Zweites Buch

Viele Tage waren seit dem Tode des Grafen verflossen. Der alte Held ruhete längst in starrer, winterlicher Erde. Alle Klagen und Thränen waren in die stille Gruft versenkt. Wie ausgestorben lag die verödete Gegend. Kein lebendiger Hauch drang hindurch. Stumm ging der Tod und das Elend hinter dem verscheuchten Bewohner, der unsichern Trittes die Trümmer seiner Heimath aufsuchte. Weit hin vor trotzigen Festen lag das siegreiche Heer, und erkrankte im ermüdenden Belagerungskriege. Rodrich sah mit erschöpftem[113] Geiste auf die unerschütterliche Ausdauer seines neuen Gönners. In und um ihn war alles verwandelt. Die geträumte Lust reichte nicht über einzelne Momente der Erwartung hinaus. Der Gedanke hatte ihn erschüttert, gehoben, die That verblich in den schaalen Gebilden des Lebens! Wie er etwas anfaßte, so schwand der Zauber, und das nackte Gerüst trat schauerlich vor seine begehrlichen Sinne. Spottend blickte er auf sich und die Menschen, die immer auf's neue die abgerissenen Fäden wieder anknüpfen, um das trügerische Labyrinth zu durchirren, und dennoch war nirgend ein Stillstand, und alle Ruhe, Ohnmacht überreizter Begier. Er suchte das ewig Bleibende, und entsetzte sich vor dem abgeschlossenen Einerlei erfüllter Wünsche. Unwiderstehlich[114] zog ihn der Wechsel an sich, um ihn dann unsanft zurück zu stoßen, weil er niemals fand, was überall ist, oder nirgend. Dieselbe wiederkehrende Unzufriedenheit sagte ihm, daß dies die eigentlich bleibende Stimmung seines Geistes und eine Folge erkannter Täuschungen sey. Er glaubte tiefere Blicke als jemals über die Nichtigkeit menschlicher Strebungen gethan zu haben, da nichts die innre Sehnsucht stille, sondern den gläubigen Muth zerreiße und erdrücke. Was haben nun, fragte er sich oft im bittern Unmuth, die unzähligen Opfer, der große Aufwand von Kräften, alle die äußern und innern Erschütterungen bewirkt? In kurzem ist es vergessen, die neue Gestaltung wird eben so spurlos von einer neuern verdrängt, und während das kreisende Rad[115] sich unaufhaltsam dreht, glauben wir thöricht den Augenblick zu fesseln. Tausende haben dasselbe vor mir gewußt und empfunden, und doch arbeitet sich jeder auf seine Weise ab, und wenn er die mühselige Bahn durchlaufen ist, so wundert er sich, auf demselben Punkte zu stehen, von wo er ausging. Rodrich konnte aus den Widersprüchen nicht heraus, in denen er sich und die Welt gefangen sah. Das innere Drängen und Treiben und jene Verachtung menschlicher Thätigkeit, zerrissen ihn auf eine Weise, daß er in jedem Augenblick in Ungewißheit über sich selbst gerieth. Seraphinens Worte: er sey weder unbefangen genug, um heiter, noch fest genug, um ruhig in der Welt zu leben, fielen ihm wohl zuweilen ein, indeß glaubte er auch in der Gräfin etwas[116] Gezwungenes, Systemartiges zu erkennen. Es kam ihm vor, als wolle sie mit Gewalt die anraisonnirte Heiterkeit, auf Kosten eigner, unangenehmer Gefühle oben auf spielen lassen, während Mißmuth und Widerwille sie im Innern folterten. Die kleinen Spielereien, die ihrem Leben den frischen Glanz liehen, schienen ihm künstliche Behelfe, eine Unbefangenheit geltend zu machen, die längst dem Lichte reflektirender Betrachtungen weichen mußte. Überhaupt kam es ihm vor, als habe der Verstand alle eigentliche Originalität verwischt, und jedem nur ein Kleidchen aufgehängt, wie es sich gerade für Lage und Verhältnisse passen wolle. Die Menschen, meinte er, dächten im Grunde ziemlich einerlei, das heißt, an sich selbst. Über diese Sphäre gehe selten etwas hinaus,[117] wie sich die Eitelkeit auch hinter bescheidner Selbstverläugnung verstecke. Er mußte lachen, wenn er seines frühern Enthusiasmus, der glühenden Bewundrung einzelner, großer Erscheinungen, und all' der tausend Irrlichter gedachte, die den kindlich gläubigen Sinn blenden. Am wenigsten begriff er, wie Stephano, dessen Ansehen längst bei ihm gesunken war, diesen entscheidenden Eindruck auf ihn machen konnte. Er glaubte ihn jetzt ganz zu verstehen, um so mehr, da ihre gegenseitigen Neigungen, Ansichten und Gefühle, unaufhörlich einander begegneten, und Stephano nur da zu seyn schien, um durch stäte Reibung, alle Saiten in Rodrichs Seele zu berühren, und die verstecktesten Töne hervor zu rufen. Dies unwillkührliche Ergreisen, diese Ähnlichkeit, die keinesweges[118] Gleichheit war, und dennoch jenes schauerliche Erkennen in fremder Gestalt, drängte beide Freunde aus einander. Rodrich wandte sich ohne Schmerz von ihm ab. Er hatte etwas Außerordentliches erwartet, lange die auffallenden Widersprüche wie geheimnißvolle Räthsel, mystische Anklänge einer unbegreiflich hohen Natur angestaunt, jetzt entdeckte er kleinliche Regungen, die auch seine Brust anfüllten, und verzieh es ihm um so weniger, sich vor einer Überlegenheit gedemüthigt zu haben, die nur die Beschränktheit eines kleinen Kreises dafür erkannte. Stephano ließ es geschehen, ohne sonderliche Empfindlichkeit zu äußern. Rodrichs Freundschaft war ihm nie Zweck gewesen. Er empfand leicht ein bestechliches Wohlwollen für Menschen,[119] die sich ihm anneigten, und versuchte dann ungesäumt, sie in seine Pläne hinüber zu ziehen. Wenige verstanden ihn, und auch diese Wenigen ließ er durch inkonsequente Maaßregeln erkalten. Rodrichs Abfall kam ihm nicht unerwartet. Er beschwichtigte das verletzte Gefühl mit einer Verstandesformel, und hing dem großen Hauptgedanken seines Lebens mit gereizter Leidenschaftlichkeit nach. Es galt nichts weniger, als dem launenhaften Schicksal zum Trotz, sein abgerissenes, zweideutiges Daseyn zu begründen, und die dunkle Hälfte desselben, durch einen gewichtigen Schlag zu überstrahlen. Es war nie klar in ihm geworden, was er eigentlich wollte und vermochte. Einzelne große Begebenheiten fuhren wie Blitze durch sein Inneres, und drängten[120] ihn verworren nach allen Richtungen. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit jede äußere Anregung aufzufassen, arbeitete er sich innerlich bis zur Erschöpfung ab, ohne etwas Großes zu leisten. Muth und Wille zerbrachen leicht an den gewöhnlichen Widersprüchen des Lebens, indeß erschien er in solchen Krisen originell, kräftig, und oft sogar mit einer gewissen Verstandes-Konsequenz, die leicht imponirt, und der Welt die demüthigende Klage auspreßte: daß es eine Schmach sei, diesen gewaltigen Geist in den gemeinen Umgebungen verschmachten zu lassen. Stephano sagte dasselbe, freilich etwas bescheidner, allein die einmal gefaßte Verachtung aller hergebrachten, gesetzlichen Verhältnisse, die unwillkührlich ein Fußschemel eigner Erhöhung wird, rechtfertigte genugsam[121] das Mißlingen seiner häufig geänderten Pläne. Was in Rodrich wie ein ungestümes Meer brauste, und ihn mit zerschmetternder Gewalt an die Brandung empörter Wünsche trieb, das hatte in ihm eine dürftige Phantasie und ein überlegner Verstand zu einem systemartigen Bau aufgethürmt, über den die ältere Erfahrung einen Schein von Weisheit ausgoß. Dieser Schein indeß war es, der Rodrich mehr als alles verletzte. Er vermengte ganz natürliche Folgen mit absichtlicher Heuchelei, und während er das Unrecht zu bestrafen meinte, wandte er sich von einer Ruhe, die ihm seine eigne Heftigkeit vorwarf.

So war ihm ein Theil des Winters unter feindseligen Kämpfen verflossen, die das Langweilige und Freudenlose[122] seiner Lage nur noch mehr erhöheten. Vergebens hatte er, so wie die Armee, auf eine Entscheidung gehofft. Unbedeutende Plätze waren in ihrer Gewalt, während die Hauptfestung, der eigentliche Schlüssel des Landes, den kühnsten Widerstand leistete, und alles weitere Vordringen unmöglich machte. Rodrich konnte die ruhigen Maaßregeln des Generals nicht begreifen, und tadelte sie um so strenger, je weniger Berührungspunkte zwischen ihrer beider Ansichten statt fanden, und je sorgsamer der erfahrne Krieger sich in sich selbst zurück zog. In dieser finstern Stimmung erhielt er einen Brief von Florio, der ihn, wie ein milder Frühlingshauch anwehend, einen Augenblick mit der Welt versöhnte. Sein Herz öffnete sich[123] recht eigentlich, während er folgende Worte las.

»Mein Rodrich, warum kann ich nicht bei dir seyn? warum halten mich Bande, die ich gern anerkennen und selbst um den Preis deiner Umarmung nicht lösen möchte? Sage mir, wie kann der Mensch so widersprechend und doch wieder so einig und beruhigend fühlen? In manchen Augenblicken überfällt mich eine Sehnsucht nach dir, die oft zur peinlichsten Unruhe anschwillt, allein ich möchte dich eher in unserer Mitte wissen, als dort in dem verworrenen Getümmel aufsuchen. Es ist viel anders in mir geworden. Die Welt lockt und reizt mich nicht mehr wie sonst. Ich habe es nie geglaubt, daß man den Schmerz so lieben, und sich mit den schauerlichsten Erscheinungen befreunden[124] könnte. Es soll nicht gut seyn, sich der Wehmuth und allen süßern Regungen des Herzens so ohne Widerstand hinzugeben, als wolle man sich in dem wonnigen Meere auflösen. Es ist wohl möglich, und ich glaube sogar, daß man aus diesen Träumen mit matten Widerstreben zu den kreisenden Bewegungen des Lebens erwacht, aber ich kann dir nicht beschreiben, wie heilig und still alles in dieser Einsamkeit athmet, und mit welcher seltsamen Bangigkeit ich jeden Ruf naher Weltereignisse vernehme! Wie ein feiges Kind möchte ich mir die Ohren verstopfen, um nichts von allem, was draußen vorgeht, zu hören. Ja, ich kann sagen, mir schlägt das Herz vor Angst, wenn ich denke, daß man deinen Nahmen außerhalb dieses abgeschlossenen[125] Kreises nennt. Wärst du nur hier! Ich kann meine kindischen Sorgen durch nichts rechtfertigen, und doch, könnte ich dich mit mir in diese Dunkelheit vergraben, uns wäre wohl allen besser. Wüßtest du indeß, wie wir hier leben, wie Schmerz und Wahnsinn mit allen winterlichen Schauern, unsre öden Tage erfüllen, wie nur taube Blüthen kranker Phantasie unsre einförmigen Gespräche dann und wann anregen, und selten ein Sonnenblick über uns hinzieht, du würdest nicht begreifen, wie man solche Umgebungen lieben, wie man in ihnen frei athmen könne. Und doch ist es so. Seit dem Tode des Grafen sind wir zu Rosalien gegangen, die uns ungern und mit sichtbarer Scheu aufnahm. Ihr Anblick überraschte mich schmerzlich. Die hagre, erloschne Gestalt umhüllte[126] ein langer schwarzer Schleier, der ihr Stirn und Augen bedeckte, unter demselben sah ein frischer Myrtenkranz wie zum Spott auf ihr bleiches Gesicht herab. So lag sie unter einem großen Bilde ihrer Mutter, zu deren Füßen sie und Fernando als Kinder spielen. Der Knabe steht in einer nachdenklichen Stellung, über einen sprudelnden Quell gebeugt, in welchem er, wie im Anschauen verloren, einzelne Rosen fallen läßt; Rosalie hat sich halb gewandt, und indem sie das volle Lockenköpfchen zu ihm neigt, deutet sie auf die verstreuten Rosen. Die Mutter sieht mit unendlicher Liebe auf beide herab, und als könnte ihr Blick nicht ohne den ihrigen leben, so spiegelt sich das himmlische Gesicht auf den Fluthen, und dringt aus der Tiefe zu ihnen herauf.[127] Dies volle, beginnende Daseyn im Bilde, alle die frohen Hoffnungen, die dazu berechtigten, und vor mir die welken Blüthen! Mein Herz zerriß in dem schneidenden Widerspruch. Ich fühlte mich beklommen, und konnte kein Wort hervorbringen, um mein Erscheinen mit der Gräfin zu rechtfertigen. Sie sah uns lange mit unsichern Blicken an, dann winkte sie, und sagte: man solle ihre stille Freuden nicht auf's neue trüben. Seraphine, deren Wunden heftiger als je bluteten, warf sich vor ihr nieder, und beschwor sie, ihrem heiligen Schmerz hier eine Freistatt zu gönnen. Sie schien gerührt, und ließ es geschehen, daß wir blieben. Doch sprach sie weiter nicht, und wir sahen sie nachdem nur selten. Mich ängstete diese Abgeschlossenheit, allein die Gräfin schien[128] wenig empfindlich dagegen, und die Tage verflossen, ohne daß einer den andern erfreuete, oder störte. Eines Abends, als ich in einem Cabinet, das Seraphine bewohnte, mit ihr vor dem Kamine saß, der das kleine Gemach halb dämmernd erhellte, öffnete sich die Thür, und ehe wir noch Zeit hatten, uns zu besinnen, trat Rosalie mit zurück geworfnem Schleier, im bräutlichen Schmuck vor uns hin. Ihre Augen rollten wild umher; das Haar von Regen und Sturm aufgelöst, ringelte sich um Hals und Brust, sie deutete auf die Stirn, und sagte mit furchtbarer Stimme: seht ihr die Flamme, die nun hell brennt? Sie schlug die Hände heftig zusammen, und fiel unter wiederholten Zuckungen ohnmächtig in meine Arme. Seraphine rief mit ihrem gewohnten[129] Muth ohne Weiteres um Hülfe. Auf ihr wiederholtes Nachfragen erfuhren wir, daß die Kranke jeden Abend, um dieselbe Stunde, in dem nämlichen Aufzuge, nach dem Grabe ihrer Mutter gehe, und jedesmal still und betrübt wiederkehre. Der Arzt, den man davon benachrichtigte, befahl, ihr kein Hinderniß in den Weg zu legen, und man sey auch so sehr an diese nächtliche Wallfahrt gewöhnt, daß niemand weiter darauf geachtet habe. Nur heute müsse etwas Außerordentliches vorgefallen seyn, was sie so heftig bewege. Sie lag noch immer starr und bewußtlos vor uns da, der Ausdruck gewaltsamer innerer Erschütterung in den gespannten Zügen, die Todtenblässe, das feuchte anschmiegende Gewand, der reiche Schmuck, alles gab ihr ein so[130] ängstlich widersprechendes Ansehen, daß ich nur mit heimlichem Grausen meine Blicke auf sie richtete. Seraphine glaubte indeß, der rauhen Witterung diesen Unfall allein zuschreiben zu müssen, und hoffte getrost von den angewandten Mitteln die sicherste Wirkung. Ihr Muth belebte uns alle, wir waren noch um sie beschäftigt, als ein Fremder die Gräfin allein zu sprechen verlangte. – Wie eine dunkle Ahnung flog es hier über Seraphinens Gesicht, sie wandte sich verlegen zu mir, und bat mich, sie zu begleiten. Wir gingen schweigend in ein abgelegenes Zimmer. Ich setzte das Licht, das diese unerwartete Erscheinung beleuchten sollte, mit einem Gemisch von Angst und Neugier in den Hintergrund, und sah unverwandt nach der gegenüber stehenden Thür.[131] Die Gräfin warf sich unruhig in einen Sessel, und schien neuen Schrecken mit erschöpfter Kraft entgegen zu sehen. So blieben wir mehrere Augenblicke, als sich endlich die Thür öffnete, und ein schlanker, schöner Mann zu Seraphinens Füßen stürzte. Ludowiko! schrie diese, und verhüllte mit Entsetzen das Gesicht. Haben Sie mir auch geflucht? fragte er mit einer überaus einschmeichelnden biegsamen Stimme. Können Sie ein Herz verdammen, fuhr er fort, das so unwillkührlich erkaltete, als es einst entbrannte? und fühlen Sie nicht, daß dieser einzige Mißgriff mein ganzes Leben verwirrt? Was führt Sie hieher? unterbrach ihn Seraphine unwillig. Sind Sie Bösewicht genug, hier einen Triumph zu suchen? Wollten Sie noch mit den abgerissenen Blüthen[132] spielen? oder gelüstete es Sie, zu sehen, wie ein treues Herz unter Ihren weltklugen Künsteleien zerbrach? Ich bin kein Bösewicht, sagte Ludowiko sanft. Sie zerreißen mein Herz in einem Augenblick, wo ich Trost bei Ihnen suche. Trost? – wiederholte die Gräfin. – O mein Gott, fiel er schnell ein, es ist jetzt nicht Zeit zu untersuchen, ob ich ein Recht darauf habe, sagen Sie mir nur, ob sie lebt? und ob ihr Zustand immer so ist, wie ich sie heute fand? Sie haben sie also gesehn? fragte Seraphine, der nun alles klar ward. Ewiger Gott, erwiederte Ludowiko, der Tod hat mich in ihren Armen gefaßt, und alle gespenstische Schauer rissen mich aus meinem Träumen ihrem Wahnsinne nach! Seraphinens Blicke lagen noch immer forschend[133] auf den seinigen, und er fuhr fort: ich kam auf Rosaliens dringenden Ruf hieher. Ein Brief, den ich auf eine seltsam geheime Weise in meinem Zimmer fand, zog mich unwiderstehlich zu ihr hin. Ich war so weit entfernt, ihre Zerrüttung zu ahnen, daß ich in dem Unzusammenhängenden und Phantastischen ihrer Einladung, nur die Stimme lange bekämpfter Leidenschaft erkannte. Ich trotzte den Gefahren der Verbannung und kam unerkannt zu dem stillen Grabe, das sie zum Ort unseres Wiedersehens festgesetzt hatte. – Sie trat mir entgegen, ihr Anblick griff wie glühende Zangen in mein Inneres. Unwillkührlich schloß ich sie in meine Arme. Sie ließ es still geschehen, plötzlich wand sie sich los, und mit einem Schrei des Entsetzens rief sie: Fernando, dein Kuß[134] brennt wie eine dreizackige Flamme auf der Stirn der Sünderin. Ich bemühete mich vergebens, sie zu beruhigen, sie stieß mich von sich, ihr wilder Blick flog unstät umher, und als jagten sie alle Furien der Hölle, so lief sie plötzlich vor mir her. Ich hatte sie bald aus dem Gesichte verloren, und irrte in tödtlicher Angst um das Haus, ohne mich gleichwohl hinein zu wagen, als ich endlich Ihre Stimme, liebste Seraphine, vernahm, und nun beschwöre ich Sie, wenn noch eine menschliche Regung für einen Unglücklichen sprechen kann, sagen Sie mir, was ist aus ihr geworden? Die Gräfin war tief erschüttert. Lieber Himmel, sagte sie, wer darf mit dem Andern rechten! Ich beklage Sie von ganzer Seele. Wenn Sie noch irgend eine Anhänglichkeit[135] für die Unglückliche erhielten, so werden Sie viel leiden. Rosaliens Wahnsinn hat durch Ihre Erscheinung nur eine andre Richtung genommen, sie gehörte sich längst nicht mehr an. Die Drohung ihres Bruders, und die unbezwingliche Leidenschaft für Sie, wogten ringend in ihr auf und ab, und entzündeten allmählig ihr Gehirn. Sie kann nur der Tod retten. Ludowiko weinte still, seine Liebe schien gewaltsam erweckt zu seyn. Die Gräfin versprach ihm Nachricht zu bringen, und ließ uns allein. Ich hatte nicht den Muth, seinen stummen Schmerz durch eine unzeitige Anrede zu unterbrechen. Diese schwachen, beweglichen Gemüther haben bei allen dem einen eignen Reiz. Ihr willenloses Hingeben ist selten ohne Liebenswürdigkeit, und wie viel Unheil[136] sie auch anrichten, man kann ihnen nicht feind seyn. Ich empfand wirklich eine zärtliche Theilnahme für den schönen bekümmerten Mann, und schloß ihn ohne ein Wort zu sagen an mein Herz. Er verstand mein Gefühl, und schmiegte sich so vertrauend an mich, als wolle er sein ganzes Innres in meinen Busen ausschütten. – Ach Gott, sagte er nach einer Weile, ich erscheine wohl als ein großer Sünder, und doch bin ich gewiß nicht ganz schlimm. Das kommt und geht so mit unsern Gefühlen, ohne daß man es wehren kann, und die Folgen ziehen uns dann unvermeidlich mit sich fort. Ich drückte ihm schweigend die Hand. Seine Philosophie war freilich ziemlich leicht, indeß mochte sie ihm für den Augenblick wohlthun, und ich konnte ihm das gönnen.[137] Die Gräfin war indeß zurück gekommen; sie versicherte, Rosalie sey besonnen und ruhig erwacht, spreche zusammenhängend und scheine gerührt bei jeder ihr bezeigten Aufmerksamkeit, nur leide sie nicht, daß man sie zu Bett bringe, aus Furcht etwas anzuzünden, so sitze sie auch ganz frei, mitten im Zimmer, mit unbedecktem Haupt und offner Stirn. Seraphine drang jetzt auf Ludowikos Abreise, da der Zustand der Kranken mehr bleibend als gefährlich zu seyn schiene; allein er war durch nichts dahin zu bringen. Allen unsern Gründen setzte er die schmeichelndsten Bitten entgegen, und wirklich hat er es durchgesetzt, bis zu dieser Stunde verborgen im Schlosse zu bleiben. So leben wir denn alle Vier, ein ganz eignes von der übrigen Welt losgerissenes[138] Leben, indem sich jeder mehr oder weniger in die schwankenden Vorstellungen des Andern verliert, oder die Bilder eignen Wahnsinns außer sich zu sehen glaubt. Rosalie spricht mit vieler Ruhe von dem letzten Ereigniß. Sie sagt, nun ängste sie nichts mehr, da alles eingetroffen sey, wie sie es unter tausend Quaalen geahnet habe. Dies sey der letzte Schlag des Schicksals, den sie hätte herbei führen müssen. Nun sey es wahr geworden, und sie büße gern und willig. Diese Flamme reinige auch die Seele ihres Bruders von Haß und Rache, und Ludowiko sey in dem Augenblick ein Engel geworden, der immer um sie bleiben und sie trösten dürfe. Es ist unbeschreiblich, welche Gewalt ihre Worte über uns ausüben. Ludowiko, der die meiste Zeit von ihr[139] ungesehen, verborgen im Zimmer weilt, lebt und athmet nur in dem Zauber ihrer Stimme. Oft sitzen wir die dunkeln Abende so neben einander, und begleiten ihr Lieblingslied mit tiefer Rührung. Es klingt recht wehmüthig, wenn sie mit der matten, kranken Stimme singt:


Die bangen Stunden winden

Sich langsam auf und ab.

Tod, soll ich nie dich finden?

Bleibst mir verschlossen, Grab?


Ich seh' des Tages Neigen,

Ich seh' der Nächte Lauf,

Verworrne Bilder steigen

Aus mattem Streit herauf.


Der Kindheit fromme Spiele,

Der Jugend banges Fleh'n,

Ach! und der Leiden viele

Muß ich nun kommen seh'n.
[140]

Zieh still an mir vorüber,

Du süße Kinderwelt!

Mein Blick reicht nicht hinüber,

In jenes bunte Feld.


Verhüll' in dunkle Schleier

Dein Hoffen, armes Herz,

Der Jugend Liebesfeuer

Erblich in dumpfem Schmerz.


Doch ihr nahmt mich gefangen

Ihr droh'nde Schatten dort,

Nach euch trag' ich Verlangen,

Reißt mich umschlingend fort.


Nun steht das Grab mir offen,

Nun winkt der Tod herbei,

Und all mein süßes Hoffen,

Giebst du mir sterbend frei.


Neulich unterbrach sie sich selbst, und meinte, Ludowikos Stimme deutlich gehört zu haben. Es ist mir oft schauerlich, wie Wahrheit und Täuschung hier[141] so in einander spielen, daß wir selbst nicht wissen, was das Rechte sey. Übrigens ist ihr Lied prophetisch, denn sie neigt sichtlich dem Grabe entgegen, und erblickte sie Ludowiko ein zweites mal, so würde das sicher ihr letzter Augenblick seyn. Er fühlt das auch, und giebt sich mit einer Art phantastischem Wohlbehagen ihren Träumen hin, in denen er sich selbst gereinigt und verklärt erscheint.

Ich kann nicht sagen, mit welcher Sehnsucht mich diese geheimnißvolle, dunkle Liebe erfüllt! Ich beneide Ludowikos Loos, und muß oft stundenlang zu Seraphinens Füßen weinen. Zuweilen ist mir, als wären wir Alle Schatten einer andern Welt, und ich betrachte mich und die Andern mit Bangigkeit. Wollte Gott, es wäre so! allein Elwire,[142] die jetzt öfter zu uns herüber schweift, reißt unsre ideale, kleine Welt mit Gewalt in die wirkliche hinein. Es ist sichtlich, daß die Begier, etwas Näheres über die letzten Vorfälle zu erfahren, sie hieher lockt; indeß kehrt sie jedesmal unbefriedigt zurück. Sie ist wie ein Kind, und neckt und schwatzt und quält uns oft bis zur Ermüdung. Besonders drängt sie mich, sie nach der Hauptstadt zu begleiten, von der sie, nach Kinder Art, alles in einander vermengend, erzählt. Miranda schweigt ganz. Elwire lacht zweideutig, so oft man nach ihr fragt, und meint, es würden bald große Dinge geschehen. Niemand wird aus ihr klug.

Ach, mein Rodrich, könntest du hier seyn! Ich darf das vielleicht deinetwegen nicht wünschen, du bist wohl auf[143] deine Weise glücklich. O sage mir bald, wie dir's ergeht, und ob du meiner noch mit Liebe gedenkst. Ewig der Deine. Florio

Rodrich ward, wie mit einem Zauberschlage, zu jenen verworrnen Auftritten hingezogen. Die frühesten Regungen seines erwachenden Daseys, sein dunkler Eintritt in die Welt, der trotzige Unmuth, das wechselnde Glück, der Graf, Seraphine, Rosalie, all jene Lichtblicke, die in sein Inneres fielen, flossen jetzt in dem Schmerz über die früh getrübte Herrlichkeit zusammen. Er konnte es sich nicht ableugnen, er dankte jenen beiden weiblichen Wesen die süßesten Ahnungen. Was er jetzt für Miranda fühlte, war anders, in manchen Augenblicken heiliger, und doch wieder mit einer ängstigenden Unbestimmtheit[144] vermischt. Überall war sein Denken und Fühlen so schwankend und zerstückt, daß er eine Scheu hatte, in sich selbst zurück zu gehen.

Um dieselbe Zeit erhielt Stephano ebenfalls Briefe vom Hofe. Rodrich wußte das, und bemerkte nicht ohne Unruhe, wie er immer zurückhaltender und gezwungener ward. Er fragte ihn einmal nachlässig: ob er nichts Lustiges von der geistlichen Regierung zu erzählen wisse? O ja, erwiederte jener, Viormona vertheilt die Rollen, du hast ja früher ihr Talent erprobt, und kannst denken, welch reiches Leben nun beginnt. Viormona? fragte Rodrich. Nun ja, sagte Stephano, ihr gewaltiger Geist begegnete dem Cardinal, oder umgekehrt, wie du willst, genug es ist jetzt alles einig und friedlich, und Therese[145] und ihre Töchter, der Hof, die Stadt, alles giebt sich den neuen Führern hin. Rodrichs Herz zog sich unwillkührlich bei diesen Worten zusammen. Es lag dahinter etwas, das ihn ängstete, und er hatte gleichwohl weder den Muth, noch das Recht, in den vernachlässigten Freund zu dringen, der auch weiter nicht auf ihn zu achten und nur mit eignen Sorgen zu kämpfen schien.

Beide hatten indeß nicht lange Zeit, ihren Träumen nachzuhängen. Der General beschloß, die Festung durch einen Überfall einzunehmen, und bestimmte dazu die folgende Nacht. Das tiefe Geheimniß, die Erwartung, der unbestimmte Ausgang, alles lockte sie aus dem langen Winterschlafe hervor, und strömte erfrischend durch den heitern Soldatensinn. Stephano konnte kaum[146] den entscheidenden Augenblick erwarten. Er maaß mit klopfendem Herzen Mauern und Wälle. Ihm war, als schwebe er unaufhörlich auf der letzten Sprosse der Leiter. Endlich rückte die Stunde heran. Alles war vorbereitet, die Nacht dunkel wie das Grab. Der Wind fuhr heulend durch die Wolken, und trieb Schnee und Regen vor den anrückenden Truppen her. Kein andrer Laut drang durch das dumpfe Geräusch hindurch. Niemand wagte zu athmen. So erstiegen sie mühsam den Hauptwall, den der herabströmende Regen schlüpfrig und ungleich gemacht hatte. Rodrich rückte indeß mit der Cavallerie nach dem Thore zu. Noch war alles still. Die Bataillons drangen schweigend herauf, einzelne Posten wurden geräuschlos niedergemacht. Plötzlich fiel ein[147] Schuß, dann noch einer, man hörte wild durch einander rufen, der Lärm nahm zu. Rodrich trabte muthig heran, indem wurde das Thor gesprengt, die Cavallerie fuhr wie ein Blitz hinein, durch die Straßen hin, und hieb nieder, was sich widersetzte, indeß die schwache Besatzung am Thore geworfen, und der Posten von der Infanterie genommen wurde. Bald darauf folgte die zweite und dritte Division. Der Tumult in den Straßen war furchtbar, alles drängte nach der Hauptwache. Hier begann ein neuer, verzweifelter Kampf. Viele mußten bluten, ehe der Platz gewonnen war; Stephano traf ein Schuß durch die rechte Schulter, er sank ohnmächtig nieder, und sahe nicht, wie die Seinen endlich siegten und alles in ihre Gewalt kam. Eine augenblickliche,[148] zweifelhafte Stille folgte auf den schauderhaften Lärm. Die geängsteten Bewohner lauschten furchtsam in den dunkelsten Winkeln ihrer Häuser, die Ordnung schien indeß hergestellt, man wagte hin und her ein Licht anzuzünden, und sah beruhigt auf die überstandne Gefahr, da flog mit einemmal der losgelaßne Schwarm über Todte und Verwundete an die verschlossenen Thüren. Riegel und Bollwerk mußten der Gewalt weichen, und wo dies nicht glückte, da sprangen die Fenster klirrend auseinander, und öffneten den Eindringenden so den Zugang. Alle Schranken zerfielen, die freigegebene Plünderung trieb Laster und freche Begier über sich selbst hinaus. Das Geheul der Mißhandelten rang schneidend mit dem wilden Geschrei des Üebermuthes.[149] Jedes Band der Menschheit schien sich in dem Augenblicke zu lösen. Der zitternde Bürger mußte den Widerstand der Festung büßen. Frohlockend schwelgten Alt und Jung in dem mühsam errungenen, wohlgeordneten Hausrath, auch das Liebste zerbrach in den rohen Händen; Ehre, Glück, frohe Zukunft, alles, alles, befleckte, zertrümmerte die wilde Wuth. Rodrich ging mit empörtem Herzen an dem Lärme vorüber. Er war durch und durch erschüttert, zerrissen, so nahe war ihm die ruchlose Willkühr nie getreten, Sitte und Gesetz hatten bis dahin das Gemeinste von ihm abgehalten. Er erschrack vor dem Thierischen im Menschen, und als habe er sich selbst in jener unverhüllten Niedrigkeit erkannt, so ängstlich suchte er sich in einem edlern, höhern Sinne wiederzufinden.[150] Er bemühte sich vergebens, Stephano zu entdecken, den er unter den Verwundeten wußte. Man sagte ihm endlich, viele derselben seyen gleich in die nächste Kirche getragen, um sie vor den Gefahren des ausbrechenden Tumultes zu sichern. Er eilte sogleich dahin. Die hohen, dunkeln Pforten standen weit offen, auf der Schwelle lagen Gewehre, blutige Kleider, Stroh, überall Spuren allgemeiner Zerstörung. Aus dem Hintergrunde dämmerte ein mattes Licht. Rodrich schritt nachdenkend durch die gewölbten Gänge; allein das Gestöhn der Kranken riß ihn bald aus seinen Träumen. Er nahm die Laterne, die das Bild der Auferstehung Christi flackernd erhellte, vom Hochaltar, und ging suchend umher. Stephano lag in einer Ecke, den[151] Kopf auf einen reich beschlagenen Sarg gestützt. Die kalten Steine, der schneidende Zugwind, und sein starker Blutverlust hatten sein Übel schlimmer gemacht. Rodrich bedeckte ihn sogleich mit seinem Mantel, und eilte, alles Stroh herbeizuschaffen, um ihn weicher zu betten, bis anderweitige Hülfe möglich war. Beim hin und her gehen bemerkte er ein seltsames Rauschen, als spiele der Wind mit einem seidnen Gewande. Er blieb einen Augenblick stehen, das anmuthige Flüstern schien ihm ganz nahe, er bog sich hinter einen Pfeiler, und entdeckte den Eingang zu einer kleinen Kapelle. Ohne weiter viel zu erwägen, trat er hinein, und erblickte eine weibliche Gestalt, die starr und leblos auf einem Grabsteine kniete. Die kleinen Händchen lagen verschlungen auf[152] dem Marmor, und schienen den Obertheil des zarten Leibes, wie den gesenkten Kopf, zu tragen. Schauerliche Grabesluft zog über ihr hin, und wogte spielend in den reichen Locken und dem flatternden Kleide. Dies fremde Leben, was sie so bewußtlos berührte, gab der lieblichen Erscheinung etwas Rührendes, das Rodrich noch schneller zu ihr hinzog. Er glaubte ein schlafendes Kind in Todesarmen zu sehen. Kaum wagte er es, sie zu erwecken, doch umfaßte er sie leise, und fühlte mit Entzücken üppiges, jugendliches Leben in ihren Adern glühen. Bald regte sie sich in seinen Armen, er hob sie vollends empor, und konnte die Augen nicht mehr von dem holden Gesichtchen wenden, sie flüsterte, wie im Schlafe, unvernehmliche Worte, endlich sagte sie deutlich, sich fester an[153] ihn schmiegend: rette mich, mein Bruder, rette mich vor den wilden Kriegern! Rodrich zitterte vor ihrem völligen Erwachen, er theilte im voraus ihre Angst, und dennoch konnte er sie unmöglich so hülflos verlassen. Bei einer leichten Bewegung mit der Hand, ließ er das Licht hell in ihre Augen fallen; sie schlug sie plötzlich auf, Unschuld, Furcht, Sehnsucht, Vertrauen, alles spiegelte sich in den himmlischen Blicken. Sie fühlte sich sanft gehalten, und während sie noch immer von unsichtbaren Banden umschlungen zu seyn glaubte, wagte sie in einem Gemisch von Scheu und Ergebung nicht, den Kopf zu wenden. Rodrich hütete sich wohl, das Schweigen zu brechen, doch indem rief ihn Stephano, den sein plötzliches Verschwinden befremdete. Sie[154] fuhr erschrocken auf; als sie Rodrich erblickte, blieb sie wie betäubt stehen, und schien mit banger, ängstigender Ungewißheit zu ringen. Fürchten sie nichts, sagte er, ehrerbietig vor sie hintretend, während ihn Stephano noch immer wiederholt rief, ich hänge von ihren Winken ab, gebieten sie über mich, wohin soll ich sie führen? Ach, um der Täuschung willen, sagte sie weinend, die mich so lange bei ihnen fesselte, um der süßen Erinnerung eines geliebten Bruders willen, retten Sie mich vor jedem fremden Auge, das ich jetzt mehr als den Tod scheue. Erwartet sie vielleicht eine Mutter, fiel Rodrich schnell ein, oder sonst eine geliebte Verwandte? Ach Gott, meine Mutter, rief sie bewegt, meine arme Mutter, wie wird sie ihre Aline suchen! Was hast du[155] denn hier? sagte Stephano, der sich mühsam bis zum Eingang der Kapelle geschleppt hatte; aha! rief er lächelnd, und wandte sich von beiden ab. Dies Lächeln ging Rodrich durch die Seele; er sah auf Alinen, die sich zitternd an ihn hielt, und kein Wort hervorbringen konnte. Sie sagen mir wohl, hob er ernsthaft an, wohin ich sie so schnell als möglich führen darf, um sie vor Beleidigung zu sichern. Aline weinte still, ohne aufzusehen. Mein Gott, sagte sie nach einer Weile, ich bin wohl recht kindisch gewesen, aber ich konnte wirklich nicht anders, es zog mich unwiderstehlich hieher zu meinem Bruder, bei dem ich durch mein ganzes Leben gewohnt war, Trost und Rath zu suchen. Wir wohnen ganz nahe bei der Kirche, an welcher mein Oheim Geistlicher ist.[156] Meine Mutter und ich leben seit vielen Jahren bei ihm; lieber Himmel, er ist wohl ein recht braver Mann, aber wie der Bruder, ist er doch nicht, der ein Schwerdt trug, wie Sie, und uns wohl alle beschützt hätte! Die Mutter sagte das auch, als wir in der Todesangst so hin und her liefen, und niemand wußte, wohin er sich verbergen sollte. Die Heiligen, dachte ich, haben ja wohl öfter ihre Lieblinge beschirmt, und Benedikt war sicher ein Heiliger! Ich eilte hieher, und weinte und betete auf seinem Grabe, da ward es plötzlich so laut um und neben mir, ich wollte fliehen, aber es hielt mich fest, und ich sank bewußtlos nieder. Ihr Vertrauen hat sie nicht getäuscht, sagte Stephano, dem ein Blick auf Alinen jeden Schein von Verdacht nahm Wollen sie den[157] Schutz eines Todtkranken annehmen, so geleiten wir beide sie zu den Ihrigen, und sie gönnen mir wohl für diese eine unruhige Nacht ein Plätzchen in ihrem Hause? Aline betrachtete ihn mit theilnehmenden Blicken. Ihre eignen Sorgen hatte sie über dem bleichen, erschöpften Gesicht, und dem blutenden, schlecht verbundenen Arm vergessen. Was säumen wir denn, sagte sie schnell, kommen sie doch, ich werde ihnen den Weg zeigen. Sie nahm die Laterne, und sorgte, daß Rodrich den Kranken unterstützte. Eine Seitenthür führte sie in wenigen Schritten durch einen kleinen Garten, zu einem stillen, abgelegenen Häuschen. Aline sprang wie ein Reh hinein. Bald darauf kam man ihnen mit Licht entgegen, und führte sie in ein bequemes, gastliches Zimmer. Die Mutter, eine[158] feine, sittige Frau, war entzückt über Alinens Ankunft, die sie indeß, mit ruhigem Vertrauen, bei einer reichen, ihr wohlwollenden Verwandten in Sicherheit glaubte. Wenige Worte machten sie mit dem Vorgange bekannt, sie bezeigte den Eintretenden ihre herzliche Dankbarkeit, und war doppelt bemüht, Stephano's Zustand zu erleichtern. Rodrich verlor sich in Alinens anmuthigen Geschäftigkeit, die sie wie im Spiele an ihm vorüber trieb, ohne irgend eine schwerfällige Sorge ahnen zu lassen. Diese leichte Beweglichkeit in den beschränkten Kreisen, hob sie bewußtlos darüber hinaus, und gab dem ganz Gewöhnlichen einen eignen Zauber. Überall fühlte er sich unendlich wohl. Die harmloseste Ruhe wehte ihm hier in den einfachen, in Lieb' und Eintracht[159] geordneten Umgebungen entgegen. Seine aufgeregten Sinne schlossen sich behaglich an die Einförmigkeit des Ganzen. Er vermißte keine Pracht, und weidete sich an jedem Gegenstand, der vom innern, häuslichen Frieden zeugte. Bald trat auch der nunmehr beruhigte Geistliche herein. Er er schien beiden Freunden mild und angenehm, so sichtlich man auch wahrnahm, daß er kein Streiter dieser Welt sey. Sein stiller Wohnsitz war von den Plündernden übersehen, und er hatte nichts, als die Ruhe dieser Nacht bei dem allgemeinen Schrecken eingebüßt.

Während dessen hatte sich der Aufruhr in den Straßen gänzlich verloren. Stephano bedurfte der Ruhe, und Rodrich fühlte, daß er sich von seinen neuen Bekannten losreißen müsse, um[160] nicht lästig zu werden. So schied er denn, von der herzlichen Bitte, recht bald wieder zu kommen, begleitet.

Er fand sein Quartier bei einem reichen Rathsherrn, der mit ängstigender Förmlichkeit seinen Wünschen zuvorkam. Auch Stephano erwartete ein ähnliches Loos, allein Rodrich sah voraus, daß er es vorziehen werde, bei seinem liebreichen Wirthe zu bleiben, wenn er ihn anders behalten wolle.

Am folgenden Tage erhielt er von allen Seiten Glückwünsche über sein ausgezeichnetes, besonnenes Betragen bei der Einnahme der Stadt, und wie man ihm vorzüglich die Besetzung der wichtigsten Posten verdanke. Auch der General sagte ihm etwas Verbindliches. Rodrich sah sich geehrt, ohne sonderlich darüber erfreut zu seyn. Angenehmer[161] war es ihm, zu erfahren, daß der Feind um Frieden bitte, und daß die Unterhandlungen schon im Gange seien, was indeß Zeit und längern Aufenthalt in dieser Stadt erfodre. Ohne irgend eine Ursach anzugeben, oder sein Gefühl näher zu betrachten, strebte er, sich der Freude, länger in Alinens Nähe zu bleiben, ganz ungestört zu überlassen, und ergötzte sich im Voraus an dem heitern Umgang, der ihn aller anderweitigen Sorgen auf kurze Zeit entrücken sollte. Er glaubte längst darüber mit sich einig zu seyn, daß man vergebens nach Glückseligkeit verlange, und die einzelnen vorüberfliegenden Momente sorgsam auffassen und an einander reihen müsse, um ein erträgliches Ganzes heraus zu bringen. Der Genuß, meinte er, wie jeder gewünschte[162] Erfolg, fliehe der Absichtlichkeit, nur was sich so ungesucht nahe, das solle man getrost auf sich zu kommen lassen. Es werde sich bald zeigen, in wie weit es zu einem gehöre, oder nicht. Alles Streben und Widerstreben lasse die Dinge ziemlich beim Alten, man werde auch gewöhnlich sein eigner Narr bei einer geträumten Konsequenz, die ein unbewachter Augenblick zu Schanden mache. So im Kampfe mit Sinn und Verstand, aller klügelnden Reflexion entfliehend, und doch in ihr verstrickt, Höheres verachtend und kindlicher Sorglosigkeit entwachsen, ging er in schmeichelnden Träumen zu Stephano. Es war ein heller, anmuthiger Wintertag. Die Sonne schien warm in Alinens Fenster, an welchem sie unter Blumen und bunten Vögeln, auf einem niedern[163] Sessel bei ihrer Arbeit saß. Auf das Geräusch bei seinem Eintritt, legte sie schnell den Finger auf den Mund, und zeigte auf den schlafenden Stephano, der am andern Ende des Zimmers in einem Lehnstuhl lag. Rodrich trat leise zu ihr hin. Sie glühete wie ein frisches Röschen in dem blendenden Schnee des weißen Gewandes. Freudige, schuldlose Überraschung, sprach aus Blick und Mienen. Er beugte sich über ihren Sessel, und beide begannen kaum hörbar mit einander zu reden. Aline ward bald unbefangener, und als Rodrich nach den ersten Erkundigungen, Stephano's Wohlseyn betreffend, das Gespräch auf den geliebten Benedikt lenkte, erzählte sie mit süßer Vertraulichkeit ihren ganzen kleinen Lebenslauf. Rodrich hörte kaum was sie sprach, das[164] sanfte Wehen ihres Odems, das berauschende Flüstern und all die Unschuld und Lieblichkeit nahm seine ganze Seele hin. Er fühlte nur, wie wahr und anspruchslos sie ihr Inneres aufdecke, und wie nichts, nichts in dem reinen Herzen lebe, was den Blick eines Menschen scheue. Die feste, heilige Liebe für den Bruder, brach oft recht ernst aus dem spielenden Wesen hervor, und zeigte, wie die kindischen Schwingen den Himmel wohl zu erreichen wußten. Er hätte gern ewig so bei ihr gesessen, und sich in ihre Welt hinüber ziehen lassen, allein Stephano erwachte, und bei seiner ersten Bewegung flog Aline an sein Lager. Sie fand ihn bei weitem kränker als zuvor. Brennende Fieberhitze und stechende Schmerzen im Arm, machten ihn auf's höchste ungeduldig[165] und verdrüßlich. Rodrich nahete sich ihm theilnehmend. Sein Herz war offen und warm. Die alten, halb zerrissenen Bande schienen sich auf's neue fester zu schürzen, es reuete ihn jede Härte gegen den kranken Freund, der ihm so gar nicht im Wege war, dessen Schwächen ihm sehr verzeihlich, ja von tausend herrlichen Eigenschaften überstralt dünkten. Er hätte ihm in diesem Augenblicke gern seine Schuld und seine Reue bezeigt, und so die frühere Vertraulichkeit wieder hergestellt, allein Stephano begnügte sich, die hervorbrechenden, herzlichen Worte, mit einem stummen Händedruck zu beantworten, und sich lächelnd von ihm abzuwenden.

Aline kam und ging, und war sorglich um den Kranken bemüht. Bald erschien auch die Mutter, welche häusliche[166] Geschäfte bis dahin entfernt hielten. Rodrich entdeckte heute eine auffallende Ähnlichkeit zwischen ihr und ihrem Kinde. Alter und Erfahrung hatten den rosigen Hauch jugendlicher Sorglosigkeit nicht in ihr verwischen können. Wie bei Alinen Ernst und Leichtsinn in den blühenden Zügen spielte, so leuchtete beides aus dem Wesen der alternden Matrone hervor. Dasselbe Vertrauen, derselbe einfältig fromme Blick über alle ausgedehnteren Verhältnisse des Menschen, die gleiche, gefällige Redseligkeit, und das gänzliche Verlieren in den einzigen, merkwürdigen Hauptmoment ihres Lebens, den Tod des blühenden, geliebten Jünglings, alles fand man in Beiden auf gleiche Weise. Wenn Worte und Gedanken auch nicht über die abgeschlossenen[167] Kreise ihrer einfachen, fröhlichen Wirksamkeit hinaus reichten, so lag dennoch hierin eine Welt von Gefühl. Alles Thun und Treiben erschien wie das bewußtlose Walten der Natur. Man gab sich willig hin, und ließ sich, wie beim Erwachen des Frühlings, allmählig in die harmlosen Erinnerungen der Kindheit hinüber spielen. Gleichwohl fühlte Rodrich einen gewissen Zwang, seit er nicht mehr mit Alinen ohne Zeugen war. Ihre Aufmerksamkeit wurde unwillkührlich getheilt, sie durfte nicht einzig bei ihm verweilen; sie fühlte das, und sehnte sich, wie Rodrich, nach der stillen vertraulichen Stunde zurück. Indeß blieb mehrere Tage hindurch alles, auch Stephano's Befinden, unverändert. – Rodrich hatte daheim bei seinem Rathsherrn eine ganz[168] stattliche Familie, der er täglich einige Stunden geben mußte. Der Mann führte einen guten Tisch, alten Wein, und besaß die vortreffliche Gewohnheit, beides, um eines höflichen Lobes willen, Freund und feindlichen Gästen preis zu geben. Überdem hatte er zwei Töchter, von denen die eine verheirathet, die gute Mutter, und die andere unverheirathet, die Gebildete, nicht ohne Gewandtheit, und mit tiefer innerer Überzeugung spielten. Beide verstanden es, einen Kreis von Bewunderern um sich her zu ziehen, unter denen sich Erwin, ein genialer, ganz frisch auf Universitäten erblüheter Philosoph am meisten hervorthat. Er war ganz ausgebildet, so daß wirklich kein einziges festes Bild in ihm Bestand hatte. Die große Ansicht des Universums dehnte, wogend[169] und flimmernd, die inneren Schwingen, und hob ihn auf einen Standpunkt, vor welchem Hohes und Niederes gleich verschwanden. Die bunte Gestaltung der Welt war ihm nichts, als die Unterbrechung absoluter Einheit, deren wechselndes Spiel er, wie der Arzt das Zucken der Nerven, mit Antheilnehmendem Lächeln durchdrang. Überhaupt sah man ihn immer lächeln, nichts durfte das ruhige Gleichgewicht unterbrechen, er fand sich überall wieder, weil er sich ganz verlor, und kannte weder einen bestimmten Freund, noch eine Geliebte, indem er einzig der Unendlichkeit angehörte. Ihm zunächst stand ein Künstler, der mit hagerer Gestalt und matten Blicken, die Fülle göttlicher Sinnlichkeit in jedem Theetropfen in sich sog, und mit frechen, oft unkeuschen Worten[170] laut werden ließ, wie er sein ganzes Daseyn dem wahnsinnigen Rausche hingebe, und die Muse erst in den üppigen, glühenden Umarmungen der frischen Sinnenwelt erzeuge. Die völlige, rothwangige Laura neigte sich bei ähnlichen Worten zu ihrem jüngsten Kinde, und drückte es mit viel Empfindung an den unverhüllten Busen. Ihre Schwester Beate haßte den unsittigen Schwätzer, und verfehlte nie, ihn mit giftigen Pfeilen ihres Witzes zu verwunden. Überall war sie das anregende Prinzip dieses kleinen Zirkels, und ohnerachtet man sie mehr haßte, als sie es wohl verdienen mochte, so trieb und drängte jeder so lange, bis sie die Rolle der anerkannt Geistreichen, in tausend gesuchten Wendungen durch einen ganzen Abend behauptete. Die[171] Familie nickte dann einander beifällig zu, und jedes sonnte sich behaglich in dem trüben Schein. Ziemlich abgesondert von den Übrigen, und gewöhnlich mit einem großen Windhunde beschäftigt, saß ein ältlicher Offizier, der den biedern Hausfreund machte, und mit einigen polternden Späßen die Wahrheit ziemlich hart traf. Da er indeß gern Wein trank, die Pferde liebte, den Damen huldigte, und einige veraltete, nach Romanzenart in sich unzusammenhängende Kriegslieder sang, so gesellte sich der Neffe des Hauses zu ihm, ein Jüngling, der sich mit der Welt nicht mehr vertragen konnte, und die altväterlichen Sitten hier zu finden meinte. Beide sprachen ganz entgegengesetzte Dinge, und glaubten einander doch zu verstehen. Der junge Mensch sah dabei[172] auf ein schönes unbedeutendes Mädchen, das ihn für etwas toll hielt, und seine verschollene Galanterie mit sichtlicher Scheu ablehnte. Rodrich glaubte zuweilen mitten unter einer Sammlung Karikaturen zu stehen, in denen er, bei genauer Betrachtung, bekannte Züge entdeckte, die verworren und schwankend an ihm vorüber fuhren, und ihm irgend einen befreundeten Nahmen, oft seinen eignen, zuriefen. Er war zu stolz und vornehm, um sich hier mitzutheilen, oder das Ganze für etwas anders, als ein flaches Spiel anzusehen. Wenn er indeß über die grotesken Theaterkünste lachte, mit welchen einer den andern zu täuschen suchte, so fühlte er ganz dunkel, daß auch er dabei eine Rolle spiele, und zwar die des untheilnehmenden, kalten Zuschauers, der gleichwohl[173] alle Augenblicke einmal auf die Bühne trat, und Eitelkeit durch Eitelkeit parodirte. Überhaupt begegnete es ihm so oft, gerade das, was ihm bei Andern aus voller Seele zuwider war, in sich selbst wieder zu finden. Er stritt und kämpfte wohl dagegen, aber die nichtswürdigen Regungen waren dennoch da, kamen immer wieder, und behaupteten ihr Recht in tausend verkappten Gestalten, in denen er sie nicht selten hegte und pflegte, bis die Hülle unversehens herabfiel, und die Fratze ihn höhnisch ansah. Oft glaubte er, das müsse alles so seyn, um ihm die Schlechtigkeit menschlicher Natur recht anschaulich zu machen, und ihn mit Kraft und Verachtung dagegen auszurüsten. Er hielt sich wirklich berufen, das goldne Netz zu zerreißen, womit[174] Thorheit und Eitelkeit die Welt umspinnen. Er griff in jedem Augenblick danach, und verwirrte sich unwillkührlich in das glänzende Gewebe. Er fühlte das mit feindlichem Unwillen gegen sich und Andere, und konnte dennoch die fruchtlose Arbeit nicht aufgeben. Umsonst, meinte er, habe ihn der rächende Erzengel nicht so in seiner Kindheit angezogen. Die mahnende Stimme kehre immer wieder, und er müsse das Recht zu Tage fördern. Nur bei Alinen spührte er nichts von ähnlichen Auffoderungen. Hier war ihm von selbst alles ergeben. Warmer, süßer Liebeshauch wehete ihm überall entgegen. Das Anneigen und Erschließen einer schuldlosen Seele, strömte berauschend in die seinige über. Stolz und Ehrgeiz schwiegen zum erstenmal.[175] Alles gefiel ihm, wie es sich eben zeigte, in einfacher Herzlichkeit. Wenn er aus dem überbildeten Kreise in die stille, behagliche Wohnstube trat, wo Mutter und Tochter ihn mit unverstellter Freude empfingen, und ihn alles anlachte, bis auf die zierliche Magd, die dann gern und eilig den Tisch zu Vieren deckte, dann ging sein ganzes Herz auf, er fühlte die Nähe reiner Menschlichkeit, und nichts konnte ihn stören, selbst der einsylbige Geistliche nicht, den doch hin und wieder ein wohlwollender Blick auf Alinen verschönte. Nur Stephano blieb krank und mit sich selbst beschäftigt. Nach mehrern Tagen fand er bei seiner Ankunft das ganze Haus in großer Bewegung. Der Kranke war plötzlich schlimmer geworden, selbst die Ärzte fürchteten für sein Leben. Er lag[176] in heftigen Krämpfen, die er sich durch eine Erkältung zugezogen hatte. Aline weinte aus voller Seele. Sie kannte nichts Schrecklicheres als den Tod, der ihr einst das Liebste auf Erden entriß, jede Hindeutung auf diesen einzigen Schmerz ihres Lebens, bewegte sie auf's gewaltsamste. Rodrich ward sehr erschüttert, als Stephano's heftige Natur in die furchtbarsten Zuckungen ausbrach. Bis nach Mitternacht blieb jeder in banger Ungewißheit. Endlich strömte ihm das Blut aus den Adern, ohne daß man sie geöffnet hätte, und wenig Minuten darauf ward er ruhig und besonnen. Die Ärzte erklärten dies für eine wohlthätige Crisis, und nachdem sie noch einige Mittel verordnet hatten, empfahlen sie den Kranken der Obhut seiner Pfleger, und verließen ihn[177] mit der Versicherung baldiger Genesung. Alles um ihn her athmete jetzt freier, die Mutter konnte ihre Theilnahme nicht rührend genug ausdrücken, Niemand sollte ihn die Nacht über verlassen, sie selbst wollte ihn genau beobachten, und schickte sich an, in einem gemächlichen Sessel an seinem Lager zu wachen. Aline saß müde und erschöpft auf einer kleinen Bank zu ihren Füßen; die Arme über einander geschlagen, senkte sich das zierliche Köpfchen auf die Brust, und schwankte, ohne weiteren Gegenhalt, im Schlafe hin und her. Rodrich betrachtete sie mit unnennbarem Entzücken, und als Stephano und die Mutter endlich auch schliefen, neigte er sich über sie hin, und fragte leise, ob er sie zu einem bequemeren Sitze tragen dürfe. Sie lehnte den Kopf an[178] seine Brust, und sich nach Kinder-Art dehnend, umschlang sie ihn fest mit beiden Armen, indem sie schlaftrunken versicherte, sie sey gar nicht müde. Rodrich fühlte sie an seinem Herzen, ihr erstes unerwartetes Erscheinen trat wieder vor ihn hin. Unbewußt, wie damals, lag sie jetzt in seinen Armen, so ward sie ihm auf's neue wieder gegeben, er zog sie fester an sich, sie war sein, kein lebendes Wesen machte sie ihm streitig, die unsichtbaren Mächte führten sie ihm selbst zu, er hielt sich länger nicht, und hauchte alle Liebe und Sehnsucht auf ihre glühende Lippen. Liebe, liebe Aline, rauschte es an ihr vorüber, sie blickte wie im Traume zu ihm auf, und als er sie noch feuriger küßte, füllten sich ihre Augen mit heiligen, wonnevollen Thränen.[179] Liebst du mich? fragte er schmeichelnd. O, Gott möge es mir verzeihen, sagte sie fromm und wahr, wie du schon lange mein einziger Gedanke bist, und wie ich den guten Benedikt oft darüber vergaß. Sie waren beide an ein Fenster getreten. Die Sterne leuchteten und funkelten in der hellen Nacht, wie tausend geheimnißvolle Blicke. Aline hob betend ihre Hände zu ihnen auf, ihre ganze Seele löste sich in einem wehmüthigen Blicke, mit dem sie, wie bewußtlos über die Erde hinsah, und sich dann schweigend an Rodrichs Busen verbarg. Wie ist dir? fragte dieser, über den Ernst des lieblichen Kindes erstaunt. Ich fühle, sagte sie bewegt, wie ich jetzt von der ganzen Welt scheide, wie alles, alles mit einemmal ganz anders ist. Ich kann dir das[180] nicht so sagen, aber meine liebsten Hoffnungen und Freuden sehen mich jetzt so todt an, wie ehemals das alte zerbrochene Spielzeug am hellen Weihnachtsabend. Ich komme mir ganz seltsam vor, ich möchte immer weinen, mir ist so wohl, und doch so wehmüthig, fast wie am Tage da Benedikt seine segnende Hand auf mich legte, und unter stillem Gebet verschied. Sieh nur, fuhr sie fort, wie die Mutter und alles um uns schläft, wir sind wohl ganz allein auf der weiten Erde! Sie schmiegte sich vertrauend an ihn. Rodrich fühlte mit Entzücken ihr Herz an dem seinigen schlagen. Die schuldlose Liebe brach wie ein Maienglöckchen durch die dunkeln Schatten seiner Seele. Süßer, süßer Engel, rief er, fast eben so weich und gerührt, als Aline, laß nur[181] deine kleine Welt zusammenstürzen, meine Liebe soll dich in den Himmel tragen. Er wußte nicht was er sprach. Sein ganzes voriges Leben stand außer aller Verbindung mit diesem Augenblick. Er glaubte wenigstens sich selbst nicht wieder zu erkennen, und begrüßte diesen neuen heranbrechenden Morgen in Alinens frommen Blicke.

So innig beglückt, in die heitre Stille eines ruhigen, für den Augenblick befriedigten Herzens versenkt, eilte er heut nach seiner Wohnung zurück. Von tausend lieblichen Bildern begleitet, öffnete er eine Seitenthür derselben, die durch eine schmale Gallerie zunächst nach seinem Zimmer führte. Es war noch dunkel, er trat leise und behutsam auf, um niemand im Hause zu stören, und hielt sich von Zeit zu Zeit an die[182] Wand, dem Körper bei den unsichern Tritten das Gleichgewicht zu geben, als plötzlich eine schattenartige Gestalt unter seinen Armen hinschlüpfte. Ohne sonderlichen Schreck faßte er ganz mechanisch nach dem fremden Körper, und trug ihn sicher und geräuschlos zu der brennenden Ampel am Haupteingange. Er mußte laut auflachen, als er in dem kleinen zappelnden, sich sträubenden Wesen, Erwin erkannte, der in einen bräunlichen Mantel gewickelt, vor Angst und Frost zitternd, auf Liebesabentheuer ausging. Ein schwacher Lichtstrahl, der aus Laura's halb geöffneter Thür drang, zeigte Rodrich, in welcher verborgnen Blume der geheimnißreiche Forscher heut das Universum gefunden hatte. Doch konnte er sich eines innern Unwillens nicht enthalten, indem er bemerkte, daß[183] sie beide hier als beglückte Liebende einander gegenüber standen, und daß sein lieblichstes Entzücken, so grob und gemein in dem verzerrten Bilde ausgesprochen sey. Fast war ihm, als treffe er hier im Hause, unaufhörlich auf ein gespenstisches Höhnen seiner innersten Natur. Er ließ den frierenden Nachtwandler gleichgültig fahren, und ging verdrießlich nach sei nem Zimmer.

Die folgenden Tage waren indeß reich an Freuden, die nur Liebe erzeugt und versteht. Das geheimnißreiche Anneigen und Berühren, die flammende Ungeduld, wie das stille Beieinanderseyn, all die Wonne und das innerliche Leben zweier liebeathmender Herzen, wogte in Rodrich auf und ab. Er schmiegte sich hingebend in süße Bande,[184] und schloß die Augen vor dem Gewebe, daß sich immer dichter über ihm zusammenzog. Aline ging ruhig an seiner Hand auf dem blühenden Teppich, der vor ihr ausgebreitet lag. Sie sann und forschte nicht, was die bunte Hülle verbarg. Wie sollte sie die Zukunft bedächtig herauf führen, da die Gegenwart sie wie ein lächelndes Kind aus hellen Augen ansah! Beide begnügten sich lange mit dem flüchtigen, verstohlnen Genuß, den eine beschränkte Lage und wachsende Aufmerksamkeit für die erweiterten Umgebungen ihnen gönnte. Indeß hatte Stephano's wiederkehrende Genesung nach und nach so viele seiner Kameraden zu ihm geführt, und diese wieder so manche von Alinens Verwandten angezogen, daß endlich alles Eigenthümliche des ehemaligen häuslichen[185] Zirkels bis auf die geräuschlose, milde Heiterkeit daraus verbannt war. Fade Scherze und kleinstädtische Prätensionen, rangen hier nicht immer zum zierlichsten mit einander. Manches fiel Rodrich unangenehm auf, was gegen einen natürlichen Takt feiner Sitte stritt. Er war vergebens bemüht, in den allgemeinen Ton einzugehen. Der kleine Vorrath flacher Späße erschöpfte sich um so eher, je sichtlicher das Verlangen darnach bei den Andern hervorleuchtete. Es war ihm unmöglich, sich, wie seine Freunde, in das grob geschürzte Netz roher Koketterie hineinziehen zu lassen. Jeder Aufflug von Gemeinheit, jede Hindeutung dürftigen Herkommens, war ihm eine ärgerliche Störung, und trieb seine Ungeduld oft so weit, daß er im Begriff war, Alinen[186] in seine Arme zu schließen, und mit ihr außerhalb jeder lästigen Schranke zu fliehen. Sie gehörte wirklich keinem bestimmten Kreise an. Ihr eigenthümliches, kindliches Wesen, trieb sie leicht zwischen den hölzernen, dürr ausgesprochnen Gestalten hindurch, zu Rodrichs innerer Flammenwelt, in der sich ihr ganzes Daseyn liebend auslöste. Sie theilte seinen Unmuth, weil er unmittelbar aus den trüben Blicken in ihre offne Seele überging, und bemühete sich, durch zarte Aufmerksamkeit jede aufsteigende üble Laune zu sänftigen. Indeß gelang ihr dies nur halb, und als er einst mehrere Stunden gegen alle äußere Unannehmlichkeiten ankämpfend, vergebens einen flüchtigen Moment zu erhaschen hoffte, in welchem die leidenschaftlichen Gluthen sich[187] auf Alinens rosigen Lippen kühlen sollten, da hielt er sich nicht länger, er entfernte sich einen Augenblick, und schrieb mit klopfendem Herzen folgende Worte, welche er geschickt in Alinens Hände spielte.

»Tadle es nicht, meine Aline, wenn dein sanfter, flehender Blick die inneren Stürme nur noch mehr anregt, wenn ich vergebens ringe, mich in die stillen Fluthen deiner frommen Seele zu tauchen, wenn alles, alles, mein Verlangen glühend hinauf treibt! Ich bebe, wenn du an mir vorüber streifst, meine Arme zucken unwillkührlich, ich widerstehe dem inneren Zuge nicht länger, laß mich, ich bitte dich, laß mich nur einmal wieder, deine süße Nähe berauschend fühlen, laß mich deinen Athem trinken, der wie Himmelsduft um die[188] innern Flammen spielt. Bei Gott, Aline, ich muß dich an meine Brust drücken, oder ich zertrete alle Schranken, die dich und mich fesseln!«

Sie flog mit dem geheimnißreichen Blättchen in ihre Kammer, und kam bald darauf mit verweinten Augen und in sichtlicher Bewegung zurück, indem sie Rodrich ein ähnliches Papier folgenden Inhalts zusteckte.

»Fodre nur, Ungestümer, du wußtest ja wohl, daß ich keinen andern Willen als den deinigen kenne. Gott weiß indeß, ob es so recht ist! Ich habe gebetet, und Benedikt recht aus voller Seele gefragt, aber es blieb alles wie es war. Meine Augen fielen dabei auf die brennenden Zeilen, die mein ganzes Inneres anfachten, dein Nahme[189] tönte laut aus jedem Worte, und ich thue was du willst.

Komm denn diesen Abend gegen 12 Uhr nach der Kapelle, wo wir uns zuerst trafen. Rodrich, ich ahnete es wohl, daß sich alle andere Bande von meiner Seele lösen, und ich allein in deiner Liebe athmen würde. Es ist so gekommen! Mir ist doch recht wehmüthig dabei zu Sinne. Zum erstenmal in meinem Leben thue ich widerstrebend, was ich dennoch so gern thue! Wenn es nur erst Morgen wäre! Angst und Sehnsucht treiben mich wie ein Kind hin und her. Lieber, lieber Rodrich, fühle doch nur, wie unendlich ich dich liebe, und wie alle Unruhe und alles wankende Wollen sich sogleich in deinen Armen tröstend auflösen muß.«

Rodrich übersah den kleinen Streit,[190] der Alinens Gefühle noch höher hinauf trieb, und sie mit unauflöslichen Banden an ihn kettete. Er wußte noch nicht, wie ein weibliches Gemüth die überwundene Scheu, mit der sie gegen ein gänzliches Hingeben ringt, in der festesten, unendlichsten Liebe abzubüßen strebt, und wie viel ein Mann gewinnt, der es bei der Geliebten bis zur Uneinigkeit mit sich selbst gebracht hat. Er dachte und empfand überall nichts als sein nahes Glück. Jede überlegende Absichtlichkeit, war weit von seiner Seele. Im fröhlichsten Taumel rauschte ihm die Zeit bis zur zwölften Stunde hin. Fast zugleich stand er mit Alinen am Eingange der Kapelle. Sie schlüpften beide hinein. Zitternd, ohne ein Wort zu sagen, kniete sie neben ihm auf die Stufen eines kleinen Altars.[191] Die kalten Steine schienen zu ihrem Herzen zu dringen, und es peinlich zusammen zu ziehen. Rodrich küßte sie sanft. Sie weinte an seiner Brust, halb aus Schaam, halb aus Freude. Fürchte nichts, Aline, sagte er beruhigend, die Gräber sind stumme Zeugen, und wir im Schutze frommer Geister. Jesus, rief sie, was war das! – Aline, erwiederte er halb unwillig, mein Herz klopft dem deinigen ungestüm entgegen, sonst hörst du nichts, glaube mir. Nein, nein, sagte sie, es ist gewiß etwas anderes, höre nur. Der Wind rauschte hohl und tief zwischen einigen veralteten Bäumen, die sich vor den Fenstern hin und her neigten, die Zweige warfen bei dem hereinbrechenden Mondenlicht lange Schatten in die Kapelle. Aline sah mit halben Blicken ihr flimmerndes[192] Spiel an den dunkeln Wänden. Ihr war, als bewege sich der frische Epheukranz über dem Grabe ihres Bruders, indem hörten sie jemand husten, und ein schallendes Gelächter flog an ihnen vorüber. Rodrich sprang zur Thür. Ertappt, ertappt, riefen mehrere rohe Stimmen, du willst wohl Geister beschwören, oder giebt es sonst etwas Geheimes hier abzumachen? – Nur heraus damit, jetzt gilt kein Heucheln mehr. Laßt mich, sagte ein Anderer, ich will's ja sagen, plagt mich nur nicht mit eurem Geschrei. Ich habe in dieser Kirche ein Bündelchen Zeug, etwas Geld und eine Uhr in der Nacht versteckt, als wir Verwundete hier hinein gebracht wurden, und konnte immer nicht dazu kommen, es abzuholen, ich wollte jetzt versuchen, ohne viel Geräusch[193] zu der kleinen Thür hinein zu kommen. Das ist gestohlen Gut, riefen auf's neue alle insgesammt, das muß kameradschaftlich getheilt und zusammen verzehrt werden. Der Lärm ward immer größer, zog indeß bald die Wache herbei, die sie schnell aus einander trieb. Lieber sterben, sagte Aline bebend, als hier einen Augenblick länger verweilen. Umsonst versicherte Rodrich, daß nun alles ruhig, und sie vollkommen sicher wären, sie entwand sich seinen Umarmungen, und eilte angstvoll vor ihm her. Er folgte schweigend bis vor des Hauses Thür. Liebe Aline, sagte er jetzt bittend, fodre nicht, daß ich dich in dieser Stimmung verlasse. Du zitterst und weinst, wie könnte ich ohne dich ruhig seyn, lieber Engel, laß mich mit hinein gehen! Aline war so verwirrt,[194] so durch und durch erschüttert, daß sie es still geschehen ließ. Sie traten in die warme, duftende Wohnstube, Rodrich führte sie zu dem kleinen Sitz unter ihren Blumen; nein, rief sie, sich besinnend, hier darfst du nicht bleiben, Stephano schläft ganz nahe. Nun, erwiederte Rodrich, so laß uns hinauf zu deinem Zimmerchen gehen. Da ist wieder die Mutter nicht weit, fiel sie ein. Ach, die schläft wohl, sagte Rodrich, und zog sie sanft zur Thür. Sie blieb einen Augenblick unschlüssig stehen. Rodrich, rief sie weich und hingebend, er schloß sie fest an sich, und trug sie leicht die wenigen Stufen hinauf.

Der Morgen dämmerte schon, als sich Rodrich endlich von Alinens glühendem Herzen riß, und durch die kalten,[195] feuchten Nebel zu seinem einsamen Lager eilen wollte. Ein Blick auf jene üppige, in Liebe und Sehnsucht hinsterbende Gestalt, fesselte ihn noch mehrere Augenblicke. Die großen, blauen Augen, senkten sich keusch und verschämt unter dunkle Wimpern, indeß Mund und Wangen von seinen Küssen glüheten. Einzelne Löckchen quollen aus dem purpurnen Netz hervor, das den reichen Schmuck gefesselt hielt, und schienen mit den zarten Gliedern zu kosen, die durchsichtig und klar im rosigen Hauche der Liebe wogten. Als wage sie nicht, sich zu regen, so lag sie in sich selbst zurück gezogen, unbeweglich, und doch voll innern, unendlichen Lebens vor ihm da. Doch plötzlich sank sie unter einem Strom von Thränen zu seinen Füßen, sich fest an ihn schmiegend,[196] rief sie: nicht wahr, nun verstößt du mich nicht, nun kannst du dich nie wieder von mir losreißen! Aline, Aline, sagte Rodrich bewegt, wenn du nicht willst, daß ich sterben soll, so sieh mich so nicht an! Du fühlst ja wohl, wie ich ewig dein bin! Ihre kleinen Händchen lagen gefaltet in den seinigen; Engel, rief er, sie noch einmal küssend, und flog zur Thür hin aus.

Er konnte sich den ganzen Tag über von dem lieblichen Bilde nicht losmachen, alle seine Sinne nahm es gefangen, und trieb ihn im Zauber der Erinnerung halb träumend umher. Zufällig traf er auf einem einsamen Spazierritt Stephano, der zum erstenmal die frische Luft, mit wieder auflebenden, gesunden Sinnen begrüßte. Sie trabten eine Zeitlang schweigend neben einander[197] her, Rodrich fühlte sich verlegen, gestört, sie waren lange nicht so allein gewesen, wovon sollte er überdies jetzt reden, wenn es nicht das Eine betraf, was seine ganze Seele erfüllte, und wer konnte und durfte hier sein Entzücken theilen! – Daß wir in kurzem Frieden haben, und in Gottes Nahmen zu Hause gehen, weißt du wohl schon, hob endlich Stephano an. Rodrich erinnerte sich davon gehört zu haben. Ja, ja, sagte jener auf's neue, das ist nun auch wieder vorbei! Vorbei? fragte Rodrich, der in diesem Augenblick nicht recht wußte, wohin dies ziele. Nun ja, erwiederte Stephano, wie überhaupt mit aller geträumten Herrlichkeit der Welt! Hm! – sagte Rodrich nachlässig, und schmiegte sich in Gedanken in Alinens Lilienarme, oft ist in den[198] abgefallenen Blüthen ein Saamenkorn verborgen, aus welchem unerwartet ein neues Reis emporschießt. Man muß das kommen lassen, wie es eben will und kann. Stephano betrachtete ihn einen Augenblick, dann sagte er lächelnd, wir haben wohl heute die Rollen vertauscht, du gehst ja recht ergeben und ausgesöhnt, mit dem Schicksale Hand in Hand, ohne daß es, so viel ich weiß, sonderlich viel für dich gethan hätte, denn das Spielchen mit Alinen hält doch wohl nicht über einige Stunden vor? Rodrichs Blut kochte, er hätte den lästigen Spötter zerreißen können, und dennoch verschmähete er es, die innere Wahrheit zur Schau zu tragen. Er starrte unentschlossen in die öde Gegend und konnte kein Wort hervorbringen. Zwar, sagte Stephano, jenen[199] Unwillen wenig beachtend, hat dich das gute, unbedeutende Kind ganz artig unterhalten, und in dieser Zeit ist jede dürftige Freude willkommen, doch verstehe ich deine Ruhe, ja, dein gleichgültiges, abgeschlossenes Wesen immer noch nicht. Du wirst mich nicht überreden wollen, daß ein paar frische Lippen so große Weltansichten, so vollwichtige Plane weghauchen könnten. Vollwichtige Plane? wiederholte Rodrich, der in Stephano's Annäherung irgend eine Absichtlichkeit vermuthete, ich möchte wissen, wie mein unzusammenhängendes Dasein solche gestattete! Schlage doch, ich bitte dich, einige elektrische Blitze, die ein unerwarteter Stoß von außen hin und her erzeugt, so hoch nicht an. Wer nicht wenigstens die Richtung des Hafens kennt, der treibt Zeitlebens auf[200] offener See umher. Mir ist der große Anlauf der mehrsten Jünglinge schon tausendmal sehr lächerlich vor gekommen. Meine eignen hohen Weltansichten haben mich lästerlich gefoppt. Manches trat freilich im großen Stil, auf dem Cothurn zu mir hin, allein ich sah die Maske immer noch fallen, und das Pygmäengeschlecht blieb was es war. So, – sagte Stephano, und klopfte seinem Pferde gleichgültig den Hals. Ja, sage mir, fiel Rodrich immer heftiger ein, fandest du nicht in allem, was sich so groß ankündigte, Verworrenheit der Begriffe, geschraubtes, vornehmes Wesen, höchstens gutmüthige Selbsttäuschung, und nirgend herzliches, ehrliches Wollen, wie es ein gesunder Sinn fodert? Dies bewußtlose, tiefe Gefühl, was vor sich selber so gar[201] nichts seyn will, und überall den Ton anschlägt, den es treffen muß; wo, ich bitte dich, wo fandest du dies, wo den kindlichen Menschen, den nicht irgend ein Schulsystem, oder flache Verstandes-Konsequenz zu seinem eignen Narren machte. Warum, sagte Stephano kalt, bliebst du nicht in der Kinderstube, wenn du mit Kindern leben wolltest? O, täusche dich nicht, unterbrach ihn Rodrich schnell, als wenn du überall bei Kindern den kindlichen Sinn fändest. Das, was ich so nenne, das rein Menschliche, die Empfindung, die mit unnachahmlicher Anmuth, Wort, That und Geberde wird, kurz, dies freie, kunstlose Bewegen von Innen nach Außen, dies offenbart sich in sehr wenigen Gemüthern, und wo es ist, da behauptet es sich auch durch ein ganzes[202] Leben, es widersteht den Formen, und gehört eben darum keinem Zeitmomente an. Der stille Bach, sagte Stephano, der flach und spielend über weißen Sand rinnt, ergötzt freilich dann und wann unser Auge. Du stehst davor, und vergißt das tiefe, gewaltige Meer, mit seinen Brandungen und schäumenden Wogen. Nun, es wird auch wieder anders werden, wie so vieles im Laufe deiner Gefühle und Ansichten. Rodrich unterdrückte unwillig die beschämende Wahrheit dieser Worte, in der inneren Verlegenheit riß er heftig an einem überhangenden Ulmenzweig, unter welchem er eben hinritt. Bei der schnellen Bewegung streifte sich Miranda's Ring vom Finger, und rollte weit hin auf den trocknen Boden. Ehe ihn seine Blicke noch trafen, hatte[203] ihn Stephano mit vieler Gewandheit auf die Spitze des Degens aufgefangen, indem er lachend sagte: ist das auch so ein verschollnes Andenken, das sich fliehend noch einmal meldet? Rodrich war, als führe eine eiskalte Hand über sein Herz, er hatte nicht den Muth, irgend einen Gedanken festzuhalten. Mit sichtlicher Verwirrung nahm er den Ring, und ließ ihn gedankenlos zwischen seinen Fingern spielen. Du siehst ja heute gewaltig schwerfällig in den unbedeutendsten Scherz, sagte Stephano nach einer Weile. Ich merke wohl, wo das hinaus will. Die Welt ging an dir, wie die Bilder eines optischen Kastens vorüber, du stehst am Ende, wie zu Anfang, in der engen, dunkeln Stube, und läßest die übersättigten Blicke auf alltäglichen Umgebungen ausruhen;[204] nun Gott befohlen, über kurz oder lang, fährst du wohl einmal wieder wie die Flamme durch das niedre Dach, und kämpfst mit den Elementen. Für jetzt laß dir wohl seyn. Mit diesen Worten wandte er sein Pferd, und ritt einen andern Weg. Lächerlich, sagte Rodrich, halb trotzig halb verlegen, steckte den Ring an den Finger und eilte bei Alinen jede lästige Störung zu vergessen. Das holde Kind empfing ihn mit einer wehmüthigen Innigkeit, die sein ganzes Wesen durchdrang. Er hatte nie etwas Reizenderes gesehen, als jenen Streit zarter Schaam und wachsender Zärtlichkeit, in welchem sie sichtlich gefangen war. In heiliger, hingebender Selbstverläugnung, ruheten ihre Blicke auf den seinen, einzelne Thränen rannen ihr selbst unbewußt, über[205] die frischen Wangen, ihre Stimme zerrann fast in leisen Bebungen, die wie abgerißne Töne einer Harfe die innern Akkorde bewegter Natur offenbaren.

Der Geistliche war indeß bei seinem Eintritt zum erstenmale mürrisch an ihm vorüber gegangen, und hatte die Mutter in einer ähnlichen Stimmung zurück gelassen. Es ist Friede, sagte diese endlich, ihr augenblickliches Schweigen mit losbrechender Redseligkeit ersetzend; nun, lieber Gott! ich freue mich gewiß von ganzer Seele darüber, aber sagen werde ich doch wohl dürfen, daß es nun recht todt und weitläuftig in unserem Häuschen seyn wird, und daß wir uns alle ungern von so lieben Gästen trennen. Was liegt denn darin Gottloses und Sündliches? Meine Klagen werden überdies nichts ändern,[206] und was man einmal recht aus Herzensgrunde fühlt, das kann man auch ohne Schaam vor aller Welt bekennen. Und, lieber Gott, jeder hat seine Weise, muß man denn gleich in so anzüglichen Worten die Meinung Andrer bestreiten. Ich will wahrhaftig nicht Hader und Zwietracht unter die Menschen säen, und wie der Bruder meint, thörichte Wünsche durch das allgemeine Verderben befriedigen. Ich bin nicht hoffärtig und stolz, ich wirthschafte in De- und Wehmuth, und halte das bischen Armuth zusammen, aber ich will andre Gesichter sehen, und andre Begebenheiten erleben, als die ich nun seit drei Jahren, Tag ein, Tag aus in den trübseligen Legenden und Märtyrergeschichten zu Gesicht bekomme. So manchmal ist die Selbstverläugnung und Ergebung[207] der heiligen Männer wohl recht tröstlich, und man sieht und fühlt, wie alles Irdische weicht, aber die Welt ist doch kein offnes Grab, und das blühende Kind da, soll mir doch nicht immer wie in ein Leichentuch gehüllt erscheinen. Er hat gut reden, er steht allein, von ihm geht kein neues Leben aus, wie er altert und welkt, so erbleicht auch alles um ihn her, ihn zieht nichts in die frische Jugend zurück. Im Grunde ist er zu bedauern, solch ein Mann, der niemals liebte, wird am Ende so schroff, allen Weltfreuden abgestorben, daß man sich nicht mehr eines gesunden Appetits und Schlafs von ihm erfreuen darf. Hier trat der Bruder unvermuthet herein, und der breite Strom der Rede stockte plötzlich. Aline, hob er nach einer Weile an, stelle nur[208] die nächtlichen Wanderungen zur Kapelle ein, Menschen oder Geister duldeten es so wohl nicht, du mußtest wahrscheinlich entfliehen, denn ich fand am Eingange dies Kettchen mit Benedikts Locke, und die Perlenschnur aus deinem Haar, so etwas giebt ärgerliche Gerüchte. Aline nahm zitternd die zerbrochene Kristal-Kapsel aus seiner Hand, während die Mutter mit unsichrer Stimme sagte: nun, Beten ist doch keine Sünde? Wenn es aus reinem Herzen zu Gott und seinen Heiligen dringt, erwiederte der Geistliche, sicher nicht, wenn aber irdische Wünsche die Gott geweihete Stätte beflecken, dann ist es dem Herrn ein Gräuel. Ich bitte dich, Aline, flüsterte Rodrich dem weinenden Mädchen zu, fasse dich doch jetzt nur, und suche den keimenden Argwohn[209] durch ein ruhiges Betragen zu ersticken. Warum? sagte sie matt und ergeben, Gott und Benedikt kennen mein Unrecht, mögen es die Menschen denn auch wissen. Ach, Mutter, Mutter! rief sie aus gepreßter Brust, ich bin sehr unglücklich! Der Geistliche trat gerührt zu ihr hin, legte die Hand auf ihre Stirn, und sagte, Gott giebt uns allen Frieden. In dem reinen Herzen der Mutter stieg eine trübe Ahnung aus, sie blickte fragend umher, aller Augen senkten sich, Rodrich strebte vergebens untheilnehmend und ruhig zu erscheinen, er fiel auf's neue aus allen seinen Himmeln, in die fest gestaltete, nothwendige Ordnung der Dinge, die ihn mit allen Quaalen peinigender Gegenwart gefangen hielt. Zagend stand er neben Alinen, deren trübes Auge schmerzlich aus[210] den alten geliebten Umgebungen ruhete, als sagten sie ihr, nun werden unzählige Thränen hier fließen, und wir alle werden unbeachtet vergehen. Er fühlte, daß ein Wort die inneren Zweifel lösen, und Glück und Ruhe verbreiten könne, aber dies eine Wort drang nicht über die widerstrebenden Lippen. Indem trat Stephano herein, mehrere Briefe in der Hand haltend, von welchen er Rodrich zwei gab, und sich dann, die übrigen zu lesen, in eine Ecke des Zimmers niederließ. Rodrich erkannte sogleich Florio's Hand, er öffnete schnell das Siegel, und las, um sich selbst allen zweifelhaften Regungen zu entziehen, begierig folgende Worte:

»Der Tod, lieber Rodrich, ist nun wirklich an uns vorüber gegangen, und hat Rosalien entführt. Seitdem ist mir[211] unaufhörlich, als schritte er auf mich zu, und spottete meiner Wünsche und Hoffnungen. Alles um mich her erscheint mir so schattenartig und vergänglich, und was ich sage und thue, es gemahnt mich wie ein Spiel. Der rechte Ernst lauert doch nur im Hinterhalte, und macht zuletzt allen Träumen ein Ende. Dies ist gewiß nicht die rechte Ansicht des Lebens. Der gesunde Sinn greift frisch in die Kette ein, und fühlt, daß sie sich ewig ununterbrochen fortschlingt. Ich muß auch wohl krank seyn, denn niemand außer mir ist so ergriffen, selbst Ludowiko kehrte vor einigen Tagen ruhig, ja erleichtert zu den Seinigen zurück. Es war, als habe er dem Schmerz, wie allen innigern Gefühlen einen gewissen Tribut zollen müssen, dessen letzter Rest mit Rosaliens[212] Leib in die kalte Erde verschüttet ward. Ach, Rodrich! Rodrich! ich würde glauben, die meisten Menschen seien leblose Instrumente, über welche die Hand des Schicksals hinfährt, und ihnen von Zeit zu Zeit einen Ton entlockt, der eine Weile fortrauscht, und dann in das innere Nichts verhallt, aber sind wir denn anders? und wühlt die Welt nicht mit tausend Händen in den Saiten unsers Herzens, und schlägt eine nach der andern an, ohne daß wir es selbst ahnen? Sonderbar war es, daß Rosalie ganz verständig unter höchst einfachen, ja ich möchte sagen, kalten Betrachtungen verschied. Ludowiko's Bild schien immer mehr von ihr zu weichen, sie nannte ihn wenig, und gab sich mit sichtlichem Behagen der wiederkehrenden Stille ihres Gemüthes hin. Der Gelehrte,[213] der vor einigen Tagen bei Seraphinen war, meinte: Rosalie sey ihm unendlich heftig, aber nicht gefühlvoll erschienen. Dieser Mangel an Tiefe, und eine große Phantasielosigkeit habe so lange mit dem Streben, sich einen höhern, ungewöhnlichen Schwung zu geben, gerungen, bis sie dies über sich selbst hinaus, zwischen frostigen Verzerrungen, zum Wahnsinne hingetrieben habe. Nichts, setzte er hinzu, ist so gefährlich, als wenn der blos reizbare, wenig schöpferische Sinn, äußere Bilder für die seinigen aufnimmt, und sich aus die Art in eine ganz fremde Welt verirrt. Ludowiko, sagte er, sey vollends ein kalter Geck, der sich in jeder Kappe gefalle. Dies letzte that mir wehe. Ich hatte ihn doch so wahr und innig gesehen, seine Thränen waren in mein[214] Herz gefallen, so bemächtigt sich der bloße Schein nicht der Seele eines Andern. Es mag wohl seyn, daß man Erscheinungen und Motife richtig aufstellen, und Eines durch das Andere entwickeln könne, allein im Menschen ist noch vieles, was sich so nicht auffassen läßt, und was gleichwohl alles verändert. Man sage immer, die Liebe sey blind, ich glaube es nicht. Sie bindet nur das Einzelne zum Ganzen, und füllt die Lücken, die der Verstand mühsam gräbt. Daher spreche ich auch lieber mit Seraphinen über die letzten Vorfälle. Die Frauen sind milder, bei ihnen herrscht das Gefühl, und wenn sie auch oft ohne Grund lieben und hassen, so wird ihnen doch der Mensch nie zu einem bloßen Rechenexempel, das sich nach gewissen Regeln auflösen[215] läßt. Ich dachte jetzt recht ungestört in dieser Einsamkeit deine Rückkehr zu erwarten, allein es hat sich auf's neue alles geändert. Vor einigen Tagen trat der Ritter ganz unerwartet mit einer hübschen jungen Frau bei uns ein. Rosaliens Tod war ihm noch fremd, er glaubte, sie durch die glückliche Wendung seines Schicksals freudig zu überraschen, und eine milde Freundin in ihr zu gewinnen. Es war uns unendlich peinlich, ihn in diesem Irrthum zu wissen. Der Gräfin gebrach es fast an Muth, ihm die Wahrheit zu gestehen. Das Lächeln eines Menschen, dem der ungekannte Schmerz so nahe steht, hat etwas überaus Rührendes. Indeß entging ihm unsere Verlegenheit nicht, und er drang uns bald das Geständniß seines Unglücks[216] ab. Du kannst denken, wie sehr es ihn erschütterte. Doch gelang es der schönen, blühenden Gattin, ihn nach und nach zu beruhigen. Jetzt weint er wohl noch an Rosaliens Grabe, und bringt manche Stunde dort zu, allein er willigt dennoch ein, in wenigen Tagen nach der Stadt zu gehen, wohin Seraphine ihm folgt. Diese findet Geschmack an ihrer jungen Nichte, und freut sich, durch irgend ein Familienband auf's neue an die Welt geknüpft zu seyn. Ich sollte sie begleiten, Alexis drang deshalb in mich, er ist liebenswerth und offen, und erwiederte meine Theilnahme mit der kindlichsten Innigkeit, allein ich fühle mich doch losgerissen in diesem geschloßnen Kreise. Halte mich nicht für eitel und anmaßend, wenn ich dir gestehe, daß mir[217] dies freundliche Dulden, die ehrenwerthe Anhänglichkeit gutmüthiger Menschen, nicht genügt, daß ich es schmerzlich fühle, für niemand eigentlicher Zweck des Lebens zu seyn, daß alles ohne mich gerade eben so ist und fortgeht, ich nur neben, nicht mit meinen Freunden lebe, ach, und daß keiner ahnet, oder ahnen will, welche eine Welt voll Liebe ich in meinem Herzen trage. Ich bleibe allen fremd, auch dir, Rodrich, glaube nicht, ich wolle dir einen Vorwurf machen, du kannst nicht anders, daher kehre ich auch in meine Berge zurück, da leben die frommen Eltern und alle freudigen Erinnerungen der Kindheit. Vielleicht suchst du mich dort auf, wenn dir alles einmal mißlingt, und die Welt dir keinen Ersatz bietet.«

Rodrich mochte nicht lange bei den[218] wehmüthigen Klagen seines Freundes verweilen. Er scheuete in diesem Augenblick jede tiefere Rührung, und eilte daher zu dem andern Briefe, dessen Ausschrift ihn lebhaft an das geheimnißvolle Billet nach dem Maskenballe erinnerte. Allein, wie erstaunte er, als er Viormona's Unterschrift entdeckte, und Blick und Mienen ihm sogleich aus den ersten Worten entgegen blitzten. Der Karnaval, schrieb sie, ist vorüber, eine Larve nach der andern fällt, so mögen Sie mich denn in diesen Zügen immerhin erkennen. Es war ein Augenblick, in welchem wir uns verstanden. Sie fühlten meine Schmach, und der Flug unserer Gedanken berührte sich. Damals erkannte ich in dem großherzigen Jüngling nur das Mittel, meine Pläne durchzusetzen, ich[219] mußte Ihnen noch unbekannt bleiben. Jetzt ist es bei weitem anders. Ihr beschimpftes, bis auf den Schein vernichtetes Daseyn wird Zweck meines Lebens. Könnte ich doch in ein Wort alles zusammendrängen, was mich seit zwölf Stunden unaufhörlich mit Abscheu, Lust, Rache, ja, mit allen gewaltigen Leidenschaften erfüllt, aber ich darf nicht. Fliegen Sie zu mir, die Brieftasche des Kardinals ist in meinen Händen, ohne daß er sie vermißt. Rodrich, ich kann so nicht schließen, was sind alle abgemessene Regeln der Klugheit, gegen die tosende Flut eines überwallenden Herzens. Nun denn, mein Unglücksgefährte, ich grüße in Ihnen den Neffen des Herzogs. Um Gotteswillen, bezähmen Sie die losbrechenden Flammen, Sie brauchen Besonnenheit,[220] die Gewalt ist in den Händen Ihrer Feinde, List und Gewandheit können es allein rächen, daß man Sie über zwanzig Jahr um den stolzen Genuß hoher Geburt betrog, und den Zweig königlichen Stammes in die Gemeinheit niederer Naturen verstieß.

Rodrich schlug hier zähneknirschend den Brief zusammen. Aline fuhr in die Höhe, er bemerkte erst jetzt, daß sie weinend zu seinen Füßen lag, und niemand als sie im Zimmer war. Armes, armes Kind, rief er bewegt. Ja wohl, sagte sie, die Mutter wird nun alles erfahren, sie ist bei dem Onkel, der uns zuverlässig in der Nacht gesehen hat. Laß nur, erwiederte Rodrich gedankenlos, es kann ja noch alles gut werden! Ja? fragte sie halb getröstet, und drückte seine Hand an ihr Herz,[221] ach, mein lieber, lieber Rodrich, könntest du die Angst fühlen, die mich – ich fühle sie, Aline, unterbrach er sie heftig, ich fühle sie, daher laß mich fort, ich könnte mich sonst in Gegenwart deiner Familie verrathen. Er reichte ihr flüchtig die Hand, und eilte, ohne ihre Antwort abzuwarten, zur Thür. So willst du gehen? fragte Aline betroffen. – Lebe wohl, Engel, rief er schnell, ich höre draußen Jemand. – Ach Gott! sagte sie, und wandte sich langsam von ihm ab. Er stürzte fort, ohne noch zu wissen, was er eigentlich wollte und durfte. Es kochte und wüthete in seiner Brust. Alles was er je erlebte, träumte und fühlte, ging verwirrend an ihm vorüber. Nur vorwärts, vorwärts, sagte er halb laut, es muß jetzt alles klar werden. Er[222] beschloß, noch in dieser Nacht zu reisen, und da der Friede unterzeichnet war, so hielt es weiter nicht schwer, Urlaub nach der Hauptstadt zu bekommen. Als er deshalb von dem General zurückkehrte, fand er Stephano auf einem freien Platz der Stadt gedankenvoll auf und niedergehen. Er wollte ihn Anfangs nicht bemerken, indeß sein Blick, in welchem eine Thräne glänzte, traf ihn, und er rief unwillkührlich, ist dir etwas begegnet? Nein, es ist alles schön und gut, sagte Stephano, halb bitter halb ergeben, uns erwarten Friedensfeste und Hochzeitfeiern. – Hochzeitfeiern? wiederholte Rodrich. Ja, ja, was denkst du denn, erwiederte jener, soll der Herzog etwa den Staat noch länger ohne Erben lassen? Miranda's schöne Hand wird ihn beglücken. Der[223] Kardinal betreibt es recht angelegentlich, und es kann ja auch nicht fehlen, wer wird ein Herzogthum ausschlagen? Du träumst, sagte Rodrich halb sinnlos, drückte den Hut in die Stirn, und eilte in seine Wohnung. Mehrere Stunden saß er hier ohne einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Die innere Angst stieg fast in jedem Augenblick. Die Zeit ist gekommen, rief er endlich voll Grimm, bei Gott und allen Heiligen, er soll mir Rechenschaft geben. –

Er rief seine Leute, sie mußten schnell das Gepäck ordnen, und er ging, seinem Wirthe einen flüchtigen Besuch zu machen, um bei den Alltagsgesichtern Gleichmuth für die letzten Augenblicke zu gewinnen. Mitternacht kam indeß heran. In einer Stunde wollte er reisen.[224] Sein Herz klopfte bang, er öffnete das Fenster, überall war es still. Ob Aline wohl schläft! dachte er mit wehmüthiger Rührung. Die Kirche neben ihrer Wohnung ragte so fest und ernst über die übrigen Gebäude hervor, ihm war, als bewegten sich die langen Fenster der Kapelle, und Aline breite ihm flehend die weißen Arme entgegen. Unglückseliger, rief er, ist denn nun alles, alles vorbei! soll die unschuldige, hingebende Liebe nie wieder dies Herz berühren, und ist nicht vielleicht hier und dort alles verloren? Rodrich, sagte eine weiche Stimme, du entgehst mir nicht, glaube mir, ich weiß, du willst dich von mir losreißen, er blickte erschrocken auf, Aline stand bleich wie ein Geist hinter ihm. Du hier? sagte er sich fassend. Ich bitte dich, fuhr sie fort,[225] laß uns jetzt nicht untersuchen, ob ich zu viel wage, jede ruhige Überlegung gehörte einer frühern Zeit an, ich komme blos, dich zu fragen, wie du es über dich gewinnen konntest, mich heimlich zu verlassen? Rodrich, wolltest du mich schonen oder übersahest du mich ganz? Liebe Aline! – sagte er ausweichend. O, um alles, unterbrach sie ihn, nur jetzt keine Ausflüchte, schäme dich nicht zu sagen was du fühltest, ich bin dir nichts, Rodrich, gar nichts, ich empfand das diesen Nachmittag, du sahst meine Todesangst, ein einziges Wort hätte mich in den Himmel gehoben, du hast es nicht ausgesprochen. – Ich glaube es gern, daß ich nur eine unbedeutende Erscheinung deines Lebens seyn konnte, aber warum stehst du an, mich ganz zu vernichten? Glaubst du,[226] es sey besser, mir ein dumpfes, ödes Daseyn zu lassen, das Niemand beglücken kann? Friede und Vertrauen sind aus unserm Häuschen geflohen, die Mutter hat zum erstenmal in die Welt gesehen, ihr frommer Blick kehrt scheu und getrübt in sich zurück, ich bin alt geworden, lieber Rodrich, die Jugend, ja, die Welt stürzte mir in einem Augenblicke zusammen, habe Erbarmen, rief sie mit einem zerreißenden Ton, indem sie vor ihm niedersank, nimm mir dies quaalvolle Leben. Hier klopfte es leise an die Thür. Verzeihen Sie, sagte Beate im Hereintreten, fuhr aber, als sie Alinen bemerkte, laut schreiend zurück. Bleiben Sie, sagte Rodrich, mit Blick und Stimme, die ihr fast jede weitere Bewegung unmöglich machte; was führt Sie hierher? fuhr er fort.[227] Diese Bücher, sagte sie gefaßter, ihm mehrere überreichend, die ich unter den meinigen fand, und die ich über ihre plötzliche Abreise beinahe vergessen hätte. Nun, erwiederte Rodrich, dasselbe Geschäft führte die gütige Aline hierher. Ich zweifle doch, fiel Beate vornehm und beleidigt ein, daß wir einander auf gleichen Wegen treffen können. Sie neigte sich spöttisch und ging. Ich danke dir, Lieber, sagte Aline, du wolltest mich vor den Menschen retten, aber das ist nun doch alles vorbei. Meine liebe, liebe Aline! rief er auf's höchste gerührt, sieh nicht so verzweifelnd in die Zukunft, glaube nur, ich kann nicht anders, mein verworrenes Schicksal umstrickt mich mit tausend Schlingen, und ich darf sie nicht so zerreißen, wie ich wohl möchte, ohne alles mit mir[228] in den Abgrund zu ziehen. Ich tadle dich auch nicht, sagte sie ruhiger, es war wohl unrecht, so klagend und wimmernd vor dir zu erscheinen, gewiß, ich will dich nicht quälen, aber könntest du – sie stand einen Augenblick schweigend vor ihm da. Was foderst du, meine Aline? fragte Rodrich; nichts, rief sie unter heißen Thränen, ach, du kannst mir nichts, selbst den Tod nicht geben! – Lebe wohl, sieh, ich kam – ach mein unaussprechlich geliebter Rodrich, stammelte sie und sank ohnmächtig in seine Arme. Er trug sie leise in Laura's Zimmer. Sorgen sie für die Unglückliche, rief er der erschrockenen Frau entgegen. Sie sind Mutter, in Ihrer Brust lebt ein menschliches Gefühl, dulden Sie nicht, daß man den Engel beleidige, ich warne sie, sie[229] und Erwin sind in meinen Händen. Er drückte einen Kuß auf Alinens Stirn, und flog zum Hause hinaus.

Ohne Aufenthalt und Ruhe eilte er nun der Hauptstadt entgegen. Alle Herrlichkeiten des erwachenden Frühlings, die lachendsten Gegenden, nichts konnte ihn aus sich selbst herausziehen. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um einen Punkt, ohne ihn gleichwohl zu erfassen. So in sich versenkt, dumpf und befangen kam er an das Thor. Hier spannten sich alle seine Gefühle zur höchsten Erwartung. Er glaubte, sein Anblick müsse die Menschen ungewöhnlich erschüttern, und jedes Auge an dem seinen entzünden. Statt dessen ging alles den gewohnten Gang. Niemand, außer der Schildwache am Thore bemerkte ihn. In thatenloser Geschäftigkeit[230] eilte Jung und Alt an ihm vorüber. Ein Jeder hatte sein kurzes Ziel vor Augen, und kümmerte sich wenig um die ausgedehntern Plane Anderer.

Ich werde euch nicht lange fremd bleiben, dachte er, und eilte zu Viormona. Schon hier? rief diese, nun, ich konnte es denken. Ihr guter Engel führte sie im rechten Augenblicke hieher. Das Schicksal hat vorgearbeitet. Der Herzog ist weich und erschüttert wie ein Kind. Sie wissen vielleicht, daß er Miranda mit seiner Hand beglücken wollte. Vor einigen Tagen ist diese mit ihrer Mutter und Elwire in ein fernes Kloster geflohen, und droht den Schleier zu nehmen. Den Schleier? – unterbrach sie Rodrich. Nun, lassen wir sie, fiel sie ungeduldig ein, sie paßte ohnehin nicht hieher. Wichtiger ist, daß[231] der Herzog in seinen gescheiterten Hoffnungen eine Strafe des Himmels sieht, und sie um so leichter Eingang finden werden. Wollen sie sich mit langsamen Gifte nähren, fuhr sie fort, einige Papiere aus einem Kästchen langend, oder soll ich – doch besser, sie lesen selbst. Nehmen sie zuerst diesen angefangenen Brief des Kardinals, dem er wohl noch mehreres hinzufügen wollte.

Rodrich las mit flammenden Blicken.

»Ihre früheren Vermuthungen sind eingetroffen. Der Knabe lebt, und tritt jetzt sehr unberufen als Mann in meinen Weg. Der dumpfe Trotz, mit dem er sich einst Ihren Händen entwand, hat sich zur frechen Verachtung aller gesetzlichen Ordnung und hergebrachten Weise entwickelt. Er ist zu klug, um[232] genügsam zu seyn, und wird eben deshalb furchtbar. Zum Glück besitzt er noch etwas von jener schwankenden Reizbarkeit, die man Herz und Gemüth nennt, und die uns kältern Naturen die Welt unterwirft. Sonst ist er stolz, es regt sich so etwas von Herrschersinn in ihm, er könnte vielleicht an der Hand eines Gewaltigen höhern Stufen entgegen reifen, allein er muß in die Dunkelheit zurück. Sie wissen, wie ich bemüht war, jede Spur eines beschämenden Ereignisses zu verwischen, und den Hohn der Kirche im eignen Blute zu rächen. Das Daseyn des Knaben wandte sich indeß wie ein Dolch gegen die eigne Brust. Ich war nicht ruhig, seit er ihnen entwich. Sie erinnern sich des Fehlgriffes mit dem Sänger, ich forschte vergebens. Ganz unerwartet[233] fand ich endlich hier, was ich suchte. Die abentheuerliche Erscheinung eines jungen Mannes, der unter dem Schutze des alten Alwarez, plötzlich Offizier wird, bei dessen Anblick der Herzog ohnmächtig niedersinkt, der durch ein gebieterisches, vornehmes Wesen jede Nachfrage zurück drängt, und so alles, bis auf die Neugier der Menschen unterjocht, mußte nothwendig tausend Muthmaßungen erregen, mit denen man mich sogleich bei meiner Ankunft bekannt machte. Ich ward begierig, mehr zu erfahren. In einer Abendversammlung trat er vor mich hin. Ich glaubte, fünf und zwanzig Jahr jünger zu seyn, und den Bruder des Herzogs zu sehen. Nur in Vater und Sohn kann sich die Natur so wiederholen. Derselbe Blick, Mienen und Gebehrden. Ich konnte[234] nicht länger zweifeln. Dazu kam die enge Verbindung mit dem Grafen, der augenscheinlich mehr von seinem Schicksale weiß. Ich setzte alles in Bewegung, um der Sache auf den Grund zu kommen, und erfuhr, daß er in einem Gasthofe, mehreren jungen Leuten seine Geschichte nach Jugend-Art laut genug mitgetheilt hatte, um den Wirth mit einigen Zügen derselben bekannt zu machen, die mir weiter keinen Zweifel übrig lassen. Die Erinnerung des Mantels lebt noch frisch in seiner Seele, und er würde sicher nicht anstehen, ihn von den Schultern seines herzoglichen Oheims zu reißen, wenn er eine Ahnung der Wahrheit hätte. Dies ist hinreichend, um ihn bald wieder in Ihre Hände zu liefern. Vorerst habe ich ihn ruhig in den Krieg ziehen lassen,[235] vielleicht gebietet das Schicksal ohne meine Hülfe über ihn. Seine Entfernung thut dem Herzoge wohl. Dieser schwache Mensch sitzt ohnehin unsicher auf dem fremden Thron. Ich kam, um ihm eine schickliche Haltung zu geben. Es wird mir gelingen. Seine Feinde sind nicht gefährlich, Trägheit und Furcht augenblicklicher Störung halten die meisten Menschen in der mißlichsten Lage gefangen. Ein rachsüchtiges, eitles Weib steht an ihrer Spitze. Sie ist in meinen Schlingen, indem ich ihr glauben ließ, sie könne mich als Mittel ihrer Plane gebrauchen. Der Herzog soll sich vermählen. Der Bastard darf ihm nicht in der Regierung folgen, aus diesem könnte etwas werden, wenn er nicht alles seyn wollte. Leben sie wohl. Vielleicht sende ich[236] ihnen bald ihren Flüchtling zurück. Entgehen wird er uns schwerlich. Sind sie gewiß, daß der andere Knabe in Martins Hütte starb?«

Rodrich wollte hier losbrechen. Halten sie sich noch einige Augenblicke, sagte Viormona, ihm das Blatt entwindend, lesen sie erst diesen zweiten Brief des Herzogs an den Kardinal, der hebt die Decke, und läßt in ein weites Feld menschlicher Verirrungen sehen.

Er gehorchte, ohne sich irgend einer deutlichen Vorstellung bewußt zu seyn, und las Folgendes:

»Sie haben von jeher meinen Willen gelenkt, und in unsichern Augenblicken meinem Gefühl die Richtung gegeben, die Sie nothwendig hielten. Ich kenne ihre Gewalt, und flüchte zu[237] ihr, jetzt, da alle Wunden auf's neue aufspringen, und die alten Quaalen mich foltern. Reue, sagt man, sey ohnmächtiges Wollen. Es kann wahr seyn, allein die Menschen haben das so auf Treu und Glauben angenommen, weil jeder Rückblick Anstrengung kostet, und der Wille lieber erzeugt als herstellt. Ich möchte gern nicht bereuen, aber wenn nun die Wahrheit so vor mich hintritt, und mich mit ihrer zermalmenden Gewalt anfaßt, daß ich schreien möchte, wie kann ich ihr, wie kann ich mir selber entfliehen? – In solchen Augenblicken verliere ich auch den Glauben an Ihre Unfehlbarkeit, und das ist von allem das Schrecklichste. Warum ließen sie mich, meiner frühern Bestimmung gemäß, nicht in einem Kloster still und unbeachtet[238] verblühen? Ich brauchte es, so ein scharf ausgesprochenes, dürres Ziel vor mir zu sehen. Die Mauer wäre meinen schwankenden Vorstellungen eine selige Gränze geblieben. Hätten sie sich wirklich in mir geirrt? Ich glaube es nicht. Rache war es gegen meinen Vater, der einst im tollen Übermuthe einige Klosterfrauen entführte, die Sakramente verspottete, und das Hochamt entweihen half. Darum überredeten sie ihn, ein zweiter Abraham, seinen Liebling zu opfern, darum schürten sie die dürftige Flamme in mir an, damit ich den ernsten Bruder überstrahlen und die Welt glauben machen sollte, ich gehöre ihr an. Mußte das ganze Erdenglück eines Menschen in meinen Händen zerbrechen, damit ich ungenießend darbe? Mich knüpfte kein Band[239] an die Menschen, nüchtern und leer blickte ich auf ihr buntes Treiben. Ja meiner Brust lag die Welt unberührt und todt, und dennoch, dennoch konnte ich den Bruder opfern. Nehmen sie mir die Erinnerung jenes Augenblickes, in welchem er mir zuerst sein großes Herz eröffnete. Mit glühenden Blicken bekannte er mir seine Liebe zu Mathilden, beschwor mich, alles zu nehmen, und ihm nur so viel zu lassen, daß er still an ihrer Seite leben könne, seine Brust schlug zum erstenmal an der meinigen, ja, er sank zu meinen Füßen, und ich verrieth ihn, zwang beide, schimpflich zu fliehen, und ihr Glück und ihre Schande in der Dunkelheit zu verbergen. Und als nun ihr spähender Blick sie auch hier entdeckte, die schöne Mathilde starb, mein Bruder[240] auf's neue verschwand, und seine unglücklichen Kinder in niedrer Vergessenheit verschmachteten, da schwieg ich, da bewahrte ich das tiefe Geheimniß, da vermochten feige Rücksichten mehr als die heiligste Liebe. Sagen sie mir, ich beschwöre sie, daß ich ein kindischer Thor sey, schleudern sie alle Blitze ihres Zornes auf mich nieder, zertreten, zermalmen sie mich, damit ich wieder in der alten Demuth an sie glauben lerne, und ruhig werde. So kann ich es nicht seyn, meine kurzsichtigen Blicke verwirren sich in dem Erfolge jener Thaten. Es ist nirgend ein Punkt, wo sie freudig ruhen könnten, nichts, was die erwachenden Zweifel beschwichtigte. Mein Vater starb in herbem Leide, sein finstrer Sohn herrscht in seinen blühenden Staaten, indeß ich[241] allein, ungeliebt und verlassen, unter fremden Gesichtern, vergebens ein Auge suche, das dem meinigen begegne. Verstoßen sie mich nicht, lehren sie mich, tiefere Blicke in die verworrnen Ereignisse des Lebens werfen, und die Bedeutung der Dinge erkennen. Ich stehe auf halbem Wege der Erkenntniß, und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll!«

Rodrich ließ das Blatt fallen, und eilte, ohne ein Wort zu sagen, aus dem Zimmer, indeß ihm Viormona in höchster Unruhe nachsahe, und sich vergebens bemühete, ihn zurück zu rufen. In wenigen Augenblicken war er im Schlosse. Er flog die Treppen hinauf, niemand redete ihn an, der Anblick eines Offiziers ließ in dieser Zeit auf irgend eine wichtige Sendung schließen. So kam er durch die Vorzimmer zum[242] Eingang der Gallerie. Der Tag neigte sich schon, alle Gegenstände verschwammen in ein schauerliches Halbdunkel. Gedankenvoll blieb er stehen, seine Blicke hefteten sich gerührt auf die alten Bilder, in denen er zuerst seine Ahnherrn begrüßte, er suchte den Einsiedler, und bemerkte den Kardinal, der ihm gegenüber nachdenklich an einem Pfeiler lehnte. In dem Augenblicke öffnete sich dieselbe Tapetenthür, aus welcher ihm der Herzog zuerst entgegen trat. Er erschien auf's neue, indem er dem Kardinal sehr heiter zurief: sie wird mein, Therese schreibt, sie sey bei weitem ruhiger, und füge sich immer mehr ihren Bitten, sie hatten Recht, ich kann dennoch glücklich werden! Nein, das sollst du nicht, feiger Bösewicht, schrie Rodrich, und stieß ihn[243] wüthend nieder. Ewiger Gott, stammelte der Kardinal, ist das deine Rache? Rodrich wandte sich langsam, und ging wie im Traume, durch die weiten Hallen zu Viormona's Wohnung. Haben sie sich anders besonnen? fragte diese, über seine schnelle Rückkehr erfreut. Besonnen? wiederholte er vor sich hin. Ich glaubte wirklich, fuhr sie fort, sie wären in dieser Stimmung zum Herzoge gegangen. Der ist ja todt, sagte Rodrich. Todt? schrie sie, todt? – um Gotteswillen, wer hat jetzt – ich, erwiederte er dumpf und gedankenlos. – Viormona betrachtete ihn einen Augenblick zweifelhaft. Wahnsinniges Kind, rief sie endlich, mußte ich meine Rache ihren Händen anvertrauen? so plump und zwecklos konnte sie nur durch einen Mann vollführt[244] werden! Nun ist alles verloren, der gemeine Mörder bleibt verachtet, wie sehr die That auch den meisten willkommen seyn möge. Mußten sie sich so freventlich bloß stellen, glaubten sie wirklich, mit blutigen Händen das Zepter zu ergreifen? War denn ihre Phantasie so arm, daß sie diesen letzten Triumph nicht fest halten, daß sie ihn wegen einer schwächlichen Aufwallung hingeben konnten? Jetzt gehen sie nur, ich will nicht das Ansehen haben, als theile ich ihre Schuld. Recht gern, erwiederte Rodrich, und schwankte zur Thür. Ach, Rodrich! Rodrich! sagte sie, ahnet ihnen nicht, was sie verloren? war denn keine andere Regung in ihrer Brust, als die Rache? Glauben sie nur, so zum bloßen Werkzeuge wollte ich sie nicht herabwürdigen,[245] das konnte ich entbehren. Er stand noch immer untheilnehmend und kalt vor ihr da. Fühlst du nicht, rief sie, sich an seine Brust stürzend, daß ich hier mein höchstes Glück suchte? daß ich hier allen Schmerz und alle Wuth der Liebe kühlen, und meinen Stolz in deiner Glorie erhöhen wollte? Du solltest siegen, durch die Gewalt hoher Natur, den Mord mußtest du Andern überlassen. – Sie haben sich geirrt, sagte Rodrich kalt, meine Hand war zu grob zu dem feinen Gewebe, ich habe sie nicht verstanden, oder besser, sie gar nicht gehört – ich fühlte nichts, als mich, mich selbst, sie waren mir gar nichts. Es ist nun auch mit mir vorbei, darum lassen sie mich. Er ging, in seinen Mantel gehüllt, weit hin zur Stadt hinaus. Sein Herz[246] schlug matt und krank, er wußte nicht, wohin ihn die unsichern Schritte führten, und dennoch lief er, daß ihm der kalte Schweiß über die Stirn rann. Die Nacht brach endlich herein, er sank erschöpft auf einer Anhöhe nieder. Seine Augen richteten sich unwillkührlich gen Himmel, kein Stern leuchtete, die Wolken zogen schwer und langsam über ihn hin, alles um ihn war stumm und unbeweglich, die Natur schwieg, als habe sie ihm nichts mehr zu sagen. In der düstern Stille erwachte sein Inneres, wie aus einem bangen Traume. Es stand alles einzeln und zerrissen vor ihm da, er konnte kein Ganzes zusammen finden. Warum gerade ihn –? fragte er sich laut, warum nicht den Kardinal? – Dahin also, dahin sollte es kommen! ach, du armes, thörichtes Herz,[247] wie hast du dich betrogen! rief er wehmüthig, das Gesicht unter heißen Thränen am Boden verbergend. Er weinte so heftig, als wolle sich die wunde Seele in Thränen auflösen. Endlich schlossen sich seine Augen, er schlief ein, und begrüßte im Traume fast alle freudigen Momente seines Lebens. Seraphinens lustige Umgebungen nahmen ihn wie in den ersten Tagen gefangen. Er ging hier an den lieblichsten Gestalten vorüber. Aline war unter ihnen. Der Graf führte sie durch die Reihen, sie reichte ihm zutraulich die Hand, und er steckte ihr Miranda's Ring an den Finger. Als er erwachte, stand der Mond hell am Himmel, und beleuchtete die Thürme der Stadt, daß sie glänzend vor ihm da lagen. Er konnte sich lange nicht besinnen, ihm war, als[248] wenn er dahin zurück müsse, er ängstete sich, daß man ihn vermissen könne, und stand eilig auf, um sich auf den Weg zu machen. Plötzlich fiel ihm die Wahrheit wie ein Stein auf's Herz. Ach Gott, sagte er, es ist ja alles vorbei. Sie hatte Recht, der gemeine Mörder bleibt ewig verachtet. Wer wird mir es jetzt glauben, daß ich der Neffe des Herzogs sey? Viormona verläugnet mich, und ich muß wie ein Wahnsinniger erscheinen. Er wußte lange nicht, wohin er sich wenden sollte. Endlich dachte er an Florio. Ja, ja, du frommes Kind, ich suche dich wieder, rief er, es ist alles mißlungen, mit einem Schlage alles zertrümmert, die Welt bietet mir keinen Ersatz – ich flüchte zu dir. – Er wandte sich noch einmal mit nassem Blicke zur Stadt. Alle Wünsche[249] und Hoffnungen, sagte er, liegen in dir zertrümmert, so trage ich mich denn selbst mit diesem erschöpften Herzen zu Grabe. Er ging langsam die Anhöhe hinunter, die nun mit einemmale, wie eine Scheidewand, zwischen ihm und seiner Welt da stand. Schweigend breitete er ihr zum letztenmale die Arme entgegen, und wanderte so verlassen weiter.

Nach vielen Tagen und Nächten kam er in das Gebürge. Er hatte gehofft, die Erinnerung jener schuldlosen, frommen Zeit sollte sein Herz wohlthuend berühren, allein, was er sah, schien ihm so klein und ärmlich, die dürftigen Umgebungen so drückend, daß er vor dem Gedanken zurück schreckte, hier seine Tage zu beschließen. Er nahete sich indeß Martins Hütte, die er[250] an einem Ziehbrunnen erkannte, an dessen Rande er wohl mit Florio zu spielen pflegte. Eine hagere, zusammengefallene Gestalt, trat ihm entgegen. Es war Sara. Sie blickte ihn starr und fremd an, und hieß ihn leise hineintreten, da eine Kranke in ihrem Kämmerchen schlummere. Ihr Anblick drängte ihn vollends in sich zurück. Er folgte ihr schweigend in das enge Stübchen. Alles war hier wie ehemals, aber es konnte ihn nichts erfreuen, er fühlte schmerzlich, daß ihn nur der Fluch seines Schicksals dahin zurück triebe, von wo er einst mit so stolzen Hoffnungen schied. Ist euer Sohn nicht bei euch? fragte er nach einer Weile. Nein, erwiederte Sara mürrisch, er ist verreist, und es ist auch uns gut, denn ich habe so Wunder genug im Hause.[251] Die Kranke dort mußte auch gerade hierher kommen! Wer ist sie denn? fragte Rodrich, weiß ich es? erwiederte sie. Ein geistlicher Herr kam in voriger Nacht mit ihr an, um sie in ein nahes Kloster zu einer Verwandten zu führen. Plötzlich erkrankte sie, und er mußte nur eilen, einen Arzt herbei zu schaffen. Aber es ist mehrere Stunden Weges bis zur Stadt, sie werden nicht vor Nacht ankommen, und derweil habe ich nun die Sorge allein! Es ist sonst ein liebes, feines Kind, und es geht einem durch's Herz, sie so leiden zu sehen. Mich dünkt indeß, da wird wohl kein Arzt helfen, denn sie weint gar zu viel und wünscht sich den Tod in den herzbrechendsten Worten. Hört ihr, wie sie betet, die fromme Seele! Rodrich beugte sich zur halb geöffneten Kammerthür.[252] Jesus, schrie er, meine Aline! und stürzte an ihr Bett. Rodrich, ach, mein Rodrich, rief sie, ihn erkennend, Gott hat mein Gebet erhört, er thut ein Wunder, und läßt mich in deinen Armen sterben. Rodrich drückte sie freudig an sein Herz; nein, süßer Engel, sagte er, du sollst leben, sieh, es ist nun alles gut, alle andere Bande sind gelöst, ich gehöre einzig dir an. Gewiß? fragte sie unter wonnigen Thränen. Gewiß, meine Aline, sagte er, und eröffnete ihr die tröstlichsten Aussichten für die Zukunft. Er glaubte einen Augenblick selbst daran, und meinte einen Wink des Himmels in dem unerwarteten Zusammentreffen mit dem geliebten Kinde zu sehen, vielleicht sollte sie ihn mit dem Leben aussöhnen, und ihm in glücklicher Verborgenheit alle geträumte Lust schenken.[253] In dem freudigen Taumel umschlang er auch die herzu eilende Sara. Kennt ihr mich denn nicht? fragte er sie, ich bin ja euer Pflegekind Rodrich! – Hätte ich es doch an dem Ungestüm merken sollen, mit dem ihr alles anfaßt, erwiederte sie, nun, ihr seht ja recht stattlich aus, ihr seyd wohl ein vornehmer Mann geworden, wie ihr es sonst schon in euren Spielen waret. Diese Worte schleuderten ihn auf's neue in seine ganze Nichtigkeit zurück, er unterdrückte mühsam den aufsteigenden Unwillen, und sagte, sich ängstlich zu Alinen wendend: laßt das, gute Mutter, seht nur hier auf die schönste Gabe, die mir der Himmel verlieh. Ja wohl, ja wohl, erwiederte die Alte, wenn es nur alles ist, wie es seyn soll! Aline schmiegte sich zärtlich an seine Brust,[254] und zog ihn für Augenblicke in ein glückliches Vergessen seines schmerzlichen Daseyns hinüber. Sie genas recht eigentlich an seinem Blicke, und konnte schon am Abend, gestärkt und erheitert, neben ihm am Kamine sitzen, dessen spielende Flammen Rodrichs Blicke, wie ehemals fesselten. Sara spann an ihrer Seite, und erzählte mancherlei, was beide überhörten; als sie indeß Martin erwähnte, bezeigte Rodrich seine Verwunderung, ihn nicht hier zu finden. Gott weiß, was der treibt, sagte sie nachdenklich, er hatte schon immer solch heimliches Wesen, aus dem niemand klug ward. Seit Florio's Rückkehr ist es ärger, als je. Sie gehen ihre Wege, und niemand thut, als ob ich in der Welt wäre! Ei nun, mögen sie doch, der Florio ist mir auch fremd geworden.[255] Es ist wahr, daß ich nicht seine Mutter bin, aber ich habe ihn doch auferzogen, und gepflegt, und es oft darüber vergessen, daß es nicht so ist. Freilich, freilich, sagte Rodrich, dem das ganz bekannt vorkam, ohnerachtet er es zum erstenmale hörte. Wie seyd ihr denn zu ihm gekommen? Darüber ließe sich manches sagen, erwiederte sie. Martin brachte ihn mir eines Abends, als er wohl noch wenige Stunden das Licht der Welt erblickt hatte. Frau, sagte er, nimm dich des Kindes an, es hat keine Mutter mehr, glaube und laß die paar Menschen um uns her glauben, was sie wollen. Thue du nur deine Pflicht, und bekümmere dich sonst um nichts. Schwatze nicht viel, die Leute fragen nicht, wenn sie nicht merken, daß man gern reden möchte. Ich[256] that, wie er sagte, und hatte nur im Stillen meine Gedanken. Das Kind ward mir lieb, und dann hoffte ich immer, es solle einmal ein reicher Mann in unsere Hütte treten, und es zurückfodern, wie man es sonst wohl gehört hat. Ich sah mich und Martin zu Ehren kommen, und meinte, uns so das Glück zuzuführen. Von dem allen ist nun freilich nichts geschehen. Zum Lohne lassen sie mich hier in der Unwissenheit sitzen und abquälen, daß ich Blut weinen möchte. Aber sie mögen sich stellen wie sie wollen, ich weiß doch was ich weiß. Nun, was wißt ihr denn? fragte Rodrich begierig. – Das öde Haus im Thale, sagte sie leise, denkt an mich, der Florio gehört hinein. – Aline war indeß an Rodrichs Brust eingeschlafen. Er lehnte sie sanft[257] zurück. Es ist wohl Zeit, sagte er, daß wir alle ruhen. Sara schob gedankenvoll ihr Rad bei Seite, und wies ihm seine alte Schlafstelle in einem Seitenkämmerchen an. Kaum sah er sich hier allein, so stiegen Wünsche und Gedanken in ihrer gewohnten Gestalt in ihm auf. Er warf sich ängstlich auf dem Lager hin und her. Alle Ruhe war von ihm gewichen. Sara's letzte Worte rauschten unaufhörlich in seinem Ohre. Wie oft, dachte er, haben mich meine stolzen Träume von hier fort, in die Welt geführt, was glaubte ich nicht alles zu erleben, und so nahe, so nahe lag die Entwickelung meines Schicksals. Seine Augen fielen auf das offne Fensterchen, durch welches man die nahen Berge sah. Ich will hinüber zu dir, mein Florio, rief er, und lehnte sich[258] weit hinaus, die laue Nacht begrüßend. Da hörte er, wie ehemals, Sara den Abendsegen beten. Unwillkührlich wiederholte er ihre Worte, und trat mit ergebenem Sinn aus der Hütte. Ohne lange zu erwägen, welchen Weg er wählen solle, drang er die steinigen Klippen hinan. Längs unermeßlichen Abgründen wand sich ein schmaler Pfad, den herabgerollte Steine fast durchgehends verschüttet. Rodrich schritt behutsam darüber hin, und kam endlich über einen schmalen Abhang zu einer Wiese, aus deren Hintergrunde ihm ein Licht entgegen leuchtete. Er beflügelte seine Schritte, und stand endlich mit klopfendem Herzen vor dem ersehnten Hause. Hier also, ach hier, rief er, und sank weinend auf die Schwelle nieder. Bald darauf drangen[259] leise Harfentöne aus dem Innern, die folgende Worte begleiteten:


Schöne Perle, schöne Perle,

Sieh mich weinend steh'n am Ufer,

Laß dich meine Klagen rühren,

Folge meinem bangen Rufe.


Du, des reichen Schmuckes Zierde,

Bist nun meinem Blick entschwunden,

Und ich Arme muß vergebens

Dich am öden Strande suchen.


Süßes Kleinod, kehre wieder,

Zier' auf's neu mir Haupt und Busen,

Laß in deinem Glanz mich leuchten,

Leben nur in deinem Ruhme.


Nein, du bist in Nacht geboren,

Bist ein Kind der schlimmsten Mutter,

Trüg'risch war dein sanftes Leuchten,

Zu verlocken meine Jugend.


Grausend steh' ich hier alleine,

Schäumend naht ihr wilde Fluthen,

Wollt auch mich hinunter reißen,

Wie die Perl' ihr habt verschlungen!
[260]

Ihr entgegen klingen Stimmen,

Wie aus tiefem Meeresgrunde.

Holder Perle süßes Leben

Blüht im stillen Heiligthume.


Was der Tiefe ward entrissen,

Kühn an's Tageslicht gerufen,

Sinkt zurück in Liebesarme,

Scheu vor euren wilden Gluthen.


Steig' hinunter in die Wasser,

Kühle deines Herzens Wunden,

Und im feuchten Schooße finde

Neu erblüht die Wunderblume.


Rodrich war indeß immer weiter gegangen, und lehnte an einer verfallnen Thüre, aus welcher ihm der Ton entgegen drang. Die Erinnerung der Perle nahm ihm alle Sinne gefangen; er stand noch in sich versunken da, als Martin mit einer kleinen Laterne an ihm vorüber zur Thüre hineinging, indem er sagte: Miranda ist wohl, sie[261] wird kommen, wie ihr es wünscht. Miranda? wiederholte Rodrich laut, und folgte ihm schnell in das anstoßende Gemach. O, ewiger Gott! da ist er! schrie Florio, in seine Arme stürzend. Mein Bruder, mein geliebter Bruder! Rodrich war so erschüttert, daß er stumm an sein Herz sank, und heftig weinte. Als er aufblickte, kniete ein schöner Mann, in Einsiedler-Tracht vor dem Bilde der wundervollen Dame, in der Rodrich seine sterbende Mutter erkannte. Das lang Vergeßne ward wieder neu, die dunkelsten Vorstellungen klärten sich plötzlich auf. Hier hatte er einst gestanden, das wußte er gewiß, und der geliebten Leiche vergebens die Arme entgegen gebreitet. Das war das helle Haus, nach dem er sich so bang im Kloster sehnte. Du weißt[262] nicht, sagte Florio, ach, du weißt nicht, daß wir Geschwister sind, und daß jene Sehnsucht nach dem Berggeist, die tiefe, unerkannte Liebe zu unserm Vater war. Ich weiß alles, erwiederte Rodrich, hätte ich es doch hier zuerst erfahren! Der Einsiedler hob sich langsam zu ihnen auf. Meine Kinder, sagte er gerührt. Rodrich bebte bei dem Ton seiner Stimme, er glaubte den Herzog zu hören, und dennoch lag eine so süße Gewalt in ihr, daß sich alle Bande seiner Seele lösten, und er, wie neu geboren, vor dem Heiligen kniete. Ich wollte, sagte dieser, alles zerreißen, was mich an die Welt fesselt; aber was die Liebe knüpft, löst sich niemals. So legt euch nur Alle an mein Herz, ich kann es nicht länger wehren! Warum sind die Schwestern nicht hier? rief[263] Florio aus! Die Schwestern? fragte Rodrich. Ja du Armer, Lieber, erwiederte jener, Miranda, Elwire! ahnete dir es nicht? Die ferne Therese durfte ihre Mutter seyn, sie waren nicht gefährlich, ihnen gönnte man es, frei in der Welt zu leben. Ich verstehe, sagte Rodrich, aber wo sind sie? Im nächsten Kloster, erwiederte Florio, morgen sollst du sie sehen. Rodrich war, als sey er gestorben, so plötzlich zerfielen alle trügerische Verhältnisse der Welt vor seinen erwachten Sinnen, sein Herz erweiterte sich, und er fühlte, daß ihn nichts als die reinste Liebe erfülle. Er dachte an Aline, und daß er noch glücklich seyn könne. Da trat Martin herzu, und mahnte sie zur Rückkehr an. Nun dann, zu Morgen, sagte der Einsiedler, laßt uns gehen. Sie traten alle schweigend[264] den Rückweg an. Am Abhange des Berges trennten sie sich. Der fromme Vater ging in seine Klause, indeß die Übrigen den Berg hinanstiegen. Auf dem Gipfel desselben, setzte sich Rodrich ermüdet nieder. Der Tag zog herauf, und wie er die Gegenstände erhellte, sah Rodrich, daß er auf derselben Stelle saß, wo er als Knabe, aus dem Kloster entfliehend, zuerst sein Gefühl zu Gott erhob. Es rührte ihn unbeschreiblich, daß er so nahe an dem Vaterherzen das reinste Glück empfunden habe. Jetzt war es doch weit anders. In der höchsten Freude mischte sich das Gefühl seiner Schuld, und trübte jede Erinnerung. Martin nahm ihn bei der Hand: so lebtet ihr denn in meiner Hütte, sagte er, ohne daß ich euch kannte. Jetzt besinne ich mich auf alles.[265] Ihr habt euch wenig geändert. Zuweilen kamt ihr mir damals freilich wunderbar genug vor, allein wer konnte das denken? Ja wohl, guter Martin, sagte Rodrich, und ich spielte hier in bunten Träumen, während mir die Wirklichkeit so nahe lag. Sie sollte euch nicht nahe liegen, sagte Martin, darum mußtet ihr sie suchen. Euer Vater hatte euch alle aus seinem Herzen gerissen. Er wollte einzig in Gott leben, und glaubte, jedes andere Band auflösen zu müssen. Gott wollte das nicht. Ich dachte es immer! Nun führt er ihm die Kinder unversehens wieder zu, und lohnt die strenge Buße reichlich. Florio erzählte darauf, wie ihn die Sehnsucht nach dem geheimnißvollen Garten, dorthin zurück gezogen, und wie sich alles so ganz von selbst aufgeklärt[266] habe. Die stillen Nächte verlebe der Vater immer dort im Anschauen trüber Vergänglichkeit, und dieser Blick sey es, der ihn immer mehr in der gänzlichen Abgeschiedenheit von der Welt bestärkt habe. Dies Gefühl sey ihm schon sehr früh gegenwärtig geblieben; mit einer Art von Schmerz habe er sich von allem abgewandt, was Andere reize, und selbst die zärtlichsten Regungen seien mit einem Gemisch von Wehmuth und Unzulänglichkeit menschlicher Empfindungen verbunden gewesen. Daher, fiel Martin ein, erschien er kalt. Eusebio und ich wußten es besser. Ich wartete ihn seit seiner zartesten Kindheit, und hatte ihn oft im Gebet belauscht, wie sich da Herz und Seele hingab, und er durch und durch glühete. In der Liebe zu[267] Mathilde brach es denn auch endlich hervor. Er hatte diese Leidenschaft oft eine Verirrung genannt. Der Himmel mag es wissen. Glücklich war er nie. Mathilde hing an der Welt und der hergebrachten Weise. Wie sie sich auch bekämpfte, Reue und Mißmuth quälten sie unaufhörlich. Sie starb so allmälig hin, bis der rechte Friede bei Florio's Geburt über sie kam, und ihre Augen schloß. Euer Vater ward auch ganz still und innerlich klar. Er küßte euch Alle, und ging mit der Harfe im Arme davon. Niemand wußte, wo er geblieben sey. Des Cardinals Spione waren schon früher bis hieher gedrungen. Jetzt trat er hervor, und bemächtigte sich eurer, ohne daß es jemand wehren konnte; Eusebio hatte euern Vater nie verlassen, er begleitete auch[268] seinen Rodrich ins Kloster. Florio blieb in meinen Händen. Seine Schwächlichkeit ließ seinen Tod erwarten, überdies versprach ich, ihn für meinen Sohn auszugeben, und als solchen zu erziehen. – Späterhin verbreitete sich der Ruf eines heiligen Mannes hier in der Gegend. Ich ahnete die Wahrheit, ging zu ihm, und erkannte meinen geliebten Herrn. Miranda, sagte Florio, ist ihrerseits vom Kloster aus, ebenfalls zur stillen Klause gewallt, um dort, in der innern Bedrängniß, Rath und Hülfe zu suchen. Der Anblick erschütterte den Vater über alles. Sie enthüllte ihm ihr reines Leben in seinen seltsamsten Verhältnissen, und er erkannte sein Kind. Rodrich saß während dessen nachdenklich zwischen den Erzählenden, als ein Wagen vorüber rollte, aus welchem[269] sich Aline weit herausbog, und ihm mit schmerzlicher Gebehrde die Arme entgegen breitete. Er gerieth ganz außer sich, und wollte ihr sogleich folgen, allein Florio stellte ihm vor, daß es besser sey, erst zu Sara zurück zu kehren, um dort das Nähere zu erfragen. Er gab endlich nach, und sie machten sich eilends auf den Weg. Sara erzählte bei ihrer Ankunft, daß der Geistliche durch nichts zu bereden gewesen sey, Alinen in der Hütte zu lassen, und daß ihre wiederkehrende Gesundheit ihn bestimmt habe, sogleich mit ihr zum Kloster zu eilen. War das auch ein Traum? sagte Rodrich betrübt, und alles was ich sah und fühlte, das ganze Leben, ach, und mein trügerisches Daseyn auch? Florio schloß ihn theilnehmend an sein herz, allein Rodrich[270] blieb den ganzen Tag über still und in sich gekehrt. Die Nacht führte alle wieder zu dem verwaisten Hause zurück. Sie fanden Miranda und Elwire an des Einsiedlers Seite. Es war ein stiller, heiliger Moment, in welchem sie einander in die Arme sanken. Miranda zog leise den Ring von Rodrichs Finger: das ist die wiedergefundne Perle, mein Vater, sagte sie sanft lächelnd. Der Einsiedler betrachtete sie aufmerksam, als sich die Thür ungestüm öffnete, und Stephano und der Kardinal hereintraten. Mörder, schrie der erstere, auf Rodrich eindringend, vertheidige dich. Stoß nur zu, erwiederte jener, ich habe keine Waffen. Was zaudern sie, sagte der Kardinal, es ist göttliche Rache! Wie ein Blitz durchbohrte Stephano's Schwerdt beide Brüder, die sich fest umschlingend zu des Vaters Füßen stürzten. Mein Traum, der Laokoon, stammelte Rodrich. Miranda[271] sah mit einem zerreißenden Blick auf Stephano, der das Schwerdt fallen ließ, und wild hinausstürmte. Das ist die wiedergefundne Perle, sagte der Einsiedler, sich über beide Kinder neigend. – Der Kardinal wandte sich langsam zur Thür, und trat schweigend hinaus. Ach, mein edler Herr, rief Martin, seinen zerrissenen Mantel über die Todten breitend, so ärmlich sollten eure Kinder zur Erde bestattet werden. Laßt nur, sagte Miranda, wir gehen nun alle zu Grabe. Der Schleier soll mich auf ewig vor der Welt verbergen. Der Einsiedler hatte sich matt auf das Ruhebett gelehnt, und sang wie in innrer Verzückung:


Was der Tiefe ward entrissen,

Kühn ans Tageslicht gerufen,

Sinkt zurück in Liebesarme,

Scheu vor euren wilden Gluthen.


Steig' hinunter in die Wasser,

Kühle deines Herzens Wunden,

Und im feuchten Schooße finde

Neu erblüht die Wunderblume.


Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Roderich. Ein Roman in zwei Theilen. Teil 2, Berlin 1806–1807, S. 111-272.
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