Szene.


[511] Zimmer des Grafen Waldemar. Im Vordergrunde rechts und links Tische und Sessel.

Box, gleich darauf Gordon.


BOX schlägt mit einem seidenen Tuch den Staub von den Sesseln, dem eintretenden Gordon lebhaft entgegen. Nun, Gordon, der Herr Graf hat schon dreimal nach dir gefragt; wie steht's mit Lovelace, unserm Reitpferd?

GORDON. Sage dem Grafen, er soll den Stallbedienten schwarzen Trauerflor kaufen, das beste Pferd der Residenz geht zum Teufel.

BOX. So ist keine Hilfe?

GORDON. Wie soll man helfen, wenn der Leib aufgerissen ist wie eine lecke Tonne? Das Tier liegt und kann nicht leben, nicht sterben; es könnte einen Stein rühren. Und so umzukommen, durch reinen Übermut des Reiters! Pfui, 's ist schändlich.

BOX. Was hat der Herr denn eigentlich mit dem Rappen gemacht?

GORDON. In einen Abgrund hinuntergerast ist er, über Geröll und Baumstämme, bis das Pferd stöhnend an einem spitzen Felsen aufrannte. Der Reiter sprang auf die Beine, wie eine Katze, das Pferd blieb liegen. – O es ist schändlich; wenn Zwei zusammen einen dummen Streich machen, der bessere von beiden muß immer die Zeche bezahlen.

BOX. Schrei doch nicht so, der Herr wird sogleich hier sein.

GORDON. Was kümmert mich! – Doch nein, ich will ihn jetzt nicht sehen, ich habe Weib und Kind und bin nicht in der Verfassung untertänig zu reden. An der Tür. Sag' ihm, er soll[511] barmherzig sein und dem Pferd eine Kugel vor den Kopf schießen, ich will die Qual nicht länger ansehen. Ab.

BOX allein. Eine ehrliche Seele, ein echter Biedermann, so oft er zornig ist. In ruhigem Zustande betrügt er den Grafen beim Futtern, aber wenn er in die Hitze kommt, bläht seine Tugend sich auf wie eine Fischblase am Feuer. Du lieber Himmel, es geht uns anderen Menschen gerade so! – Ah, der Herr Graf! Das wird ein finsterer Tag werden.


Waldemar.


WALDEMAR. Was macht Lovelace?

BOX traurig. Jede Hoffnung ist dahin, er liegt im Sterben. Die Stallknechte bitten um Erlaubnis, acht Tage schwarzen Flor tragen zu dürfen; Gordon will dem Leiden des Sterbenden durch eine Kugel abhalfen.

WALDEMAR finster. Niemand soll ihn berühren, ich habe ihn geliebt, ich selbst will ihn töten. – Hole die Pistolen. – Box ab. Armer Lovelace, du warst mir sehr lieb, du warst die Poesie meines Lebens! – Bah! hinweg auch mit dir!

BOX bringt ein Pistolenkästchen, setzt es auf den Tisch, präsentiert eine Tasse. Der Herr Graf haben noch nicht die Schokolade genommen.

WALDEMAR. Dorthin! – Was Neues?

BOX. Vor einer Stunde kam dies Billett.

WALDEMAR. Eine fremde Damenhand! – Was erregt deine heitere Laune, Herr Box?

BOX. Verzeihung, ich wage den Inhalt zu erraten. Goldene Arabesken auf dem Kuvert, ein kleiner Gott auf dem Siegel und das Billett wurde von einer fremden Frau beim Portier abgegeben. Achselzuckend. Man kennt das. Es ist der schüchterne Wunsch einer Dame, ihre Schüchternheit los zu werden.

WALDEMAR. Hast du's bereits gelesen?

BOX. Oh, gnädiger Herr, das wäre gegen meine Grundsätze, versiegelte Briefe lese ich nur im äußersten Notfalle.

WALDEMAR das unerbrochene Billett vom Tische nehmend. Es riecht[512] nach Moschus, es ist von einer Witwe Wirft es wieder hin. Sie lieben den Geruch, weil er die letzte Arzenei ihres seligen Mannes war. – Sage dem Portier, er soll keine dergleichen Briefe annehmen.


Bedienter. Graf Hugo.


BEDIENTER. Herr Graf Schenk!

WALDEMAR ihm entgegen. Guten Morgen, Hugo!

HUGO. Ich komme als ein Bittender und außerdem, um dich auszuschelten.

WALDEMAR. Erst fordere und dann zanke.

HUGO. Ich bin hundert Louisdor schuldig und soll zahlen.

WALDEMAR. Weiter nichts? Geht zum Tisch und schreibt. Ich habe so selten die Freude, der Zahlmeister meines tugendhaften Vetters zu sein, daß ich mich beeilen muß, die Gelegenheit zu benützen.

HUGO. Und du fragst nicht einmal, wem und wann ich zu zahlen habe?

WALDEMAR die Achseln zuckend. Du bist verheiratet, Hugo; es wäre unbescheiden, einen Ehemann nach seinen stillen Nebenausgaben zu fragen.

HUGO. Du irrst, dies ist eine Ehrenschuld.

WALDEMAR. Pfui, wer wird Ehrenschulden machen! Überlaß das den Leutnants unserer Garde. – Hier, Hugo, hast du eine Anweisung für meinen Bankier – und jetzt schmähe, predige, schilt mich aus, ich bin bereit zu hören. Hast du gefrühstückt? Gut, so erlaube, daß ich meine Schokolade trinke.

HUGO. Gestern war ich zum kleinen Zirkel des Palais befohlen. Seine Hoheit frug, warum du niemals zu sehen feist, da bemerkte die Fürstin ernst: er paßt nicht hierher, es ist ihm zu still unter uns.

WALDEMAR mit dem Löffel klappernd. Nein, aber zu langweilig.

HUGO. Zuletzt sprach der Herr zu mir: Noch wünsche ich[513] nicht, daß Ihr Vetter dem Hofe fremd werde. In den Worten liegt die Drohung deiner Verbannung.

WALDEMAR. Umgekehrt, Freund, sie haben Furcht, daß ich den Hof in den Bann tun könnte. – Nun, und das ist alles?

HUGO. Du bist in Gefahr, von dem Hofe aufgegeben zu werden, ist das nicht genug? – Was man in den einzelnen Gruppen über dich flüsterte, vieles mag unwahr oder entstellt sein, aber es blieb doch genug, was mich mit Schmerz erfüllte. Waldemar, ein so reicher Geist, ein so adliger Sinn, ich wenigstens kenne dein Herz, und ein so verwüstetes, zerfahrenes Leben!

WALDEMAR humoristisch. Verwüstet? Bah, das ist Verleumdung. Ich bin in meinem Leben nicht betrunken gewesen, ich habe nie mehr als eine, höchstens zwei Geliebte, ich verspiele nie mehr Geld, als ich gerade in meiner Tasche trage. Sind das nicht achtungswerte Grundsätze? – Es ist wahr, ich kann mehr Champagner vertragen, als jeder andere, ich wechsle oft mit den Damen meiner Laune, und Box, der Schuft, steckt mir zuweilen große Summen in meine Spieltasche, aber sind das nicht alles eher Vorzüge als Fehler? Und du nennst mein Leben zerfahren? – Pfui, Hugo, das sind die Ansichten eines Nachmittagspredigers.

HUGO. Nicht was du tust, will man schelten, sondern was du nicht tust. Du bist Standesherr, vielleicht der reichste Grundbesitzer des Landes, die Stellung legt auch große Pflichten auf, gegen dich selbst, gegen die Angehörigen, gegen das Land.

WALDEMAR. Mein Sohn, da tust du mir wieder sehr unrecht und zwingst mich, mein eignes Lob zu singen. Für den Staat bin ich ja ein wahrer Pfeiler des Ruhmes. Habe ich jemals bei unseren öffentlichen Versammlungen gefehlt? Habe ich nicht sogar Reden gehalten, die mit allem Flitterstaat moderner Phrasen verbrämt waren und mehrere Zeitungen in Begeisterung versetzten, und wenn ich aus Langerweile gähnen mußte, habe ich nicht stets mein Taschentuch vor den Mund gehalten? –[514] Und ferner, bin ich nicht Ehrenmitglied oder Präsident unzähliger wissenschaftlicher und gemeinnütziger Gesellschaften? Frage nur meinen Sekretär, der kennt ihre Namen. – Und endlich meine Güter, meine Untertanen, denen bin ich ja ein wahrer Vater! Alle Jahre revidiere ich meine Beamten, alle fünf Jahre jage ich einen von ihnen wegen Unterschleif aus dem Dienst, was willst du mehr? Die Geistlichen auf meinen Gütern melken eine Kuh mehr, und die Schulmeister mästen sich ein Ferkel mehr, als alle ihre Kollegen. – Frage doch bei meinen Bauern nach, ob ich ihnen nicht ein liebevoller Herr bin, ich habe Nachsicht mit Steuerresten, und wenn ich ja ihre Frauen und Töchter küsse, sieh mich an, Hugo, die kommende Generation wird deshalb nicht schlechter werden.

HUGO. Das eben ist es, was man dir vorwirft, dein Spott, dies Verachten von allem, was andern heilig ist. Man beargwöhnt dich, weil man eine Kraft fürchtet, die du nicht gebrauchst; man muß dir alle Grundsätze absprechen, weil man nicht weiß, was du achtest.

WALDEMAR. Was ich achte? in unserer nervösen, schwachen, auflösenden Zeit? Sehr wenig! Und die Kraft, die deine Güte mir zutraut, wozu soll ich sie gebrauchen? Zu Taten? Welche Männertat rätst du mir an? Sieh dich um, Hugo. Gebrüll, Geschwätz, Klagen, nirgend eine große, frische, fortreißende Tat. Wäre ich ein Spanier oder Tektosage, so wäre ich wahrscheinlich der Anführer einer schwarzen, höllenheißen Bande von Schelmen geworden, die den Teufel als Schutzpatron verehrt; da ich aber das Glück habe, der höchst zivilisierte Graf Waldemar Schenk zu sein, so begnüge ich mich, den Gang der Welt zu verlachen, ich reite die wildesten Hengste und setze im Roulette seit zehn Jahren nur einzelne Nummern. Wenn mein Pferd vor einer Hecke bäumt, oder ein Weib mir zornig den Rücken kehrt, so habe ich doch Augenblicke, wo ich lebe. Sind es auch keine Taten, so sind es doch Aufregungen.[515]

HUGO ernst. Ja, Aufregungen, die dich vernichten müssen.

WALDEMAR. Was tut's? Ich habe dann wenigstens mehr gelebt, als ihr andern. Übrigens ist es recht gutmütig von dir, daß du mich so ehrbar konservieren willst. Denke daran, daß du mein einziger Verwandter und künftiger Majoratsherr bist. Sieh, Hugo, noch fünf Jahre so fortgelebt, und ich bin fertig, dann noch ein fünf Jahre in die Bäder gereist, und die Posse hat ein Ende. Dann trittst du an meine Stelle, Mit feiner Ironie. du wirst deine Rolle besser spielen. – Grüße deine Frau und vergleiche meine Rechnung mit der ihren, sie ist eine kluge Dame.

HUGO aufstehend. Jetzt zwingst du mich zu schweigen, denn du tust mir und meiner Frau unrecht.

WALDEMAR. Du bist, was man einen Mann von Charakter nennt, und deine Gemahlin ist eine Dame mit vielem Pflichtgefühl. Sie würde ihren halben Schmuck opfern, um mein Leben auf vierzehn Tage zu verlängern, aber dabei träumt sie doch alle Nächte von der Zeit, wo ihr Gemahl in mein Erbe tritt. Ich kenne das. Und im Vertrauen gesagt, Hugo, ich selbst habe Stunden, wo mir's ganz gelegen wäre, wenn es zu Ende ginge.

HUGO. Das Gespräch ist ernster geworden, als ich wollte, laß uns hier abbrechen. Nur noch eins. Man verdenkt dir sehr deinen Umgang mit den Udaschkins.

WALDEMAR. Mit den Udaschkins? Ist der Fürst nicht bei Hofe präsentiert? Hat er nicht alle Feuerproben der Gesellschaft bestanden?

HUGO. Bei alle dem gilt er für einen rohen, wüsten Burschen, und seine Verwandte, die Fürstin Georgine, ist bei Hofe nicht präsentiert. Der Gesandte ihrer Heimat zuckt schweigend die Achseln, wenn man nach ihr fragt.

WALDEMAR. Ich habe so etwas gehört. Die Ehe der Fürstin mit ihrem verstorbenen Gemahl wurde zu Paris vollzogen und ist durch ihren Monarchen noch nicht legitimiert, ich[516] glaube, es wird darum verhandelt. Was aber kümmert das mich? Die Fürstin ist eine reizende Kokette, ein feiner, intriganter Kopf und durchaus von gutem Ton. Sie ist eine von den Frauen, die einem beim ersten Begegnen vor kommen wie alte Bekannte, man hat sie schon irgendwo gesehen, im Traume, im Monde, was weiß ich. – Ich gestehe dir, daß ich eine Passion für sie habe, und wäre es nicht gar zu abgeschmackt, so könntest du sie am Ende noch als Schwägerin begrüßen müssen. Der Fürst aber ist ein sehr ergötzliches Exemplar schlecht überfirnißter Barbarei; er ist sehr ruchlos, und ich habe ihn im Verdacht daß er beim Spiel sein Glück sich selbst zu machen sucht. Kurz, er ist lächerlich und abgeschmackt bis zum Überdruß.

HUGO. Und solchen Menschen duldest du in deiner Nähe?

WALDEMAR. Warum nicht? Seine Bestialität ist mir ein ewiger Ableiter schlechter Laune, bei unsern kleinen Soupers ist er das Stichblatt für die besten Scherze.


Box.


BOX tritt zur Seite an den Grafen und meldet leise.

WALDEMAR beiseite. Wer ist es?

BOX. Sie trägt einen doppelten schwarzen Schleier.

WALDEMAR. Dummkopf, du sollst wissen, wer sie ist.

BOX. Zu Befehl, es ist die Kammerfrau der Frau Fürstin.

WALDEMAR. Gut, in das blaue Kabinett. Box ab. Hugo, ich werde in Anspruch genommen.

HUGO. Mir gerade recht, ich war im Begriff deiner Laune gegenüber den Kürzeren zu ziehen. Bricht auf.

WALDEMAR ihm die Hand reichend. Um so schlimmer für mich, denn ich war auf dem besten Wege, den solidesten Mann der Residenz in einen Bruder Liederlich zu verwandeln. Hugo ab.

WALDEMAR die Seitentür links öffnend. Treten Sie ein, Madame.


Kammerfrau.


KAMMERFRAU. Dies Billett von der Frau Fürstin; sie bittet um mündliche Antwort.[517]

WALDEMAR. Sogleich. Liest. Ich erwarte Sie heut nachmittag. Vermeiden Sie mein Ungeheuer von Schwager. Er quält mich mit seinen Torheiten und ist sehr eifersüchtig auf Sie. Alle meine Leute sind in seinem Sold, meine Kammerfrau ist die einzige, der ich traue.


Box.


BOX durch die Mitteltür. Der Herr Fürst steigen die Treppe herauf.

KAMMERFRAU. Er darf mich nicht finden.

WALDEMAR. Führe ihn durch die Bibliothek. Box ab. – Er liest nie und wird sich dort langweilen. – Ich bitte um die Ehre, der Frau Fürstin heut aufwarten zu dürfen. – Dort hinaus, Madame, die Treppe hinab führt eine kleine Tür auf die Querstraße, vermeiden Sie gesehen zu werden. Kammerfrau ab.


Udaschkin, durch Box eingeführt.


UDASCHKIN. Schon bereit auszugehen, mein Herr Graf? oder störe ich Ihre Morgenstudien? Ah! die Pistolen auf dem Tisch, vielleicht ein Abenteuer? Ich bin neugierig.

WALDEMAR. Er spioniert, er bläst die Nasenlöcher auf.

UDASCHKIN beiseite. Ich rieche eine Frauentoilette, eine Botschaft meiner Schwägerin war hier, ich sah ihre Kammerfrau aus einer Droschke steigen – der Lasse!

WALDEMAR. Bevor ich von Ihrer Gegenwart irgend eine Notiz nehmen kann, mein Fürst, müssen Sie mir ein Versprechen ablegen.

UDASCHKIN. Ein Versprechen, mein liebenswürdiger Freund? Und das wäre?

WALDEMAR. Sie müssen mir feierlich geloben, Ihren Kammerdiener fortzujagen und Ihrem Schneider das Ärgste anzutun, Sie sind beiden eine große Rache schuldig. Wie haben die Menschen Sie zugerichtet! Pfui, mein Fürst! Diese Garderobe ist Ihnen von den Schurken in einer Trödelbude gekauft[518] worden. Bei Gott, man kann mit Ihnen nicht sprechen, so lange Sie dieses Beinkleid tragen.

UDASCHKIN. Unmöglich das. Mein Schneider ist derselbe, den Sie mir empfohlen haben. – Mein Freund ist heut in guter Laune.

WALDEMAR. Ich habe das Glück stets darin zu sein, so oft ich Ihnen meine Ehrfurcht bezeigen darf. – Übrigens kommen Sie zu rechter Zeit, mein Fürst, ich habe eine Exekution vor.

UDASCHKIN. Eine Exekution? Das will ich mit ansehen. An Menschen oder an Vieh?

WALDEMAR. An einem Tiere. Sie sollen sehen wem sie gilt. Erlauben Sie mir die Pistolen zu laden.

UDASCHKIN sich setzend. Nach Belieben. Wissen Sie, lieber Graf, mein Pinx ist angekommen.

WALDEMAR ladend. Wer ist das?

UDASCHKIN. Nun, Pinx, ein alter Götze, ein Steinbild.

WALDEMAR. Pinx? kenne ich nicht.

UDASCHKIN. Ja, er heißt Pinx. Er liegt auf vier Beinen, sieht aus wie ein Löwe und hat den Kopf eines Frauenzimmers, er wird in Italien aus der Erde gegraben.

WALDEMAR. Ah so, eine Sphinx. Und wozu haben Sie eine Sphinx gekauft, mein Fürst, man kann sie nicht essen, man kann sie nicht trinken, man kann auch nicht auf ihr ausreiten.

UDASCHKIN. Ich baue einen Stall für meine Jagdhunde, da lasse ich das Ding vorsetzen. Es ist jetzt in der Mode, das wunderliche Zeug.

WALDEMAR. Nun, beim Zeus, eine ägyptische Sphinx endet damit, nach zweitausend Jahren einen asiatischen Hundestall zu bewachen. Das ist eine seltsame Karriere, und wenn das dir geschieht, du altes Bild ewiger Ruhe und starren Schweigens, so kann niemand wissen, wohin wir bewegliche und geschwätzige Menschen noch kommen werden. – Ich bin fertig,[519] mein Fürst, und stehe zu Ihren Diensten. – Jetzt zu dir, mein edler Lovelace, es ist ein schwerer Gang.

UDASCHKIN. Also zur Exekution und dann zum Frühstück. Es sind neue Seefische angekommen, mein Freund, die wollen gewürdigt sein. Beide ab.


Box. Gertrud.


BOX. Ich traue meinen Augen nicht. Sie Mamsell Gertrud – und in diesem Zimmer?

GERTRUD. Woher kennen Sie mich, mein Herr?

BOX. Wer sollte Mamsell Gertrud nicht kennen, die schöne Gärtnerin, die barmherzige Schwester der Vorstadt! – Mein Name ist Box, Karl Box, ich bin ja der Sohn derselben Frau, welche die Ehre hat, Sie manchmal in Ihrem Garten zu besuchen.

GERTRUD. Ihre Mutter ist eine gute Frau, ich freue mich, wenn Sie ihr ähnlich sind.

BOX sich verbeugend. Die Familienähnlichkeit ist noch nicht bezweifelt worden. – Aber Sie hier, und Sie wollen den Herrn Grafen sprechen – und allein?

GERTRUD. Ja, mein Herr.

BOX kopfschüttelnd. Es ist unbegreiflich, könnte denn nicht vielleicht ich die Sache besorgen? Ich sage das wirklich aus guter Meinung.

GERTRUD. Ist Ihr Herr denn so arg?

BOX. So arg? – Das gerade nicht, aber sehen Sie, er ist jungen Damen gegenüber doch manchmal –

GERTRUD bittend. Sie essen sein Brot, sprechen Sie gut von ihm. Daß ich hier bin, sei Ihnen ein Zeichen, daß mich etwas Ernstes herführt.

BOX. Nun, ich habe Sie gewarnt. – Erwarten Sie den Herrn, er wird sogleich kommen. Box ab.

GERTRUD allein. Hier also wohnt er, der übermütige, lasterhafte Mann! – Und doch sieht er aus wie ein edles[520] Menschenbild. Neulich ritt er an unserer Tür vorüber, die Nachbarin nannte seinen Namen und sprach eine Verwünschung dazu, er aber sah so gleichgültig und stolz in die Welt, als könne ihn kein Unglück treffen. – Er hat keine Eltern, kein Weib? – ob er jemanden hat, an dem sein Herz hängt? Zwei Schüsse hinter der Szene. Gertrud zusammenfahrend. Ha, was ist das?

WALDEMAR aufgeregt, schnell eintretend, die abgeschossene Pistole in der Hand.

GERTRUD entsetzt. Wen haben Sie getötet?

WALDEMAR in einen Sessel sinkend. Meinen Freund. Gertrud wendet sich zur Flucht, Waldemar die Pistole wegwerfend. Mein Lieblingstier! Pause. Waldemar aufblickend. Wie kommen Sie hierher?

GERTRUD finster. Ihr Kammerdiener hat mich eingeführt.

WALDEMAR. Box ist sehr gütig, so zu rechter Zeit für meine Unterhaltung zu sorgen. – Wer sind Sie?

GERTRUD. Gertrud Hiller, die Tochter eines Gärtners aus der Vorstadt.

WALDEMAR. Und was führt Sie zu mir, mein Kind?

GERTRUD. Ich werde es Ihnen sagen, sobald mich kein fremdes Ohr hören kann.

WALDEMAR. Ich bin allein. – Wenn Sie mit einer Bitte kommen, so wenden Sie sich an meinen Sekretär.

GERTRUD. Ich komme zu bitten.

WALDEMAR. Für sich selbst, oder für andere?

GERTRUD. Für einen andern.

WALDEMAR. So lassen Sie hören.

GERTRUD. Es sind jetzt sieben Jahre, da lag ein armes verlassenes Mädchen in unserer Vorstadt, ich pflegte sie, weil sich sonst niemand um sie kümmerte. Endlich genas sie eines Knaben. Auf ihrem Schmerzenslager aber hat sie die Hände gerungen und gegen Sie ausgesagt, Herr Graf.

WALDEMAR mit den Achseln zuckend. Das ist gar nicht unmöglich. Vor sieben Jahren war ich wild und rücksichtslos,[521] wie die Leidenschaft eines Jünglings zu sein pflegt. – Nun, erzählen Sie weiter. Sie wenden sich ab? Ah! Sie müssen mir nicht zürnen. Es ist gar zu schwer, geistreich auszusehen, wenn man nach sieben Jahren in solch süßes Geheimnis eingeweiht wird.

GERTRUD finster. Mutter und Kind blieben ein Vierteljahr in unserer Nähe; das Mädchen wußte sich nicht zu erhalten, die Nachbarn halfen aus, soweit sie konnten. An einem Morgen war das Mädchen verschwunden, das Kind lag in einem Korbe sorgsam eingehüllt vor der Tür des Nachbars.

WALDEMAR. Das ist eine traurige Geschichte. Wer war die Mutter?

GERTRUD. Wir wußten wenig von ihr. Sie war eine Fremde und nannte sich Luise. Ihr Name steht im Kirchenbuch, das Kind ist darauf getauft; man sagt, sie sei beim Chor der Oper gewesen.

WALDEMAR. Bei der Oper! – Es ist mir dunkel wie ein Traum, daß ich eine kurze Verbindung mit einer Grisette des Chors hatte, es war unmittelbar vor meiner Reise nach England. Und das Kind? es lebt?

GERTRUD. Es lebt, es wird von ehrlichen Leuten auferzogen. Aber seien Sie ruhig, Herr Graf, niemand außer meinem Vater weiß, wem der Knabe angehört.

WALDEMAR lächelnd. Nun, das Unglück wäre nicht groß. Dennoch danke ich Ihnen für Ihre Verschwiegenheit.

GERTRUD beiseite. Er ist kalt wie Eis und mir erstarrt das Wort auf den Lippen.

WALDEMAR. Bevor ich Ihnen meine Ansicht über diese romantische Geschichte mitteile, verzeihen Sie noch eine Frage. Weshalb beehren Sie mich erst jetzt nach sieben Jahren mit Ihrem Vertrauen?

GERTRUD. In der ersten Zeit haben wir häufig nach Ihnen gefragt, aber jahrelang hieß es, Sie wären auf Reisen. Seit[522] Sie zurückgekehrt sind, haben wir uns oft nach Ihnen erkundigt, doch was die Leute erzählten, hat uns abgeschreckt, Sie Aufzusuchen.

WALDEMAR spöttisch. Und was hat man sich von mir erzählt? Warum schweigen Sie, mein Kind? Gönnen Sie mir die Freude, Gutes über mich zu hören. Nun?

GERTRUD. Man nannte Sie hart, hochmütig und frevelhaft.

WALDEMAR sich spöttisch verneigend. Ich bin er kenntlich für die gute Meinung.

GERTRUD. Und doch war es nötig, daß ich das Geheimnis nicht für mich behielt. Wenn dem Kinde etwas widerfuhr, Sie sind ja doch sein Vater und haben ein Recht auf den Knaben. In den letzten Wochen aber hat man sich viel erzählt, daß Kinder gestohlen werden, und als ich neulich sah, wie ein fremder Mann von verdächtigem Aussehen mit dem Knaben spielte und ihn an sich lockte, kam mir die schnelle Angst, Ihrem Sohn könne ein Unglück zustoßen, und ich empfand, daß die Verantwortlichkeit für mich zu groß, und daß Schweigen ein Unrecht sei. Deshalb entschloß ich mich hierher zu kommen. Ich habe meine Pflicht getan und will jetzt gehen.

WALDEMAR. Noch einen Augenblick, Mademoiselle. Hören Sie zuvor meine Ansicht über diese Erzählung, sie wird, so hoffe ich, Ihre Unzufriedenheit mit mir verringern. Ich habe für die Wahrheit dessen, was Sie sagen, keine Bürgschaft als Sie selbst. Ich versichere Ihnen mit Vergnügen, ich bin überzeugt, Sie sprechen wahr und meinen es in Ihrem Sinne gut. Aber wer bürgt Ihnen dafür, daß die Mutter des Kindes ebenso wahr gegen Sie gewesen ist?

GERTRUD. Sie glaubte zu sterben, als sie verzweifelnd Ihren Namen anklagte. Später habe ich ihr versprechen müssen, gegen jedermann zu schweigen. In Fieberträumen aber hat sie oft von Ihnen gesprochen, Sie zärtlich und klagend angeredet und Sie gescholten.[523]

WALDEMAR. Vielleicht ist auch das kein Beweis, ein gesetzlicher gewiß nicht. Ich weiß nur, daß ich kurze Zeit mit einem Mädchen vom Chor des Theaters tändelte; selbst der Name, den Sie nennen, tönt mir fremd, und vergebens suche ich das Bild der Verschwundenen in mein Gedächtnis zurückzurufen. Ich wurde von meinem Vater damals auf Reisen geschickt, war drei Jahre im Ausland und nach der Rückkehr hatte ich die flüchtige Bekanntschaft völlig vergessen.

GERTRUD. Vergessen? Kann ein Mensch so etwas vergessen, die Liebe eines Mädchens vergessen, so wie man einen Namen vergißt oder die Nummer eines Hauses?

WALDEMAR lächelnd. Und doch ist es so, und Ihnen, meine Liebe, wird nichts übrig bleiben, als mich für einen echten Teufel zu halten. Doch gleichviel. Sie zeigen warmen Anteil an dem Kinde und einen ungewöhnlichen Sinn; um Ihretwillen, mein schöner Anwalt, will ich annehmen, daß ich vollständig berechtigt sei, dem Knaben ein väterliches Interesse zu schenken. – Was wünschen Sie, daß ich für das Kind tue? Gertrud schweigt. – Ohne Zweifel macht seine Erziehung zunächst Auslagen, hier nehmen Sie, künftig wird mein Sekretär Sorge tragen. Er reicht ihr ein Papier aus der Brieftasche.

GERTRUD zurückweisend, mit Selbstgefühl. Sie irren, Herr Graf, der Knabe braucht kein Geld; die Leute, welche ihn an Kindes Statt angenommen haben, sind nicht reich, aber was sie haben, wird hinreichen, das Kind zu einem braven Menschen zu machen. Sie irren, Herr Graf, und da Sie mich nicht kennen, verzeihe ich Ihnen den kränkenden Verdacht, welcher in Ihrem Anerbieten liegt. Was ich von Ihnen erbitten wollte, war etwas ganz anderes, und es ist traurig, daß Sie das nicht einmal ahnen. Ihre Liebe wollte ich für das Kind, das Auge, die sorgende Hand eines Vaters. Er ist allein, ein einsames Reis in fremden Garten gesetzt! Wenn er, wie Kinder tun, fragt, wo seine Eltern bleiben, wann sie zu ihm kommen werden, was soll[524] man ihm antworten? Er hat keine Eltern! – Und Sie selbst – was Ihr größtes Glück wäre, das fröhliche Lachen des Kleinen zu hören, für ihn zu sorgen, an seinem Lager zu wachen und sich zu freuen, wenn er fleißig und brav ist, das alles müssen auch Sie verlieren! – Ich muß weinen, daß es so gekommen ist gegen die Natur und gegen den heißen Wunsch meiner Seele. Ihnen aber, Herr Graf, soll das Schicksal dieses Knaben niemals mehr heitere Laune erregen, er soll nie erfahren, daß sein Vater ihn zweimal von sich gestoßen hat. Ab.

WALDEMAR. Bei Gott, ein hochherziges Mädchen, und welche Bußpredigt! Ich sah mich bereits sitzen, einen weißhaarigen, rotbäckigen Bengel auf dem Schoß und vor mir drei bis vier größere ditto, wie Gänse mit ausgestreckten Hälsen schreiend. Vater, Brot! während mir der Jüngste in aller Stille den Rockschoß unsauber macht. – Und welche Lobsprüche sie meinem Charakter gab, lasterhaft war das wenigste, – aber es stand ihr nicht schlecht, es war Überzeugung. – Bei alle dem kann die Sache so nicht bleiben, für den unnützen Jungen muß gesorgt werden, und du, schöne Gertrud, sollst erfahren, daß es nicht ratsam ist, den Satan in seiner eigenen Hölle am Bart zu ziehen. Er schellt.


Box.


WALDEMAR. Wirst du das Mädchen wieder erkennen, wenn du ihr begegnest?

BOX beiseite. Da haben wir das Unglück. Laut. Gewiß, Herr Graf, denn ich kenne sie bereits.

WALDEMAR. Was weißt du von ihr?

BOX beiseite. Jetzt nur nicht zu sehr gelobt. Laut. Je nun, sie gilt für ein gutes Ding, sie hat in früher Jugend ihre Mutter verloren und hilft ihrem alten Vater bei der Gärtnerei; meine Mutter wohnt in ihrer Nähe.

WALDEMAR. Das trifft sich gut.

BOX. Die würdige Frau hat den Wunsch, aus mir und[525] dem Mädchen eine Partie zu machen. Doch sie ist arm und so gewöhnlich, nichts Apartes, und da habe ich mich zurückgehalten. Kühl. Sonst wäre sie eine recht brauchbare Frau für mich.

WALDEMAR. Für dich?! – Vorläufig wirst du die Güte haben, deine Absicht auf das Mädchen aufzuschieben.

BOX beiseite. O weh!

WALDEMAR. Ich will ausfahren. Hut und Handschuhe. – Box, man spricht übel von uns unter den Leuten.

BOX den Hut präsentierend. Ich fürchte auch, Herr Graf, man nennt unsern Wandel unmoralisch.

WALDEMAR mit verstellter Gutmütigkeit. Das schmerzt mich um deinetwillen, mein treuer Box. Deine Tugend wird mit meinen Sünden in einen Topf geworfen, und ich fürchte, die Verleumdung wagt sich auch an deine reine, uneigennützige Seele.

BOX geschmeichelt. Ach, Herr Graf, mein gutes Bewußtsein gibt mir die Kraft, Verleumdung zu verachten.

WALDEMAR. Das freut mich. Seine Börse einsteckend. Höre, redlicher Box, wenn du mir das nächste Mal Geld aus meiner Börse stiehlst, so sei weniger unverschämt.

BOX erschrocken. Wie, gnädiger Herr?

WALDEMAR. Du hast gestern das Unglück gehabt, ein altes Geldstück zu mausen, das ich persönlich kenne.

BOX. Herr Graf, das ist ein ungeheures Mißverständnis. Das Geldstück muß ich wiederfinden.

WALDEMAR. Ja, in deiner Tasche. Kannst du denn das abgeschmackte Stehlen nicht lassen? – Bist du unzufrieden mit deinem Lohn? Ich will ihn verdoppeln, wenn du schwörst, meine Börse in Ruhe zu lassen.

BOX gerührt. Herr Graf, es wäre schändlich von mir, wenn ich das annähme, denn es würde nichts helfen. Wenn Sie mir meinen Gehalt verdoppeln, so würden sich meine Bedürfnisse verdreifachen, und die zarten Beziehungen zu Ihrer Börse könnten sich dann leicht bis in das Große steigern.[526]

WALDEMAR. Dann müssen wir's freilich beim Alten lassen – Vergiß aber nicht, daß, wenn wir beide miteinander spielen, ich die Katze bin und du die Maus, und nimm die Versicherung, daß die Sonne des Himmels auf keinen größern, abgefeimtern Spitzbuben herniederscheint, als mein tugendhafter, ehrlicher Box ist. Guten Morgen, Herr Box! Ab.

Quelle:
Gustav Freytag: Gesammelte Werke. Serie 1, Band 6, Leipzig/ Berlin [o.J.], S. 511-527.
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