Erster Auftritt

[478] Frau Richardin. Christianchen.


FRAU RICHARDIN. Ich sage dir's, denke mir nicht mehr an ihn. Ehe dich Simon zur Braut bekommen soll, ehe will ich selber ins Oberkonsistorium gehen. Ich würde mich noch im Grabe umwenden, wenn ich dich nicht besser versorgt wüßte. Einen solchen Schwiegersohn möchte ich haben, der kein Gewissen, keine Religion hat; der in meiner Gegenwart flucht; der mir mit Fleiß ein Kaffeeschälchen zerbricht!

CHRISTIANCHEN. Liebe Mama, mit Fleiß wird er's wohl nicht getan haben. Für so schlimm halte ich ihn nicht.

FRAU RICHARDIN. Wie? Du unterstehst dich noch, ihn zu vertreten, ihn zu entschuldigen? Was heißt das anders, als daß du ihn haben willst? Ungehorsames Kind! Ich will dich enterben, ich will dich aus dem Hause stoßen, ich will nichts mehr von dir hören und wissen. Seht doch, Herr Simon, dein Herr Simon, wird gewiß mehr sein als deine Mutter? Ich bete kein Vaterunser mehr für dich, wenn du nicht von ihm abläßt.

CHRISTIANCHEN. Zürnen Sie doch nicht auf mich! Ich bin ja unschuldig. Ich verlange weder Herrn Simonen noch einen ändern zum Manne. Sie tun mir gewiß zuviel, Mama, wenn Sie es nur wissen sollten.

FRAU RICHARDIN. Was soll ich denn wissen? Daß du dich schon mit ihm verschworen hast? Daß du dich von seiner schönen Larve blenden läßt? Ich werde es gewiß nicht gesehen haben, da er dich vorhin in der Nebenstube küßte? Nicht wahr, er wird dir[478] gefallen haben? Hättest du ihm doch lieber gleich alles eingeräumt. Wer weiß so, was schon geschehen ist! Du garstiges, ungezogenes Kind, du!

CHRISTIANCHEN. Ach Mama, fahren Sie mir nicht so übel mit. Bedenken Sie doch, daß ich Ihre Tochter bin und quälen Sie mich nicht mit einem so unverdienten Verdachte. Ich kann mich nicht anders als durch Tränen entschuldigen.

FRAU RICHARDIN. Ja, nur geweint! So machen sie es alle, wenn sie kein gutes Gewissen haben. Bist du ihm nicht vor einer Stunde noch selber nachgelaufen? Ist das eine Aufführung für eine wohlgeratene Tochter? Du wirst gewiß nicht Zeit genug zu einer Herde kleiner Kinder bekommen. Christianchen will fortgehen. Nein, bleib hier! Du willst meine Vermahnungen nicht länger anhören? Du willst mir nicht folgen? Ins Zuchthaus mit solchen ungeratnen Rangen, ins Zuchthaus, und statt des Mannes den Spinnrocken in den Arm!

CHRISTIANCHEN. Aber Mama, ich habe ja nichts getan. Ich bin ja ohne alle Schuld.

FRAU RICHARDIN. Wie, du kannst mir noch widersprechen? Weißt du das vierte Gebot nicht mehr? Wer das vierte übertritt, der übertritt auch das fünfte, denn er schlägt durch seinen Ungehorsam seine armen Eltern tot. Willst du deine Mutter mit aller Gewalt um das Leben bringen, damit du nach deinem Willen schalten und walten, und mein sauer erworbenes Vermögen einem tollen Manne an den Hals hängen kannst? Ich unglückselige Mutter! Willst du deinen Simon noch nehmen? Sage nur ja oder nein.

CHRISTIANCHEN. Nein, ich verlange ihn in Ewigkeit nicht.

FRAU RICHARDIN. Nun, so gib mir die Hand darauf: so soll alles vergessen sein. Also willst du ihn nicht lieben?

CHRISTIANCHEN. Nein.

FRAU RICHARDIN. Also versprichst du mir, ihn zeitlebens zu hassen?

CHRISTIANCHEN. Ach, warum soll ich ihn hassen? Es ist ja wider die Bibel, daß man einen hassen soll.

FRAU RICHARDIN. Wider die Bibel? Das ist eine schöne Antwort. Wer wird die Schrift besser verstehen, die Mutter, die seit vierzig Jahren alle Tage eine Stunde darin gelesen hat, oder das Töchterchen, das kaum seit sechs Jahren lesen kann? Du unverständiges Kind! Ich will es haben, du sollst ihn hassen, weil ich ihn hasse. Ein Mensch, der flucht und schwört, der nichts zu einem Kirchengeschenke[479] geben will, den trägst du Bedenken zu hassen? Den willst du wohl gar noch lieben? Habe ich deswegen den alten Magister sieben Jahre zu dir ins Haus kommen lassen, daß du im Christentum nicht besser unterrichtet bist? Ich arme Frau! So viel Schulgeld umsonst hinaus zu werfen! Du sollst ihn hassen, das ist genug. Gehe mir aus den Augen!


Christianchen geht ab.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 478-480.
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