Der Ritt nach dem Mantel

[532] Mit glühenden Wangen sprengte Ivo am nächsten Morgen in seinen Hof, er hob die Hand zum Gruß gegen seine Dienstmannen und fragte atemlos: »Wo ist der Schreiber?«, sprang aus dem Sattel und eilte in sein Gemach. Als Nikolaus eintrat, stieß der Herr den entblößten Dolch in den Tisch, um den Schreiber an seinen schweren Treueid zu mahnen, und ein zusammengefaltetes Pergamentblatt aus dem Gewande ziehend, gebot er: »Tritt vor das Messer und lies mir, was in diesem Briefe geschrieben steht, treu und genau, so wahr du leben willst«, und Nikolaus las folgendes:

»Ein armes trauriges Käuzlein schrieb an seinen Gesellen diesen Brief. – Ich, das Käuzlein, vernahm, wie zwei Frauen zueinander von einem Ritter redeten. Die eine lobte in guter Meinung seine Kunst im Speerkampf und sagte: er vermöchte wohl die Wappenzeichen am Gewande der Helden, welche er vom Pferde wirft, zu sammeln und seiner Herrin daraus einen wallenden Mantel zu gewinnen. Die andere Frau aber, welche aus der Fremde gekommen war, lachte spöttisch in argen Gedanken. Dennoch sage ich, könnte dieser Frau ihr Ritter einen ähnlichen Mantel erwerben, sie würde ihn mit Freuden statt ihres Gewandes umtun, wenn sie einmal mit ihrem Gesellen allein wäre. Manche, die sich hart gebärdet, verbirgt mit Mühe vor ihren Hütern Leid und Sehnsucht. Liebe Du mich, wie ich Dich. Der Brief muß liegen auf grünem Ast, ob ihn ein günstiger Wind erfaßt, ob ihn die Pfote des Katers packt, oder ob ihn der Specht zerhackt. – Der Brief ist zu Ende«, schloß Nikolaus verwundert.

»Lies noch einmal«, gebot Ivo, der neben ihm mit heißen Wangen auf das Pergament starrte. – »Und zum drittenmal, damit ich jedes Wort festhalte.« Darauf riß er den Dolch aus dem Tisch und winkte dem Schüler Entlassung. Als er allein war, barg er den Brief nahe bei seinem Herzen und rang die Hände. »Ja, du sagst es, arme Nachtvögel sind wir beide, endlos treibt die Sehnsucht, verhaßt ist mir das Leben, solange ich von dir getrennt bin, und wenn ich einmal vor dein Angesicht trete, wird auch das Wiedersehen zur Qual, denn das eherne Gitter ragt bis zum Himmel zwischen uns beiden, und kein Flügelschlag vermag darüber zu erheben.« Er warf sich in den Sessel und barg das Gesicht in den Händen. Doch nicht lange unterlag er dem Schmerze, denn ihm fiel,[532] wie Liebenden geschieht, wieder etwas Günstiges ein, er sprang auf und lachte: »Verstehe ich meinen Kauz recht, so wäre ihm die Kappe lieb, von der die beiden Frauen zueinander sprachen. Eine frohe Verkündigung finde ich in den Worten, daß sie sich darein hüllen will, wenn das Glück uns zusammenführt. Ich denke, Geliebte, daß ich dir den Mantel gewinne. Einen Mairitt wage ich dir zu Ehren, und das Tuch für dich hole ich mir im Speerkampf von den Edlen dieses Landes.« – Er schritt hastig auf und ab und überlegte.

Endlich lud er seine Getreuen, Godwin und Henner, zu geheimer Beratung.

Die wilden Kampfspiele zu Pferde, durch viele Jahrhunderte Stolz und Leidenschaft der Deutschen, waren in der Zeit des Herrn Ivo sehr ungleich dem Speerkampf späterer Zeiten, wo dicke Eisenschienen den ganzen Leib des Reiters schützten und wo das gepanzerte Roß manchen Stoß der feindlichen Speere auszuhalten hatte. In jener alten Zeit war nur Haupt und Hals des Reiters durch einen Eisentopf geschützt und die obere Brust durch eine Eisenplatte, die über das Kettenhemd geschnallt wurde; der Stoß des Speeres, welcher mit kurzer stumpfer Spitze bewehrt war, wurde durch einen hölzernen Schild aufgefangen. Das Roß trug keine Eisenrüstung, der Ritter beugte sich beim Antritt stark nach vorwärts, die hohe Rücklehne seines Sattels half verhüten, daß er durch einen kräftigen Stoß hinter das Pferd geschleudert wurde. Schon damals waren die Spielkämpfe mit Helm und Schildrand ein Vorrecht aller, welche den Rittergurt trugen, das höchste und am meisten beneidete Vorrecht, welches einen Stand, der zu den dienenden gehörte, in die Kampfgenossenschaft der Edlen heraufhob.

Der Mairitt aber, den Herr Ivo beschlossen hatte, galt für die ruhmvollste Aufforderung zum Speerkampfe, welche sich an alle Ritter des Landes richtete. Das Spiel selbst wurde in der Hofsprache Forest, Waldrennen, genannt und verlief nach herkömmlicher Spielordnung. Wer zu solchem Rennen herausforderte, der zog mit seinem Gefolge durch das Land und hielt zu vorbestimmter Zeit an bezeichneten Raststellen, um dort Gegner zu erwarten, denen der Ort gut gelegen war. Zu Raststellen wurden gewählt ebene Gründe am lichten Laubwald, wo ein klares Bächlein rann oder ein Quell zum Tränken der Rosse. Unter dem Grün der Zweige wurde ein Zelt aufgeschlagen, in dem der Held sich wappnete; auch die Gegner brachen am liebsten aus einer Lichtung des Waldes hervor. Dann ritt der Herausforderer mit den einzelnen Gegnern im Speerkampf um einen begehrenswerten Preis, den er ausgesetzt hatte. Am letzten Tage pflegte dem Rennen gegen einzelne – welches in der Sprache des Herrn Henner Tjost genannt[533] wurde – ein Massenkampf zu folgen, das Turnier, ebenfalls nach strenger Spielordnung.

Ivo gab seinem Mairitt solche Gesetze, wie sie einem vornehmen Herrn gebührten. Für jeden Renntag setzte er vier Raststellen, an jeder Rast war er verpflichtet, dreimal zu rennen, und nur wenn er wollte, öfter; an jeder Rast erhielt einer von den Gegnern, welche ehrenvoll widerstanden hatten, nach Ivos Wahl einen goldenen Fingerring. Wer vom Pferde geworfen wurde oder sonst nach Rennbrauch für besiegt galt, der sollte nicht Roß und Rüstung verlieren, wie in der Regel geschah, sondern nur ein Stück des langen Überwurfs, den der Ritter damals über dem Kettenhemd und den eisernen Beinstrümpfen trug. Denn der Herausforderer verkündete, daß er seinen Mairitt unternehme, um von den Helden des Landes Tuch für einen Frauenmantel zu erbitten. Am letzten Tage der Fahrt sollte ein Turnier in der Nähe von Erfurt den Einzelkämpfen folgen.

Sogleich begann in dem Hofe ein emsiges Rüsten. Ivo selbst ritt nach Erfurt, goldene Ringe für die Gegner, Gewänder und Zierat für sich und sein Gefolge zu bestellen. Der Kämmerer Godwin hatte die schwierige Aufgabe, das Geld für die Fahrt zu gewinnen, und dieser sah einige Tage sorgenvoll aus, bis es ihm endlich bei den Juden in Erfurt und bei den Mönchen in Reinhardsbrunn gelang. Die größte Arbeit aber fiel dem Marschalk zu, und vom Morgen bis zum späten Abend klang seine befehlende Stimme um die Ställe und auf der Rennbahn am Hofe. Die Pferde wurden geprüft, die Knechte und die jungen Knaben zum neuen Spiel angelernt, und eine ganze Wagenladung Speerstangen wurde geschnitzt, sorgfältig geprobt und zuletzt mit blau und weißer Farbe schön bemalt.

Nikolaus schnitt unterdes eine große Rolle Pergament zu zahlreichen Briefen und Zetteln an die Herren in den Höfen und an die Burgmannen der Städte, und schrieb die Aufforderung so oft ab, daß ihn die Finger schmerzten. Im Hofe aber sammelte sich an den nächsten Morgen ein Haufe von fahrenden Leuten, welche hier und da im Lande hausten und welche bei ritterlichen Festen als Rufer und Boten zu dienen pflegten. Sie empfingen die Briefe und lernten eine mündliche Verkündung, die ihnen der Schüler oft vorsagte. Damit zogen sie durch das Land zwischen dem Bergwald und dem Harz, sangen ihren Spruch in den Burgen und übergaben die Briefe an vornehme Edle und an die Obrigkeit der Städte.

Sogleich rührte sich's in der ganzen Landschaft, ehrenvoll und lustig erschien der angebotene Wettkampf, in wenigen Tagen war er in aller Munde als das große Ereignis des Frühlings. Wer den Rittergurt trug, erkannte eine Mahnung, der er sich ungern entzog, und nicht weniger ungeduldig wurden die Tage des Spieles von[534] anderen erwartet, welche als Zuschauer daran teilnehmen wollten, besonders von den Frauen.

Aber am Hofe des Landgrafen brachte das Ausschreiben nicht jedermann Freude.

Als der Kanzler die schön geschriebene Einladung vorgelesen hatte und Herr Ludwig beifällig ausrief: »König Mai will eine neue Ausfahrt halten!« saß Frau Else erschrocken mit zusammengeschlagenen Händen, ohne ein Wort zu sagen, die Frauen flüsterten einander leise zu, und Frau Wendelmuth lächelte spöttisch.

»Was hast du, Base?« fragte Hedwig leise.

»Gedenkst du der Worte, die ich neulich im Scherze zu dir sprach? Jetzt will er tun, was mir damals einfiel, und was doch niemand aus meinem Munde vernommen hat als du und etwa unsere Frauen. Wer hat ihm meine törichte Rede zugetragen, und was meint er damit, daß er sie durch das Land rufen läßt?«

»Manches Ohr hat deine Worte gehört«, tröstete Hedwig, »wie darf dich wundern, daß sie ihm gefielen? Er selbst hält es sicher für eine Huldigung gegen dich und deinen Gemahl, daß er seinen Willen nach der guten Meinung richtet, die du von ihm hegtest.« Und zum Landgrafen gewandt fuhr sie fort: »Wir wissen auch, Vetter, wie Euer Herr Ivo auf den Gedanken gekommen ist, um einen Mantel für seine Herrin zu reiten. Denn Else und ich waren es, welche damals, als er hier weilte, zuerst im Scherz die Kappe für seine Herrin forderten. Will er Euch und uns dadurch ehren, daß er den lustigen Einfall Eures Hofes zu einem Gesetz macht für seine Ritterfahrt, so haben auch wir Grund, ihm Gutes zu wünschen.«

»Wenn Frau Hedwig mit meiner Else zu der Kappe geraten hat«, versetzte der Landgraf sorglos, »so wünsche ich ihm, daß seine Herrin das nicht erfährt, damit ihr die Freude an der bunten Hülle nicht durch Eifersucht verdorben werde. Doch rühmlich ist die Fahrt auch für uns andere, sie gibt meinen Thüringen Ehre unter den Fremden, den Edlen aber und ihrer Ritterschaft durch einige Wochen Arbeit und Unterhaltung, während ich abwesend bin. Vielleicht reite ich vorher selbst noch gegen ihn.« Und kampflustig ging er mit Herrn Walter nach den Ställen.

Auch auf der Mühlburg erwachte die Kampflust, aber mit gehässigen Gedanken gegen den Niederhof. Der alte Graf Meginhard war im Dienste des Landgrafen nach dem Süden gezogen, Herr Konz saß an seiner Stelle gebietend unter den Dienstmannen und hielt mit ihnen vertraulichen Rat über eine Ritterfahrt. Da ihm aber seine eigenen Gedanken nicht recht gefielen, so ritt er abwärts nach Friemar, lud den jungen Berthold aus dem Hofe und verhandelte heimlich mit diesem, daß er den Schüler Nikolaus versöhnen und zu einer Unterredung bestimmen möge. »Vermagst du mir diesen Gefallen zu tun, so sollst auch du dem Kampfe zusehen, nicht von der[535] Heerstraße, sondern als unser Geselle im Festkleide mit meinen Farben.« Der Jüngling war freudig bereit, den Schüler zu gewinnen, und Nikolaus willigte schneller ein, als der Bote gehofft hatte, mit dem Ritter in einem Gehölz zusammenzutreffen, das zwischen dem Niederhofe und der Mühlburg lag.

»Berthold von Friemar hat dir gesagt, daß ich einen Dienst von dir begehre«, begann Herr Konz, von seiner Höhe auf den Schüler herabblickend.

»Er hat mir etwas gesagt«, versetzte Nikolaus kühl.

Konz griff in seine Tasche, suchte aus der hohlen Hand einige Silberstücke und bot sie mit gespitzten Fingern. »Wenn etwa früher Widerwärtiges zwischen uns gesprochen wurde, so soll es ungesagt und vergessen sein. Nimm dies, damit du mir in einer Sache, die mir am Herzen liegt, Gutes rätst.«

Nikolaus wog das leichte Silberblech in seiner Hand: »Von Fremden nehme ich ungern gebotenes Geld, zumal wenn es wenig ist. Doch noch unlieber ist mir, das Geld abzuweisen«, und er versenkte das Silber nachlässig in sein Gewand. »Fragt, und ich will antworten, soweit ich darf; aber wißt, auf leichte Münze folgt leichter Dienst.«

»Du sollst mehr erhalten, wenn ich erkenne, daß dein Rat mir frommt«, ermunterte Konz. »Bevor ich aber meine Frage stelle, gelobe mir Stillschweigen auf dieses Kreuz, du kannst in dem Schwertknopf deine schlauen Augen sehen, wenn du schwörst.« Und er hielt ihm den Kreuzgriff des Schwertes hin.

Nikolaus gelobte bereitwillig Verschwiegenheit.

»Sage mir, in welcher Farbe und mit welchen Zeichen wird Herr Ivo seinen Speerritt durch Thüringen vollbringen?«

»Niemand weiß das, Herr, als die in seinem Vertrauen sind.«

»Darum gerade sollst du es mir sagen«, versetzte Herr Konz ungeduldig, »denn ich gedenke ihm einen guten Possen zu spielen, wenn ich in denselben Farben und Abzeichen gegen ihn reite.«

Nikolaus überlegte. »Ihr mögt denken, daß Herr Ivo solchen Schimpf nicht freudig aufnehmen wird.«

»Das eben will ich«, rief Konz. »Sein Zorn ist mir ganz recht, und ich hoffe ihn auf den Grund zu stechen, daß er dem Rennen für lange entsagt, denn unerträglich ist sein Hochmut, und ich gönne ihm wenig Gutes.«

»Wenn Ihr so kühn seid, so fragt den Schneider in Erfurt«, antwortete Nikolaus mit ausbrechendem Unwillen.

»Das steht mir nicht an, wohl aber dir; darum eben begehre ich deinen Dienst.«

Der Schüler dachte nach, und in seinen Augen glänzte die Schelmerei. »Ich vernahm, daß er sich und sein Roß mit den Farben decken wird, die er sonst trägt, und nach dem neuen Brauch, der[536] jetzt aufkommt, wird er auch sein Wappentier, den Raben, auf seinem Gewande führen und auf der Roßdecke.«

»Das ist gute Botschaft«, versetzte Herr Konz vergnügt, »denn wir von der Mühlburg vermögen dieselben Farben und dasselbe Zeichen zu führen, und ich bedarf in diesem Fall deiner Dienste nicht mehr.«

»Dennoch mögt Ihr mir einen Einwurf gestatten, zumal mir der Ritterbrauch aus manchem Lande bekannt ist«, warf Nikolaus demütig ein. »Die vom Niederhofe wollen nicht leiden, daß Ihr selbst den Raben als Zeichen führt, wie Herr Ivo mit seinem Gesinde tut, da Ihr nicht von seinem Geschlechte seid. Kommt Ihr damit vor allem Volk zum Spiel geritten, so wird Ernst aus Scherz.«

»Das ist mir recht«, versetzte Konz, die starken Arme aus seinen Schultern reckend.

»Vielleicht werden sie Euch ganz den Kampf versagen, und alle Herren, welche etwa gegenwärtig sind, werden ihnen beistimmen. Möglich auch, daß sie Euch wegen dieser Kränkung zu scharfem Speerstoß fordern, nicht nur Herr Ivo, auch seine Dienstmannen.«

»Du meinst doch nicht, daß ich die fürchte?« fuhr Konz auf, aber seine Augen blickten unsicher umher.

»Auch werdet Ihr vor dem ganzen Lande wenig Ehre gewinnen, wenn Ihr das Ritterspiel unhöflich verderbt.«

Das gab Herr Konz durch sein Schweigen zu. »Dennoch gedenke ich den Raben nicht zu meiden«, versetzte er endlich mit Trotz.

»Dann rate ich, daß Ihr wenigstens sein Aussehen ändert. Auch die Brüder des Landgrafen geben dem Löwen auf ihrem Schilde ein Abzeichen, damit man sie unterscheide. Was diese tun, wird Euch ohne Minderung Eurer Ehre erlaubt sein.«

»Damit bin ich zufrieden«, versetzte Konz, »doch welches Abzeichen denkst du dir?«

Nikolaus überlegte wieder. »Die Alten im Lande nennen die Mühlburg das Vogelnest, und sie wissen darüber auch eine Sage. Darf ich Euch Gutes raten, so laßt unter dem Raben sein Nest oder doch ein Ei anbringen. Führt Ihr solch eigenes Abzeichen, so dürfen jene Euch das Kampfspiel nicht weigern, wie sehr sie sich auch darüber ärgern.«

Konz erwog die Sache, ihm selbst fiel durchaus nichts Besseres ein. Deshalb gab er seine Einwilligung und verpflichtete den Schüler noch einmal zur höchsten Verschwiegenheit, und dieser erbot sich endlich gutwillig, selbst den Schneider des Ritters anzuweisen.


Es war ein wonniger Morgen, oben am blauen Himmel zogen in langer Reihe kleine Lichtwolken, und unten auf der Landstraße zog die geschmückte Schar des Frauenritters dahin, an der Spitze Herr Henner, hinter ihm der Posaunenbläser und der Rufer, dann[537] Ivo mit Seinem Gefolge, zuletzt ein Haufen Knechte und Diener, welche ledige Rennrosse und ein Reihe Rüstwagen führten.

Sooft die Fröhlichen durch ein Dorf zogen, rannten die Leute an die Straße und starrten neugierig auf den glänzenden Zug. Viele riefen Heil und Siegwunsch zu, wenn sie den Herrn der Schar erkannten, denn die ganze Landschaft war stolz auf seine Reitertugend. Barbeinige Dorfknaben liefen den Reitern meilenweit nach, um auch etwas von dem Rennen des großen Herrn zu schauen.

Als sie an eine Krümmung des Weges gelangten, wo ein lichtes Gehölz die freie Umsicht verbarg, da klang durch die lachende Landschaft der Ton einer Posaune, und aus dem Holz ritt ein Rufer ihnen entgegen und hielt auf der Höhe, so daß sein reiches Gewand und die Posaune, welche er hoch emporstreckte, in der Morgensonne glänzten. Die Fahrt wurde gehemmt, der Gegenruf erscholl. »Schlagt den Pavillon auf unter dem Baumschatten«, gebot Herr Henner, nahm den schweren Helm aus der Hand seines Knaben, stürzte ihn auf und band ihn mit der seidenen Schnur am Halse fest, dann ließ er sich Schild und Speer reichen und ritt vor. Der fremde Rufer grüßte und verkündete mit lauten Worten, daß sein Herr, der Ritter vom gekrönten Löwen, in dem Holz lagere und von Herrn Ivo Ritterspiel begehre. Und der Marschalk antwortete, wie sich gebührte, daß jenem das Ritterspiel gewährt sei, drei Rennen nach Brauch ihm und seinen Begleitern, und daß Herr Ivo den Löwen erwarte. Im nächsten Augenblick regte sich's in dem grünen Holz, und aus dem Waldversteck brach eine geschmückte Schar von Rittern und Knappen, die Helme aufgebunden, so daß ihr Antlitz verborgen war; alle in rotem Gewande, gestreifte Löwenbilder auf den Schilden und auf den langen Roßdecken, in ihrer Mitte mit glänzender Rüstung der Herr, kenntlich durch ein Krönlein auf dem Helm. Ivo rief mit strahlendem Antlitz dem meldenden Marschalk entgegen: »Gutes Glück, es ist der Landgraf selbst, der uns die Ritterfahrt einweihen will. Sein Wappenbild soll, wenn mir die Heiligen beistehen, das erste Stück Tuch zu dem Mantel geben.« Henner hörte bekümmert diese Rede, doch wagte er nicht zu widersprechen, er wandte sich wieder der fremden Schar zu, von welcher jetzt ein Hofherr sich ablöste, um mit dem Marschalk den Rennplatz auf dem ebenen Rasengrund zu bestimmen. Feierlich begrüßten die beiden Würdenträger einander mit ritterlichen Worten. »Seid willkommen, Messire Chevalier du Lion«, begann Henner, »ich sehe, aus fremdem Lande kommt Ihr und sucht Goldringe als Beute.«

»Der König Löwe«, versetzte der andere stolz, »ist nicht um die Ringe zur Jagd gezogen, er begehrt sich Eure Rosse und Euer Heergewand, wahret Euch vor seinen Sprüngen.«

Nach diesem feierlichen Gruße ritten beide seitwärts, um auf ebener Stelle die Stäbe zu stecken, damit Wind und Sonne unter die[538] Kämpfer gleich verteilt sei. Unterdes lagerte der Haufe des Herrn Ivo auf der andern Seite der Straße, und Ivo wappnete sich in dem schnell aufgeschlagenen Zelte. Als aber die beiden Helfer des Kampfes sich von der übrigen Schar getrennt hatten, begann Henner in ganz anderem Ton: »Wir freuen uns nach Gebühr der Ehre, Rudolf Schenk; dennoch wäre besser gewesen, wenn Ihr den Löwen überredet hättet, sich dieser Sprünge auf grüner Heide zu enthalten, denn Ihr wißt ja selbst, daß es für Euren Herrn ein ungleicher Kampf wird, und ich bin von Eurer guten Gesinnung versichert, auch Ihr wollt nicht, daß der Landgraf meinem Herrn einen Groll nachtrage, was er sicher tun wird, wenn er auf den Grund rollt.«

Der Schenk von Vargula zuckte die Achseln. »Er war so begierig nach dem Abenteuer, daß ihm keiner zu widersprechen wagte, an Euch ist es, dafür zu sorgen, daß Euch nicht später ein Schaden entsteht.«

»Ihr sprecht gut«, bestätigte Henner, »aber auch meiner ist so begierig nach Beute, daß alles Zureden nichts fruchten wird. Es ist unmöglich, daß er der Ehre entsagt, die Haut des Löwen für das Gewand zurechtzuschneiden.«

»Ihr seid scharf, Henner. Solltet Ihr ja vielleicht gegen den Herrn das bessere Glück haben, so sind andere unter uns, um seinen Fall zu rächen.«

»Nun, Schenk«, versetzte Henner, »Ihr habt eine feste Faust, aber wenn Euch gelänge, was Eurem Herrn mißglückt, so würde Euer gutes Glück Euch selbst kalten Dank bei Eurem Gebieter eintragen.«

»Dann müssen wir zusehen, wer den Schaden trägt«, antwortete der Schenk zornig. »Auch die Frauen haben den Landgrafen bestärkt, Frau Hedwig bat sich den Fingerring aus, den er gewinnen wird, und Frau Else sah zwar anfangs traurig drein, doch im Grunde vertraut sie fest ihrem Gebet und der unübertrefflichen Tugend ihres Hauswirtes.«

Henner nickte. »Dennoch muß hier Hilfe geschafft werden. Tut, was Ihr vermögt, ich will's an mir nicht fehlen lassen.« Die beiden drängten die Rosse aneinander und verhandelten leise durch die Helmlöcher.

Nach dieser Beredung verliefen die drei Rennen besser, als Henner gefürchtet hatte. Hell klangen die Posaunen, die Herren sprengten auf ihren Stand, der durch ein Fähnlein bezeichnet war, sie grüßten einander mit würdiger Neigung des Hauptes, senkten die Speere, hoben die Schilde und rannten von der Stelle in gestrecktem Lauf gegeneinander. Aber während dem schnellen Ritt hob Ivo seinen Speer, setzte ihn auf das Knie und empfing ohne Gegenstoß den Anritt des Landgrafen. Dieser traf mit der stumpfen Spitze auf die Eisenplatte, welche als Bruststück über das Panzerhemd gelegt war, die Stange zersplitterte, Ivo saß unbeweglich und neigte das Haupt tiefer, als die Reiter so nahe aneinander vorüberflogen,[539] daß ihre Knie streiften. »Speere her«, riefen beide, und die aufgeregten Helden, welche in zwei Scharen geteilt um den Kampfplatz hielten, schrien ihnen die Worte nach. Die beiden Marschälle ritten herzu, prüften mit scharfem Blicke die Rüstung der Kämpfer und die Riemen des Geschirres und legten die neuen Speere in die Hand der Leibknappen. Diesmal antwortete der Löwe auf die Huldigung im ersten Rennen dadurch, daß er seinen Speer aus der eisernen Auflage hob und unter den Arm schlug. Ivo erwies sogleich dieselbe Artigkeit, und auch dies Rennen blieb, wie zu erwarten war, ohne Gefahr, der schwache Stoß des Landgrafen traf wenigstens den Schild des Gegners, so daß der Speer zerbrach, und Herr Ivo hatte nach der Mitte des Schildes gehalten, wo die Widerstandskraft des Gegners am größten war. Beide Kämpfer saßen, als sie aneinander vorübergejagt waren, fest im Sattel. Wieder riefen die Mannen Heil! und Waffen!, aber eine Unruhe war erkennbar, jeder wollte den Ernst des Spieles sehen. »Jetzt kommt's«, seufzte Henner; sorgfältiger prüfte er den Harnisch seines Herrn, und damit beschäftigt, sprach er leise: »Von Eurem Vater und von Eurem Großahn vernahm ich, sooft sie gegen einen gekrönten Helm ritten, stachen sie nach der Krone. Da auch heut der Löwe sich nicht enthalten konnte, zu zeigen, daß er ein Herr sein will über uns alle, so wäre es ein gutes Werk, ihm das Krönlein zu kappen.« Der kluge Rat half, beide Herren trieben ihre Rosse weiter rückwärts von den Fähnlein, um stärkeren Anlauf zu gewinnen, und sprengten kräftig gegeneinander. Der Speer Ivos traf genau die Krone, das vergoldete Holz flog rückwärts und fiel in Trümmern zur Erde, der Speer des Landgrafen brach regelrecht an dem Schilde, der Graf schwankte im Sattel, aber er hielt sich. Und beide Kämpfer warfen die Endstücke der Speere auf die Bahn und neigten sich grüßend gegeneinander. Wieder klang lauter Beifallsruf, der Landgraf nahm seinen Helm ab und streckte mit gerötetem Antlitz lachend seinem Gegner die Hand entgegen, welche dieser ehrerbietig ergriff.

Dem Kampf der Gebieter folgte eifriges Rennen des Gefolges, viel Eschenholz wurde kunstvoll zerbrochen, und kein größeres Unglück war zu beklagen als einige verstauchte Daumen und ein harmloser Fall auf den Rasen. Darauf rasteten die Rosse, die Herren saßen am Birkengehölz auf weichen Polstern, tranken vergnügt welschen Wein und sprachen von Rüstungen, Pferden und Falken, wie Brauch. Mit ehrlichem Heilwunsch schied der Landgraf, nachdem er noch Herrn Ivo eine gute Strecke begleitet und vergnügt den Ring empfangen hatte.

Auch an den nächsten Raststellen wurden die Reisenden von rüstigen Rittern der Umgegend erwartet, und die von Ingersleben merkten mit stolzer Freude, daß der Beginn ihrer Rennen glück- und ruhmverheißend war.[540]

Es war am zweiten Tage der Fahrt, als die Schar zu einem Platz auf einsamer Heide gelangte, wo sie keinen Gegner zu finden glaubte. Dennoch hielt auch dort ein kleiner Haufe mit gehobenen Waffen. Es war Herr Konz mit seinem Gefolge, er ritt vor und schwenkte seinen großen Speer, hochragend auf starkem Rosse, ein gefährlicher Gegner, in seiner Rüstung ganz ähnlich dem Herrn Ivo, nur breitschultriger und plumper. Jedoch die Zeichen auf seinem Wappenrock und auf dem Behang seines Pferdes waren übel geraten. Allerdings war ein Rabe sorgfältig aus schwarzem Tuch geschnitten und über den blauen Perkan genäht, auch ein Krönlein trug er aus vergoldetem Taft, aber da der Schneider den Vogel gewissermaßen in häuslicher Tätigkeit dargestellt hatte, über seinem Nest schwebend, so hatte er ihm den Schwanz gehoben, und was darunter lag, als Ei und Nest, war weißlich, undeutlich und erregte Zweifel über die Beschäftigung des Vogels. Und wie Herr Konz selbst waren auch seine Begleiter gezeichnet.

Die Schar des Herausforderers sah befremdet auf die ungewöhnlichen Wappenzeichen. Einer wies dem andern den Vogel, bald hefteten sich aller Augen darauf, zuerst lachten die von Ingersleben, bald aber erkannten sie in dem Reiter und seinem Vogel eine Kränkung, die ihnen angetan wurde, sie schrien laut Hui! und Pfui! und faßten nach den Schwertern. Henner ritt vor und rief seinem Herrn zu: »Erlaubt, daß ich den Dreisten für seine Frechheit bezahle, denn unwürdig ist er Eures Speeres, und schnell soll die Unehre getilgt sein, die er Euch bereitet hat.« Ivo winkte Gewähr, und Henner spornte sein Pferd zum Anritt. »Den Herrn Ivo begehre ich zum Kampf!« schrie Konz aus der Ferne; doch Henner rief: »Zuerst den Marschalk, ob Euch dann noch ein zweiter Ritt gelüstet! Heran, wenn Ihr kein Feigling seid, oder ich kehre den Speer um und schlage Euch mit dem Holz, wie Ihr verdient.« Da erhob sich lautes Getümmel, von beiden Seiten klang wilder Zornesruf. Die beiden Kämpfer fuhren gegeneinander, nicht zum Heil für Herrn Konz, denn wie stark er sich dünkte, er war im Nu rückwärts aus dem Sattel geschleudert und lag betäubt auf dem Grunde. »Die Schere her«, rief Henner vom Rosse. »Und ihr, Mannen des edlen Ivo, rückt im Kreise um die Spießgesellen des Geworfenen, laßt keinen entweichen, der das Zeichen unseres Herrn so unhöflich führt. Euch aber, ihr Fremden, fordere ich auf, gutwillig abzusteigen und euer Gewand abzulegen, oder bei allen Heiligen, die Schäfte unserer Speere sollen euch den Rücken bleuen.« Doch die Begleiter des Mühlburgers spornten ihre Rosse, und eine helle Stimme rief: »Nimmer gebe ich Euch Gewalt über Kleid und Leib trotz Eurem Drohwort, Marschalk; wahret Euch vor dem Freien.« Es war Bertholds Stimme, er riß sein Schwert von der Seite und fuhr gegen den Marschalk los. Aber im Nu war er umringt, vom[541] Rosse geworfen, des Gewandes entkleidet und geschlagen, und wie er die andern. Und Henner warf die Streifen der zerschnittenen Decken hoch in die Luft, indem er rief: »So sei der Hohn gerächt nach Reiterbrauch, vorwärts, ihr Herren, zu einer Stelle, wo man höflichere Sitte übt; ihr aber tragt den Schaden.« Herr Ivo winkte ihm dankend zu und ritt davon. Flüchtig im Reiten sah er noch das Antlitz des jungen Berthold bleich und verstört, er sah einen Arm, der sich wie zum Schwur gen Himmel hob, und ein Auge voll Zorn und Seelenqual, das auf ihn starrte. Und wieder bliesen die Pfeifen, spielten die Geigen und dröhnten die kleinen Trommeln, die bunte Schar flog lachend und jauchzend über den grünen Grund und ließ gebrochene Speere, geknickten Stolz und todwunde Herzen an der Erde zurück.


Größer wurde der Zug und lauter die Fröhlichkeit, als sich die Sonne abwärts neigte; die Schar war fast zu einem Heere gewachsen, einige der Herren, welche im Rennen rühmlich ihren Ring gewonnen hatten, schlossen sich dem Gefolge an, viele Landleute, die an den Kreuzwegen gewartet hatten, begleiteten meilenweit die Mairitter. Vollends die fahrenden Leute waren aus der ganzen Landschaft zusammengeströmt, die ansehnlichen auf Pferden und Eseln, die Mehrzahl zu Fuß: Spielleute mit ihrem Gerät, Gaukler und Luftspringer, Weiber in buntem Gewande mit herausforderndem Blick, auch solche, welche ein Gewerbe daraus machten, Pferde zu heilen und kranke Pferde um ein Billiges zu kaufen, dazu alle, die mit dem Brauch der Speerrennen und Turniere vertraut waren und als Rufer und gewandte Diener ihren Lohn zu gewinnen hofften; diese scharten sich achtungsvoll um ihre Genossen, welche dem Herrn Ivo während der Fahrt treuen Dienst geschworen hatten und einen schönen blauen Überwurf sowie am Arme einen silbernen Ring trugen mit dem Bilde eines Raben als Abzeichen. An sie schloß sich ein ruhmloser Haufe von verlorenen Kindern der Heerstraße, welcher keinerlei Kunst, aber große Begehrlichkeit besaß und durch Heilrufe und Geschrei seine Spende zu verdienen suchte. Hinter dem Zuge der Herren und Knechte wälzte das fahrende Volk sich mit Lachen, Geschrei und Zank dahin, lauernd spähten die Augen aus den sonnenverbrannten Gesichtern, und der erste Rufer des Herrn hatte Mühe, die Frechen, welche sich mit Scherzreden und Schmeicheleien an die Reiter drängten, durch eine zähe Gerte zurückzuhalten, die er über ihnen schwenkte.

Die Abendsonne schien golden auf die Türme und Mauern einer ansehnlichen Stadt, auf dem Felde davor sprengten Reiter, und große Haufen von Neugierigen harrten der Gäste, denen die Luft ein Getöse von Hörnern, Pfeifen und kleinen Handtrommeln grüßend zutrug. Henner ritt zu seinem Herrn: »Das sind die lustigen[542] Bürger von Mühlhausen, ansehnlich wissen sie sich zu halten, und nicht wenige treue Gesellen erkenne ich, welche ihre Ritterschaft erweisen wollen. Sie haben Euch, wie ich vernehme, gute Herberge bereitet und hoffen auch bei einem Abendtrunk Ehre einzulegen. Da das Volk hier drängen wird, so umzäune ich mit der Schnur einen Rosengarten, in dem Ihr reiten könnt.« Er winkte den Rufern, und eilend liefen diese hinter ihm mit den spitzen Stäben und der roten Schnur; nach artiger Begrüßung wurde der Plan abgesteckt und das Zelt des Herrn aufgeschlagen. Die Burgmannen, welche den Ritterschild führten, waren zahlreich gekommen, unter ihnen hielt auf einem mächtigen Rosse Johannes der Kaufmann, den sie Langhans nannten, und sogar der alte Bertram Schultheiß, ein runder Mann mit fröhlichem Gesicht, als kluger Sprecher wohlbekannt in den Städten. Ihm wurde nicht bequem, auf das Roß zu steigen, aber man wußte auch, daß er nicht leicht herunterzubringen war, wenn er einmal fest saß.

Als Ivo gewappnet aus seinem Zelte trat und sich auf das Pferd schwang, begrüßten ihn wieder lauter Zuruf, Geschrei und Getöse der fahrenden Musiker, und als er in die Schranken ritt, drängten sich von allen Seiten die Zuschauer heran, und ihre Augen richteten sich auf den entgegengesetzten Eingang, wer zuerst gegen den berühmten Kämpfer ansprengen würde. Es war der dicke Schultheiß Bertram unter einem schweren Helm in schönem feuerfarbenem Überwurf, zwar mit verdecktem Antlitz, aber wohl kenntlich an seiner Rundung; darüber freuten sich die Mühlhäuser, jauchzten und nickten einander zu. Alles glückte in dem Speergarten, zumal Herr Henner die Speere in freundlicher Gesinnung wählte und seinem Herrn auch einmal zuraunte: »Seid nicht zu scharf.« Die Burgmannen aber erwiesen sich gewaltig, der Schultheiß gewann den Fingerring und rief fröhlich dem Ivo zu: »Den trage ich, dieweil ich lebe, zu Eurem Gedächtnis.« Nur Herr Langhans entging dem Unglück nicht, er wurde aus dem Sattel geschleudert, daß er der Länge nach auf den Rücken fiel und mit den Händen in der Luft fingerte. Aber da er in der Stadt nicht sehr beliebt war wegen übergroßer Hoffart, so hielten die von Mühlhausen seinen Fall für keine Kränkung, auch er selbst trug's leidlich, da ihm Ähnliches schon früher begegnet war. Ja, er versuchte sogar trotz seinem Schmerz zu lächeln, als Henner sich über ihn beugte und dem Knappen mit der Schere zuwinkte, den vorderen Teil eines Überwurfs von kostbarem Samt wegzuschneiden, indem er artig sagte: »Gestattet, Chevalier, daß wir nach unserem Devoir tun, wenn wir auch weniger geübt sind, Gewand zu schneiden, als Ihr selbst.«

Jedesmal, wenn Herr Ivo von einem Rennen auf seine Stelle zurückritt, erhob sich das Freudengeschrei des Haufens, der mit ihm gekommen war, zumal der fahrenden Leute, welche dichtgedrängt[543] am Eingange standen und einander stießen, um den Schranken am nächsten zu sein. Denn alsbald griff Herr Henner in die Geldtasche, welche er an der Seite trug, und warf kleine Silbermünzen in den Haufen. Sobald er an die Tasche rührte, hoben sich die Arme der Fahrenden, und sie schrien: »Segen über Euch, Herr Ritter, hierher, hierher!« Sie bückten sich nach der fallenden Münze, schlugen und balgten sich zum Ergötzen der Zuschauer. Als Ivo einmal so an den Schranken hielt, unter dem Helme tief atmend und sich mit einem Tuch durch die Helmlöcher Kühlung zuwehend, hörte er neben sich eine bebende Stimme, welche wie die andern rief: »Spendet mir!« Er sah die zitternde Hand eines alten Mannes in elendem Reisekleide, und als die Hand nichts zu fangen vermochte, den matten Blick eines Entsagenden. Da fragte er über die Schranken: »Wer bist du, Alter?«

»Ein Elender, den der Hunger zwingt, während er sich nach der Heimat sehnt«, klang es leise zurück.

»Er gehört nicht zu uns«, schrien die Fahrenden neben ihm, feindselige Blicke auf den Fremden werfend, der sich in ihre Brüderschaft drängte.

In dem Klang der Stimme und dem gramdurchfurchten Angesicht war etwas so Verzweifeltes, daß dem Herrn das Herz weich wurde, er lenkte, seiner Ritterpflicht gedenkend, das Pferd zum Marschalk, griff in die Ledertasche und holte einen Goldgulden heraus. Als er sich wieder zu dem Fremden wandte, war dieser vor Erschöpfung an den Schranken zusammengebrochen. Da winkte er einem Knechte, dem Liegenden beizuspringen, und warf ihm das Goldstück in den Schoß. Gierige Hände der Umstehenden griffen darnach, aber der Knappe eilte dem Manne zu Hilfe, und dieser rief, die Hand hebend: »Möge der Himmelsherr dich bewahren, daß du selbst jemals in so bitterer Not für eine Gabe danken mußt, wie ich dir danke.« Die Fanfaren klangen, Ivo wandte sich ab, faßte nach dem Speere und hatte bald unter den Grüßen der Mühlhäuser und beim festlichen Abendtrunk in der Ratsstube den Jammer des fremden Bettlers vergessen.

Es war am vierten Tage der Maienfahrt, die ritterliche Schar kehrte von Norden her in die Umgegend von Erfurt zurück; wieder trug die Natur ihr schönstes Feierkleid, die Tautropfen blitzten wie Edelsteine an Gras und Blumen, die Amsel pfiff im Gehölz, und von der Höhe trillerte die Lerche. Harte Stöße hatte der unermüdliche Speerbrecher empfangen, aber noch stärkere hatte er ausgeteilt, mit Stolz blickte er rückwärts auf ein Bündel, welches mit seidener Decke umhüllt an seinem Sattel befestigt war, denn es enthielt zehn Stücke bunten Stoffes, die sein Marschalk aus den Wappenröcken geworfener Ritter geschnitten hatte. Beinahe war der Stoff gesammelt für einen Mantel, und doch war im Turnier noch der meiste[544] Zuwachs zu erwarten. Sah man dem Herrn und seinem Gefolge auch die Anstrengung der letzten Tage an, sein Herz war froh, denn sein Ruhm war hoch gestiegen, die stärksten Ritter der Landschaft hatten vergebens ihre Rosse gespornt und mächtige Speere gegen ihn eingelegt, und die Spielleute zählten bereits in langen Gedichten seine Gegner auf, den Schmuck ihrer Rüstungen und den Verlauf seiner siegreichen Kämpfe.

Ivos Lippen bewegten sich, und er sang leise vor sich hin. Da hielt der Zug. Auf einer kleinen Anhöhe standen Rosse, Helme blinkten, und Bewaffnete lagerten am Rand eines Gehölzes. »Gutes Glück«, rief Herr Henner, »dort harren edle Gäste, weckt sie aus ihrer Ruhe, denn mir scheint, sie haben den Ausguck versäumt und wir überraschen sie.« Herausfordernd klang die Posaune, aber kein Gegenruf antwortete, und die fremden Reiter traten nicht einmal an die Rosse. »Sie schlafen«, rief Ivo verwundert, »blast zum zweiten Male.« »Sie haben sich träge verlegen und vermögen die Glieder nicht zu rühren«, spotteten seine Ritter. Auch der zweite Klang weckte keine Antwort. Der Marschalk ritt vor, aber nach wenig Roßsprüngen wandte er um und rief seinem Herrn zu: »Sie führen nicht Wappen, nicht Decken, nur ein schwarzes Kreuz erkenne ich an den Mänteln und die Vollbärte der Gesichter. Es sind Marienbrüder vom deutschen Hause in Jerusalem.«

Mehrere aus dem Gefolge bekreuzigten sich. Ivo hielt sein Pferd an: »Wir vernehmen zuweilen von ihren Taten im Gelobten Lande, doch wir selbst sehen wenig davon; denn bei uns schleichen sie wie die Mönche, bergen ihr Antlitz in den Siechhöfen und stellen sich, wie man sagt, ungern zum Speerkampf. Dennoch begehre ich ihr schwarzes Zeichen als Beute, wenn es auch nur ein trauriger Schmuck ist. Wir reiten näher, ob wir sie herauslocken.«

Er ritt, vom Marschalk begleitet, zu den Fremden. Aus dem kleinen Haufen der Gelagerten erhob sich ein Bruder und antwortete ernsthaft dem Gruße, ein Mann von mittleren Jahren, der über dem Kettenhemd einen braunen Überwurf von grobem Wollstoff trug, über der Brust ein großes Kreuz von schwarzem Tuchstreifen und um die Schultern einen weißen Mantel. Sein voller Bart war mit Grau gemischt, die festen Züge des Antlitzes von südlicher Sonne gebräunt.

»Geschlossene Helme sehe ich hier«, begann Ivo, »und Schwerter, welche am Rittergurt hängen, aber auf die Ladung meines Rufers kam von euch keine frohe Antwort. Ist keiner unter euch, ihr Herren, der sich einen goldenen Fingerring begehrt, wenn er mir ehrlich widersteht, oder meine Rosse und Rüstungen, wenn er mich wirft? Schwingt euch vom Boden und ergreift die Speere.«

Einige der Jüngeren sprangen auf, der Führer aber hob die Hand, und die behenden Knaben traten zurück. »Euer Ring, edler Herr,[545] soll die Brüder nicht locken, sie dürfen kein Gold tragen, nicht am Finger, nicht am Harnisch und Gewand; auch eure Rosse und Rüstungen dürfen sie nicht erwerben, denn sie führen nicht eigenes Roß und nicht eigene Waffen, sie gebrauchen nur, was ihnen die Bruderschaft zuteilt.«

»Lockt euch der Preis nicht«, rief Ivo wieder, »so kämpft, wenn euch an der Huld guter Frauen gelegen ist; einer Herrin zu Ehren fordere ich euch, habt ihr eine Frau, welcher ihr dient, so streitet für ihren Ruhm; denn ich hoffe, Ehre erwirbt bei Männern und Frauen, wer mich aus dem Sattel zu schwingen vermag.«

Aber ungerührt antwortete der Bruder: »Keiner von uns dient einer irdischen Frau, und das einzige Weib, welches wir anflehen, ist die hohe Gottesmutter. Auch Euch, Herr Ivo, ziemt nicht, die Himmelskönigin gegen ein irdisches Weib herauszufordern.«

»Nun denn«, versetzte Ivo gereizt, »wenn ihr nicht um Beute kämpfen wollt und nicht für Frauenminne, so schwingt euch in den Sattel, weil ihr Ritter seid, damit euch die Leute nicht schelten, daß ihr ruhmlos die Waffen führt.«

Wieder regten sich die Jüngeren, und zornige Blicke drohten dem Herausforderer. Doch der Bruder wies auf einen Speer im Boden, an welchem die scharfe Spitze glänzte. »Wir treffen mit dem Speere nur, wenn wir den Tod geben und erwarten, zu Reiterlust und Spiel führen wir die Waffen nicht.«

»Wohlauf, ihr Herren, ist euer Brauch so unmild, so weiß ich euch mit gleicher Waffe zu begegnen; auch ich führe Speerholz, an welchem der Todesstachel befestigt ist. Ihr seid geladen zum Kampf nach eurer Weise.«

»Wir töten Ungläubige, wenn sie uns trotzig widerstehen«, versetzte der Bruder. »Unter den Christen ist unser Amt nicht, Wunden zu schlagen, sondern zu heilen. Wir üben hier die Bruderpflicht.« Er trat zurück und wies auf die Gruppe am Boden. Ivo hob sich im Sattel und sah, daß zwei Brüder einen entblößten und blutigen Mann in den Armen hielten, während ein dritter mit dem Verband beschäftigt war. Er war als Sohn einer harten Zeit gewöhnt, ohne Schrecken auf Wunde und Tote zu sehen, aber der schweigsame Ernst, mit welchem die Brüder um den Kranken bemüht waren, und ihr fremdartiges Aussehen fesselten seinen Blick, er zwang sein bäumendes Roß zu halten. »Ist der Sieche von eurer Gesellschaft?«

»Es ist ein armer Landfahrer, den andere schlugen, welche an Nächstenliebe und Gnade ärmer waren als er.«

»Und was wollt Ihr mit ihm beginnen, Herr?«

Der Bruder zeigte in das Gehölz, wo zwei der Jüngeren Holzstangen zu einer Trage zusammenbanden. »Wir tragen ihn, bis wir gute Leute treffen, welche ihn um Christi willen aufnehmen.«[546]

»Und wenn ihr die Höfe an der Landstraße verschlossen findet?« fragte Ivo. »Wer kennt das Schicksal, das der Arme sich bereitet hat, und wer weiß, welchen Fluch er mit sich durch das Land trägt?«

»Einer weiß es, der uns Barmherzigkeit geboten hat«, versetzte der Bruder feierlich.

Ivo schwang sich aus dem Sattel und trat näher, aber er fuhr unwillkürlich zurück, denn der Verwundete hob gegen ihn das Haupt, wimmerte leise und streckte die geöffnete Hand in die Höhe; Ivo erkannte jenen Dürftigen, dem er vor wenigen Tagen ein Goldstück in den Schoß geworfen hatte. »Ich gab ihm Geld vor vieler Augen«, murmelte er, »und ich fürchte, um des Geldes willen liegt er heut am Boden.«

Der Krieger, welcher den Verband angelegt hatte, erhob sich und sprach zu dem Führer einige Worte in fremder Sprache.

»Mein Bruder sagt, daß dies Leben bei guter Pflege vielleicht erhalten wird«, erklärte der Anführer und neigte das Haupt zum Abschiede, während die jüngeren Brüder den Kranken vorsichtig auf die Trage aus Baumästen hoben. Ivo warf noch einen traurigen Blick auf das Opfer seiner Milde, bestieg das Roß und sprengte nach dem Wege. Lauter Zuruf der Seinen grüßte ihn, die Spielleute bliesen auf den Pfeifen und schlugen die kleinen Handtrommeln. Er aber hielt still und senkte das Haupt: »Fröhlich sangen die Sommervögel in mein Herz, da klang der Schrei eines Habichts durch die Luft, die kleinen Sänger bergen sich im Laub, und ich vernehme ihre Stimme nicht mehr.« Er sah um sich und erkannte das große Dorf, welches im Grunde vor ihm lag, wandte das Pferd und ritt schnell zu den Brüdern zurück.

»Sucht ihr ein Obdach für euren Schützling, so nehmt freundlich mein Fürwort an. Ich kenne den Richter im nächsten Dorfe und hoffe ihn zu bereden, daß er dem Kranken und euch Herberge schafft; gefällt es euch, so geleite ich euch dorthin.« Er wies auf das Tor von Friemar, aus dem die Landleute in hellen Haufen strömten, um die Herrlichkeit der geschmückten Rosse und Reiter zu schauen. Der Fremde verneigte sich dankend, die dunklen Gestalten folgten dem festlichen Zuge, vier Brüder trugen den Verwundeten.

Als die Reiter den Anger betraten, wurden sie auch hier durch Heilrufe und vertrauliche Grüße empfangen. Die Kinder liefen zu beiden Seiten der Schar auf und ab, schrien vor Aufregung und zeigten einander die bekannten Herren. Die Frauen standen mit untergeschlagenen Armen, und manche hübsche Magd errötete und schlug ihre Zöpfe auf die Schulter zurück, wenn die jungen Ritter ihr grüßend Scherzworte zuriefen. Im Dorf warteten auch die Alten neugierig vor ihren Höfen; die Hunde bellten, die Spielleute bliesen und sangen. So kamen die Gäste vor den großen Hof, der mitten im Dorfe am freien Platz lag. Dort aber war das Tor geschlossen,[547] kein Menschenhaupt an Tür und Fenstern zu sehen, vergebens suchte Ivo nach den langen Zöpfen der Magd Friderun; die Landleute traten scheu zurück und tauschten kopfschüttelnd leise Worte. Der Knappe Ivos stieß mit der Speerstange an das Tor, aber alles blieb still. »Ist der Richter daheim?« rief Ivo in den Haufen.

»Ich vermute, daß er im Hause ist«, versetzte ein alter Bauer.

Der Knappe öffnete die kleine Torpforte, Ivo stieg ab, bedeutete die Brüder, seine Rückkunft zu erwarten, und trat ein. Auch im Hofe war niemand zu finden, nur der Hahn rief mißtrauisch sein Federvolk zusammen, und der Hofhund zerrte wütend an seiner Kette. Ivo öffnete den Drücker der halben Tür, welche in das Wohnhaus führte, trat auf die Schwelle und sah in den dämmrigen Hausflur. Im Holzstuhl am Herde saß der Richter und starrte mit gebeugtem Haupt vor sich hin, das weiße Haar hing ihm über sein gramdurchfurchtes Gesicht. Neben ihm auf den Stufen der Bühne saß die Tochter, bleich und verweint, beide unbeweglich in stillem Jammer. Als die Gestalt des Eintretenden den Raum verdunkelte, hob der Richter sein Haupt und blickte auf den geschmückten Ritter, sein Antlitz rötete sich, die buschigen Brauen zogen sich zusammen, und indem er sich langsam erhob, fragte er mit rauher Stimme: »Was wollt Ihr, Herr, in dem Trauerhause?«

»Wo ist Euer Sohn Berthold?« rief Ivo.

»Tot«, antwortete der Bauer und schlug mit der geballten Faust auf den Herd.

»Er ist fortgeritten von uns nach der Mühlburg«, sprach die Tochter leise, »weil er den Hohn Eurer Ritter nicht ertragen konnte.«

»Trieb ihn der Groll über die erlittene Kränkung in den Hofdienst?« versetzte Ivo betroffen. »Dann ist mir von Herzen leid, daß es die schnellen Hände meines Gefolges waren, die ihn aufschreckten. Denn seit unserer Kinderzeit war ich ihm freundlich gesinnt.«

»Für Euren freundlichen Sinn sage ich Euch geringen Dank, Herr«, begann der Richter wieder, »und wenig liegt mir daran, wenn Ihr mir und denen, die mir gehören, lächelnd zunickt. Zu ehrlicher Arbeit hatte ich mir einen Sohn erzogen und nicht zur Gesellschaft für Euresgleichen. Ob er jetzt als ein Gauch durch das Land zieht, mit bunten Lappen behangen, oder ob er in der Dämmerung dahinreitet, um die Rinder des Landvolkes fortzutreiben, das ist für mich ein geringer Unterschied. Und ich sage Euch, edler Herr im lichten Sommerkleide, ich bin nicht dankbar dafür, daß Ihr Euch herablaßt, mich in meinem Hause zu begrüßen. Haben auch die Kornsäcke lange meinen Nacken gedrückt, Euch gegenüber ist er steif, wenn Ihr Willkommen von mir begehrt. Denn Ihr und Euresgleichen habt mir den Sohn genommen, für dessen Ehre ich mich gemüht habe, solange ich meine Bauernschuhe trage.«[548]

»Ich aber denke daran«, antwortete Ivo gemessen, »daß Ihr ein alter Mann und in schwerem Kummer seid, wenn ich Eure Rede ohne die Antwort ertrage, die ich Euch leicht geben könnte. Heut, Richter, kam ich nicht um meinetwillen, sondern weil ich Eure Hilfe für einen andern begehre. An der Grenze Eurer Flur lag ein Schwerverwundeter, den die Brüder vom schwarzen Kreuz aufgehoben haben; schon allzulange harren sie mit dem Kranken vor Eurem Tor. Sie werden Euch fragen, ob Ihr den Armen aufnehmen wollt. Mich reut's, daß ich unternahm, bei Euch Fürsprech zu sein; dennoch mahne ich Euch an Eure Pflicht, tretet hinaus und gebt den Fremden Bescheid.«

»War's auf unserer Flur«, murrte der Alte, »kennt Ihr so genau das Maß der Bauernäcker?«

Die Tochter ergriff seine Hand: »Geht vor das Tor, Vater.«

Als der Alte die Hand der Tochter an der seinen fühlte, faßte er heftig darnach, die Tränen stürzten ihm aus den Augen, er zog sein Kind zu sich, legte sein Haupt auf das ihre und schluchzte laut. Ivo trat leise in den Hof zurück und sah über Holzhaufen und Scheuern, der Hahn schritt stolz, ohne ihn zu beachten, durch das Stroh, der Hund knurrte ihn aus seiner Hütte mißtrauisch an; hinter dem Hoftore ragten die buntbemalten Speerstangen und klang das Summen der Menge, aber ihm kam vor, als gehöre er selbst nicht zu der Genossenschaft, welche draußen auf Ritterspiele hoffte.

Nicht lange, und der Richter schritt aus dem Hause und öffnete mit fester Hand die Pforte.

Als er vor die Menge trat, hochaufgerichtet, mit seinem weißen Haar und dem runden großen Haupte, war er in seiner Trauer so ehrwürdig, daß ihn alle mit Scheu betrachteten. Die kleine Schar der Brüder hielt unbeweglich, der Führer lenkte schweigend sein Roß zur Seite, so daß der Richter den Wunden auf der Trage vor sich sah. Er betrachtete den Mann. »Es ist ein Fremder«, sagte er kalt.

»Es ist ein Todwunder«, antwortete der Bruder, »unser Amt ist, den Kranken zu heilen, und wir bitten Euch, daß Ihr uns dafür Obdach gewährt.«

»Wollt Ihr bezeugen, daß er auf unserem Dorfgrunde lag?« fragte der Richter.

»Wir kommen nicht, für ihn zu zeugen, sondern ihm Liebe zu werben. Zum andern Mal bitte ich Euch, nehmt ihn unter Eurem Dache auf und uns dazu, damit wir ihn pflegen. Denn unser Erlöser spricht: Was ihr dem Geringsten auf Erden tut, das habt ihr mir getan.«

Doch der Bauer hob abweisend die Hand und versetzte finster:

»Tragt ihn unter das Dach der ritterlichen Herren, welche bereit sind, solche Wunden zu schlagen.«[549]

»Wir aber stehen vor Eurer Tür«, fuhr der Bruder fort, »und dreimal zu bitten, ist uns befohlen. Darum flehe ich zum drittenmal, daß Ihr ihn aufnehmt und uns dazu. Und wir mahnen Euch mit den Worten, die unser Herr Christus selbst gesprochen hat, als er sagte: Ich suche nicht meinen Willen, sondern ich handle nach dem Willen meines Vaters, der mich gesandt hat.«

Der Hofwirt sah schnell auf und fragte: »Steht das geschrieben in dem heiligen Buche, aus dem wir nur dann in unserer Sprache hören, wenn die Pfaffen sich ein Roß begehren oder ein Stück unseres Ackers? Steht das in Wahrheit geschrieben, so ist es eine weise Rede, denn auch der Sohn Gottes dachte daran, daß er der Sohn war, und gab seinem Vater die Ehre. Und weil Ihr mir diese Worte sagt, so will ich Euch aufnehmen als ein Vater, der seinen Sohn verloren hat, und ich will Euch einführen in das verlassene Haus.« Er schlug den Holzriegel des Tors zurück. »Tretet ein, ihr Herren.«

Die Bärtigen betraten hinter dem Richter den Hof, die nachdringenden Dorfleute wies dieser mit einer Handbewegung zurück und führte die Gäste zu einem Gebäude, welches, kleiner als das Wohnhaus, mit der Langseite an der Straße stand. Auf der Schwelle hielt er und begann finster: »Hier wohnte einst mein Vater, als er mir den Hof übergeben hatte. Dann ein Jüngling, den seine Mutter, während sie lebte, zu adlig hielt in Kleidung und Sitte.« Er öffnete zögernd die Tür. In dem leeren Gemach waren die Fensterladen geschlossen, durch die Ritze fiel ein spärliches Licht auf die Dielen und das Lager an der Wand. Der Richter riß den Laden auf, die Bewegung wollte ihn übermannen, und er gebot mit heiserer Stimme: »Dort ist das Bett, legt den Elenden hinein, und dies ist eure Herberge, wenn sie euch, ihr Fremdlinge, genügt.« Er wandte sich zur Tür. »In meinem Pferdestall ist seit der letzten Nacht Raum geschafft für zwei Rosse; begehrt ihr sonst noch etwas, so ist mir eine Tochter geblieben, sie soll für euch sorgen.«

»Ich danke Euch, Richter«, versetzte der Anführer. »Einem Bruder mit seinem Knecht und zwei Rossen bitte ich Obdach zu geben und so viel Kost, daß sie nicht Not leiden, bis wir jenen dort in unser nächstes Haus schaffen können. Wir andern reiten zur Stelle unsern Weg. Für Euer Erbarmen können wir Euch nichts bieten; wir werden jeden Abend für Euch beten, daß der Himmelsherr Euch Gnade erweise und die Trauer von Eurem ehrwürdigen Alter nehme.«

Der Richter neigte das Haupt ein wenig, schritt zu seinem Herde zurück und saß dort wie zuvor.

Während der Alte mit den Bärtigen verhandelte, trat Ivo zu Friderun: »Der Vater hört auf Eure Worte; sorgt mit gutem Bedacht, daß er nicht ungerechten Groll gegen mich und meinen Hof[550] bewahre. Denn sein altes Haupt ist mir vertraut und ehrwürdig. Und Euer Bruder war es, der zuerst das scharfe Schwert gegen die Meinen entblößte.«

»Als ein Freier ritt der Bruder mit dem Mühlburger, Euer Ritterspiel in der Nähe zu schauen«, antwortete Friderun, »fremd war er und unbeteiligt an Euren Händeln; da haben Eure Dienstmannen ihn vom Rosse gerissen, und ihre unfreien Hände haben den Freien geschlagen. Die Alten im Dorfe gedenken noch, wie der Großvater Eures Herrn Henner, der jetzt so ritterlich prangt, im schmucklosen Kleid eines Knechts die Hammel durch unsere Dorfgasse trieb.«

»Ihr irrt«, versetzte Ivo, »nicht als ein Freier zog der Bruder in der Schar meines Gegners, sich und sein Roß hatte er in die Farben des andern gekleidet, und ein fremdes Abzeichen trug er wie ein Dienender.«

»Fremde Farben und fremdes Abzeichen!« wiederholte Friderun leidenschaftlich. »Waren es nicht auch Eure Farben, die er trug? Und ist der Rabe darauf Euch so unbekannt? Was konnte mein lieber Knabe dafür, daß Euch die Bilder seines Begleiters nicht gefielen? Oh, du mein armer Bruder! Als du noch ein Kindlein warst, hat man dich gelehrt, deine kleinen Armen auszustrecken und zu jauchzen, sooft das blaue Herrengewand und sein Wappenbild in unserm Dorf zu sehen war. Teuer hast du für die Zuneigung bezahlt, die du in deinem treuen Gemüte bewahrtest. Denn aller Trost, den Herr Ivo unseren Herzen zu geben weiß, sind nur die stolzen Worte: Es ist ihm recht geschehen.«

»Nicht so, Friderun; Euren Bruder erkannte nicht ich und kaum einer von den Meinen, als er verkleidet im Haufen ritt. Erst als er auf dem Boden saß, sah ich sein verstörtes Angesicht, und glaubt mir, ich dachte dabei an Euch und den Vater, und sein Unfall tat mir wehe.«

»Ihr aber rittet hoch zu Roß vorüber, statt anzuhalten und ihn mit Eurer Hand hochzuheben.«

»Wie durfte der Verletzte, wenn er ein Mann war, in der Stunde der Kränkung die Hand des Gegners fassen?«

»Wundert Euch also«, rief Friderun, »daß in dem Bruder die Scham brennt und daß er darauf denkt, die Schmach zu rächen in Eurer Weise? Hat Euch der Vater schwere Worte gesagt, so haben Eure Dienstmannen die verschuldet, denn einsam habt Ihr sein Alter gemacht und auf sein weißes Haupt das bitterste Leid gehäuft. Sie sagen, daß Euch der Mantel, um den Ihr stecht, hohen Ruhm schaffen werde, wenn Ihr ihn Eurer Herrin um die Schulter hängt; denkt auch daran, daß Eure Fahrt Trauer unter Leute gebracht hat, die bisher treu zu Eurem Hause hielten und die sich in der Stille freuten, wenn Euch alles im Leben gut gelang.«[551]

»Bei allen Heiligen«, erwiderte Ivo unwillig, »selten hörte ich ein Weib, das so scharf mit seiner Zunge zu schneiden versteht als Ihr, schon da Ihr ein Kind wart, haben sich die Leute gewundert, und auch die Mutter hat Euch darum gescholten.«

»Eure liebe Mutter ist zu den Engeln heimgegangen, von denen sie zu uns kam. Meint Ihr, daß sie sich über alles freuen würde, was Ihr tatet, um Gold und Silber für Eure Ritterfahrt zu gewinnen? Von einem Manne aus Erfurt erfuhren wir, daß Ihr den alten Stadthof Eures Geschlechtes aus der Hand gegeben habt; und doch hielt Eure selige Mutter viel auf den Hof, und sie sagte zuweilen, daß der Turm im Stadtfrieden ihrem Geschlecht einmal wertvoller sein könne als manche Hufe auf dem Lande.«

Ivo fühlte ein scharfes Mißbehagen über die dreiste Rede, doch antwortete er gutherzig: »Heut darf ich Euch nicht zürnen, wenn Ihr scheltet, Ihr übt in Eurem Schmerze nur ein altes Vorrecht; und ich weiß wohl, Eure Meinung ist gut, wenn Ihr auch um die Ehren des Ritteramtes wenig sorgt.«

Aber seine freundlichen Worte bezwangen nicht den Zorn der Jungfrau.

»Mögen andere Euer ritterliches Abenteuer preisen, unsere freien Bauern wundern sich, daß Ihr, der Edle aus dem alten Blut der Thüringe, Eure Habe und Eure Glieder übermütig preisgebt dem Speerholz jedes groben Gesellen, dem einmal sein Herr den weißen Riemen um seinen Knechtsleib geschnallt hat. Geringen Ruhm finden wir darin, daß Ihr solche wie Euresgleichen ehrt, die als Kuhdiebe durch die Nacht reiten, Unfreie, deren Leib und Leben unter dem Hofrecht eines Herrn steht, die als Knechte Schläge und Fesseln ertragen müssen und die in Wahrheit nur wie Roßknechte gebraucht werden, auch wenn Ihr sie nach Eurer höflichen Sitte Herren nennt. Und wir Freien halten es für einen schlechten Brauch in der Welt, daß der unfreie Knecht, wenn er den Eisenhelm empfängt, sich unter die Edlen setzt und über die Schulter auf die Freien im Bundschuh herabsieht. Auch Ihr helft dazu, daß die alte Freiheit im Lande untergeht, und mancher trauert, daß wir das von Eurem Geschlecht erleben.«

»Oft habe ich vernommen«, versetzte Ivo erstaunt, »daß die Bauern mit Mißgunst und Neid nach den Höfen der Ritter schauen und auch gegen die Edlen geheimen Haß bewahren, aber in Eurem Hofe, Friderun, hätte ich bessern Verstand gehofft.«

»Meint Ihr so«, rief Friderun mit blitzenden Augen, »dann reut mich jedes Wort, das ich Euch sagte. Bin ich Euch nur die Magd aus dem Bauernhofe, so fahrt dahin in Eurem Stolz, ich behalte den meinen.« Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, aber gleich darauf zog sich ihr Gesicht finster zusammen, und sie wandte sich ab.

Noch einen düstern Blick warf Ivo auf die Gespielin seiner[552] Kinderzeit, dann schritt er durch das Tor und schwang sich auf sein Pferd.

Gegen Abend kam der Richter aus seinem Hause in den Hof, er sah zuerst, wie er gewohnt war, nach dem Stand der Sonne, an der Tür des Stalles fuhr er zurück, doch bezwang er sich und trat hinein. Schweigend betrachtete er die fremden Rosse, denen der junge Knecht das Futter schwang. »Woher kam der Braune in unsere Täler?« fragte er endlich den Knecht.

»Aus dem Heiligen Lande«, antwortete dieser unterwürfig.

»Du aber stammst, wenn ich deine Sprache richtig erkenne, aus Thüringen. Hast du einen Vater, und wo lebt er?«

»Mein Vater war ein Schmied von der Naumburg, die Eltern starben an der Pest, da nahm mich mein Herr Arnfried aus dem leeren Hause und zog mich bei der Bruderschaft auf.«

»Ich hoffe, er war strenge gegen dich.«

»Er ist gut wie ein Engel des Himmels, aber der Orden ist streng«, versetzte der Jüngling mit weicher Stimme.

»Ich denke mir's«, sprach der Richter zu sich selbst, »darum gefielen mir die Männer. Ist jener, der bei dem Kranken sitzt, dein Herr Arnfried?«

»Nein, Herr«, antwortete der Knecht, »der andere war's, welcher mit Euch am Tore sprach, er ritt von dannen. Der jetzt am Lager wacht, ist Bruder Gottfried, der von den Sarazenen stammt.«

Der Richter sah verwundert auf das Pferd: »Laß mich seinen Braunen von vorn sehen.« Er schüttelte den Kopf und schritt nach der Gastwohnung.

Der Bruder grüßte vom Lager des Verwundeten mit einer Handbewegung und wandte sich wieder dem Kranken zu. Der Richter aber setzte sich abseits und bedeckte das Gesicht mit der Hand. Als der Kranke einmal stöhnte, richtete er sich auf und betrachtete das dunkle Antlitz und den schwarzen gekräuselten Bart des Bruders, welcher die Lippen des Liegenden mit einem Trank anfeuchtete und vorsichtig die Decke zurechtrückte. »Fremdländisch ist Euer Roß und fremd seid Ihr selbst, ich hoffe, Ihr seid ein Christ.«

Der Bruder antwortete, das Haupt neigend, mit fremder Betonung: »Ich glaube an Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, und sie sind eins und in gleicher Hoheit anzubeten.«

Der Kranke seufzte und machte eine Bewegung, der Richter schlug sein Kreuz und sprach: »So sind auch wir im Glauben gelehrt. Von Euch aber vernahm ich, daß Ihr aus der Heidenschaft stammt; gibt es bei Euch Söhne, die ihren Vätern ungehorsam sind?«

»Auch dort ist ein Gesetz, daß der Sohn den Vater ehre, solange dieser lebt, und wenn er getötet wird, seinen Tod an dem Feinde räche.«[553]

»Habt auch Ihr so gehandelt gegen Euren Vater?«

Der Bruder wies auf sein Haupt, an welchem eine rote Narbe vom Scheitel nach der Stirn herablief. »Ein Edler meines eigenen Stammes erschlug meinen Vater. Ich nahm an seinem Leben die Rache und verfiel darum den Schwertern seiner Blutgenossen. Als ich mit solchen Wunden in der Sonne lag, fanden mich die Brüder, in ihrem Hause erwachte ich zum Leben, seitdem diene ich ihnen.«

Der Richter nickte beistimmend: »Ich merke, Ihr seid ein treuer Bruder. Ein geistliches Leben führet Ihr, aber anders als unsere Mönche und Pfaffen, denn ganz verdorben sind diese, nur auf Wohlleben denken sie, auf kostbare Gewänder und schöne Weiber, und ich sorge, kraftlos sind ihre Gebete für uns Laien. Für den Reichen beten sie aus Habgier, um den kleinen Mann kümmern sie sich wenig. Doch vernahm ich, daß jetzt allerlei neue Brüder in das Land kommen, welche als armselige Leute leben, sich ihre eigene Kost an den Türen betteln und am liebsten für die armen Laien beten. Ich denke, auch Ihr gehört zu diesen Bittenden.«

Der Bruder erhob stolz das Haupt. »Ich bin ein Krieger und kein Bettelmönch, ich diene nur durch gute Werke im Hospital oder mit den Waffen auf dem Schlachtfeld.«

»Und wer sind Eure Feinde?«

»Die der Meister uns nennt.«

Der Richter schüttelte sein weißes Haupt, aber er blieb sitzen, bis er draußen den Peitschenschlag seiner heimkehrenden Knechte hörte. Nach Sonnenuntergang kam er zurück, begleitet von seiner Tochter, welche den Tisch mit einem weißen Tuch bedeckte und kräftige Kost aufsetzte, der Alte selbst brachte eine Kanne vom besten Bier, das er in seinem Keller bewahrte, stellte sie vor den Gast und schüttelte wieder das Haupt, als dieser sich mit wenigen Bissen begnügte und auch dem starken Trunk nicht volle Ehre erwies. Eine stämmige Magd trug dem Fremden Streu in eine Ecke und breitete darüber das Polster, die Decke und ein weiches Kopfkissen. Der Richter blieb schweigend auf seinem Schemel, endlich begann er: »Gedenket der Ruhe, Bruder«, und als der Sarazene auf den Kranken wies, fuhr er fort: »Sagt mir, was ich diesem tun soll. Denn ruhelos ist für mich die Nacht, und ich sorge, wenn ich allein liege, werde ich einem fluchen, der nicht hier ist. Darum laßt mich an Eurer Stelle sitzen, Fremder. Ihr seid Eurem Vater treu gewesen bis über den Tod, darum sollt Ihr jetzt schlafen, und ein armer Vater will statt Eurer wachen.«

Der Bruder sah ihn dankend an und gab in wenigen Worten die Anweisung. Dann sprach er, am Lager kniend, leise die Gebete und schob, bevor er sich ausstreckte, das weiche Kopfkissen, welches ihm nicht erlaubt war, beiseite. Der Richter aber saß bei dem Kranken und starrte auf das hagere Gesicht des Liegenden,[554] der zuweilen zuckte und stöhnte. So durchwachte der Alte die Nacht, zuweilen aufgerichtet mit finsterer Miene und geballter Faust, dann wieder mit gebeugtem Haupt und gefalteten Händen.

Ivo hatte sich mit kurzem Abschied von den Bärtigen getrennt und zog in seiner lustigen Schar dahin. Aber er nahm nicht teil an der geräuschvollen Fröhlichkeit der anderen. Dem hochherzigen Manne waren die harten Reden des alten Bauern und seiner Tochter lästiger, als er irgend jemandem gestanden hätte, auch das Unglück des Knaben Berthold beschwerte ihm den Sinn. Seit der Kinderzeit hatten ihn die Tränen, welche andere in seiner Nähe vergossen, beunruhigt, manchem Knechte hatte er die verdiente Strafe abgebeten und dem Traurigen heimlich gute Bissen zugetragen. Auch Friderun bewahrte in ihrer Lade ein Geschenk, das er ihr als Knabe aus gutem Herzen gemacht hatte, eine bunte Holzpuppe, welche ein lustiges Männlein vorstellte. Zog man an einem Faden, so bewegte das Närrchen den Kopf und die Arme. Ivos Mutter hatte es einst dem Sohne von Erfurt mitgebracht, und der ganze Hof hatte sich gefreut, wenn der Knabe mit dem Gaukelmann spielte und aus dem Stegreif possierliche Worte dazu sprach, wie er sie von fahrenden Leuten gehört hatte. Gerade damals war die kleine Friderun nach dem Tode ihrer eigenen Mutter auf den Hof gebracht worden, weil die Edelfrau ihre Pate war; das Kind saß in einer Ecke, bangte sich unter der fremden Umgebung und weinte, als wollte ihm das kleine Herz brechen. Da ging Ivo leise zu ihr und legte sein Spielzeug in ihren Schoß. Das Geschenk hatte sie auch ein wenig getröstet, nicht sowohl wegen des närrischen Gesichtes, als deshalb, weil ihr die gute Meinung des Knaben wohltat, und die Mutter, welche von ihrem Ehrensitz die Kinder beobachtete, hatte genickt und dem Mädchen erlaubt, das Bild zu behalten. Heut, wo Ivo die Jungfrau in Tränen gesehen hatte, mußte er immer wieder an jenen Tag denken, an dem das fremde Kind mit seinen großen Augen so verstört zu den Füßen der Mutter gesessen hatte. Er fühlte ihr Leid mit wie damals als Knabe, und ihm war, als müßte er ihr etwas recht Gutes erweisen. Doch er selbst hatte ihr den Bruder aus dem Hause getrieben, und er hatte Schuld an den Tränen, die sie heut weinte. Vergebens spornte er sein Roß, um der schwächlichen Gedanken ledig zu werden.

Henner aber, der seinen Herrn nicht aus den Augen ließ, sprach bekümmert zu seinem Genossen Lutz: »Ich sorge um ihn, er ist triste und pensant, er sieht müde aus, er hat heimliche Maladey. Die Bärtigen und die Bauern haben ihm seine Kraft gemindert, und er wird sie jetzt mehr brauchen als zuvor. Denn wißt, Kumpan, wir sind seither fast nur gegen gute Gesellen geritten, die außer der Ehre nur den Ring begehrten. Jetzt kommen wir unter die Erzbischöflichen von Erfurt und werden mit den Grafen von[555] Gleichen und ihren Dienstmannen zusammenstoßen, von denen viele einen alten Groll gegen uns bewahren; harte Rennen stehen uns bevor, ungefüge Speere und böse Absicht, welche unserm Herrn den Mairitt verderben möchte. Strengt Euren Witz an, daß wir erfinden, was ihn wild macht, denn zu hurtigem Rennen gehört ein ganzer Mann und ein scharfer Wille, sonst helfen nicht starker Rücken, nicht feste Schenkel.«

»Ich habe ihm die zwei besten Pferde gespart«, tröstete der ruhige Lutz, »auf den Fuchs kann er sich verlassen.«

»Aber nicht auf sich selbst«, entgegnete Henner. – »Alle guten Geister, mir ahnte, daß uns Unheil bevorsteht. Dort hält der Rettbacher am Wege, der alte Rennteufel bringt uns heut in Not.«

»Er kommt nicht um zu stechen, er ist ganz allein.«

»Er kommt zu spähen und sinnt Arges. Reitet flugs zu den Knechten, welche die Pferde führen, und leidet nicht, daß er sich an die Tiere herandrängt.«

»Guten Tag, Henner«, grüßte der Rettbacher, ein stämmiger Mann mit einem Stiernacken, kurzem Oberleib und starken Schenkeln, der im Lande für einen der gewaltigsten Speerkämpfer galt und ein Schrecken in den Rennbahnen war, weil er sich wenig um die Ehre, aber sehr um die Kampfbeute kümmerte. »Ein schöner Zug«, fuhr er fort, »ich sehe viele Hufe, die Ihr dem Sieger als Preis gestellt habt. Wieviel mögen ihrer wohl sein?«

»Gewinnt den Preis, und Ihr könnt sie gemächlich zählen«, spottete Henner. »Doch ich sehe, daß Ihr ohne Speer kommt.«

»Vielleicht reite ich doch«, lachte der andere schlau.

»Dann rüstet Euch, wir haben nicht weit bis zur nächsten Raststelle.«

»Sie liegt einsam im Felde«, versetzte der Rettbacher. »Manchem wird lieber sein, vor einer großen Menge zu stechen. Auf der Heide könnte es dem Sieger schwer werden, Euch von den Rossen zu heben und aus den Rüstungen zu schälen.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Ihr Kobold?«

»Nichts gegen Eure Ehre, Henner. Doch Vorsicht ist gut. Nicht jedermann hat aus Eurer Aufforderung verstanden, ob auch die Rüstungen und Rosse der Dienstmannen in den Preis gestellt sind oder nur die des Herrn und seiner Knechte.«

»Nehmt an, daß der Sieger alles erhält, was unter dem Wappenzeichen unseres Hofes reitet.«

»Herr Ivo handelt immer großartig. Gebt Ihr die Beute selbst oder zahlt Ihr den Wert in Geld?«

»Wie dem Sieger beliebt«, antwortete Henner unwillig.

»Schätzt der Sieger nach eigenem Ermessen?«

»Ihr wißt ja selbst, daß er das Recht hat«, rief Henner noch zorniger.[556]

»So ist's in Ordnung«, bestätigte der andere und sah mit Luchsaugen auf die vorbeischreitenden Pferde. »Da ist ja auch der Fuchs«, sagte er nachdenklich und ritt heran.

»Zurück, Wilhelm, oder Euer Pferd macht einen Bocksprung ins Grüne«, rief Lutz, den Zudringlichen mit der Speerstange abtreibend, »wir leiden nicht, daß eine Bremse um die Ohren unserer Rosse summt.«

»Vorsicht ist immer gut«, wiederholte der Ritter, ungerührt durch den Verweis. »Die Zahl stimmt mit meiner Rechnung. Eure letzte Rast haltet Ihr ja wohl in Erfurt?«

»Habt Ihr gezählt? Dann beeilt Euch, heut die Beute heimzutreiben«, höhnte Henner, »denn morgen würde die Zahl nicht stimmen.«

»So?« brummte der Rettbacher, »ich verstehe, Ihr wollt heut noch in Euren Hof führen, was Ihr morgen nicht gebraucht.«

»Dürfen wir den Erfurtern weniger Pferde zeigen als den Bauern im Lande? Unser Herr denkt weit anders, wir hoffen, morgen mehr und Besseres zu weisen, als Ihr hier seht. Meint Ihr, daß wir unsere besten Pferde wie Roßtäuscher durch das Land führen?«

»Euer Fuchs ist doch hier«, bemerkte Rettbacher.

»Es ist wohl möglich, daß der morgen Ruhe hat. Den Stolz des Stalles hebt jeder für das Ende auf. Die vier Pferde, welche uns morgen zugeführt werden, findet Ihr nicht im Zuge.«

»Vier?« fragte der Schlaue. »Wir haben doch nichts von neuen Rennpferden bei Euch gehört.«

»Wir wissen einen Vorteil geheim zu bewahren«, versetzte Henner.

»Ihr seid nicht von gestern«, schloß der Rettbacher achtungsvoll. »Also vier? Gute Fahrt, Herr, vielleicht sehen wir uns wieder.« Und er trabte mit kurzem Gruß nach Erfurt zu.

»Was wollt ihr mit den vier Pferden?« fragte Lutz neugierig.

»Vielleicht meine ich die Gäule, welche uns den Hafer nach Erfurt schaffen«, lachte Henner. »Merkt auf, Lutz: er wollte heut abend gegen uns reiten, und es ist wohl möglich, daß unsere Feinde ihm allein die drei Speere gelassen hätten. Unser Herr aber darf heute diesem alten Stoßvogel nicht im Kampfe begegnen, sonst erleben wir Malheur. Über Nacht findet Ivo wohl sein Vertrauen wieder und morgen ist großes Gedränge, da muß der Habgierige sich mit einem Speer begnügen, deshalb habe ich ihm die Beute, die er sich bereits gezählt hat, so stattlich gemehrt.«

So geschah es. Der kluge Henner wußte bei dem letzten Rasten seinem Herrn leichten Kampf zu verschaffen, die Schwäche Ivos ging vorüber. Am nächsten Morgen freute sich der Marschalk über das Feuer, mit welchem er in den Sattel sprang, und über die Gewalt der Stöße, welche er austeilte.[557]

Quelle:
Gustav Freytag: Die Ahnen. München 1953, S. 532-558.
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