Der Arzt an Sophie

[208] Zu manchen Zeiten sollte man wirklich glauben, es mischen sich böse Geister in unsere verständigsten Absichten, um sie zu Schanden und uns Kummer zu machen.

Es geht auch hier so. Alle Ihre Vorsicht, verehrtes Fräulein! hat es nicht hindern können, daß die übereilte Klage wenigstens abgefaßt, unangenehme Worte darüber gesprochen, feindliche Gesinnungen erregt worden sind. In dieser unseligen Stimmung aufs Höchste gereizt, durch die eigennützigen Einflüsterungen des Amtmanns gestachelt, krank, in heftiger Fieberwallung, verläßt die Frau Präsidentin die Stadt. Es dunkelte bereits. Der Abend war lau, sie litt durch innere Hitze. So befahl sie, den Wagen herunter zu schlagen. Noch dünkten ihr Hut und Schleier genügend. Frei und leicht saß sie ohne weitere[208] Verhüllung, und schien, selbst dem bösen Einfluß der Nachtluft zu trotzen. So kommen sie an die Brücke, die jetzt ausgebessert wird, und nur eine schmale Ueberfahrt gestattet. Wagen, die einander begegnen, müssen dann anhalten, und sich über das Recht des Vorfahrens vereinen. Des Amtmanns Calesche, von zwei Pferden gezogen, bleibt billig bei der Annäherung einer großen, sechsspännigen Reisekutsche zurück. Diese rollt nun über die Brücke. Neugierig biegt sich ein Kinderköpfchen zum Schlage heraus. »Mama! Mama! da ist sie ja!« ruft eine herzzerschneidende Stimme. Und gleich darauf: »O bitte, liebe Mama, komm doch mit! O bitte, bitte!« Zerrissen, verwirrt, von wilden Empfindungen um Bewußtsein und Fassung gebracht, stürzt die unglückliche Mutter zum Wagen heraus, dem rasch Vorüberfahrenden nachschreiend, händeringend sinkt sie in die Kniee, dicke Staubwirbel, und Georgs Klagen, ziehen vor ihr her, sonst ist es Nacht um sie. Sie sieht nichts mehr! –

In diesem Zustande trifft sie der Graf, welcher auf Ihr Geheiß, mein Fräulein! nach der Stadt eilte.

Sie erkannte ihn nicht. Seine Verzweiflung, wie mir der Amtmann sagte, war unbeschreiblich.[209] Er trug die Ohnmächtige in den Wagen, und während seine Leute mich zu holen eilten, begleitete er jene nach dem Amthof.

Ich kam in der Nacht hier an. Ich fand bedenkliche Anzeichen, und darf es nicht verschweigen, daß die Natur wohl einen harten Kampf vorbereitet. Der Graf sitzt stumm an dem Bette der Kranken. Er fragt nicht, er äußert nicht Angst noch Sorge. Doch wird die Falte zwischen seinen Augen immer tiefer, sein Blick immer finsterer, das Gesicht starrer, der Schmerz hat all das Fürchterliche bei ihm, was Diejenigen ihm geben, die ihn auf Kosten ihrer Existenz in sich er drücken, und Gewalt gegen Gewalt anrücken lassen.

Hier im Hause herrscht die größte Bestürzung. Der Umstand, daß die Symptome der Krankheit sich ungefähr wie bei der verstorbenen Amtmannsfrau äußern, ruft alle schmerzliche Erinnerungen in die Herzen der Umstehenden zurück. Man giebt in der Regel der einmal gemachten Erfahrung bei ähnlicher Veranlassung unumschränkte Gewalt über die Gefühle. Niemand glaubt deshalb an Rettung, Alle beweinen die Kranke schon wie eine Todte, man hat dies kein Hehl, und selbst die ruhige, gelassene Madame Lindhof, durch so viele[210] widrige Ereignisse nicht gleich so furchtsam, kann sich dennoch zu keiner Hoffnung erheben.

Diese lähmende Trostlosigkeit ist indeß für Pflege und Aufsicht nachtheilig. Ich wage daher, Sie, mein Fräulein! hieherzurufen, und hoffe um so mehr auf Sie, als ich nur kluger Umsicht und gefaßtem Gemüth fernere Verhaltungsregeln anvertrauen kann, von deren Beobachtung während meiner unaufschieblichen Rückkehr nach der Stadt, sehr viel abhängt.

Unheimlich ist es, und ich leugne nicht, auch für Stärkere möchte es peinlich sein, daß die Fremde, welche hier eingezogen ist, und die bei den Leuten unter dem Namen: das graue Nönnchen, (der Farbe ihrer Kleidung wegen) bekannt ist, gerade bei der Ankunft der Kranken ihren nächtlichen Umgang hielt, und bei dem Wagen stehen blieb, als dieser vor dem Hofe einen Augenblick hielt, bis die Thorflügel geöffnet waren. Selbst der Graf soll zusammengezuckt und ängstlich gestöhnt haben. Einige wollen deshalb gar nicht zugeben, daß es die Fremde gewesen sei; sie halten die Gestalt für den Geist der verstorbenen Amtmännin, und vermehren dadurch nur die dumpfe Bestürzung.[211]

Alles dies, mein bestes Fräulein! möge Ihre Ankunft beschleunigen. Ich erwarte Sie in wenigen Stunden.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 208-212.
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