Achter Auftritt

[489] Frau Richardin. Ferdinand.


FERDINAND. Frau Muhme, glauben Sie denn, daß Herr Simon Christianchen noch heiraten wird? Ich glaube es nicht. Sie haben ihm ja den ganzen Handel aufgesagt.

FRAU RICHARDIN. Was reden Sie? Machen Sie mir das Herz nicht schwer. Nein, nein, meine Tochter ist ein ganz hübsches Mädchen, und Herr Simon ein hübscher Mann. Sie haben auch beide Geld, und also können sie einander schon heiraten.

FERDINAND. Ja, es ginge an, und es wäre angegangen; allem Sie haben ja alles rückgängig gemacht. Herr Simon hat sich zu einer ganz ändern Heirat entschlossen. Denken Sie denn, daß er sich so unhöflich begegnen läßt? Es ist ein angesehener, geschickter Mann. Er bekommt zehn Weiber aus den vornehmsten Häusern, wenn er sie nur haben will.

FRAU RICHARDIN. So? Also hat er meine Tochter nur in die Rede bringen wollen? Also will er sie sitzen lassen, der gottlose Mensch, und mich arme Frau vor der Zeit unter die Erde bringen? Solche Leute kann Er mir ins Haus führen, Herr Vetter, und fürchtet sich der Sünde nicht? Ich arme Witwe! Ja, ja, arme Witwen zu unterdrücken, das ist der Weltlauf.

FERDINAND. Was reden Sie wieder, Frau Muhme? Warum heißen Sie Herr Simonen einen boshaften Mann, und warum beleidigen Sie mich? Haben wir denn nicht beide die redlichsten Absichten gehabt? Und sind Sie nicht selbst schuld, daß Herr Simon von Christianchen abläßt?

FRAU RICHARDIN. Was? Ablassen will er? Nein, nun und nimmermehr, und wenn mein ganzes Vermögen daraufginge. Es müßte[489] keine Gerechtigkeit mehr im Lande sein. Ich will gehn, soweit mich meine Füße und mein Gebet tragen. Ich will dem Landesherrn einen Fußfall tun. Ich will mir und meiner Tochter Recht schaffen. Ich will zu Gott um Rache schreien; ich will beten, daß es dem ehrlosen Simon nimmermehr wohlgehen soll. Ich will ... Ich arme Frau! Ja, alles dieses will ich tun.

FERDINAND. Frau Muhme, ich weiß nicht, wie Sie mir vorkommen. Können Sie denn nicht gelassen mit mir reden? Ich gehe den Augenblick aus Ihrem Hause, wenn Sie mir noch ein empfindliches Wort sagen. Ich kann Ihren Wandel und Ihre vielen Betstunden gar nicht zusammenreimen. Wenn man Sie reden und schmähen hört: so sollte man glauben, Sie hätten keine Religion, außer die Sie sich selber gemacht hätten. Und gleichwohl reden Sie so viel von Ihrer Andacht. Doch ich will billig sein und Ihre Ausschweifungen einer natürlichen Hitze und starken Wallung des Geblüts zuschreiben. Allein glauben Sie ja nicht, daß ich und Herr Simon Ihren Zorn anhören müssen. Der Weg, den wir hergekommen sind, steht uns alle Augenblicke wieder offen.

FRAU RICHARDIN. Lieber Herr Vetter, Sie weint. was soll ich aber anfangen? Nehmen Sie sich doch einer armen Witwe an! Raten Sie mir doch, Herr Simon, ein so steinreicher Mann, der fast eine Tonne Goldes im Vermögen hat, der will meine Tochter, meine einzige Tochter, nicht haben? Ach gerechter Himmel! Sie hat ja auf dreißigtausend Taler. Sie ist jung und schön und christlich erzogen. Sie hat ihm ja vor ein paar Stunden angestanden. Warum will er sie denn itzt nicht haben?

FERDINAND. Weil Sie gesagt haben, daß er sie nicht wert wäre, daß er sie mit Ihrem Willen nimmermehr bekommen sollte. Kurz, weil Sie ihm die größten Grobheiten unter die Augen gesagt haben.

FRAU RICHARDIN. Aber, ich habe es so böse nicht gemeint. Ich will meine Sünde noch heute verbeten. Ich will Herr Simonen die versprochenen fünftausend Taler gleich mitgeben. Ich will ihn von nun an für einen frommen Menschen halten und ihn alle Tage in mein Gebet einschließen. Ich will auch die Reisekosten bis Berlin für meine Tochter tragen. Ach, so gewissenlos wird er nicht sein, daß er meine arme Tochter sollte sitzen lassen! Was würde die böse Welt davon sagen? Würde sie die Schuld nicht auf mich schieben?

FERDINAND. Auf diese Art würde die böse Welt zum ersten Male wahr reden. Denn sind Sie nicht an allem Ursache? Die gute[490] Christiane dauert mich selbst. Sie hätte in der Welt keinen bessern Mann bekommen können, als Herr Simon ist. Sein Reichtum ist das wenigste, was ich an ihm hochschätze. Sein Verstand und sein redliches Herz sind weit größere Schätze.

FRAU RICHARDIN. Ja doch! Sein Verstand und sein christliches Herz, das ist es eben, warum ihn meine Tochter nehmen soll. Und wenn er aller Welt Reichtümer besäße und hätte nicht so viel Religion: so bekäme er sie nimmermehr. Der liebe Mann hat mir mit allerhand geistlichen und erbaulichen Büchern ein Geschenk gemacht. Ja, wenn er mir eine Grafschaft geschenket hätte, er hätte mir keinen größern Gefallen tun können. Daraus sehe ich, daß er fromm ist und nicht bloß an dem Zeitlichen klebt. Meine Tochter wird bei ihm so gut aufgehoben sein, als bei mir selber.

FERDINAND. Liebe Frau Muhme, Sie haben zweierlei Sprachen, und ich weiß nicht, auf welche man sich verlassen soll. Eine klingt geistlich, und die andere ziemlich weltlich. Man sollte schwören, Sie müßten auch zwo Seelen haben: eine zum Beten und Singen, und eine zum Richten und Schelten. Doch das werden Sie am besten wissen. Es ist meine Profession nicht, einen Gewissensrat abzugeben. Indessen will ich mit Herr Simonen reden, ob er sich wohl entschließen kann, Ihr Schwiegersohn zu werden. Ich zweifle sehr daran, denn er hat ...

FRAU RICHARDIN. Ich zweifle keinen Augenblick. Ja, ich will eben daran erkennen, ob er ein rechtschaffen Herz hat, wenn er meine Tochter nimmt. Ich kann ihm zwar bei meinem Leben nicht mit vielem Gelde dienen, aber desto mehr mit meinem Gebete; und daran wird ihm mehr gelegen sein als an etlichen tausend Talern. Wir müssen ja alles zurücklassen, wenn wir sterben; aber das Gebet folgt uns mit ins Grab. Die böse Welt kann uns alles nehmen, aber die Andacht nicht. Ich arme Frau! wie lange wird es denn noch mit mir werden? Ja, lieber Herr Vetter, wenn Sie es nur sehen sollten, ich habe mir schon alle Kleider zurechte gelegt, die ich im Sarge tragen will. Sogar die Bretter zu meinem Sarge liegen schon da. Es sind feste und eichene Bretter, ich weiß nicht mehr, wieviel sie mich kosten. Ich habe sie von dem Gevatter Tischler statt der Interesse angenommen.

FERDINAND. Das ist alles gut. Ich will wünschen, daß Sie diese festen Bretter noch lange nicht brauchen und sie eher zu einem Brautbette als zu einem Sarge anwenden mögen.

FRAU RICHARDIN. Gott vergebe es Ihnen, Herr Vetter, daß Sie mit[491] mir armen alten Frau so spotten. Ich könnte noch an das Heiraten denken? Schämen Sie sich doch! Es wird indessen schlimm genug sein, wenn meine Tochter aus dem Hause ist. Wer soll mich künftig in meinem Alter warten und pflegen? Keinen Mann habe ich, der mir an die Hand ginge, und so einen, wie mein seliger Herr war, kriege ich in meinem Leben nicht wieder. Nein, Herr Vetter, raten Sie mir ja nicht, daß ich wieder heiraten soll. Ein alter Mann ist unbehilflich, und ein junger hält micht nicht für gut und vertut mir das Meinige. Ach, denken Sie mir nicht an diese Schwachheit! Die Bretter sind zu meinem Sarge bestimmt, der soll mein Brautbette sein!

FERDINAND. Sie haben mich nicht recht verstanden, ich meinte zum Brautbette Ihrer Jungfer Tochter. Ich würde Ihnen nicht zur Ehe raten, Frau Muhme, da ich weiß, daß Sie in sechzig sind.

FRAU RICHARDIN. Warum nicht lieber in achtzig? Ich muß am besten wissen, wie alt ich bin. Es läßt sich mit meinen Jahren noch wohl halten, und meines Alters wegen könnte ich noch lange leben, wenn mich nicht Not und Sorge vor der Zeit ins Grab brächten. Ich bin alle Tage bereit zum Tode. Doch möchte ich nur noch einige Jahre leben, damit ich sähe, wie es meiner Tochter ginge, und ob sie mich auch mit wohlgeratenen Kindern erfreuen würde. Wenn sie nur nach Herr Simonen geraten, so bin ich schon zufrieden.

FERDINAND. Frau Muhme, wir wollen noch nicht von den Kindern reden; denn es stößt sich noch an die Kleinigkeit, ob Herr Simon Christianchen zur Frau haben will.

FRAU RICHARDIN. Davon bin ich überzeugt. Ich will gehen und den Bissen Essen zurechte machen lassen. Über Tische wollen wir die Versprechung zur Richtigkeit bringen.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 489-492.
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