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[230] Schöne anmuthige Historien von Marggraf Walthern, darinnen dessen Leben und Wandel, und was sich mit ihm zugetragen, dem Leser kürzlich vor[230] Augen gestellt wird. Aufs neue mit schönen Figuren gezieret und verbessert. Gedruckt in diesem Jahr.


In diesem Buche geht der Kreis von Romanen, der sich um den Octavianus hergruppirt, die man Intriguen-Romane nennen mögte, in den eigentlichen Liebesroman über, wie die zunächst folgende Magelone ihn ausgebildet zeigt. Es ist die bekannte Geschichte Walthers, der eine Bäuerinn zur Ehe nahm, und um ihre Ergebenheit zu prüfen, ihr in der Folge ihre Kinder entführen ließ, und sich sogar zum Scheine von ihr schied, bis endlich Alles, da sie treu, und demüthig und bescheiden blieb, sich zum Guten wendet. Gleich bescheiden, einfältig, arm und herzlich erzählt ist auch das Buch. Nur einmal, wo die Mißhandlung scheinbar auf das Höchste gestiegen ist, und der Marggraf ihr ihre eigene, aber unbekannte Tochter als seine Braut vorstellt, und sie um ihre Meinung fragt, antwortet sie: »Gnädiger Herr! ich glaube nicht, daß ein schöneres Weibsbild zu finden sey, als diese E. Gnaden Braut, und zukünftige Gemahlinn ist; ich hoffe auch, daß ihr innerlich Herz und Gemüthe werde[231] an Tugenden, Liebe und Treue der äußerlichen Schönheit gleichen, und demnach E. Gnaden mit ihr verhoffentlich eine liebliche, friedsame und gesegnete Ehe führen, welches ich euch von Grund meines Herzens und meiner Seelen wünsche. Doch will ich E. Gnaden zum fleißigsten gebeten und zum treulichsten ermahnet haben, er wolle diese schöne und tugendhafte Gemahlinn verschonen, und sie nicht mit so harten Proben ihrer Liebe, Treue und Gehorsams versuchen, noch mit so großem Herzeleid beschweren und kränken, wie er seine vorige Gemahlinn probiret und gekränket haben mögte. Denn dieweil diese viel zärtlicher und herrlicher erzogen ist, und von Creutz und Unglück weniger wissen mögte: als trag ich Sorge, sie mögte nicht mit gleicher Geduld und Beständigkeit ertragen können, was eine andere mögte erduldet haben.« – Das Buch soll sich übrigens auf eine wahre Geschichte gründen, und aus einem alten Manuscripte genommen seyn unter dem Titel: Le parement des Dames de la Bibliotheque de M. Foucault, und Griseldis soll dabei gegen 1025 gelebt haben. Auch Chronikschreiber der Zeit geben die Geschichte als wahr an, so Phillippo Foresti da Bergamo im Suplemente seiner Chronik, und erzählt die Begebenheit in seinem Werke de plurimis claris scelestisque mulieribus Cap. 145 weitläuftig. Das Volksbuch selbst, Abdruck eines älteren teutschen Werkes, kömmt bei nahe wörtlich mit der gleichnamigen Novelle des Boccaz überein, die Petrarca in's Lateinische übersezt, und die man selbst auch in octave rime geschrieben, und um 1395 sogar unter dem Titel: Le mystère de Griseldis marquise de saluces, auf's Theater gebracht hat. Beigefügt ist noch: Eine schöne Historia von des Fürsten zu Salerno schönen Tochter Gismunda, – gleichfalls eine Novelle des Boccaz, die Pietro Arretino und Andere ebenfalls für eine wahre Geschichte ausgeben, rührend und betrübt. Endlich noch einige kleine Historien aus der Geschichte, – Alles um daraus zu sehen, was rechte Liebe kann, auch was es oft für einen Ausgang zu gewinnen pflegt, und daß Eltern nicht allezeit geschwind fahren sollen, herzliche Liebe zu trennen. Auch im Holländischen ist dies Buch nebst der Helena Volksbuch geworden, und ist unter dem Titel im Umlauf: De vrouwe peirle ofte dry voudige historie van helena de verduldige, griseldis de zagtmoedige, Florentina de Getrouwe. Antwerpen by J.A. Heiliger 1621.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 230-232.
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