An die Frau von Breszlerin, geb. von Wirth

[85] Ist Gott ein Wesen, das uns liebet,

So wie ich überwiesen bin,

Und nicht aus Scherz und Eigensinn

Verfolgung, Trost und Warnung giebet,

Ist, sag ich, Gott ein Menschenfreund,

So wird er mir auch Licht gewähren

Und endlich auch den ärgsten Feind

Auf dieses mein Gebeth bekehren.

Die Rachgier, so mich treibt, ist, daß ich sehnlich fleh,

Daß Welt und Neid einmahl mein ehrlich Herze seh.


Frau, deren Geist und seltne Gaben

An Neigung, Lust und hoher Kraft

Zu jeder klugen Wißenschaft

Gar wenig ihres gleichen haben,

Versichre dich der Danckbarkeit

Der elternlosen Pierinnen,

Dein Nachruhm soll von Zeit zu Zeit

Durch ihre Lieder Glanz gewinnen.

Die Misgunst lacht dazu, allein die Warheit spricht:

Dein groß Verdienst beseelt, was meiner Kunst gebricht.


Es spiegelt sich in deiner Hülfe

Das Herz der Tochter Pharao;

Der Vorwiz fragt: Warum denn so?

Du bist ja wohl kein Kind im Schilfe.

Ja wohl, die Größe der Gefahr

Bedarf wie Moses gütger Armen;

Ich lag und liege ganz und gar,

Du hast ein gnädiges Erbarmen;

Ich weine, du erhörst und ziehst mich starck und bald,

Und mitten in der Flucht bekomm ich Aufenthalt.
[86]

So scharf ich mich in Thränen gräme,

So ängstlich ich verlaßen bin,

So wenig schäzt ich den Gewinn,

Wofern er jezt von dir nicht käme;

Dein Ansehn giebt allein den Werth,

Wornach ich Huld und Gaben schäze.

Ich habe mich vorlängst erklärt,

Daß nichts mein Herz in Unruh seze

Als dieses, daß ich nicht aus Armuth zeigen kan,

Ich seh mehr die Person als Werck und Zuwurf an.


Ich habe freilich Jugendsünden;

Wer ist wohl bey viel Thoren klug?

Doch bin ich auch gestraft genug;

Die Beßrung kan Vergebung finden.

Die Neider wiegeln alles auf,

Das Unglück will mit Tagen steigen,

Ich las ihm, wie ich muß, den Lauf

Und will nur bey Bekehrung schweigen.

Der Cörper ist geschwächt, die Jugend schiest dahin;

Was schadet's, wenn ich nur im Alter ruhig bin?


Die Vorsicht, theure Mariane,

Beschüze dein geseegnet Haus,

Sie zürne nach den Wellen aus

Und führ auch dich die gleichste Bahne.

Dein groß- und würdiger Gemahl,

Den Ämter, Stand und Klugheit küßen,

Wird in der weisen Väter Zahl

Sein Glücke selbst zu mehren wißen,

Nachdem man überall, so viel ich schon gehört,

Den Nahmen seines Ruhms mit Lob und Warheit ehrt.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 3, Leipzig 1934, S. 85-87.
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