Curd an Elise

[176] Sie haben mich fortgeschickt. Klüger, verständiger, wenigstens hofften Sie, werde mich die Entfernung machen. Cousine, Sie hofften das nicht. Sie wollten mich nur weit weg wissen, um das Uebrige kümmern Sie sich wenig.

Ich begreife gar nicht, was Ihnen die Vorstellung von mir, wie von einem leichtsinnigen Menschen giebt. Weil ich ein sorgenloses Leben, lustige Gesellschaft liebe, unnütze Grübeleien hasse, die Dinge sehe, wie sie sind, mir und Andern nichts vorlüge, deshalb werfen Sie mich bei[176] Seite, und thun, als wenn ich kein Herz und kein Gefühl in der Brust hätte. Wahrhaftig, Sie vergessen, daß ich doch auch ein Mensch bin, und so gut wie ein Anderer, meine Ansprüche auf Achtung mache.

»Gehen Sie, guter Curd!« sagten Sie mit dem fatalen Gleichmuth, der mich toll machen könnte. »Gehen Sie nur wieder zurück nach der Stadt, das wird sich Alles geben.«

Was darin für ein hochmüthiges Wegwerfen, für eine Anmaßung liegt!

Als wenn Sie sich auch jemals die Mühe gegeben hätten, zu erfahren, wie es in mir aussieht! Sehen Sie, darin sind Sie gerade so stolz und vornehm, Elise! wie die große Welt, die Sie verachten. Es nennt keiner dem andern seines Gleichen, der nicht von seiner Farbe ist. Ob das uns Weltkindern nun wörtlich gilt, und bei Ihnen figürlich, dies kommt auf eins heraus. Was haben Sie denn jetzt wohl Gutes an mir gethan, daß Sie mich in den Strudel zurückschicken, von dem Sie doch eigentlich so große Gefahr für mich fürchten? Glauben Sie wirklich, daß mich jedes Aeußerliche unwiderstehlich fortreißt, ist es denn recht, mich dem Preis zu geben? Gestehen Sie[177] es nur, es wäre ein Triumph für Sie, wenn ich darin umkäme!

O Sie sind härter und egoistischer, als die, welche Sie verdammen!

Darin haben Sie recht, man wird am Bequemsten mit den Leuten fertig, wenn man sie so niedrig stellt, daß man über sie wegsieht. Aber das können Sie bei allem dem nicht, wahrhaftig nicht, Cousine! Ich will es Ihnen beweisen. Wie? wenn solch' ephemeres Geschöpf nur einen einzigen Augenblick den Kopf erhübe, und Sie fragte: Ist dein Stolz Würde oder Dünkel? müßten Sie nicht antworten? und was würden Sie antworten?

Früher beleidigten Sie mich sehr oft, jetzt kränken Sie mich. Sie waren schön, ich verzieh' Ihnen. Sie sind vielleicht noch schöner, ich kann Ihnen nicht mehr verzeihen. Was liegt denn auch so Unerhörtes, so Vermessenes darin, daß ich mir's einfallen lasse, Sie zu lieben? daß ich mir's gestehe? und bei dem natürlich vertrauten Umgange unter nahen Verwandten, im einsamen, ländlichen Beisammensein, Ihnen davon mehr verrathe, als Sie hören wollen? Sagen Sie doch, verdient das Spott? Verachtung?

Sie würden unvorsichtig handeln, wenn ich[178] wäre, wofür Sie mich halten. Ich bin ganz anders. Sie thun mir wehe, ohne sich zu schaden.

Hier haben Sie immer einmal unrecht. Entweder Sie sind so scharfsinnig, als Sie es zu sein glauben, dann hören Sie auf, consequent zu handeln, oder Sie unterstützen mich, und dann läuft Ihre Güte Gefahr, verkannt zu werden.

»Ich mache Verstand!« werden Sie einmal wieder gelangweilt sagen. Es kann sein. Aber wie soll ich denn mit Ihnen sprechen? »Gar nicht!« höre ich Sie schnell einfallen. Sie lachen dabei, und reichen mir gutmüthig die Hand. Ach Cousine! wenn Sie lachen – Sie wissen, der Himmel liegt dann auf Ihrem Antlitz.

Es ist zum Verzweifeln, daß ich gerade immer dies Lächeln sehe.

Wäre meine Mutter nicht gewesen! Die hat mich zum vollendeten Thoren gemacht! Wüßten Sie, Elise! was die denkt, wünscht, zu hoffen wagt! – Hoffen! Mein Himmel, wer das vermöchte!

Sie hätte es nicht aussprechen sollen! Solch' lautes, vollständiges Wort, es kann einem ganz irre machen. Man wird es nicht wieder los.

Ich wollte es nicht hören. Ich drängte es zurück. »Warum denn aber nicht?« fragte die[179] gute, liebevolle Frau. Cousine, dies warum denn aber nicht, klingt mir immerfort in den Ohren, es fährt wie ein Ton aus der Luft, wenn ich gar nicht daran denke, plötzlich vorüber, und scheint immer ernsthafter meine Vernunft, mein Urtheil, mein Gefühl zu befragen.

Liebe Elise, Sie stehen allein! Die ganze Welt ist gegen Sie. Wer Sie halten könnte und sollte, der verweist Sie auf Ihre eigene Festigkeit und Stärke, aber es ist einer Frau nicht möglich, alle die Pfeile abzuwehren, die von nahe und fern auf sie gerichtet sind. Sie denken das nicht so. Wenn es indeß nun noch dahin käme, wenn Sie es nicht länger ertrügen, wenn Sie sich vergeblich nach Hülfe sehnten, wenn Sie fliehen, und verfolgt, erkannt, fremden Beistand suchen müßten? Cousine! Cousine! bedenken Sie es wohl, es kann dahin kommen! würde Ihnen meine Hand dann nicht eben so lieb sein, wie die eines Andern?

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 176-180.
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