Hugo an Elise

[170] Ist es möglich? – O es ist mehr als das, es ist wirklich!

Sie waren schon völlig entschlossen, meine Hoffnungen zu zerstören, als ich deren Erfüllung in der Unschuld des Herzens ganz gewiß zu sein glaubte?[170]

Nein, das ist wahr, daran hatte ich nicht gedacht, daß Sie der Meinung, diesem Vexirspiegel der Vernunft, so große Rücksichten schuldig wären. Verzeihen Sie mir dies; sehen Sie, es liegt wohl daran, daß ich keine Tante zur Seite habe, die solche Feenkünste mit mir treibt. Es ist zu bewundern, wie diese Frau ihre Gaben versteckt hält! Wahrhaftig, sie hat Sie ganz bezaubert.

Nur schade, daß außerhalb dem geweihten Kreise solche Beschwörungsformeln leicht etwas Albernes und Triviales bekommen. Ich erschrack fast, da ich sie las, doch mehr über mich, als über die Worte, denn ich konnte keinen Sinn darin finden.

Sie hätten mich vorbereiten sollen. In meiner Unbefangenheit war ich nicht zu bestechen!

O Elise! auch Sie, auch Sie! – Welch' unseliger Hang zur Sklaverei liegt denn im Menschen, daß die erste, die beste geläufige Weiberzunge Sie aus Ihrer Ueberzeugung hinausschwatzen, und Ihre klare Festigkeit, Ihre Erkenntniß, kleinlichen, krausen Irrthümern unterliegen konnte!

Zum zweitenmale opfern Sie, aus mißverstandener Mutterliebe, die heilige Wahrheit Ihres[171] Herzens, und glauben sich einen Sieg abzugewinnen, wenn Sie besiegt werden.

Weshalb ich den Knaben Georg an Ihr Herz und Gewissen legte? sonderbare Frage! weil ich ihn liebe, weil ich daran denke, daß er ein Mann werden, und es nicht begreife, wie aus verzärtelter Schonung ein starker Gedanke entspringen kann.

Was haben Sie denn für das Kind gethan, als Sie Alles, außer der beengenden Furcht vor des Himmels Strafe, vergaßen, und diese Furcht die Wortführerin Ihrer eigenen Anklage sein ließen?

Unseliger Augenblick! Sie zerrissen mein Herz, wie das Ihrige, und des Knaben Geschick! Den Himmel werfen Sie auf die Erde, und gönnen dieser, ein Ding nach ihrem Gefallen daraus zu machen. Wie hart hat sie die rohen Hände angelegt, und den reinen Hauch zweier Seelen zu einem Schreckbild der Sünde zusammengeballt!

Nach dieser entscheidenden Stunde war nichts mehr für die Meinung zu thun, die war mit dem Geschehenen zugleich da. Zu vernichten ist sie so wenig, als jenes ungeschehen zu machen.

Was erwarten Sie nun von dem Jüngling, dem Manne Georg, wenn Sie ihn in kränkliche[172] Vorurtheile einwiegen, beschränktem Eifer Zeit lassen, seinem Auge die Richtung zu geben, auf welcher es Ihnen, Elise! nicht ohne Befremden begegnen kann? Gesund und hell, würde der Kleine noch jetzt gelernt haben, die Dinge zu sehen, wie sie Wahrheit und Natur ihm zeigen, hätte er die Mutter wiedergefunden, so wiedergefunden, wie sie ist, nicht wie die armselige Klugheit des Vorurtheils sie umzuschaffen droht.

Ist es möglich! wiederhole ich noch einmal, liegt gleich die Wirklichkeit durch Brief und Siegel vor mir. Auch Sie also! Glauben Sie mir, Sie werfen das ganze Leben, Ihr Leben weg! Und was geben Ihnen die klugen Freunde dafür?

Es ist eine verbrauchte Art, sein unwilliges Erstaunen über irgend eine Enttäuschung auszudrücken, wenn man sagt: Ich bin aus allen meinen Himmeln gefallen! Aber Vieles, das verbraucht und abgenutzt ist, paßt dennoch bei Gelegenheit. Ich bin wahrhaftig aus meinem Himmel heraus!

Daher kommt es auch wohl, daß ich Ihre jetzige Sprache nicht recht verstehe, und das Bild von Frühling und Sommer, von Blüthe und Erndte, und was Sie von sparsamen Früchten, in Bezug auf die Augenblicke unseres Beisammenseins, sagen, nicht recht anzuwenden weiß. Ich[173] habe immer die Unart gehabt, unvollkommen gebliebene, in den Sand gefallene Früchte unbeachtet liegen zu lassen, vielleicht, weil mir die glänzenden, goldenen Aepfel des Paradieses vor Augen schwebten.

Arme Freundin! welchen Ersatz bieten Sie sich, wie mir! Zu dem Stiftsfräulein ins Kloster nöthigen Sie mich! Da, zwischen den doppelten Mauern alter und neuer Vorurtheile, denken Sie den göttlichen Traum freier Gemeinschaft heiliger, umfassender Freundschaft ins Leben zu rufen? Da hoffen Sie mich, da hoffen Sie sich wieder zu finden? Von den schief hineinfallenden Strahlen der gesunkenen Sonne sollen wir Lebenswärme betteln? O tausendmal lieber das Vergangene träumen, als an dieser entzauberten Wirklichkeit erfrieren!

Alles ist hier entzaubert! Alles! darum, wenn ich Ihnen rathen soll, bleiben Sie, wo Sie sind. Sie würden sich nur herbe Eindrücke bereiten.

Ihr ehemaliges Eigenthum finden Sie in fremden Händen. Es ist verkauft, oder was sonst mit geschah! Genug, wie ich neulich vorüber ritt, standen die Fenster offen, ich sah überrascht hinein. Ein fremdes, scharfes Gesicht blickte zu mir auf. Es gehörte einer ältlichen, kranken Italienerin.[174] Die wohnt hier, ließ ich mir im nächsten Dorfe erzählen. Mein alter Freund, der Gartenknecht, ist verabschiedet; ein kleiner, krummer, verschmitzter Franzose ist an seiner Stelle; die Gartenwege sind so eben, so geschnörkelt, daß man gleich sieht, keines Menschen Fuß betritt sie den ganzen Tag.

Ich mußte lachen, wie ich die Fratzen sah! Giebt es eine tollere Ironie auf die vergangenen Tage, als diese neuen Bewohner Ihrer Zimmer, Elise?

Ich lache noch darüber, und in dieser spaßhaften Stimmung kann ich Ihnen nichts Besseres wünschen, als daß Sie es auch nicht schwerer nehmen. Es ist eine Welt darnach, glauben Sie mir.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 170-175.
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