Rosalie an ihre Mutter

[349] Erlaube, liebe Mama, daß ich Dir diese flüchtigen Zeilen noch vor Deiner Ankunft in der Stadt entgegenschicke.

Ich war kaum mit unserer guten, alten Schweitzerin in das Haus getreten, und hatte, wie Du es befohlen, einen Blick auf die neue Einrichtung der Zimmer geworfen, deren Beurtheilung Du meinem Geschmack anvertrautest, als schon eine Menge Menschen, die Licht in den Fenstern sahen, herbeirannten und wissen wollten,[349] ob wir angekommen wären? Du kannst Dir wohl denken, daß ich Niemand annahm, außer Deinen nächsten Bekannten, zu denen der gute Hofmarschall ja von jeher gehört. Ich schreibe Dir hauptsächlich seinetwegen, denn es drückt mir das Herz ab, was er mir alles in den wenigen Minuten sagte. Denke Dir, daß die Fürstin Mutter es so unglaublich vernünftig von uns findet, die Trauer so lange gehalten und nicht eher den ländlichen Aufenthalt verlassen zu haben. Sie hat öffentlich darüber gesprochen, Dich als gescheute und pflichtvolle Frau gerühmt, und versichert, sie sei im Voraus überzeugt, uns vollkommen gut erzogen zu finden. Als der Hofmarschall das bestätigte, sagte sie: »Es ist nur Schade, die hübschen Kinder werden uns nicht lange bleiben. Das Vorzügliche wird immer gesucht. Solche Mädchen verheirathen sich bald. Ich möchte sie hier fixiren.«

Und nun stelle Dir vor, darauf hat sie den jungen Baron Wildenau genannt, der ihr kürzlich vorgestellt ward, indem sie hinzusetzte: »Ich hoffe, er wird so viel Verstand haben, und mit meinen Augen sehen.«

Du kannst wohl glauben, liebe Mama, daß ich an so etwas weiter nicht denke; aber lachen[350] würde ich doch, wenn der steife, unentschlossene Leontin auf diese Art zu einer Erklärung gezwungen würde.

Apropos! von Leontin, und was damit zusammenhängt. Es ist doch außerordentlich, wie lächerlich die Leute werden, wenn sie etwas Besonderes sein wollen. Du kannst Dir nicht vorstellen, was man sich hier Alles über die fortgesetzte Freundschaft der beiden Nachbarhäuser sagt. Ich kann es Dich nur errathen lassen, denn es zu wiederholen, erlaubt die Schicklichkeit nicht. Hätte sich die gute Präsidentin doch mehr mit ihrer Toilette beschäftigt, als mit den albernen, romanhaften Grillen! Was helfen der sentimentalen Närrin nun Verstand und überspannte Gefühle? Sie bekommt nie wieder Gewicht in der Gesellschaft. Ich für meinen Theil bin gewiß, daß ich nicht in ähnliche Thorheiten verfallen könnte. Wer bescheiden von sich denkt, der ist leicht befriedigt.

Adieu, liebe Mama! Ich küsse Dir die Hand. Es ist doch fatal, daß die Tante uns nichts vermacht hat. Die kleine Französin war heute früh hier. Sie hat mir wunderschöne Ballroben und himmlische Blumen gezeigt. Ich verwies[351] sie auf Deine gränzenlose Güte. Wenn Du erst hier bist – nicht wahr, sie darf wiederkommen?

Deine Rosalie.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 1, Frankfurt a.M. 1829, S. 349-352.
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