Erster Auftritt

[465] Frau Richardin. Simon.


FRAU RICHARDIN. Sie kamen, als wenn Sie gerufen wären. Ich wollte eben gern ein Wort mit Ihnen allein reden. Nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich Sie nicht in meine Betstube geführt habe, es sieht nicht gar zu ordentlich darinnen aus. Ist mir's doch recht lieb, daß Herr Ferdinand nicht bei Ihnen ist. Wo ist er denn?

SIMON. Er hat, glaube ich, noch einige Kleinigkeiten wegen unserer morgigen Abreise zu besorgen. Er wird gar nicht lange außen bleiben.

FRAU RICHARDIN. Nun! Sie sollen meine Tochter haben, wenn Sie sie in Ehren halten und ihr treu und gewärtig sein wollen.

SIMON. Ich danke Ihnen unendlich für dieses Geschenk. Sie können versichert sein, daß ich Ihre Jungfer Tochter wie mich lieben werde.

FRAU RICHARDIN. Ja, das ist alles gut. Die Ehen werden im Himmel geschlossen, und durch Beten und Singen kömmt Liebe und Segen in die Ehe. Halten Sie ja meine Tochter zum Gebete an, und lassen Sie sie die gottlosen Moden in Kleidern nicht mitmachen. Ich habe noch ganz hübsche Kleider. Von diesen will ich ihr etliche mitgeben, und sie kann sie mir und meinen Großeltern zu Ehren noch zeitlebens tragen.

SIMON. Ich will sie schon mit Kleidern versorgen.

FRAU RICHARDIN. Nein, Herr Sohn, von denen fünftausend Talern, die ich ihr mitgebe, dürfen Sie nicht einen Heller zu Kleidern anwenden. Das Kapital muß in die Steuer und die Interessen müssen wieder zu einem Kapitale gemacht werden. Dieses ist mein Wille. Ich arme Witwe, wie werde ich so viel Geld in meiner schweren Haushaltung entbehren können?

SIMON. Die Frau Schwiegermutter (erlauben Sie, daß ich mich nunmehr[465] dieses Worts bedienen darf) kennen doch allemal Ihren Weg zu mir.

FRAU RICHARDIN. Zum Gebete, wollen Sie sagen, ja zum Gebete will ich meine Zuflucht nehmen. Ich habe der Heirat wegen heute meine Übungsstunde ausgesetzt. Gott wird mirs vergeben. Ich will es ein andermal einbringen. Und ich habe mich entschlossen, Gott morgen etwas zu seinem Dienste zu schenken, wenn Sie etwas dazu beitragen wollen.

SIMON. Von Herzen gern. Wollen wir etwa dem Armut etwas geben oder zur Erziehung etlicher Waisen etwas Gewisses aussetzen? Mit Freuden! Ich wollte, daß ich alle Menschen glücklich machen könnte.

FRAU RICHARDIN. »Ach! das Armut!« Man weiß ja nicht, wie man seine Gaben anlegt. Es gibt der gottlosen Leute zuviel. Nein, da ich mit meiner Christiane darniederkam: so ließ ich den Taufstein in unserer Kirche kleiden; und da sie heiratet: so will ich gern ein Liebeswerk tun und den Altar bekleiden lassen. Ich will nur gut rot Tuch und tombakne Tressen darum nehmen: demungeachtet wird es schon sehr hoch kommen. Ich arme Frau! Doch laß deine Rechte nicht wissen, was deine Linke tut. Wer der Kirche gibt, der leiht dem Herrn, und der wird es ihm wieder vergelten.

SIMON. Lassen Sie den Altar kleiden. Ich will ein klein Kapital zur Verpflegung der Hausarmen aussetzen.

FRAU RICHARDIN. Ach, die Hausarmen! Bedenken Sie nur, ich gebe zuweilen einem armen Manne, der sich bei meinem Hausbau zu Schanden gefallen hat, ein Almosen. Letzthin treffe ich ihn vor dem Tore auf der Straße sitzend an. Können Sie sich wohl einbilden, daß er eine Semmel in der Hand hatte und aß? Das gottlose und verschwenderische Volk.

SIMON. Wer weiß, wer sie ihm gegeben hat? Gesetzt, er hätte sie auch gekauft. So ist er vielleicht so elend, daß er kein Brot mehr zu sich nehmen kann. Und endlich hat er ja, als ein Armer, auch Recht zu einer kleinen Erquickung.

FRAU RICHARDIN. So? Soll er nicht sparen? Nicht zu Rate halten? Könnte er sich nicht auch Bier dazu holen lassen? Es kömmt das ganze Jahr keine Semmel in mein Haus, und ich lebe immer. Wenn ich und mein seliger Herr nicht gespart hätten, wo hätte es herkommen sollen? Ich habe siebenmal in den Wochen gelegen, und allemal habe ich der Kirche etwas geschenkt. Bei meinem ersten Sohne verehrte ich ein stark mit Silber beschlagnes Kollektenbuch[466] auf den Altar, weil ich gern wollte, daß er Theologiä studieren sollte, und bei der ...

SIMON. Ich gebe ohne weitere Umstände fünfzig Taler für diejenigen, die sie brauchen.

FRAU RICHARDIN. Nein, nein! Hören Sie mir doch zu. Bei der ersten Tochter ließ ich ein reiches Meßgewand machen, und hätte es Gott gewollt, so hätte es nicht ohne Vorbedeutung sein sollen. Sie hätte, wenn sie am Leben geblieben wäre, gewiß einen Geistlichen bekommen. Die liebe Kirche hat schon neun verschiedene Stücke von mir zu ihrem Zierate. Und morgen soll das zehnte kommen! Sie kostet mir in allem beinahe dreihundert Taler. Aber ich werde doch nicht müde. Wer weiß, wo mir's Gott anderwärts ersetzt. Haben Sie sich nicht in der Kirche herumführen lassen? Es stehen auf jedem Stücke von mir die Anfangsbuchstaben meines Namens. Nicht deswegen, daß die Leute von meiner Guttätigkeit reden sollen, sondern daß nicht etwan ein Fremdes käme und sich für den Wohltäter ausgäbe. Wo Sie die Buchstaben M.C.R. finden, das heißt Maria Christiana Richardin und ist von mir.

SIMON. Allein ich dächte, Ihre Kirche hätte selbst große Kapitale. Könnten die Mama nicht außerdem ein gutes Werk stiften? Ihre Hausjungfer, Jungfer Lorchen, wäre es nach meinen Gedanken wohl wert, daß Sie etwas zu ihrem künftigen Unterhalte oder, wenn sie noch heiraten wollte, zu ihrem Heiratsgute aussetzten und das redliche Mädchen versorgten.

FRAU RICHARDIN. Das redliche Mädchen braucht nichts. Wenn sie weltliche Bücher und Romane hat, so ist sie zufrieden und denkt an weiter nichts. Ihre Aufführung gefällt mir gar nicht. Sie hätte lieber meine Tochter auch zu der galanten Lebensart anführen wollen. Letzthin gab sie ihr ein Buch zu lesen, ich weiß nicht, ob es Pemala oder »Pamela«, der berühmte Roman Richardsons hieß. Genug, es war ein Liebesbuch, und auf dem Kupfer stund der Teufel hinter einer Frau und wollte sie verführen. Aber ich kam zu allem Glücke dazu und riß es meiner Tochter aus der Hand. Solche teuflischen Bücher!

SIMON. Die Pamela ist ein sehr guter Roman, der die Unschuld und Tugend liebenswürdig zu machen sucht. Ein Priester in England hat ihn selber auf der Kanzel zum Lesen angepriesen.

FRAU RICHARDIN. Und wenn es zehn Priester getan hätten: so soll meine Tochter keinen Roman lesen. Was will ein englischer[467] Priester von der Tugend wissen? Haben diese Leute nicht die Kalvinische Religion? Wollen Sie meine Tochter gar zu einer Kalvinistin machen?

SIMON. Liebe Mama, Sie übereilen sich in Ihrem Eifer.

FRAU RICHARDIN. Ich übereile mich nicht. Mit einem Worte, Lorchen lebt nach der Welt. Sie geht, wie andere Leute gehen. Sie hat sich die Haare verschneiden lassen. Sie läßt sich frisieren und liest wohl gar dazu in einem Buche. Sie trägt Adriennen und einen großen Fischbeinrock. Das hätte ich bei meiner seligen Mutter tun sollen! Sie hätte mich nicht eine Stunde in ihrem Hause gelitten.

SIMON. Aber dieses sind ja alles unschuldige Dinge. Es sind Moden und Trachten, die weder fromm noch boshaft machen. Was liegt der Tugend daran, ob man das Kleid in Form eines langen Pelzes oder einer Adrienne trägt? Wenn nur das Herz nicht eitel und närrisch ist.

FRAU RICHARDIN. Ich höre es schon, Sie sind ein Indifferentist. Bei Ihnen ist eines so gut wie das andre: Nein, Herr Sohn! Itzt habe ich meine Tochter noch; und ehe sie weltlich werden soll, so mag sie zeitlebens eine Jungfer bleiben.

SIMON. Fürchten Sie nichts. Bei mir soll sie weder die Religion noch die Tugend verlieren. Ich liebe beides über alles. Wenn es Ihnen indessen gefällig ist: so wollen wir einander im Beisein etlicher guter Freunde das Jawort geben.

FRAU RICHARDIN. Ich kann es noch nicht vergessen, daß Sie mir Lorchen so angepriesen haben. Ich will nicht richten; aber ich glaube gar nicht, daß sie recht im Christentume unterrichtet ist. Sie singt oft den ganzen Tag kaum ein Lied und hat nicht mehr als ein Gebetbuch.

SIMON. Man kann ja wohl im stillen andächtig sein und ohne Gebetbuch beten.

FRAU RICHARDIN. Soll man denn etwan gar aus dem Kopfe beten?

SIMON. Wer die Religion und sein Herz kennet, den wird beides beten lassen. Und wer beides nicht kennt, der wird mit allen Gebeten nur ein Gewäsche treiben, sie mögen so gut sein, als sie wollen. Doch, liebe Mama, wir wollen etwas anders reden; wollen Sie mich denn auch bald in meiner Heimat besuchen?

FRAU RICHARDIN. Das weiß ich nicht. Wo wollte ich die Reisekosten hernehmen? Es geht gar zuviel bei mir auf. Es haben in diesem Jahre schon drei Paten von mir geheiratet, und einmal habe ich[468] und zweimal hat meine Tochter zu Gevattern gestanden. Gestern ist eine alte sechzigjährige Jungfer in der Vorstadt begraben worden, der habe ich einen Kranz für einen Gulden, und ein katunes Sterbekleid von dem besten Katune machen lassen. Sie sah recht schön darinnen aus, und sie lag im Sarge, als wenn sie noch lebte. Das Kruzifix kostet mich auch neunzehn Groschen. Der liebe Gott wird es nicht unvergolten lassen.

SIMON. War sie denn so arm, daß sie nicht konnte unter die Erde gebracht werden?

FRAU RICHARDIN. Ja wohl! Sie hat in ihrem Leben nichts als zwanzig Taler gehabt, welche sie meiner Christiane vermacht hat. Und ihre ehrvergeßnen Anverwandten hätten sie lieber in ihren ordentlichen Kleidern und in einem schwarzen Sarge ohne Kranz, ohne alles begraben lassen. Ich weiß gar nicht, wo solch Volk hindenkt; ob es sich nicht der Sünde fürchtet. Gott Lob, daß die Leute mein mildes Herz kennen. Es geht keine Woche vorbei, so sprechen sie mich um einen Kranz für ein Verstorbenes an. Und so schwer mirs fällt: so lasse ich doch allemal einen machen. Es ist ja die letzte Wohltat, die man einem in dieser Welt erweiset. Meine selige Mutter war auch so gesinnt. Gott, wie viel Leute gingen nicht mit ihr zu Grabe! Wie rühmten sie nicht ihre Frömmigkeit! Ich denke, es soll mir bei meinem letzten Gange auch nicht an Begleitern fehlen.

SIMON. Gebe der Himmel, daß es sehr spät geschehe, und daß ich noch lange das Vergnügen habe ...


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 465-469.
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