[3]

Erster Aufzug.

CHOR DER BRAMINEN UND BAJADEREN.

Kalt und starr, doch majestätisch

Auf der Bahre liegt der Rajah,

Und die Augen, fest geschlossen,

Und das Schweigen seines Mundes

Geben kund,

Daß der Sohn von India

Seiner Tage letzten sah.

CHOR DER BAJADEREN.

Nach dem Sonnenbrand erfrischend

Holde Quellen lieblich tönen,

Doch sein Ohr vernimmt sie nicht,

Frühling geht mit seinen Rosen,

Herbst mit seiner Pracht vorüber,

Doch sein Auge sieht sie nicht.

DANDAU.

Brama nahm ihn von der Erde,

Doch sein Geist, gehüllt in Nacht,

Irret an dem Saum der Himmel

Unstät trauernd

Hin und her.[3]

GROßER CHOR.

Pforten des Lichtes

Verschlossen für ihn!

Thäler der Erde

Verblühet für ihn!

SOLO.

Von den Engeln,

Von den Menschen,

Gleich geschieden,

Weint er in Qualen der Einsamkeit,

Findet nimmer, nimmer Ruh. –

GROßER CHOR.

Bis der Holzstoß wird errichtet,

Bis das göttergleiche Weib

Auf das Leben kühn verzichtet,

Opfernd ihren süßen Leib.

ERSTE UND ZWEITE BAJADERE.

Seele des Gatten,

Dir nahet Erlösung,

Schwächen des Alters

Streifest du ab;

Schwebst in der Jugend

Blühender Schöne,

Wie ein Bräut'gam entgegen der Braut.

GROßER CHOR.

Laßt uns Brama, Brama loben,

Unsern hehren, starken Gott.[4]

SOLO.

Ist das Irdische verzehrt,

Leben durch den Tod verklärt,

Schwinget sich der Geist nach oben,

Von dem Feuer unversehrt.

GROßER CHOR.

Laßt uns Brama, Brama loben! etc.

Recitativ.


DANDAU.

Du hast dem Opfer Dich entzogen.

NADORI.

Still lag ich an des Seees Fluthen,

Den ihr den heil'gen nennt und las im Veda,

Viel schwere Pflichten übet der Bramin,

Die schwersten aber ruhen auf der Sekte,

Zu der ich selbst gehöre,

Gezwungen nur, ach, nicht durch meine Wahl.

DANDAU.

Entrückt den irdischen Genüssen,

Vernahmst Du früh der Geister Gruß.

Des Lebens Tand, der Frauen eitle Schöne

Lag fern von jener Welt,

Die Dich umfing in stillen Tempelhallen.

Heut waffne Dich mit Ernst und mit Entsagung

Du sollst zum ersten Mal ins Leben treten.

NADORI.

Was sagst Du? in das Leben![5]

DANDAU.

Gestorben ist der Rajah.

Ihm folgend muß, nach altem Brauche,

Die Gattin sich ins Grab der Flamme stürzen;

Geh' denn zu ihr, Tod kündend.

Doch zuvor.

Vernimm der Warnung Stimme.

NADORI.

Ich lernte früh schon zu gehorchen.

Soll ewig, wie des Donners Hallen,

Sein Herrscherwort ins Ohr mir dringen.

Duett.


DANDAU.

Aus dieses Tempels heil'gen Mauern,

O Jüngling, ruft Dich heut die Pflicht.

NADORI.

Sie ruft! ich seh' in Freudenschauern

Den Strahl, der hell durch Wollen bricht.

DANDAU.

Du mußt an grünen Lebensauen

Gesenkten Blick's vorübergehn.

NADORI.

So darf ich nicht die Blüthen schauen,

Die glänzend mir entgegen wehn.

BEIDE.

Wer Brama's Dienste sich ergeben,

Bekämpft den Feind in eigner Brust,

Es stirbt der Leib, der Geist wird leben,

Nach Erbenschmerz in Himmelslust.[6]

DANDAU.

Hast Du den Auftrag ernst vollzogen,

Zum Tempel kehre schnell zurück.

NADORI.

Auf Erdenglanz und Lebenswogen

Nur einen einz'gen flücht'gen Blick!

DANDAU.

Den Priestern, die die Gottheit ehren,

Bringt Frauenschöne nicht Gefahr.

NADORI.

Es standen selbst die Bajaderen

Verhüllt am flammenden Altar.

BEIDE.

Den Trieb der Erde zu bekriegen;

Mit Geiseln schlage Deine / schlag ich meine Brust.

Erliegt der Leib, der Geist wird siegen,

Durch Schmerz verklärt zu Himmelslust.

DANDAU.

Geh' denn, des Todes heil'ger Schauer

Begleite, Priester, Deinen Schritt!

NADORI.

Gleich Schatten ziehn die stumme Trauer,

Der Schrecken und der Wahnsinn mit.

DANDAU.

Sobald der Todesbot' erschienen,

Schnell stürzt das Leben in das Grab.

NADORI.

Ich höre, seh', es mäh'n Braminen

Der Erde Blumen lächelnd ab.[7]

BEIDE.

Wir / Sie schleudern aus dem Schoos der Nächte,

In unsrer / ihrer Macht zu unserm / ihren Ruhm,

Fluch oder Segen auf Geschlechte;

Es blüht / blüht es herrscht / herrscht das Priesterthum.

Recitativ.


DANDAU.

Was bringst Du?

OFFIZIER.

Herr, eine wicht'ge Kunde!

Wir schauten von den Höhen

Herab auf die verhaßten Fremdlinge,

Die, von dem Abend hergekommen,

Uns seit zwei Monden schon bekriegen.

Erregt von ungewöhnlicher Bewegung

Ist ihr ganzes Lager!

Auch drang zu unsern Ohren das Gerücht,

Ein hoher Krieger sey dort angelanget

Mit neuer Mannschaft, und es solle

Die Stadt mit Sturm erobert werden,

Sobald zu Ende geht die Waffenruhe.

DANDAU.

Sie mögen nah'n, ihr Grab zu finden.

[8] Arie mit Chor.


DANDAU.

Der auf Morgen – Abendgluthen

Herrlich seinen Thron gebaut,

Auf bewegte Volkesfluthen,

Wie das Licht auf Nächte schaut,

Herrscher in der Völkerschlacht,

Schütze deiner Diener Macht.

CHOR.

Herrscher in der Völkerschlacht,

Schütze deiner Diener Macht!

DANDAU.

Rollt dein majestätisch: »Werde!«

Steigen Welten aus der Nacht;

Zürnest du, vergeht die Erde

Schrecklich in des Feuers Pracht.

Schleudre aus dem Wolkensitz

Auf des Landes Feind den Blitz!

CHOR.

Schleudre aus dem Wolkensitz

Auf des Landes Feind den Blitz!

DANDAU.

Felsenschlünde darfst du spalten,

Und begraben ist sein Heer;

Sende deines Sturms Gewalten,

Und die Flotten sind nicht mehr,

Und der Sieger stolzes Lied

Fröhlich zu dem Himmel zieht.[9]

CHOR.

Kühner Sieger stolzes Lied

Fröhlich zu dem Himmel zieht.

Recitativ.


JESSONDA.

O Schwester, stille deine Thänen,

Du siehst mich ruhig, sey es auch;

Wohl bin ich jung, doch Alle sagen,

Ich müsse sterben, weil mein Gatte starb.

Sie küssen das Gewand der Gottgeweihten

Und bringen heil'ges Rauchwerk mir,

Es in die Glut zu werfen,

Die mich verzehren soll am nächsten Morgen.

AMAZILI.

O daß um zeitlichen Gewinn

Der Vater mit uns zog nach dieser Küste,

Wo harte Menschen wohnen,

Und finstre Bräuche schrecklich walten!

Ich schied von meinen Blumen,

Dich trennten sie von einem theuern Freund.

JESSONDA.

Du hebst den Schleier

Von meiner Jugend goldnen Bildern,

Und weinend drück ich sie an meinen Busen.

Vernimm, was Dir die Sterbende vertraut;

An jenes greisen Rajah Seite,

Als seine Tochter hab' ich nur gelebt,

Bin meiner ersten Liebe treu geblieben.

Sprich mir von ihm, der unter Palmen[10]

Im Land der Heimath mir begegnet,

Mir fremd und doch so innig mir befreundet.

AMAZILI.

Gekommen war er über Meereswogen

Mit Kriegesschaaren.

Wie seines Auges Strahl dich grüßte,

Sah' ich Dich still erröthen.

Noch halb ein Kind, nicht kannt' ich Liebe,

Doch fühlt' ich, Du warst glücklich!

Daß dieses Glück so schnell verblühte!

Der Vater, fürchtend jene fremden Männer,

Verbarg den Tag der Abfahrt Deinem Freunde,

Und nie sahst Du ihn wieder.

JESSONDA.

Nie wieder! nie wieder!

Recitativ.


JESSONDA.

Als in mitternächt'ger Stunde

Von der Heimath ich geschieden,

Stand ich weinend auf dem Schiff,

Und die Wellen und die Winde

Nahmen meine Grüße mit.

Als darauf im Morgengold

Einmal noch die Küste glänzte,

Wie zog michs zurück

Zu ihm, zu ihm!

Doch fern und ferner

Versank das Gestad',[11]

Die Wellen sangen,

Die Stürme braus'ten,

Nie siehst Du ihn mehr!

Und ich schwebt' auf hoher See,

In der Brust das tiefe Weh.

Arie.


Die ihr Fühlende betrübet,

Kennet ihr die stumme Pein,

Von dem Freunde treu geliebet,

Doch – von ihm getrennt zu seyn?

Durch des Himmels weite Räume

Meine Liebe sehnend ging,

Nieder thauten Wehmuthsträume,

Wenn der Schlummer mich umfing.

Jahre kamen und vergingen,

Stiller, heil'ger ich empfand,

Und das Herz erhob die Schwingen

Zu des Friedens goldnem Land.

Bald bin ich ein Geist geworden,

Reiner Aether mich umwallt,

Und in himmlischen Akkorden

Segen auf mich niederschallt.

Recitativ.


AMAZILI.

Erhaben ist's, so still zu leiden,

Doch menschlich um die Leidende zu trauern.

Heut Nacht, als auf einsamen Lager

Der Schlaf mich floh,

Kam mir ein Strahl der Hoffnung.[12]

Bald ist die Waffenruh geendet,

Und Portugiesen, Männer jenes Volks,

Zu dem Dein Freund gehörte,

Steh'n vor den Thoren,

Den sanftern Gott verkündend,

Erklären sie der Frauen Opfertod für Frevel,

Wenn sie erführen, was Dir droht –

JESSONDA.

Die Ruh' der Waffen dauert noch zwei Tage,

Indeß erfüllet sich mein Loos.

DIENERINNEN DER JESSONDA.

Der Todesbote!

AMAZILI.

Der Todesbote – o weh!

JESSONDA.

Fasse Dich!

Nach altem Brauch wird er erscheinen;

Wild tanzen Bajaderen vor ihm her, –

Laß uns mit festem Sinn und großem Herzen

Dem Unvermeidlichen begegnen.

Finale.


NADORI.

So wie das Rohr zerbrach,

Das Leinentuch zerriß,

Der Flamme Licht verging,

Vergeh' nach heil'gem Brauch,

Dein Leben auch,

Sobald aus Meeresfluthen

Der nächste Morgen steigt,

Sollst Du in Feuersgluthen –[13]

AMAZILI.

Der wilde Redner schweigt.

JESSONDA.

Soll ich in Feuersgluthen –

AMAZILI.

Ob Mitleid ihn erweicht?

NADORI.

Das, das ist Frauenschöne,

Die nie gesehene!

Heil mir! – nein, weh mir! weh!

Sie lockt wie Silbertöne,

Sie flammt wie Blitzesmacht.

Bin ich erwacht

Aus dumpfer Nacht

Zum göttlichen Leben,

Und um mich schweben

Ein blühender Kranz,

Lächelnde Peri's im himmlischen Glanz.

JESSONDA UND AMAZILI.

Daß sich Mild' und Pflicht vermähle,

An dem Himmel seiner Seele

Wallt empor der Wehmuth Hauch,

Wie ein stiller Opferrauch.

AMAZILI.

Der als Todesbot' erschien,

Fühlet, liebt auch der Bramin?

NADORI.

Ich Bramin! – weh, meine Pflicht!

Fühlen, lieben darf ich nicht!

Hört, was Brama durch mich spricht:

Sobald aus Meeresfluthen[14]

Der nächste Morgen steigt,

Sollst Du in Feuersgluthen –

Sind das Lippen oder Rosen?

Erde reichst du solchen Glanz?

Und ich soll in Flammen stoßen,

Was erblüht im Lebensglanz?

JESSONDA UND AMAZILI.

Reiche, herrliche Natur!

Auf der großen Weltenflur

Läßt du Herzen sich begegnen,

Herzen, die dich freudig segnen,

Findend deiner Liebe Spur.

NADORI.

In des Tempels öde Hallen

Festgebannt mit Seel und Leib,

Konnt' ich nur Gebete lallen,

Sah' ich nimmer Dich, o Weib!

Die Wolk' umnachtend den Männergeist,

Zerreißt!

Die lange schliefen,

Aus Seelentiefen

Auf brausen Gefühle,

Gleich Feuerbächen

Zu grünenden blühenden Lebensflächen.

Hin strömen sie

In Harmonie.

AMAZILI.

Kannst Du mir die Schwester retten,

Wie Dein sanfter Blick verspricht,

Dankbarkeit die Rosenketten

Durch Dein Leben selig flicht.[15]

JESSONDA.

Nimmer kann er mich erretten,

Ob sein Blick es auch verspricht.

An mein eignes Leiden ketten

Will ich diesen Jüngling nicht.

NADORI.

Dieses Aug' voll Seelengüte,

Ruht auf mir ernst, feierlich;

Ach, und dieser Wangen Blüthe

Wie entzückt, berauscht sie mich!

JESSONDA.

Jüngling, aufgeblüht zum Leben,

Flieh, o flieh von mir zurück:

Denn den Flammen übergeben

Ist mein Hoffen, ist mein Glück.

Mir genügt, wenn Ihr vereint,

Eine Thräne schweigend weint.

NADORI.

Umgewandelt ist mein Wesen,

Frühlingshauch die Brust mir schwellt.

Heil mir, Heil! ich bin genesen,

Auf des Lebens Höh'n gestellt;

Und zu lichten Unglücksnacht,

Treibt es mich mit Göttermacht.

AMAZILI.

Wie im zarten Farbenspiele

Gold'nes Licht auf Fluren fällt,

Von der Sonne der Gefühle

Ist sein Antlitz aufgehellt.

Muthig blickt er in die Welt,

Erst ein Sklav' und jetzt ein Held.[16]

Quelle:
Louis Spohr: Jessonda. [Dresden] [o. J.], S. 3-17.
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