele zurück; dann sprach man gar nicht mehr davon. Es war, wie nicht geschehen, ich hatte Zeit, Betrachtungen anzustellen.

Nach dem ersten kleinen Verdruß über meine eigene Einfalt, machte ich es, wie Du jetzt thun wirst, ich lachte den Narren im Menschen aus! Mein Dünkel, der Eifer, mit dem ich ihn einige Tage gefüttert, alle die Mühe und Noth, ehe es zu dem Haupteffekt und der Beschämung kam, das Nachspiel hinter den Coulissen, war, ich versichere Dich, sehr drollig. Zuletzt sagte ich mir dann aber doch Einiges zum Trost. Unter anderm, daß es mit den neuen Anforderungen an die Poesie ein eignes Ding sei. Sie muß sententiös oder materiell auftreten, wenn sie Eingang finden soll. Man will ein Paar schlagende Phrasen[216] mit nach Hause nehmen oder sich durch illusorische Anschauungen so getäuscht finden, daß man wirklich in China oder Mexico, in einem schlechten Gasthofe mit gemeinen Gesellen, in der alten, oder unter den Menschenfressern in der neuen Welt zu sein glaubt, und dies alles, blos um zu wissen, wie es die Kerls da treiben? Die Töne einer göttlichen Sprache zerrinnen in der untern Atmosphäre zu Begriffen. Davon, daß es eine Region giebt, in deren feinen, leichten Luftschwingungen die Seele unwillkührlich gehoben wird, so daß sie die Spiegelbilder der Erde nur im Widerschein, aber dafür in jener magischen Beleuchtung eines wärmern und glänzendern Gestirns, der Sonne des Dichters sieht, davon redet man wohl, aber man kennt es nicht mehr.

Nein, Heinrich, man kennt es nicht mehr! Auch Du, und ich, die wir in einzelnen Augenblicken des tiefsten Schmerzes, der innern Verzweiflung, des gänzlichen Zerfallens mit der Welt, davon träumen, vergessen es wieder, müssen es in einer so gestalteten Welt vergessen! Das ist der Widerspruch, in dem wir leben. Wir wollen, was wir nicht können! Begreifst Du, wie zerrissen, wie fragmentarisch dies Geschlecht in der Weltgeschichte dastehen wird?[217]

Doch wieder auf mein Abentheuer zu kommen. Es hat mich der liebenswürdigen Elise auf immer zum Freunde gemacht. Leichter, gutmüthiger nimmt keine Frau auf Erden ähnliche Kränkungen der Eitelkeit auf. Ihr klarer, milder Sinn fand sogleich den Gesichtspunkt, aus welchem unser Mißgeschick natürlich erschien. Sie tadelte weder sich noch Andere. »Es paßte nicht!« sagte sie, und damit behielt jeder sein Recht.

Es paßt so Vieles nicht, Heinrich. Wird darum das, was in Uebereinstimmung zu einander tritt, nicht unauflöslich Eins werden?

Ich habe einen eigenen Glauben von der Sympathie der Freundschaft. Sie scheint mir gegründeter, als die der Liebe. Von dem was man so nennt, halte ich überall wenig. Das sind Selbsttäuschungen, mit denen der Mensch groß von sich selber thut, wenn er am kleinsten ist. In der Regel bleibt nach dem poetischen Wahnsinn eine Armuth des Innern zurück, die den Rest des Lebens dürftiger, als billig gestaltet, während die Freundschaft wie ein mächtiger Strom unzählige Arme ausbreitend, die Steppen und Wüsten des Daseins umfaßt, den Hauch der Belebung ausathmet, und eine veränderte, frische, fortbildende Welt schafft.[218]

Ich empfinde das in Elisens Nähe. Diese Frau hat einen freien, ja männlichen Geist, der mit seltner Kühnheit Verhältnisse durchschaut und lenkt. Und dabei so viel Regsamkeit des Verstehens, solche Fülle und Wärme in allen Lebensbeziehungen! Eines Engels Güte, eines Helden Muth! Niemals läßt sie das zärtere Geschlecht in sich vergessen, und doch fühlst Du ihr gegenüber nur den Einfluß einer höheren Seele, die keinem Geschlechte, keinen Bedingungen der Erde angehört. Ich bringe meine liebsten Stunden bei ihr zu. Wir reden, wir lesen mit einander. Meine Lieblingsschriften sind auch die ihrigen. Es peinigt sie wie mich, alles Enge, Abgeschlossene. Ein freier Flug der Ideen trägt uns oft, wie die reinere Bergesluft ihre nachbarlichen Adlers Gespielen, in unermeßliche Fernen, aus denen wir, inniger verschwistert, in die beschränkende Gegenwart zurückkehren.

Niemand versteht mich, wie sie! Wenn es wahr ist, daß die menschliche Gesellschaft nur da sei, damit Einer den Andern ergänze; so ward Elise geboren, alle Lücken und Mängel meiner unvollkommenen Natur durch den Reichthum ihres schönen Selbsts auszugleichen.

Schade, daß sie auf den Einfall kam, sich[219] zu verheirathen! Sie mußte für sich allein ihre Bahn durchlaufen. – Der Begleitung konnte sie entrathen. Mich stört der Mann entsetzlich! Er kommt jetzt von einer langen Geschäftsreise zurück. Er wird das bisherige zwanglose Sein und Treiben nothwendig einengen. Vor der trockenen Gemessenheit mancher Leute kommt kein gesunder Gedanke auf. Elise ist gefällig, fügsam, ihr verschlägt es nichts, sich in die Art und Weise derer zu schicken, denen sie ein Recht über ihren Willen zuschreibt, sie ist immer sie selbst. Ich kann nicht so denken, nicht so empfinden, ich ertrage das Hofmeistern pedantischer Rechthaberei nicht leicht, und wenn ich auch Jedem gern seine Art lasse, so bleibe ich doch da weg, wo Vorurtheil und Dünkel die Luft verdicken. Zudem ist der Dritte immer zu viel, in einem Verhältnisse, wo sich zwei genügen.

Ich sehe daher ruhig zu, wie drüben im Hause gepackt, geräumt wird, man sich anschickt, das Land zu verlassen, und nach der Stadt aufzubrechen. Ich werde ihnen nicht folgen! Um unsere stillen Abende ist es doch gethan! Ich werde ein Paar Wintermonate in den Mauern der Burg verschlafen, und aufwachen, wenn die Frühlingssonne[220] hell über den Strom in meine Fenster sieht! Lebe bis dahin wohl, lieber Heinrich!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 209-221.
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