An Gott

[132] Was kan ich armer Mensch davor,

Wenn Noth und Angst zur Sünde zwingen?

Herr, neige dein gerechtes Ohr,

Ich will ein kleines Opfer bringen.

Es blutet weder Schaaf noch Rind,

Ich habe Weihrauch angezündt,

Nicht Weihrauch, den die Bäume schwizen:

Ein ängstlich Herz und treu Gebeth,

Du hast es ja noch nie verschmäht,

Soll wider Zorn und Rache schüzen.


Die Größe deiner Majestät

Erkenn ich aus den kleinsten Dingen;

Dein Arm, der über alles geht,

Kan Waßer aus den Felsen zwingen;

Du sprichst ein Wort, so wird es Licht;

Bedroh das Meer, es regt sich nicht;

Befiehl, so wird die Fluth zu Flammen;

Du winckst, so steht der Sonnen Lauf,

So thun sich Tief und Abgrund auf

Und werfen Erd und Stern zusammen.


Du zürntest ehmahls, großer Gott,

Da wuchs das Waßer über Berge,

Der Starcken Hochmuth war dein Spott,

Auch Riesen fielen durch die Zwerge;

Egypten trozt und stärckt sein Heer,

Ein Stock verjagt es in das Meer,

Da schwamm Volck, König, Roß und Wagen;

Der Wind bringt Fleisch, die Wüsten Brodt;

Manaße fällt, du schickst ihm Noth,

Er weint, du änderst Kett- und Klagen.


Dein Nahm und Weg ist wunderlich,

Du wirst auch mir zu helfen wißen;[133]

Ich hof, ich trau dir, zeige dich,

Mein Lästrer wird sich schämen müßen.

Kein Unglück schlägt die Zuversicht,

Du kanst, du must, du läst mich nicht,

Die Büß ist hier, der Trost schwebt oben.

Kein menschlich Ansehn hebt die Pein;

Getrost, mein Herz, so muß es seyn,

Wir sollen blos den Höchsten loben.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Leipzig 1931, S. 132-134.
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