Sophie an den Comthur

[377] Der Anblick meiner Schriftzüge wird Sie nach gerade unruhig machen. Seit lange hörten Sie nur traurige Berichte durch mich bestätigen, oder Sie darauf vorbereiten. Ich eile deshalb um so mehr, Sie im Voraus zu beruhigen, ja, Ihnen Erfreuliches zu verheißen.

Elise, hoffe ich, ist ihrer ängstlichen Unsicherheit, dem kranken Hin- und Hergreifen, der ganzen schmerzlichen Trostlosigkeit, in die wir sie mit[377] Betrübniß kraftlos versinken sahen, entrissen; oder vielmehr, alles dies führte ihre Rettung herbei. Ich sagte Ihnen, daß sie Tavanelli kommen ließ, auch an Leontin schrieb, daß sie überall hinhörte, etwas wollte, sich gleichwohl nirgend verständigen konnte, und bald nach dem Austausch innerer Ueberzeugung verlangte, bald mit dem Seufzer: »Er allein hatte meine ganze Seele!« davon abstand. Eben so war sie immer im Begriff, von hier abzureisen, ohne gleichwohl jemals zur Ausführung ihres Entschlusses gekommen zu sein. Kurz, sie konnte nicht schweigen, nicht reden, nicht bleiben, nicht gehen, nicht leben, nicht sterben. Die Bemühungen ihrer Tante wurden ihr, wie Sie, lieber, berücksichtigender Freund! es selbst mit Pein empfunden, unangenehm. Die einfache Frau ging gerade zu. Sie glaubte durchaus die Vernunft und das gute Herz ihrer Nichte in Anspruch nehmen zu müssen. Sie begriff gar nicht, wie ihre Gründe nicht entscheidend, und andere Vorstellungen dagegen haftend sein könnten. Ich hatte viele Mühe mit ihr, und war nur froh, daß Curd sie endlich von hier abholte.

Die arme Frau jammerte mich. Sie hatte wirklich ein Opfer mit dieser Reise gebracht. Sie war sich dessen bewußt. Es that ihr wehe, so[378] vielen guten Willen nicht erkannt zu sehen; denn, trug sie Elise auch auf den Händen, so ging sie doch nicht in ihre Vorstellungen ein, noch weniger war es ihr möglich, der trefflichen, aber ermüdenden Verwandtin in ihre Einsamkeit zu folgen.

Jene gab sie endlich mit heißen Thränen auf, und es blieb, wie es war.

Diesen Morgen werde ich nun mit der Nachricht geweckt, ein Fremder wünsche mir aufzuwarten. Ich frage nach Stand, Namen, Persönlichkeit. Ueber die beiden ersten Punkte hatte sich der Angekommene nicht erklärt. Ueber die letztere erfuhr ich indeß, daß sie einnehmend sei, und dem stattlichen, wohlgebildeten Manne von ungefähr fünfzig Jahren zur Empfehlung diene.

Ich war begierig, ihn zu sehen.

Schnell zu dem Empfange eines Gastes bereit, trete ich in den Vorsaal. Mit unterdrücktem Freudengeschrei fliegt mir Georg, das liebe Kind, in die Arme. Im ersten Augenblick sah ich nichts als ihn. Ich umarme ihn mit unaussprechlicher Rührung. Ich bitte ihn, seine Freude zu mäßigen, ich verspreche, ihn gleich, doch nicht ohne vorhergegangene Einleitung, zur Mutter zu führen. Doch jetzt endlich, denke ich an seinen Begleiter. Ich sah mich mit Herzklopfen nach ihm um.[379] Ich fürchtete fast, Eduard zu begegnen. Da tritt mir aus dem Hintergrunde des Zimmers ein völlig unbekannter Mann, von schlichtem, offnen Ansehen entgegen. Er begrüßt mich, sagt: Baron Leontin von Wildenau habe das Vertrauen zu ihm gehabt, daß er den Knaben der Mutter sicher zuführen, und dieser auch wohl noch dies und jenes zur Beruhigung mittheilen werde.

Ich nahm anfänglich keine sonderliche Notiz von ihm, und war froh, den Präsidenten nicht hier zu sehen, ich meinte, in dem Fremden einen gewöhnlichen, guten, sichern Menschen, einen Beauftragten, suchen zu müssen.

Ich wollte ihn eben wieder verlassen, um Elise auf das unverhoffte Wiedersehen ihres Kindes vorzubereiten, als jener noch hinzusetzte: Auch von Gräfin Emma habe er Aufträge an mich. Ich stutzte, sah ihn an, plötzlich fiel mir ein: Der Geistliche! Emma's, Leontins Vertrauter! Ich nannte seinen Namen, der Fremde verleugnete ihn nicht; bat auch, hinter seinem Incognito nichts Gesuchtes voraussetzen zu wollen. Ihm sei in jeder Beziehung große Vorsicht empfohlen, er habe nicht wissen können, ob nicht dennoch ein Mißverständniß möglich gewesen, er wolle nicht gern durch vorschnelles Zufahren überraschen, überall[380] möchten wir Leontin sein Eindringen beimessen. Ich schnitt ihm die Worte ab. Ich ergriff seine Hand mit Innigkeit, ich sah ihm in die sanften Augen. »Kommen Sie,« bat ich. Er folgte mir.

Wir haben einen seligen Morgen verlebt! – Elise ist ganz, wie man sie mir an jenem Tage beschrieben, da sie Georg todt geglaubt, und das Kind die Augen zuerst wieder öffnete. Schüchtern, demüthig, stumm, sieht sie den Liebling an. Sie traut ihrem Glück nicht, und fährt oft, wie vom Schlafe auf, wenn die harmlose Ausgelassenheit des gesunden, tüchtigen Jungen alles so natürlich, so wahr erscheinen läßt, was ihr unbegreiflich dünkt. Und dabei der Geistliche, der Mann, der ihr wie ein finstrer Richter, seit Tavanelli's erstem Auftreten, eigentlich ein Gegenstand des tiefsten Unwillens war, er führt die Unterhaltung an dem Geringfügigsten hin, sagt nichts Auffallendes, nimmt an Allem Theil, ist durch und durch hell wie Kristall, und läßt bis in den Grund des warmen, freundlichen Herzens heitre, bewegliche Lichter sehen, die nach allen Seiten ihre Strahlen werfen. Gott, welch' ein Mensch! So einfach und so weise! Etwas Aehnliches schwebte Hugo vor der Seele. Er hätte so sein mögen. Aber es fehlte eben der Kern![381]

Von Elisen jetzt noch nichts. Sie ist benommen, überfüllt, ihrer nicht mächtig. Was gleichwohl ihre ganze Aufmerksamkeit fesselt, was sie angelegentlich beschäftigt, ist das Bild von Leontins neuer Stiftung, das uns der Geistliche sehr anschaulich in einzelnen, bestimmten Zügen entwarf.

»Sie wissen,« sagte er, »aus des Barons Briefen, daß dieser den Meierhof am Fuße des Schwarzwaldes kaufte, und durch die frühere Bestimmung des Gemachs, in welchem er übernachtete, auf den Gedanken kam, hier ein Mönchskloster zu stiften, und selbst in den Orden zu treten. Er unterließ das Eine, wie das Andere, bei klarer Prüfung. Gleichwohl wünschte er, durch einen besondern Zweck sein Leben zu erhöhen. Er fing damit an, sich aufmerksam zu beobachten, und bemerkte, daß seine frühere Schwermuth, die ihm so viel zu leiden gemacht, mehr aus einer gewissen Gebundenheit des Innern, als aus wirklichem Mißgeschick entstand. In den Kinderjahren kränklich, vernachläßigt, dann blöde, steif, unbeholfen, trat er, wie verriegelt, überall zurück. Am Ende fand er durch sich selbst, nach mühseligem Suchen, die Richtung,[382] auf welcher er fortging. Sein Schritt wurde fest, sein Blick bestimmt, er aber, wie herausgeschnitten aus der übrigen Welt, ein Mensch nach Systemen, edel, doch bizarr. Ihm hatte Gemeinschaft mit Andern das Leben nicht verständlicher gemacht. Er war auf eine Anhöhe getreten, sah nach den verschiedenen Straßen hinunter, lernte sie nennen, kannte keine. Alle sahen gleich aus, alle schienen ihm klein, eng, in der Irre umher zu führen; er überschaute wohl das Ganze, doch durchschaute er es nicht. So,« fuhr der Geistliche fort, »dachte er darauf, nachdem er sich erkannte, Andere vor diesem Umwege zu bewahren. Es ward ihm klar, daß vielleicht in keinem Augenblick so sehr als jetzt, das Gefühl der Billigkeit durch festere Bande des Vertrauens, durch Gewohnheit und innere Verzweigung des Daseins gestärkt werden müsse. Ein Erziehungsinstitut auf dieses Prinzip gegründet, dünkte ihm etwas Schönes. Er beabsichtigt den höhern Freisinn der Eigenthümlichkeit bei gleich erhabenem Zweck in dem Wechselverein junger Herzen lebendig zu erhalten, Alle in einem Glauben, durch ein Gesetz zu binden, und doch Jeden den eignen Gang mit Andern gehen zu lehren. Ob er es erreicht? – so endigte unser[383] Freund. Wir müssen das Gelingen einer höhern Hand überlassen.«

»Und im Schwarzwalde,« fragte Elise, »soll die Stiftung gegründet werden?«

»Dort ist sie gegründet,« erwiederte jener. »Das Unternehmen ist mit merkwürdiger Schnelligkeit ins Werk gerichtet, so daß wir schon einige Zöglinge dort vereinigten, zu welchen wir mit Freuden Georg zählen.«

Elise umarmte den Knaben mit unverkennbarer Beschämung. Was in dem Augenblick in ihr vorging, war eher zu errathen, als auszusprechen.

Georgs Hand in der ihren, hub sie nach kurzem Schweigen leise an: »Sie sagten mir, mein Herr! Sie nähmen auch Theil an dem Erziehungsgeschäft des Barons?«

»Nun,« lächelte der Geistliche, »wir Menschen erziehen uns Alle durch einander, und so finde ich wohl meine Aufgabe wie Jeder, der sich nicht für zu weise hält, um zu lernen, und zu lieblos ist, um von seinem Vorrath mitzutheilen. Doch sind meine Pflichten nicht auf das Institut allein beschränkt. Ich möchte das eben nicht. Ich bewahre mir gern die freie Beweglichkeit. Allein angeschlossen habe ich mich den Männern, die hier zu wirken hoffen.«[384]

In Elisen entwickelten sich unmittelbar eine Menge neuer Ideen. Ihr lebendiges Gesicht drückte dies sprechend aus. Sie ging darauf mit Georg im Garten umher. Ich blieb bei dem Geistlichen zurück. Wir vermieden beide, von den letzten Vorfällen zu reden. Doch Emma lag uns zu nahe, um die Wendung ihres Geschicks mit Stillschweigen übergehen zu können.

»Glauben Sie mir,« sagte der vortreffliche Mann, »dies schöne Herz hat mir von jeher die größte Sorge gemacht. Es verstand sich immer nur zur Hälfte, und irrte durch Aberglauben an seinen Eingebungen. Die Gräfin,« fuhr er fort, »stand von Kindheit an, im Widerspruch mit sich und ihren Verhältnissen. Mutter und Tochter hätten sich, wie das so oft zwischen Eltern und Kindern der Fall ist, ergänzen können, wenn nicht Eine die Andere gerade so hätte haben wollen, als sie selbst war. Emma empfand zuerst, daß sie die Mutter nicht umschmelzen werde, deshalb zog sie sich um so strenger, und, wenn ich in dem Sinne so sagen darf, härter im Innern zusammen. Sie lernte auf ihre Ansichten bestehen, und hielt fest an dem Satz, sie müsse, was sie soll. Ueber dies Soll wurde sie indeß nie klar, weil sie tief, aber einseitig empfand. Lesen Sie,«[385] setzte der Geistliche hinzu, »aus diesen raschen Zügen die Geschichte ihrer Gefühle, wie ihrer Handlungen heraus. Auf sie wirkte man nie unmittelbar, und unglücklicher Weise war sie schneller im Thun, als umfassend im Denken. Man könnte in gewisser Beziehung von ihr behaupten, sie sei sich selbst nicht gewachsen gewesen, denn wirklich zerfällt sie nicht sowohl in die beiden gewöhnlichen Hälften irrdischer und himmlischer Natur, als in Ueberzeugung und Gefühl. Eins bleibt hinter dem Andern zurück.«

»Sie enträthseln,« entgegnete ich, über das Gehörte nachsinnend, »vieles im Benehmen der Gräfin, was mich durch seine Inconsequenz verletzte.«

»Ach!« rief er aus, »wo wollen Sie Zusammenhang finden, wenn sich die Natur zerstört! Das Leben zerfasert sich, so wie die Fäden ruhigen Fortgehens künstlich gelegt, oder über Vermögen gezerrt werden. Emma ist nicht ruhig, wenn sie auch still ist. Sie muß, wie wir Alle, erst Frieden in sich machen lernen. Welch ein Maaß des Streites hierzu gehört, das ermißt Keiner!«

Lieber Freund! Ich habe mir die letzten Worte seitdem oft wiederholt. Man wird gelassener,[386] wenn man bedenkt, wie viel geschehen muß, ehe etwas Bleibendes erwächst.


N. S.

Ich hielt dies Blatt bis diesen Morgen zurück. Elise ist entschlossen. Sie begleitet Georg nach dem Schwarzwalde. Der Geistliche hat ihr von einer kleinen Villa in einem der Thäler erzählt. Vielleicht läßt sie sich dort nieder. Sie ist dem geliebten Knaben nahe, auch Emma geht nicht nach Italien. So wären denn beide überall zu einer Nachbarschaft bestimmt, die Ihnen am Ende unentbehrlich werden kann.

Wir, liebster Freund! bleiben in der ausgestorbenen Gegend allein zurück, doch wollen wir nur nicht allein fühlen.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Resignation. Theil 1–2, Teil 2, Frankfurt a.M. 1829, S. 377-387.
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