13.

[205] Riesengeschichte, oder kurzweilige und nützliche Historie vom König Eginhard aus Böhmen, wie er des Kaysers Otto Tochter aus dem Kloster bringen lassen, und hernach viel Unglück im Königreich Böhmen entstanden ist. Item wie die großen Riesen dasselbe Königreich überfallen, und was vor wundersamer Streit mit ihnen vorgegangen. Auch wie der Ritter Julius die königliche Tochter sich zu einem ehlichen Gemahl erworben, und durch seine ritterlichen Thaten endlich das Königreich an sich gebracht hat. Alles sehr nützlich und lehrreich beschrieben von Leopold Richtern, gebürtig zu Lambach in Oberösterreich. Gedruckt in diesem Jahr. Nürnberg.


Der Herausgeber sagt, er habe dieß Buch auf einer Reise in einem einsamen Schlößlein an der Nabe aufgefunden, und solches den ehrsamen Junggesellen, absonderlich aber dem tugendsamen Frauenzimmer zu Lieb an den Tag bringen wollen. Der Dichtung aber liegt eigentlich der folgende Vorgang aus der böhmischen Chronik zu Grunde:

Gegen das Jahr 1009 machte Herzog Ulrich sich einmal zur Sommerszeit[205] auf, und ritt in weiten Wald auf die Jagd; er kam zu fern von seinen Dienern, verirrte sich, band sein Roß an, stieg auf eine hohe Fichte, und ward auf einem Berge eines Schlosses gewahr. Er machte sich mit seinem Schwerdte Bahn bis zu ihm hin, und fand das Schloß unbewohnt, die Zugbrücken aufgezogen, stieg hinein, die Gewölbe waren mit Wein gefüllt, und in den Zimmern fanden sich viel Harnische und vermoderte Kleider. Als er nach Drschtka zurückkam, und sich darnach erkundigte, kannte niemand die Existenz des Schlosses, und da bat ihn einer seiner Diener, Namens Przym, um das Schloß, und er belehnte ihn damit, und es heißt Pzimda bis auf den heutigen Tag. Es hatte aber, wie die teutschen Chronicken sagen, diese Bewandtniß mit dem gefundnen Schloß: Heinrich der Erste regierte 920 und hatte eine schöne Tochter Helena, die Albertus, ein Graf von Altenburg, freyte; da aber Beider Stand zu ungleich war, verkaufte er seine Grafschaft dem Kaiser, und suchte in der Wildniß einen gelegenen Ort zur Ausführung seiner Pläne. Er kam an jene Stelle, ließ den Wald ausreutten, und das Schloß erbauen, das er dann auf viele Jahre proviantirte mit Nahrung, Gewehren und Geschoß. Dann berief er alle Arbeiter und ander Gesinde in eine Stube vor dem Schlosse, versperrte sie aufs härteste, und zündete das Gebäude an, daß sie Alle verbrannten, damit niemand von der Existenz des Schlosses etwas erführe. Er gieng dann wieder an Kaisers Hof, und diente wie zuvor. Bald entführte er mit ihrem Willen des Kaisers Tochter, sie saß hinter ihm auf sein Roß, und zusammen ritten sie in den Wäldern lange in der Irre, bis sie das Schloß endlich erblickten, da giengen sie hinein, und lebten miteinander in Freuden. Das geschah Anno 925. Nach fünf Jahren aber hielt der Kaiser Hof in Regensburg, er verirrte sich gleicherweise auf der Jagd bei einem Nebel, ritt eine Weile an einem Flüßchen aufwärts, und sah endlich ein Schloß auf einem Berge; er drang mit Mühe heran, und kam endlich gegen Abend vor das Thor. Er rief und schrie mit Macht, weil er in drei Tagen nichts gegessen, und vom kalten Regen schier naß geworden war. Helena wurde begierig wieder einen Menschen zu sehen, und lief heraus; sie beriethen sich unter einander, und endlich ließen sie den Bittenden herein, da sie ihn nicht kannten, weil er sich in den fünf Jahren Haar und Bart wachsen lassen. Er aber kannte sie wohl, und gab sich auf Befragen für einen Ritter von Hungarn aus. Helena fragte ihn um den Kayser, und er berichtete ihr, er sey seit einem Jahre schon gestorben; und als sie darüber ihre Freude bezeigte, fragte er: und wenn ihr den Kaiser löblicher Gedächtniß, sowohl in euerer Gewalt, als ihr mich habt, bekämet, wie wolltet ihr ihn aufnehmen? Dem antwortete sie: ich wollt es mit meinem Liebsten dahin bringen, daß er den Morgen nicht erleben sollt. Der Kaiser zog am Morgen ab, nahm Ort und Gelegenheit wahr, wurde in Regensburg mit Freuden empfangen, versammelte viel Volks, das er mit Holzäxten bewaffnete, ließ Wege durch den Wald hauen, rückte vors Schloß, und als der Graf hervorkam und nach dem Urheber des Getümmels fragte, ward ihm zur Antwort, der Kaiser welcher das Brod mit euch gessen, hat befohlen, daß wir euch und seiner Tochter auf Tod und Leben absagen sollen. Der Graf wehrte[206] sich, aber weil alle Armbruste vermodert waren, nur mit Steinen. Helena drohte sich zu ermorden. Der Kaiser ließ sich endlich besänftigen, als sie ihm selbst zu Fuße fielen und um Gnade baten; sie zogen mit gegen Regensburg, nachdem sie das Schloß beschlossen, das Frauenberg heißt, und das denn Ulrich in der Folge gefunden. Dies geschah 930. Böhmische Chronica Wenceslai Hagecii S. 131–133. Auch die Chronica Bohemiae von Peter Becklern, Frankf. 1695. erzählt Kap. 6 etwas abweichend die wunderliche Geschichte Herzog Brzetislai, Udalrici Sohn, welcher ein kaiserlich Fräulein, Juttam, aus dem Kloster zu Regensburg entführt, woraus ein weitaussehendes Kriegsfeuer mit dem Kaiser entstanden, so aber bald gedämpft worden. Aus dieser Tradition ist das gegenwärtige Volksbuch mit einigen Abänderungen geworden. Die Kaiserstochter heißt Adelheit, der Kaiser selbst Otto; an die Stelle des Grafen von Altenburg ist König Eginhard getreten, das Schloß heißt Schild heiß, und die Begebenheit ist insofern geändert, daß der Kaiser den König verjagt, daß er auf jenes Schloß sich zurück ziehen muß, wo er sie in der Folge findet, ohne sie zu erkennen, während die Tochter an seinem Wehrgehenke den Vater erkennt, und nun mit dem König bei Nacht ihm zu Füßen fällt. Das Abentheuer auf dem Schlosse, und die Riesengeschichten sind eingelegt. Diese Riesen, die angeblich im Lande Kalmukey und in der Tartarey wohnten, deren König Butschko ist, und unter denen vorzüglich der Riese Scharmack sich auszeichnete, in dessen Nacken alle Monathe drei Pfund Haare wachsen, deuten ebenfalls wieder nach der allgemeinen geographischen Fabelquelle hin. Das Ganze ist nicht ohne Geist, obgleich häufig mit vieler Nachlässigkeit geschrieben. Das Riesenwesen besonders ist recht gut dargestellt, insofern die Kraft in ihrem Uebermaße unter sich selbst erliegt, und als Plumpheit erscheint. Wenn das Buch von einem älteren Gedichte ausgegangen ist, dann würde dessen Verlust für die Kunst zu bedauern seyn.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 205-207.
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