Elise an Hugo

[144] Ihre beiden kurzen Briefchen, die mir anzeigen, daß Alles zu meinem Empfange in Wehrheim bereit sei, die Zimmer im alten Flügel völlig eingerichtet, heizbar, trocken, nur mich erwarten, um auch Sie dort, wenigstens für Stunden, heimisch zu sehen, die beiden Briefchen, liebster Hugo! ließ ich bis heute unbeantwortet, weil ich verlegen bin, wie ich Ihnen den Zustand meines Gemüthes schildern soll, der mich hindert, irgend einen Entschluß zu fassen.

Sehen Sie, nun es so weit ist, und die Koffer gepackt sind, der Wagen herausgezogen, besichtigt, ausgestäubt und zur Reise in Stand gesetzt ist, nun kann ich nicht gehen, nicht bleiben.

Werden Sie nicht unwillig, verzweifeln Sie auch nicht gleich an der Ausführung irgend eines freien und schönen Gedankens, wenn sich Ihnen Hindernisse in den Weg stellen, schelten Sie mich[144] vor allen Dingen nicht undankbar. Ich bin es nicht! Folgte ich dem raschen, leidenschaftlichen Zuge des Herzens, ich wäre, trotz Schnee und schlechte Wege, vielleicht schon jetzt bei Ihnen in Wehrheim.

Fragen Sie, warum ich diesem unbestochenen, einzig wahren Zuge nicht folge? so frage ich Sie wieder, darf ich es auch? hat er mich nie über mein Ziel hin aus geführt? Ich sehe Ihre ungeduldige, mißbilligende Miene von hier, Sie legen das Blatt aus der Hand und denken, sie ist wie jede Andere! Keine wird frei von dem Leitbande ängstlicher Rücksichten. Nun gut! Denken Sie, es sei so. Was hülfe es Ihnen, wenn ich mich losrisse und haltungslos schwankte?

Besser, ich gestehe es ein. Ja, es giebt Rücksichten, die wir ehren müssen, nicht unsertwegen, doch um der Ruhe Anderer. Sagen Sie mir doch, was legen Sie mir Georgs Geschick an's Herz, wenn Sie in diesem nur den Knaben, nicht den Jüngling, nicht den Mann denken? Oder meinen Sie, die Welt würde ihm den Maßstab der Beurtheilung nie in die Hand geben? Hoffen Sie wirklich, Vertrauen könne in jedem Augenblick vor ängstigendem Zweifel schützen? Lassen Sie dem zärtlichen Kinde die Mutter, wie er[145] sie kannte. Was ist sie ihm, sieht er sie in verdächtigem Licht?

Kinder stehen der göttlichen Einfalt näher, als wir es ahnden. Sie haben ein zartes Empfinden für das Ungehörige, Widersprechende im Leben.

Glauben Sie mir, ich würde Georgs verschwiegene Fragen errathen, und mich abhärmen, sie unbeantwortet lassen zu müssen.

Sind Sie es denn noch nicht inne geworden, Lieber! daß die innere und äußere That himmelweit von einander unterschieden ist? Himmelweit, sage ich! denn die Eine ist oft dort oben, wenn die Andere hineinfällt in die Region roher Gesetze. Die Erde gestaltet nach ihrer Weise, was der Gedanke gestaltet denkt. Es ist ein Unterschied, Hugo! und hier nichts weiter zu thun, als den Schritt nach dem Gange Anderer freundlich und liebreich einzurichten.

Also Sie bleiben, wo Sie sind? höre ich Sie fragen.

Lassen Sie mich erst ganz offen sein, ehe ich entscheide. Sie wissen, wie mich Ihr Vorschlag entzückte, wie mich die Vorstellung davon ergriff, wie ich es nicht eilig genug haben konnte! Nun sehen Sie, ich hatte denn auch keine Ruhe, ich[146] machte meine Anstalten ohne alles Hehl. Ich sagte es der Tante, daß ich sie nun endlich von einem unbequemen, eigensinnigen Gaste befreien würde, der nur ihre Güte in Anspruch zu nehmen gewußt, ohne dieser durch irgend eine angenehme Leistung zu lohnen. Die Tante hörte mich ruhig an, drückte dann ihr Bedauern aufrichtig aus, vermied aber, da sie mich entschlossen sah, für jetzt alle weitere Einwendung. So verging ein Tag nach dem andern. Das böse Wetter trat ein. Erst Schnee und Frost, dann das Thauwetter. Die Posten blieben aus. Ihre Briefe, die mich endlich bestimmen sollten, kamen nicht, wie ich es erwartet hatte. Ich ward unruhig. Die Tante bemerkte es. »Was ängstigst Du Dich denn so?« fragte sie theilnehmend. »Solche Eile wird es ja doch nicht mit der Reise haben.« Ich war verlegen, denn im Grunde lag die Ursache der Eile nur in meiner Ungeduld. »Sieh' mal, Kind,« bemerkte sie eindringlich, »jetzt kannst Du doch nicht fort. Du machst Dir keinen Begriff hier im Hause, wie es draußen auf der Heerstraße aussieht. Leute und Pferde fallen ja in die ausgefahrnen Gründe hinein, daß man denkt, sie könnten im Leben nicht wieder aufstehen.« – »Sie stehen aber wieder auf, Tantchen!« unterbrach[147] ich sie lachend. »Nicht alle, und nicht immer!« versicherte sie. »Und noch dazu bist Du allein mit der Johanna. Was fangt ihr zwei Frauen denn in solcher Noth in unbekannter Gegend, allein, zu jeder Tagesstunde an? Ist es denn weit von hier, Kind,« fragte sie nach kurzer Pause, »wo Du hin willst?« Ich bejahte es, noch immer sorglos und muthig in meinem Innern. »Wie heißt denn der Ort?« Hugo! ich erröthete, ob aus Freude oder Scham? das weiß ich nicht, als ich »Wehrheim,« sagte! »Wehrheim! Wehrheim!« besann sie sich ungewiß. »Hast Du mir nicht den Ort genannt? Ist es nicht? – Liebes Kind, was willst Du da machen?« rief sie erschrocken. »Ei mein Gott, wie kommst Du dahin? Hast Du Niemand in Deiner Familie, dem Du vertrauest? Mußt Du bei den Leuten Schutz suchen, die Dich in so schlimmes Gerede brachten?«

Sie setzte sich hier, der Schreck hatte sie übermannt, sie sah ganz blaß aus. Ich wollte ihre gutmüthige Schwäche belächeln, aber es war, als habe sie mich angesteckt. Ich konnte ihr umwölktes, feuchtes Auge nicht sehen, mit dem sie mich zu fragen schien: Ist es möglich? Hast Du Alles vergessen? Sieh' Kind, wenn ich[148] es tadle, was hoffst Du denn von andern Menschen? Ich nahm mich gleichwohl zusammen, ich sagte ihr, daß ich in ein leeres, unbewohntes Haus einzöge, und eben so gut wie jeder Andere den freigegebenen Raum benutzen dürfe.

»Nicht eben so gut wie jeder Andere!« fiel sie ein. »Herr Gott! mein Engelchen! sage das doch nicht. Du weißt ja recht gut, daß es in der Welt nicht ist, wie es in Deinem Kopfe aussieht. Denke einmal selbst: auf dem Gute, in der Abhängigkeit von dem Manne –! ach, mein Herz! Du hast es auch längst eingesehen, daß es unschicklich ist, darum verschwiegst Du immer den Namen des Orts.«

Diese Worte, Hugo, diese Paar Worte trafen mich. Sie hatte recht. Weshalb nannte ich früher den Namen nicht, der jetzt nur sträubend über meine Lippen ging.

Unschicklich! Unschicklich! ich wiederholte den Vorwurf wohl zehnmal bei mir. Sie hatte den Ausdruck ihrer Empfindung nicht bemäntelt, er verletzte mich, allein hinter dem Unwillen schimmerte es wie Wahrheit. Ich mußte mir sagen: freilich, es will sich hier nicht Alles wohl in einander schicken. Ich sagte das auch der Tante,[149] mit dem Zusatze, daß ich meine Abreise noch verschieben, und wir weiter darüber sprechen wollten.

»Nein,« rief sie aus, faßte meine beiden Hände mit großer Bangigkeit, und sah mir dabei scharf in die Augen: »Nein, jetzt, hier auf der Stelle, mußt Du es mir fest geloben, daß Du diesen Gedanken aufgiebst.« Ich suchte mich ungeduldig loszumachen. »Elise,« fuhr sie bittend fort, »ich hoffe zu Gott, Du bist unschuldig in Allem, was die Welt von Dir sagt! aber wenn auch nichts, gar nichts davon wahr ist, kannst Du Dich entschließen, so kurze Zeit nach dem betrübten Tode der Gräfin in das Haus ihres Mannes zu ziehen? Vergißt Du, was Du dem Andenken der Frau, was Du Georgs Vater schuldig bist, dessen Namen Du noch immer trägst? Mein lieber Gott! Die Ehre kann doch nicht auch aus der Mode gekommen sein, und der Ruf, ob man sich darüber wegsetzt oder nicht, bezwingt doch immer zuletzt den Trotz der Frauen.«

»Liebe Tante,« erwiederte ich, im Innern zitternd und bebend, »Sie thun mir Gewalt an.«

»Das will ich auch,« sagte sie fest. »Ja, das will ich! und ehe ich Dich nach Wehrheim gehen sehe, werde ich Dir lieber zu Füßen fallen, und Dich so lange bitten, bis Du Deiner alten[150] Tante guten Rath nicht länger verwirfst, und Dir ihre Treue zu Herzen nimmst.«

Hugo! ich stand verwirrt vor der umgewandelten Frau. Ich fragte mich: wer ist denn das? wer spricht so zu mir? Ich hatte Mühe, die peinliche, unsichre, unstäte Tante in dem entschiedenen Benehmen wieder zu erkennen. Sie, die ein Regenschauer zur unrechten Zeit bestürzt und eine zerbrochene Fensterscheibe betrübt macht, die nicht weiß, darf sie einen Entschluß fassen? oder muß sie den Gedanken daran aufgeben? die hundertmal fragt und doch nur schüchtern dem empfangenen Rathe folgt, sie wußte mit einemmale, was sie wollte, was ich sollte, und behend, wie eine gewandte Fee, hatte sie die verborgenen Fäden meines Innern zum Lenkseile ihres Willens gemacht!

Ich brach in Thränen aus. Ich war innerlich empört, daß mir Jemand seine Meinung aufzwingen wollte, ich stieß diese Meinung von mir, sie sollte nicht Herr über mich werden. Sie ward es doch! – Ich brach matt in mir zusammen, ich weinte, wie ein gescholtenes Kind, ich versprach Alles, und bin noch hier!

Warum kam auch Ihr Brief nicht zu rechter Zeit, Hugo? Ich wäre längst von hier fort gewesen,[151] ehe die Aengstliche, durch das schlechte Wetter noch ängstlicher gemacht, auf alle die Einwendungen und Fragen verfallen wäre. Es wäre nun geschehen, und ich in meiner Unbesonnenheit wohl noch unwissend und glücklich! Nun, da mir die Gefahr gezeigt ward, fehlt es mir freilich an Muth, sie zu bestehen, denn ich bin nicht herzhafter, als uns Frauen der Himmel machte, nur blinder, wie die Meisten. Ich schwanke noch über die Frage, ob kurzsichtiger oder überhinsehender? Es ist ein Unglück, Hugo! wenn Gesichtskreis und Standpunkt nicht recht für einander passen.

Ich sollte eigentlich hier schweigen, und es erwarten, daß Sie mich tadeln, ohne weitern Versuch, Sie mit meinem Unbestand auszusöhnen. Doch Eins will ich Ihnen noch sagen. Hier bleibe ich einmal nicht. Das steht fest. Ich ertrage den Widerspruch in mir selbst kaum noch, deshalb will ich vor der Hand zuerst mehr Freiheit gewinnen, ehe ich über mich bestimme. Bei Sophie denke ich diese zu finden. Sobald das Wetter nur einigermaßen erträglich wird, eile ich zu ihr ins Stift. Und dann! – und dann! – O mein Gott! wie schlägt mir das Herz vor Entzücken; glauben Sie mir, das Verständigere ist auch am[152] Ende das Beste. So wie es war, wäre es doch nicht wieder geworden! Die Unbefangenheit ist hin! Der frische Hauch verduftet. Im Sommer werden die Schatten auch dichter, und die Natur ernster. Die hohen Blumen entwickeln sich langsamer, aber sie blühen länger.

Der Frühling zaubert mit lachendem Uebermuthe seine üppige Welt zu unsern Füßen. Doch Zeit und Menschen gehen rasch darüber hin. Der Augenblick der Jugend muß rauhen Uebergängen und mühevoller Gestaltung weichen.

Oft bleibt auch diese unvollkommen, und der lange Kampf war vergeblich. Man erndtet dann die sparsamen Früchte mit um so größerer Sorgfalt, und will keine verlieren.

Sehen Sie es so an, Hugo! gleichviel, ob das Bild Ihnen passend dünkt. Mir scheint es so.

Bei Sophie also? Nicht wahr? Sagen Sie mir Ihre Meinung, sprechen Sie mit der Verständigen, und schreiben Sie mir bald.

Ich bin ruhiger, nun ich Alles vom Herzen habe, was mich so unaussprechlich quälte. Im Grunde fürchte ich doch, Ihnen dadurch zu mißfallen. Sie werden es nicht so einsehen, wie es ist. Der Widerspruch muß Sie gerade jetzt, wo Sie ihn nicht mehr erwarteten, verdrießen. Es[153] ist natürlich, ich würde auch so empfinden. Mir steht Ihre Miene, Ihre Stimmung, Ihr trübes Versinken, Aufgeben, Zagen und Verachten so deutlich vor der Seele! Ich weiß es, ja, ich weiß es gewiß, Sie verachten die Berücksichtigung, die mich leitet. Es ängstigt mich mit jedem Augenblicke mehr, da sich die Absendung dieser Zeilen naht. Und doch! – Ich kann es ja nicht ändern! O! sein Sie billig –! oder sein Sie nichts als gut und zärtlich, und fühlen Sie, daß ich leide.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 144-154.
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