28.

[54] Sieh, das ist es, was auf Erden

Jung dich hält zu jeder Frist,

Daß du ewig bleibst im Werden,

Wie die Welt im Wandeln ist.


Was dich rührt im Herzensgrunde,

Einmal kommt's und nimmer so;

Drum ergreife kühn die Stunde,

Heute weine, heut sei froh!


Gib dem Glück dich voll und innig,

Trag es, wenn der Schmerz dich preßt,

Aber nimmer eigensinnig

Ihren Schatten halte fest.


Heiter senke, was vergangen,

In den Abgrund jeder Nacht!

Soll der Tag dich frisch empfangen,

Sei getreu, doch neu, erwacht.


Frei dich wandelnd und entfaltend,

Wie die Lilie wächst im Feld,

Wachse fort, und nie veraltend

Blüht und klingt für dich die Welt.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 54-55.
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