Curd an die Gräfin Ulmenstein

[27] Wie beschämen Sie mich, gnädige Frau! Sie lassen sich herab, mir zuerst wieder zu schreiben,[27] mich willkommen zu heißen in der Heimath! mir zu sagen, daß ich erwartet werde, daß ich nur eilen soll, mich der großmüthigsten Beschützerin zu Füßen zu legen, die ihren reichen Vorrath launiger, unterhaltender Mittheilungen für mich in Bereitschaft hält.

Wahrhaftig, kann mich etwas mit dem Gedanken versöhnen, wieder in unsere gute, alte Stadt zurückzukehren, so ist es allein Ihre Gnade, Ihre liebenswürdige Gesellschaft, das elegante Haus der einzigen Frau in Deutschland, die Hoffnung, den Zirkel dort wieder zu finden, der sich allein um solchen Mittelpunkt versammelt.

Sie, Gnädigste, könnten den Aufenthalt in Paris allein vergessen machen! Welche Ansprüche auf die Dankbarkeit des deutschen Reisenden haben sie nun vollends dadurch, daß er bei Ihnen nichts von Allem vermißt, was er im Auslande zurückließ! Wüßte ich nur, was ich thun könnte, um mich einigermaßen eines solchen Glückes würdig zu zeigen! die schwachen Beiträge, welche ich zu Ihrer Unterhaltung liefern kann, sind nicht von der Art, um mir ein Recht auf die mir so vielfach bewiesene Aufmerksamkeit zu geben. Kleine Reiseabentheuer, in denen sich mein unbedeutendes Selbst verflochten findet, war ich schon so[28] dreist, Ihnen vorzulegen. Leider ist mir aber nichts Bedeutendes begegnet. Ehrlich gesprochen, gnädige Gräfin, Leute, die nichts Besonderes sein wollen, erfahren sehr selten etwas Außerordentliches. Die gebildete Gesellschaft duldet nirgends auffallende Ereignisse. Ueberall giebt es einander ähnlich sehende Gesetze, strenge Polizei, geebnete Straßen, über die man pfeilschnell hinfliegt, große Städte, große Welt, und fast nur eine Sprache, ob diese französisch, englisch oder deutsch heißt, Menschen von Erziehung reden alle aus einem Tone. Das bestätigen uns die neuesten Reisebeschreibungen. Sie sagen immer dasselbe, wenn sich nicht so ein guter, wandernder Künstler auf die Beine macht, und uns sein Abentheuer zum Besten giebt. Ich versichere Sie, der Parmesankäse schmeckt in Parma nicht anders als in unsrer Residenz, der ächte Syllerie wird überall nur ächt geschätzt, französische Köche an jedem Orte gut bezahlt, Trüffeln aus Perigord, so wie Strasburger Pasteten machen die Reise bis nach Neapel, der Mann von Geschmack ißt im Norden und Süden gern gut, und die Frauen dürfen nur die Augen in den Spiegel werfen, um zu unterscheiden, ob eine Pariser Toilette sie kleide? Uebrigens wissen Alle, was ein hübscher[29] Fuß in der Welt gilt, wie er am zierlichsten beschuhet, wie am vortheilhaftesten gesetzt wird. Wer sucht, der wird finden, heißt es. Es suchen die Klügsten dasselbe, und Einige finden es überall. Der ganze Unterschied besteht darin, daß dies mit mehr oder weniger Grazie geschieht. Indeß, gute Tanzmeister finden sich dann doch an den meisten bedeutenden Orten. Selbst in Deutschland ist, Gott sei's gedankt! die Erziehung hierin soweit vorgeschritten, daß man dreist eine Comtesse Ulmenstein neben die gewandtèste Pariserin stellen darf. Sie sehen, gnädige Frau, etwas Neuem begegnete ich eben nicht. Wie sehr muß ich auch hierin gegen Sie zurückstehen, Sie, die mir den aller reichhaltigsten Brief, voll der bizarrsten Katastrophen mitzutheilen die Gnade hatten. Welch ein Wahnsinn befiel denn Ihre Nachbarn! Die Tragi-Komödie am See beschreibt Ihre meisterhafte Feder im Styl einer Seriguee. Ich war dadurch so überrascht, daß ich Anfangs die ganze Sache für eine Fiction Ihrer scherzhaften Laune hielt. Die außerordentliche Wahrheit, mit der Sie das Gemälde hinstellen, konnte mich auch nicht so leicht irre machen, da ich wohl schon öfter Gelegenheit hatte, ein Talent zu bewundern, das eben so täuschend trifft,[30] als glücklich malt. Indeß sollte ich in Kurzem durch den Augenschein über jene Zweifel belehrt werden.

Ja, gnädigste Frau, durch den Augenschein. Die schöne Elise hält sich im Hause meiner Mutter auf. Denken Sie sich die Ueberraschung, als ich hier ankam, und die Verbannte unter einem Dache mit mir fand! Es mochte sie wohl nicht weniger überraschen; denn ich eilte dem Briefe, der meine Ankunft bestimmt meldete, fast um acht Tage voraus, und verhinderte sie so an der Ausführung des Vorsatzes, mir das Feld zu räumen. Ich gestehe, ich wußte es ihr Dank, daß sie nicht eben begierig auf meinen Anblick war. Es setzte mich in große Verlegenheit, ihr gerade an diesem Orte zu begegnen. Ueberhaupt macht man immer ein einfältiges Gesicht, wenn man Jemand nach einem Unfall oder sonstiger Veränderung seiner Lage, wiedersieht. Hier war nun vollends etwas Beleidigendes im Spiel, das mir das verwandte Blut ziemlich warm durch die Adern jagte. Ich konnte es weder mir noch meiner Mutter verbergen, daß, nach der einfältigen Geschichte, Elisens Aufenthalt hier im Hause einen Theil des Ridiculs auf uns zurückwerfe, das sie auf sich lud. Ich stritt lange mit der[31] nachsichtsvollen Frau, die zu fern von der Welt lebt, um das Gewicht ihres Urtheils zu kennen. Es verdroß mich, gleich beim Wiedersehen gerade hierdurch gestört zu werden. Leider giebt es ohnehin bei jeder Nachhausekunft Störungen, die auf der gänzlichen Verschiedenheit der Verhältnisse beruhen, und die noch erhöht werden, wenn zu den eigenen Unannehmlichkeiten, fremde hinzukommen.

In solcher totalen Verstimmung machte ich den nächsten Morgen, ganz gegen meine Gewohnheit, in aller Frühe einen weiten Spatziergang, querfeldein durch Wald und Wiesen. Ich hetzte mich gewissermaßen müde, in dem Gedanken, zahmer und williger das Ungemach über mich ergehen zu lassen. Es gelang mir auch. Die freie Luft hatte mich um Vieles abgekühlt, der Anblick einer ganz hübschen Besitzung, mit angenehmen Aussichten für die Zukunft erfüllt. Vorzüglich verhieß der Wald, mit seinen starken, lang geschonten Holzungen, die letzten Reisekosten zu decken. In Gedanken dieses schnell berechnend, nahm ich meinen Rückweg nach Hause. Ich ging rasch, wie man unter dem Entwerfen vortheilhafter Pläne geht, ohne rechts und links zu sehen. Plötzlich stehe ich vor meiner hübschen Cousine.[32] Sie ruhte ganz idillisch, wie man sonst Figuren auf Tassen malte, unter einer Eiche am Wiesenrande, vor ihr weideten die Schafe. Ein großer Strohhut beschirmte ihr Gesicht, sie lehnte sich seitwärts gegen den aufgestemmten Arm, so daß sie halb liegend den Rasensitz einnahm. Sie sah allerliebst aus. Ich blieb eine Weile stehen, um sie genauer zu betrachten. Als sie mich bemerkte, richtete sie sich schnell in die Höhe. Sie sah mich verwundert an. »Wie?« fragte sie, ohne Verlegenheit oder Affectation, ganz in ihrem gewöhnlichen Tone: »sind Sie es, Curd? So frühe? das ist wohl etwas Neues, was Sie von Reisen mitbringen?«

Sie lächelte bei diesen Worten, und zeigte zwischen den frischen Lippen die schönen, weißen Zähne, die ich so oft an ihr bewunderte.

Weiß der Himmel, ich gerathe doch sonst nicht leicht aus der Fassung, aber diese unbefangene Art, mich zu bespötteln, verwirrte mich. Sie bemerkte es. »Nun,« sagte sie, »was stocken Sie denn so? Haben Sie es verlernt, mit mir zu reden? oder scheuen Sie es etwa?«

»Ich sehe,« erwiederte ich schnell gesammelt, indem ich Platz neben ihr nahm. »Ich sehe, Sie fangen es da wieder mit mir an, wo Sie[33] es gelassen haben, Sie machen sich sogleich wieder über mich lustig.«

»Ach, mein lieber Curd,« seufzte sie mit ganz unveränderter Miene. »Es fängt sich im Leben niemals, wie in einem Buche, auf der Stelle wieder an, wo man stehen blieb; und das Lustigmachen hängt genau mit der Lust zum Lachen zusammen. Aber kommen Sie,« fuhr sie fort, »wir sind wohl hiermit fertig. Sie haben den Schreck überwunden, mich zu sehen. Ich habe Ihnen über die Verlegenheit der ersten Anrede weggeholfen, weiter möchten wir doch nicht leicht kommen, und Ihre Mutter will frühstücken.«

Sie stand hier von ihrem Sitze auf, band die Hutschleife unter dem Kinn fester, und ging, diesen vor dem anhebenden Wind mit der einen Hand haltend, so leicht und frei vor mir her, als könne weder Vorwurf noch Kummer ihr etwas anhaben.

Gerade in solchem Morgenanzuge, mit demselben feinen florentinischen Hute hatte ich sie auf der Jagdparthie am Tage meiner Abreise das Letztemal im vollen Glanze der glücklichsten Stellung bewundert, verehrt, gesucht, gesehen; neben ihr auf dem Rasen gesessen, mit ihr gelacht, und alle Ausfälle neckender Laune über mein Reiseproject[34] erduldet. Und nun! Ich konnte mich nicht einer Aufwallung von Mitleid mit der jungen, reizenden Frau erwehren. Es war mir ganz unbegreiflich, wie gerade sie zu der sentimentalen Schwärmerei kam!

Viel nachsichtiger als zuvor gegen sie gestimmt, bot ich ihr den Arm. »Ich danke Ihnen,« sagte sie mit kurzem Kopfnicken, mehr höflich als freundlich. »Sie wissen wohl von unsern ehemaligen Spatziergängen her,« fügte sie hinzu, »ich gehe lieber allein, man ist so freier.«

Ich lächelte. Sie that nicht, als wenn sie es bemerkte. Ihr lag sichtlich daran, eilig nach Hause zu kommen. Sie sprang auch eine Strecke vor mir her die Treppe hinauf. Ihre Eile mußte meine Mutter befremden, die schon im Vorsaale stand, uns zu empfangen. Sie machte ein peinliches Gesicht, und sah verlegen nach mir hin, als fürchte sie, ich könne Elise gekränkt haben. Doch diese sah sich nicht sobald von einem tête-à-tête mit mir befreit, als sie unbefangen an dem Frühstück Theil nahm, und sich von Italien erzählen ließ. Man merkte aber nicht, daß sie sich Gewalt anthue; doch nach einer Weile ward sie zerstreut. Sie rückte sich tiefer in das Sopha hinein, schlug die Arme übereinander, lehnte den[35] Kopf zurück, ohne länger das Ansehen haben zu wollen, als interessire sie, was gesprochen ward. Auf eben diese Art wandte sie sich auch, während einer Pause, wie plötzlich von einer Empfindung getrieben, zu meiner Mutter, faßte sie bei der Hand, indem sie gerührt sagte: »Liebe Tante, es war mein Vorsatz von Anfang an, Sie meinetwegen in keine Verlegenheit zu setzen. Deshalb wollte ich Ihr Haus vor Curds Ankunft verlassen. Glauben Sie nur, ich weiß genau, wie unsicher er mit mir ist, und wie Sie das ängstigt. Ich würde mich auch jetzt gleich auf den Weg machen, und nicht so schwankend zwischen Mutter und Sohn, bei dem ersten Wiedersehen nach langer Trennung, stehen bleiben. Allein, ehrlich gesagt, weiß ich nicht recht, wohin ich mich sogleich schicklicher Weise wenden könnte? und dann fürchte ich auch, Ihnen, liebe Tante, wehe zu thun.«

Wir hatten vergeblich gesucht, sie zu unterbrechen. »O!« rief sie aus, »ich fühle wohl, was Sie mir erwiedern müssen, was Sie auch in dieser Minute aus Ueberzeugung erwiedern werden, allein das ist doch alles nicht von Bestand. Es können tausend unzuberechnende Zufälligkeiten eintreten, von denen eine einzige hinreicht,[36] Verdruß zu erregen. Wer Aergerniß gegeben hat, darf sich nicht wundern, wenn man sich über ihn ärgert, und besonders ein Weltmensch, wie Ihr Sohn, liebe Tante, der verzeiht nichts so schwer, als einen Eclat, der nicht niederzuschlagen ist. Ich habe die ganze Nacht die Sache hin und her erwogen, ohne etwas anders auszumitteln, als daß wir einander aus gegenseitiger Rücksicht soviel als möglich aus dem Wege gehen müssen.«

»Um Alles in der Welt, Kind!« fiel meine Mutter ihr ins Wort, »wie verstehst Du das? Soll es von mir heißen, ich habe einen Gast in meinem Hause, und vernachläßige meine Schuldigkeit gegen ihn? oder wollen mich die Leute glauben machen, Deine Familie habe Dich auch verstoßen, weil Du zu gewissenhaft und zu lebhaft warst, da zu schweigen, wo es keinen andern Kläger gegen Dich gab, als Dich selbst? Einander aus dem Wege gehen! auf dem Lande in einem Hause! Du bedenkst die Unmöglichkeit nicht.«

Elise umarmte sie begütigend. »Gute, beste Tante,« sagte sie, »mißverstehen Sie mich nicht, als wolle ich mich Ihrer Gesellschaft völlig entziehen. Bewahre mich der Himmel vor solcher Undankbarkeit.[37] Allein jetzt, da Sie bessere Unterhaltung haben, geben Sie nicht allzu genau darauf Acht, wenn ich einmal an Ihrem Tische fehle, mein Zimmer Ihnen verschlossen bleibt, oder ein langer Spatziergang mich weiter von hier entfernt, als es gewöhnlich geschieht. Lassen Sie mich kommen und gehen, ohne Arges dabei zu haben. Begegnen wir einander, so verdenken Sie mir's nicht, wenn ich zurückbleibe, oder nicht Ihren Weg nehme. Denken Sie dann, daß ich es scheue, Ihnen lästig zu werden, und auch unfähig sei, mich gerade jetzt zu beherrschen.«

Ich versicherte sogleich, ihre Aeusserungen möglichst leicht nehmend, daß sie von mir keine Belästigung zu fürchten habe, und da mein Aufenthalt überhaupt nur von kurzer Dauer sei, so hoffe ich, solle sie der nicht belästigen. Sie sah bei diesen Worten überrascht und ungewiß zu mir auf. Doch ließ sie es dabei. Auf ihrem klugen Gesicht lag allerlei, was ich nicht sogleich entziffern konnte. Meine Mutter war nun froh, daß sie nicht mehr an die Abreise dachte. Sie sagte ihr in meinem und ihrem Namen jede Bedingung zu, worauf sie, ein häusliches Geschäft zu besorgen, das Zimmer auf einen Augenblick verließ.

Kaum daß sie sich entfernt hatte, so wandte[38] sich Elise rasch zu mir. »Hören Sie, Curd,« sagte sie, in allem ihrem frühern überlegenen Ernst, »ich will annehmen, Sie meinen es gut mit mir. Es kann ja sein! Was hätten Sie auch davon, mich zu kränken! Des halb verderben Sie mir nicht durch wohlfeile Witzeleien und magern Spott, über sentimentale Bizarrerie, meinen Lieblingsplatz unter den Eichen. Lassen Sie mich da machen, was ich will, und kümmern Sie sich nicht darum, wenn es Ihnen auch lächerlich vorkommt, daß ich meine Freude an den Thieren habe, die dort weiden. Manch armes Lämmchen, das auch keine Mutter hat, wie mein – –«

Sie stand hier, von innerer Rührung überwältigt, vom Stuhle auf, und trat, mir den Rücken wendend, ans Fenster. Sie weinte bitterlich. Mir that es im Herzen wehe; ich hatte nicht den Muth, sie anzureden.

Kurz darauf war sie gefaßt genug, mich zu fragen, ob ich ihr versprechen wolle, auf die vorgeschlagene Weise, hier in Frieden mit ihr zu leben? ihre Ruhe zu ehren, und nicht den Späher und Critiker gegen sie zu spielen?

Es versteht sich, daß ich mir in der Stimmung, worin wir gerade waren, keinen unzeitigen[39] Scherz erlaubte, ganz ihren Befehlen zu gehorchen versprach, und zum Beweis meiner Willfährigkeit ihr nicht folgte, als sie, zufrieden mit meiner Zusage, in den Garten ging.

Sie hätte auch wirklich in dem Augenblick von mir fordern können, daß ich sogleich aufbrechen und das elterliche Haus ihretwegen räumen sollte, ich wäre nicht im Stande gewesen, »Nein« zu sagen. Sie hatte mir's angethan, ich war wie bezaubert von ihr. Wahrhaftig, ein bischen Sünde, ein bischen Unglück macht die Frauen erst reizend, begegnet man ihnen nun noch dazu, ausgestoßen von der Welt, in irgend einem entlegenen Winkel auf dem Lande, wer kommt da nicht auf den Einfall, einem gefallenen Engel wieder aufhelfen zu müssen?

Ihnen gnädige Gräfin, darf man dergleichen flüchtige Empfindungen schon anvertrauen, ohne Furcht, mißverstanden zu werden, und so gehe ich denn noch weiter, und bekenne Ihnen, daß ich den ganzen Tag eine gewisse unruhige Verwirrung nicht los werden konnte, und noch spät Abends ein Paar Pferde müde reiten mußte, ehe ich hoffen durfte, es zu Hause auszuhalten. Mein heißes Blut sollte indeß durch eine ungeheure Mistification abgekühlt werden. Hören Sie[40] nur, gnädige Frau! Es war voller Abend, als ich endlich zurückkehrte. Meinem Versprechen getreu, umritt ich den Anger, die Bäume, Elisens Ruheplatz, in weitem Kreise. Gleichwohl zog es mich, zu sehen, ob sie wieder da säße. Ich hielt auf einer kleinen Anhöhe. Der schöne, grüne Teppich lag unter mir, ich wäre vor mein Leben gern darüber weggesprengt, zu der lockenden weißen Gestalt hin, die mit raschen, kurzen Schritten am Rande der Erlenbüsche auf- und abging, zuweilen still stand, umhersah, und dann, wie nach vergeblichem Warten, ihren Spatziergang aufs Neue fortsetzte.

Ich wurde, je länger ich dies unstäte Umherwandeln beobachtete, immer gespannter. Es fing an zu dunkeln. Bald sah ich nichts mehr als Elisens Kleid durch die schwarzen Nachtschatten hin und wieder gleiten. Jetzt mit einemmale kam mir's vor, als verdopple sich dieser Schatten, und gehe auf der andern Seite neben ihr. Doch blieb er nicht immer sichtbar. Zuweilen verlor er sich im Gebüsch, dann mit einemmale sank er ganz zusammen, und schien nur bis an ihre Kniee zu reichen.

Was ist das? fragte ich mich, halb und halb meiner Sache gewiß. Ein Mann! so wahr[41] Gott lebt! ein Mann! rief ich, gab meinem Pferde die Sporen, und war, wie der Blitz, bei den Erlen. Indem sprang Jemand zwischen den knisternden Zweigen hindurch. Elise eilte pfeilschnell nach dem Garten zurück. Dort ereilte ich sie, nachdem ich mich vergeblich bemüht hatte, jenen Flüchtling zu erhaschen. Er war, wie vom Erdboden verschwunden. Das Gartenthor mußte von der andern Seite ins Schloß gesprungen sein. Elise quälte sich umsonst, es zu öffnen, als ich vom Pferde stieg, und dieses am Zügel haltend, mit den Worten zu ihr trat: »Warten Sie, Cousine, ich will Ihnen helfen.« »Ich danke, ich danke Ihnen,« entgegnete sie mit abgebrochener Stimme und schnellem, kurzem Athemzuge. Ich hatte ihre Hand beim Drehen am Schlosse berührt. Sie bebte wie von Fieberfrost geschüttelt. »Mein Gott,« rief ich bestürzt, »Elise, was ist Ihnen?«

»Lassen Sie es gut sein,« flehte sie kaum hörbar, »halten Sie Wort, Curd, forschen Sie nicht, es hilft zu nichts mehr! Mein Gott!« seufzte sie, einen Augenblick auf meinen Arm gestützt. »Bin ich doch bis zum Tode erschrocken!« Doch gleich darauf nahm sie sich zusammen. »Es[42] ist jetzt ganz vorüber,« lächelte sie. »Reiten Sie nun ruhig weiter, ich bin ja zu Hause.«

Sie machte sich los, und ging hinein. Ich sah sie den Abend nicht wieder. Heute Morgen erschien sie auch nicht beim Frühstück. Ich höre, sie habe Briefe erhalten. Ihre Kammerjungfer versichert, die arme Dame bade sich in ihren Thränen.

Ich bin geheilt, Gnädigste! Ich weiß, was diese Thränen bedeuten. Ohne allen Zweifel war Hugo hier. Hätte ich ihn zu der Stunde, auf dem Gebiet meiner Mutter gefaßt, er wäre nicht lebend von der Stelle gekommen! Vergeben Sie, Frau Gräfin, daß ich soviel und so Unbedeutendes schwatze. Die neuesten Tagsbegebenheiten, selbst aus einem armen Dorfe, reißen stets die Feder wie die Gedanken mit sich fort. Ueberdem greift das hier Vorgefallene in das Gewebe der letzten Residenzgeschichten mit ein, und erhält dadurch einiges Interesse. Ich hoffe deshalb auf Ihre Verzeihung.

Gewähren Sie diese

Ihrem unterthänigsten

Curd.[43]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 27-44.
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