4.

[142] Leisen Schritts durchwallt der Mittag

Des Hymettus Marmorklüfte;

Auf den wildzerrißnen Kuppen

Liegen brennend blau die Lüfte.[142]


Weit und breit im Felsenkessel

Brütet märchenhaft Verstummen;

Nur daß in den Thymusbüschen

Tausend Bienen schwärmend summen.


Lautlos durchs Geröll am Abhang

Klettern kurzbevlieste Schafe;

Unterm wilden Lorbeerbaume

Liegt der Hirtenbub' im Schlafe;


Ihm zur Seite Stab und Tasche

Und die rohrgeschnitzte Flöte;

Durch die mandelbraunen Wangen

Schimmert sacht des Blutes Röte.


Schöner Knab', an deinen Zügen

Weiß ich kaum mich satt zu schauen.

Um den Mund welch stiller Zauber!

Welche Hoheit auf den Brauen!


Traun, im alten Land der Götter

Bist du selbst von Götterstamme,

In ein irdisch Weib verkleidet

Säugt' Erato dich als Amme.


Was du träumst, sind eitel Lieder,

Und es tragen von den Klippen

Dir die Bienen, wie dem Pindar,

Honig auf die jungen Lippen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 142-143.
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