Elise an Hugo

[112] Ich danke Ihnen, lieber Hugo! Sie geben mir den alten Glauben wieder. Sie sind nicht kleiner geworden im Unglück. Sie verleugnen weder Ihr Herz, um dem Gewissen zu entlaufen, noch denken Sie daran, beide durch Vergessen auszusöhnen. Sie sind wahr, wie immer, selbst in der matten Lauheit, mit der Sie auf mich, wie auf den Frühling Ihrer Gefühle zurücksehen. Wie viel lieber ist mir der schlummernde Hugo, als der klügelnde, sich und mich verhöhnende.

Lassen Sie es immer sein, daß Ihnen jetzt die Brust so leer scheint. Wenn ein Freund uns verläßt, so sehen wir die andern nicht gleich, aber begegnen wir Ihnen, so fühlen wir, daß die Freundschaft uns immer nahe blieb.[112]

Ihr Brief würde Manchem bange machen. Aber mir ist er so werth, so theuer! Er ist wie Sie selbst. Was Sie berührt, das ergreift Sie ganz, und Sie fassen es wieder so. Ich habe Sie immer geliebt in dieser Vollständigkeit Ihres Empfindens. Läßt denn am Ende auch die Begeisterung nach, spurlos zieht nichts durch sie hin.

Sie sagen mir, daß Sie auf der Burg bleiben. Sie dürfen sie auch nicht verlassen, jetzt nicht. Könnten Sie wohl den kummervollen Greis dort einsam wissen, und umherziehn, ohne Absicht, ohne Zweck? Was zöge Sie in die Ferne? was reizte Ihre Thätigkeit? Ist es dort nicht wie hier? und entgehen Sie sich irgendwo?

Hierin sind Sie zu beneiden, Hugo. Sie wissen doch wenigstens, weshalb Sie an diesem und an keinem andern Orte sind. Ich weiß es nicht. Das drückt mich am schwersten, daß ich so zwecklos gehe und komme, dieses will und jenes lasse. Es bleibt am Ende ganz einerlei, und mir kann es das ebenfalls sein.

Ja, ich bin noch bei der guten, geschäftigen Tante; die immer weiß, weshalb sie aufsteht und niedersitzt, die Schlüssel in die Hand nimmt, klingelt, bestellt und abbestellt. Die Welt liegt auf ihren Schultern, und schwerlich erwacht der[113] Herrscher großer Staaten am Morgen mit so viel unruhiger Besorgniß, als sie, bis ihre Küche bestellt, das Erforderliche ausgegeben und die Besichtigung und Berechnung aller Vorräthe geschehen ist. Lachen Sie nicht, Hugo! Mich rührt die unermüdete Thätigkeit, und die eingebildete Größe ihres Zweckes. Glauben Sie mir, es liegt viel Beruhigendes in solcher Beschränkung.

Ich spüre das in meiner jetzigen Lage. Sie ist eng, oft pressend, aber man wird so still darin. Vielleicht matt! Wozu hilft auch den Frauen die Kraft und der freie, umherschauende Sinn? Sie werden doch nur, frühe oder spät, in ein Zellchen über oder unter die Erde zurückgeschleudert.

Ich habe hier alle meine Schmerzen verweint, und bin darüber eingeschlafen. Das Ableiern tagtäglicher Gewohnheitsworte, die Fragen nach Wind und Wetter, nach gutem oder schlechtem Schlaf, nach dem Gedeihen der Früchte, dem Befinden nützlicher Haus-und Hofthiere, die Verwunderung über die Nachläßigkeit eines Domestiken, und was sonst noch das beschränkte Leben hier bietet, ich versichere Sie, es läßt wenig Anderes in der Phantasie aufkommen. Allmählig nimmt man an dergleichem Theil; man spricht und hört so lange davon, bis man sich damit beschäftigt,[114] und es mit einer Art Beruhigung wahrnimmt, daß weibliches Thun nicht mit Unrecht dem Treiben der Bienen verglichen wird. Solch' Sumsen und Wirren betäubt für den trügerischen Ruf nach hellern, weitern Regionen!

Der Sohn des Hauses war eine Zeitlang hier, jener Vetter Curd, den Sie in Ulmenstein und bei mir müssen gesehen haben. Vielleicht wissen Sie nichts mehr von ihm. Es ist auch nicht viel von ihm zu wissen, er selbst weiß am wenigsten von sich. Nun sehen Sie, hier war er Etwas, ein Sohn und ein Hausherr. Sehr viele Menschen, die sich in der Welt verlieren, nehmen ein Wesen und eine Gestalt an, wenn sie in die Umzäunung ihrer Grenze zurücktreten. Ich mache nicht viel aus den Geschöpfen, die nur in einem Element athmen können und nirgends anderwärts existiren; indeß urtheilen Sie, wie bescheiden mich mein jetziges Loos macht, ich sah den Vetter Curd nicht ungern hier. Sein Anblick rief mir andere Tage, andere Personen, andere Verhältnisse zurück, und vollends seine Pferde! – Mein armer Georg ritt sogar auf des Vetters Pferde. – Jetzt hat das arme Herz wohl nichts, nichts mehr, woran sich ein fröhlicher Knabe erfreut![115]

Sein kleines Gartengeräth sahen Sie umherliegen, Hugo? O sähe ich das wenigstens! Ich würde auch das runde Händchen zu sehen glauben, das sich so dicht um den Reif der Kanne zusammenpreßte, und doch die Hälfte des Wassers verschüttete, ehe noch die Stelle erreicht war, wo es einen künstlichen Graben füllen, oder eingesteckte Reiser geschwind zu großen Bäumen wachsen lassen wollte. – Abgeschnittene Stückchen ohne Wurzeln in den steinigten Boden verpflanzt, waren Deine Wälder, armes Kind! Du träumtest Dich schon in ihren Schatten, und rittest auf der Haselgerte zwischen ihnen durch, Hirsche und Rehe zu jagen! Wird Dein ganzes Dasein so wurzellos auf undankbarem Boden vergehen?

Wie kam es, Hugo, daß Sie, an Georg erinnert, ihn nicht aufsuchten? Sehen Sie, das dumpfe Träumen in dem verwilderten Garten, auf der verlassenen Stätte im Hause paßt nicht für Sie. Wie anders könnten Sie der Freundin dienen, würden Sie der gute Engel des Kleinen. Ich habe etwas Aehnliches wohl lange im Stillen gedacht, aber da Sie mir nichts zu sagen hatten, so konnte ich Ihnen auch nichts sagen, und bat darum Curd, zuweilen hinaus nach dem Amthof zu reiten, und mir zu schreiben, wie es[116] um das Kind stehe. Es wird denn nun freilich an seinen Berichten nicht viel sein. Ich dachte aber, immer ist es ein verwandtes Gesicht, nur eine Erinnerung aus der frühern Zeit, die dem Verlassenen in dem ungewohnten Leben Freude machen muß. Und kann ich doch sonst nichts mehr für meinen Liebling thun!

O wie das Kind auf meine Seele drückt. Die weiche, liebreiche Madame Lindhof theilt mir Alles mit, was ihren Pflegling betrifft; allein, sie sieht ihn täglich mit ältern Knaben, Georg verliert sich unter diesen. Auch ist er stumm, wo er sich fremd fühlt, und fremd werden ihm diese Kreise immer bleiben! Manches mag auch als Unart erscheinen, was er nur nicht verständlich machen kann, was Niemand dort verstehen wird! Es quält mich, all den Widerspruch zu denken, der mit Tavanelli's Eintritt begann und immer verwirrender fortgehen muß!

Wenn Sie wollten – sehen Sie zu, Hugo, wie Sie es machen, was Sie thun können!

Wie mich's hebt und entzückt, Sie und das Kind auf den Bahnen zu denken, die mir verschlossen sind. Von Eduard kein Wort! Auch an die Lindhof nicht. Er weiß, fürchtet diese, um[117] deren Briefwechsel mit mir. Der Prior kommt zuweilen nach dem Amt. Wenn mir von daher neue Leiden drohten. Es ist doch ein Punkt unsers gegenseitigen Vertrags, daß der Knabe bis zum siebenten Jahre seiner jetzigen Pflegerin verbleibe. – Wenn –! Umsonst macht der geistliche Herr seine Spatziergänge nicht so oft durch die Erlen am Bache und in den Amtsgarten. Der Einfluß von daher wäre mir unaussprechlich peinlich! Haben Sie ein wachsames Auge, lieber, geliebter Hugo! Sie, der Sie alle Schläge dieses Herzens mit dem Engel theilen, der auch Ihr Liebling war. Dulden Sie es nicht, daß man dies helle Gemüth verfinstere, den aufrichtigen, klaren Sinn zur Verstecktheit und Lüge reize!

Bin ich doch ganz wieder erwacht, seit ich an Sie schreibe! Regen sich doch tausend fremdgewordene Wünsche und Gedanken in mir! O Herz, wie würde Dir sein, dürftest Du Dich nur einmal wieder – –

Aber weg, weg mit solchen Bildern! Die Tante rasselt mit den Schlüsseln, die Bodenthüre knarrt. Es regnet, und die Wäsche muß trotz der Jahreszeit im Hause getrocknet werden, die Mägde und Weiber jammern beim Hinaufschleppen[118] der Last! Was wird der außerordentliche Fall uns nicht heute alles bei Tisch reden lassen!

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 112-119.
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