10.

[106] Über den stillen Seen

Erglänzt des Vollmonds Schein;

Ein träumerisches Wehen

Durchläuft den Buchenhain.


Am tau'gen Hügelpfade

In Düften wallt das Korn,

Und fern vom Waldgestade

Herüber grüßt ein Horn.


Wie schwebt zu dieser Stunde

Mein Geist in leichtem Flug!

Geheilt ist jede Wunde,

Die mir die Fremde schlug.


Kaum zeugt von Kampf und Plage

Verwachsner Narben Spur,

Und an die goldnen Tage

Der Jugend denk' ich nur.


Wie damals füllt mich innig

Ein holdes Glücksvertraun;

Ich fühl's, zu Hause bin ich,

O laßt mich Hütten baun!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 106.
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