13.

[100] Viel zu wissen geziemt und viel zu lernen dem Dichter,

Ach, für seinen Beruf deucht mir das Leben so kurz.[100]

Denn er kenne die Welt und ihre Geschichten, er gehe

Bei den Alten mit Lust wie bei den Neuen zu Gast.

Fremde Länder und Sprachen erforsch' er mit willigem Eifer,

Sei im Norden und sei unter den Palmen zu Haus.

Aber vor allem versteh' er das Herz und die ewige Leiter

Seiner Gefühle: die Lust kenn' er und kenne den Schmerz.

Was aus Säul' und Gemälde dich anspricht, wiss' er zu deuten,

Was dir des Waldes Geräusch flüstert, er fass' es ins Wort.

Kunst und Natur und Welt und Gemüt, er beherrsche sie alle:

Aber der Tor nur verlangt, daß ein Gelehrter er sei.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 100-101.
Lizenz:
Kategorien: