7. Scene.


[53] Loni. Lehnl.


LEHNL. Kannst jetzt für den Buab'n gar kein freundlich's Wört'l find'n?

LONI. Laß mir mein' Ruh' und fang' net wieder von dem Leimsieder an. Du kannst viel zu mir sag'n – wenn du aber sonst nix z' red'n weißt, nachher kannst mi fuchtig mach'n.

LEHNL. I thu's doch net, um di z' ärgern, im Gegentheil, i thu's ja nur, weil i dir's gut mein'!

LONI. Was du net sagst.

LEHNL. Laß doch die dalket'n Kübeln amal in Ruh'; setz' di her zu mir, i will a g'scheidt's Wört'l mit dir disk'rir'n.

LONI. Red' nur zu, i hör' so auch.

LEHNL. Sixt – gestern, wie dem Muckl sein Vater um di ang'halt'n hat, is mir völlig Angst 'word'n, du könnt'st »ja« sag'n. Der Muckl is a guter Kerl – das heißt, wenn er mag – aber wenn du ihn auch gern g'habt hätt'st, ihr hättet doch net z'samm'paßt. Er is a Mensch, der 's Leb'n nimmt, wie d' Sennerin den Rahm – von oben weg. Bei dir is die G'schicht' ganz anders, und zwei Leut', die in der Art verschied'n sind, die paß'n[54] niemals net z'samm'. Der einzige – nimm mir's net übel, daß i wieder davon anfang' – der einzige, der in der Art zu dir paßt, das is und bleibt der Pauli. Schau', Loni, du mußt blos denk'n, wen du auf der Welt noch hast. Dein' Pflegmutter liegt schon unter der Erd'n und dein Pflegvater is auch schon a alter Kerl. I will g'wiß nix berus'n, aber man weiß halt doch net, was heut' oder morg'n g'scheh'n kann.

LONI. Warum fahrst jetzt da so lang 'rum im Nebel. Sag' doch kurz, du hast kein' Mensch'n auf der Welt, von dem du sag'n könnt'st, er g'hört zu dir und du zu ihm. Schau', i hab' selber schon öfters über dem Pauli seiner Lieb' nach'denkt. Und wenn's mir dann in Sinn' kommt, wie verlass'n i auf der Welt bin, da thut's mir wohl, wenn i mir sag'n kann, es gibt an Mensch'n, von dem i weiß, i bin sein ganz' Denk'n, i bin sein Alles. Aber wenn i nachher den Pauli wieder anschau', wie er is und wie er thut, dann muß i mir sag'n, i kann ihn net mög'n, i kann net.

LEHNL. Wenn ihn nur i heirat'n könnt'!

LONI setzt sich zu Lehnl auf die Bank neben dem Brunnen. Mein Pflegvater hat g'wiß viel für mi 'than, i hab' ihn auch ganz gern, aber die rechte Lieb', wie man's zu ei'm Vater hab'n soll, is das halt doch net. Wenn i mir das alles sag', dann spür i's recht schwer, daß i so gar kein' Mensch'n hab' auf der Welt, den i so recht von Herz'n[55] lieb hab'n kann. Sixt, in ei'm solch'n Aug'nblick, da steigt's mir heiß auf, und i kann die Stund' nur verfluch'n, in der meine recht'n Eltern mi der Gnad' und Barmherzigkeit von fremd'n Leut'n überlass'n hab'n.

LEHNL. Weißt denn auch g'wiß, ob's kein' Sünd' is, wenn du so von deinen Eltern red'st?

LONI. Sixt, Lehnl – in mei'm Herz'n, da is mir g'rad, als wär' a Kammerl drin, das mir unser Herrgott ganz extra für d' Eltern g'schaff'n hat. Und wie weh' mir's thut, daß die Kammer leer 'blieb'n is, das kann kei'm Mensch'n sag'n. I hab' keine Eltern und hab' doch a Herz dafür und mir will's net in' Sinn, daß es Leut' geb'n soll, die a Kind hab'n und kein' Lieb' dazu, die's weggeb'n können in Gleichmut oder gar in Haß.

LEHNL. Wer sagt dir denn g'wiß, daß es so is?

LONI. Wie könnt's denn anders sein? O ja – ein's könnt' i mir noch denk'n, daß i a Mutter g'habt hab, di mi wegg'legt hat aus Angst vor der Schand', daß sie Mutter word'n is. O hätt's mi b'halt'n! Mein' Lieb' hätt' ihr müss'n alles vergess'n lass'n, die Treulosigkeit von ihrem Schatz und 's Achselzuck'n von den andern Mensch'n.

LEHNL nach kurzer Pause. Sag' amal, Deandl, wie's kommt, daß du, wenn du von deinen Leut'n red'st, blos all'weil die schlecht'n Seit'n anführst und nie a gute.[56]

LONI. Wüßtest du da eine z'find'n?

LEHNL. Denk' amal, sie hätt'n Unglück g'habt und wär'n so recht im Elend g'steckt, daß gar net g'wußt hätt'n, wie sich von ei'm Tag auf den andern durchbring'n; kannst dir jetzt da gar net denk'n, daß deine Leut' di g'rad deßweg'n, weil's di so gern g'habt, fortgeb'n hab'n unter Kummer und Herzleid, blos damit's dir besser geh'n sollt' im Leb'n.

LONI. Jetzt so a Lieb', die will mir net recht in' Kopf; i mein' d' Lieb' müßt' b'sitz'n, d' Lieb' müßt' hab'n; man sagt doch net umsonst: lieb hab'n.

LEHNL. O mein Deand'l, Lieb' und Lieb' is zweierlei. Es gibt auf der Welt gar verschiedene Lieb'n, aber die richtigste und die wahrste is halt doch blos d' Elternlieb', weil sie die einzige is, die all'weil gibt und niemals nimmt und nehmen will. A Bua, wenn er di noch so gern hat, wenn er sich dir ganz z'eig'n gibt, warum thut er's – Narr weil er di dafür will. Aber was kann a Kind sei'm Vater oder seiner Mutter geb'n? Wenn's brav is, hab'n die alt'n Leut' a Freud', es is schon wahr – wenn's Kind die alt'n Leut' recht lieb hat, wenn sie's hegt und pflegt, wie's im viert'n Gebot steht, es thut ihnen wohl – aber 's Rechte und 's Ganze is das noch all'weil net. Die größte Freud', die man an Kindern erleb'n kann, das is, wenn's glücklich[57] werd'n. 's Glück von den Kindern is d' Seligkeit von den Eltern.

LONI. Ja, Lehnl, i schau' nur g'rad und frag' mi, wo bei dir das alles herkommt. So kann a Mensch net red'n von der Lieb', wenn er's net selber g'spürt hat.

LEHNL. No mein, freilich hab' i's g'spürt.

LONI. Was du sagst, 's erste Wörtl'l, seit i di kenn'.

LEHNL. Was hätt' i auch für an Grund g'habt zum Red'n?

LONI. Wenn auch sonst kein', doch wenigstens den, den i hab', wenn i dir mein Herz ausschütt' – daß es leichter wird.

LEHNL. Du mein Gott, was wär' auch am End' an der G'schicht' z' erzähl'n. So 'was kommt alle Tag' vor. Gern hab'n wir uns g'habt, 's Mad'l und i; aber g'habt hab'n wir alle zwei nix und d'rum haben's dem Deand'l seine Leut' auch net zug'lass'n, daß wir Hochzeit g'macht hab'n. 's Deand'l war a folgsam's Kind, so hab'n wir halt g'wart', bis die Alt'n g'storb'n sind. Es hat a bisl lang dauert, i war schon in die vierzig und 's Mad'l net weit vom Dreiß'ger. In der Früh' sind wir copulirt word'n und am Nachmittag bin i in's Holz'n 'gang'n und mein jung's Weib auf d'Alm. Aber wir hab'n uns gern g'habt und war'n z'fried'n, wenn's gleich oft[58] 'kommen is, daß wir bloß über'n andern Tag warm 'gess'n hab'n. Zur richtig'n Zeit war auch a Kind da. Jetzt hat 's Unglück ang'fang'n. Mein Weib hat sich nimmer erholt und net lang hat's 'dauert – da hat man 's ein'grab'n. – Mi hat's an dem Ort nimmer g'litt'n, vom arbeit'n war kein' Red' mehr, jed'n Tag hat's mi an's Grab 'trieb'n – und i hab' doch 'was verdienen müß'n, schau', schon weg'n dem Kind. – So bin i halt amal fort, es war a eisig kalter Wintertag – 's Kleine am Arm – da bin i in d' Nacht 'nein'kommen – 's Kind hat 's Wimmern ang'fangt, daß i g'meint hab', es zerreißt mir 's Herz, meine eig'nen Kräft' hab'n mi verlass'n – und wie 's wieder Morg'n 'word'n is – hab' i kein Kind mehr g'habt.

LONI. Is g'storb'n in der Nacht?

LEHNL. G'storb'n – ja – g'storb'n!

LONI. Arm's Würmerl! Auffahrend. Lehnl! Aus jedem Wort, was du da g'red't hast, hört man den Kummer und den Schmerz um deine verlornen Lieb'n. Und wenn i bedenk' wie lieb und gut du mit mir schon bist, wie gern mußt du erst dein eig'nes Kind g'habt hab'n. Lehnl, red' – sag' mir, hätt'st du dein Kind weggeb'n können? Sag' »ja« und i kann vielleicht den Groll und den Haß geg'n meine Eltern erstick'n, der mir so schwer am Herz'n liegt.[59]

LEHNL. Deand'l, das is a schwere Frag'; i kann net »na« sag'n und i will's auch net. Aber ein's weiß i g'wiß, wenn i in jener Nacht mein Kind unserm Herrgott anvertraut und brav'n Leut'n vor die Thür' g'legt hätt' – und wenn i's auch net hab'n könnt' und dürft' net zu ihm sag'n »mein Kind« – es wär' a Trost für mi, wenn i wüßt', daß es jetzt besser d'ran is, als es je bei mir hätt' hab'n können.

LONI. I dank' dir, Lehnl, für das Wort!

LEHNL. Wenn's di tröst'n kann, soll mir's wohl thun! Jetzt sag' i dir halt gut' Nacht und wenn du di niederlegst und kannst net gleich einschlaf'n, so denk' halt a wen'g nach über das, was i dir g'sagt hab'. Gut' Nacht! Geht nach der Hütte ab. Eine leise Musik setzt ein.

LONI. Gut' Nacht, Lehnl! Sie blickt ihm nach, bis er durch die Thüre des Heuschuppens verschwunden ist. I hab' den Alt'n schon all'weil recht gern g'habt. Aber seit i weiß, daß er g'rad so verlass'n und allein auf der Welt is, wie i, seit der Stund' kommt's mir vor, als ob i ihn noch so gern hätt'. Seine Red'n hab'n mir so wohl 'than und mir is jetzt so leicht wie damals, wo i als a ganz jung's Deand'l zum erst'n Mal beicht'n g'wes'n bin. I kann's gar net begreif'n, wie i all'weil so sündhaft von meine Eltern hab' red'n mög'n. Freilich, hab'n 's mit net fortg'stoß'n von ihrem Herz'n, weg'geb'n an fremde Leut'?[60] Mög'n sie's jetzt 'than hab'n aus Lieb' oder aus Haß, das macht an dem, was g'scheh'n is, nix besser und nix schlechter. In Gott's Namen, unser Hergott wird's wiss'n und wird's schon recht mach'n. I werd' mi jetzt auch schlaf'n leg'n – aber ein's will i zuvor noch thun, was mir bis heut' noch nie eing'fall'n is: für meine recht'n Eltern will i 's erste Vaterunser bet'n. Ab nach der Hütte.


Quelle:
Ludwig Ganghofer und Hans Neuert: Der Herrgottschnitzer von Ammergau. Augsburg 21880, S. 53-61.
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