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[245] Das lustige und lächerliche Lalenbuch, das ist: wunderseltsame, abentheuerliche, unerhörte, und bisher unbeschriebene Geschichten und Thaten der Lalen zu Lalenburg in Misnopotamien hinter Utopia gelegen. Durch M. Aleph, Beth, Gimel, der Vestung Ypsilonburger Ammtmann. Letzterer Druck, so mit Figuren vermehret ist.

Genauer Abdruck einer ältern Schrift unter dem Titel:

Die Schiltbürger, wunderseltsame u.s.w. itzundt also frisch, manniglichen zu ehrlicher Zeitverkürzung aus unbekannten Authoren zusammengetragen, und aus utopischer auch Rothwelscher in teutsche Sprache gesetzt, Durch u.s.w.

Die Buchstaben so zu viel sindt

Nimb aus, wirf sie hinweg geschwindt

Und was dir bleibt, setz recht zusammen,

So hastu des Authors Namen.

Gedruckt in Verlegung des Authors der Festung Misnopotamia 1598.

Sieben Jahre nachher erschien:

Grillenvertreiber, das ist: Neuwe, wunderbarliche Historien, selzame abentheuerliche Geschichten, kauderwelsche Rathschläge und Bedenken, so wohl von den witzenburgischen als auch calecutschen Commissarien und Parlamentsherren unterschiedlich vorgenommen, beschlossen und ins Werk gesetzt. Erstlich in zwei Bücher verfaßt, an Tag geben durch Conradum Agyrtam von Bellemont. Francfurt am Mayn.


Das erste Buch dieser neuen Ausgabe ist beinahe ganz mit dem Vorigen und dem Volksbuche eins, nur im Einzelnen mehr gereinigt für die feinere Gesellschaft. So fehlen dort die Zothenräthsel, die die Bauern vor dem Kaiser sich aufgeben, an deren Stelle singen sie hier Lieder: dagegen ist hinzugekommen der gange Prozeß der beiden Witzenbürger, die sich geschlagen hatten, und einige andere Schwänke. Die Vorrede der vorigen Ausgabe findet ferner sich hier in ein zweites Buch verarbeitet, worin im Ganzen der Witz nicht schlechterer Art als im Ersten ist. Ein später hinzugekommenes drittes Buch ist aber ganz elend, und ohne Zweifel nicht von dem nämlichen Verfasser.

Das Ganze ist unendlich meisterhaft und vollendet in seiner Art, wie der Don Quixotte des Cervantes, immer in gleich trefflicher Haltung fortschwebend, und in dieser Haltung mit wahrer Virtuosität durchgeführt, was gerade bei comischen Werken am häufigsten fehlt. Der Witz, der durch das Werk durchschillert, ist köstliche, treffende Ironie, die unmittelbar in den Kaiser von Utopia sich eingestaltet hat, und nun das seltsame, wunderliche, ungeschickte Volk in seiner ganzen Objectivität sich entwickeln läßt. Die seltsame, aberwitzige Klugheit, in der die Schildbürger characterisirt erscheinen, ist durchaus[245] reiner, höher, gediegener als der Volkscharacter im Eulenspiegel; Jener bewegt sich in minder engen Schranken, und zeigt daher nicht die Monotonie wie Dieser, sondern entwickelt sich in bunter Fülle immer sich gleich bleibend, und doch in den mannigfaltigsten Lichtern spielend und wechselnd. Selten streift er an die Zote, ob er gleich dem derben Geist der Zeit entsprechend, sie auf keine Weiße scheut, öfter erhebt er beinahe sich zum Humor. Der Schwank mit dem Salzsäen, der ganze Imbiß des Kaisers bey den Witzenbürgern und seine frühere Bewillkommnung, die Hochzeit, die der Sauhirt seinem Sohne ausrichtet, das Verstecken der Glocken im See, das Abentheuer mit dem Krebse und dem Maushund in dem ersten Buche, dann das Lochausgraben, die Reise der drei Abgesandten nach Witzenburg, so wie die ganze Verhandlung über das fehlende Rad und den Deichsel, und des Schlottfegers Expedition, um sie in der Stadt zu holen, im Zweiten, gehören zum Trefflichsten, was Witz und Ironie irgend producirten. Dabei ist Alles in einem und demselben Geist empfangen, und daher wie in einem Guß gegossen, selten nur verliert sich der reiche Fluß in allgemeine leere Weitschweifigkeit. Es ist erfreulich, daß das meisterhafte Werk, das die höhere Literatur unverdient der Vergessenheit übergeben, sich darum nicht hat umbringen lassen, sondern fortdauernd unter dem Volke sich erhalten hat, und wenn es auch dort als Ganzes wieder zu verlieren sich anfängt, doch in die Masse eingedrungen in der Tradition fortlebt. Was Tieck in seinen Schildbürgern wieder in die höheren Kreise zurückgeführt hat, ist nur der kleinste Theil des Ganzen, weil er wahrscheinlich das vollständige Werk nicht kannte, überdem ist auch die neuere Sprache nicht so dem Geiste des Werks zusprechend, wie die Alte, sorglose, breite, treuherzige, in der es geschrieben ist, und in der es sich daher weit besser liest. Es wäre wohlgethan, wenn irgend jemand das ganze Werk mit wenigen leichten Veränderungen in seiner ursprünglichen Form und in der alten Sprache herausgeben wollte; es würde gewiß den allgemeinen Beifall wieder gewinnen, den es zugleich als einer der ältesten teutschen komischen Romane verdient. Es mögte leicht übrigens zum Theil aus einem der früheren sogenannten Narrenbücher ausgegangen seyn.

Quelle:
Joseph Görres: Die teutschen Volksbücher, in: Joseph Görres, Gesammelte Schriften, Band 3: Geistesgeschichtliche und literarische Schriften I (1803–1808). Köln 1926, S. 245-246.
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