2.

[94] Nach schwerer Irrfahrt langen, bangen Stunden,

Nun endlich hat die Schwalb' ihr Nest gefunden.


Sie baut im Vorhof an des Herrn Altären,

Das ist die Statt, da trocknen alle Zähren.


Da säuseln in den Palmen Heimatlüfte,

Da blühn die Lilien, Frieden ihr Gedüfte.


Da springt wie Silber klar der Born der Gnaden,

Die Seele trinkt, und sie genest vom Schaden.


Die blutrot war von Sinnenlust und Grolle,

Wird rein wie Schnee und junger Lämmer Wolle.


Wo ist ihr Leid nun? Wie ein Traum zerronnen.

Wo bleibt ihr Seufzer? Er verging in Wonnen.


Ein Tag der Rast in diesen Säulenhallen

Ist mehr, denn draußen tausend Jahre wallen.[94]


Und besser ist's, hier an den Schwellen wohnen,

Als in der Welt ob allen Reichen thronen.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 94-95.
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