Neunzehnter Auftritt

[416] Lottchen. Julchen. Damis.


LOTTCHEN zu Damis. Ich wollte Ihnen ein schönes, junges, liebenswürdiges Frauenzimmer mit einem Rittergute anbieten, wenn Sie Julchen wollen fahren lassen.

JULCHEN. Ist das die Neuigkeit?

DAMIS. Und wenn Ihr Frauenzimmer zehn Rittergüter hätte: so würde mir Julchen auch in einer Schäferhütte besser gefallen.

JULCHEN. Was reden Sie? Hören Sie doch Lottchen an. Wer weiß, wie glücklich Sie werden! Ich gönne es Ihnen und der andern Person. Lottchen, wer ist sie denn?

LOTTCHEN. Es ist ein artiges Kind. Sie hat ein Rittergut für fünfzigtausend Reichstaler. Sie ist wohl erzogen.

JULCHEN. So? Aber, wo ... Wie heißt sie denn?

LOTTCHEN. Sie ist fast so schön wie du.

JULCHEN. Das mag ich ja nicht wissen. Wenn ich schön bin: so wird mir's der Spiegel sagen. So muß keine Schwester mit der andern reden. Sage es dem Herrn Damis allein. Ich werde wohl nicht dabei nötig sein.


Sie will gehn.


DAMIS. Ach, liebe Mamsell, gehn Sie noch nicht. Ich gehe mit Ihnen.

JULCHEN. Das wird sich nicht schicken. Das Frauenzimmer mit dem Rittergute, das sich in Sie verliebt hat, würde es sehr übelnehmen. Es ist gut, daß Sie sich bei mir in den Liebeserklärungen geübt haben. Nunmehr werden Sie Ihnen wenig Mühe machen.

LOTTCHEN. Höre nur, meine Schwester. Es kommt erst darauf an, ob das Frauenzimmer dem Herrn Damis gefallen wird. Sie hat freilich schöne große blaue Augen, fast wie du; eine gefällige Bildung und eine recht erobernde Miene; kleine volle runde Hände. Julchen sieht ihre Hände an. Sie ist dem Herrn Damis gut; aber sie liebt auch die Freiheit.

JULCHEN. O ich weiß gar nicht, was du haben willst? Kurz, wie heißt denn das Frauenzimmer, die den Herrn Damis liebt?

LOTTCHEN. Sie heißt ebenfalls, wie du, Julchen.

JULCHEN. O! du willst mich zum Kinde machen.

LOTTCHEN. Nein, Julchen, ich kündige hiermit dir und deinem Liebhaber ein ansehnliches Glück an. Die selige Frau Muhme hat dir in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht. Herr[416] Simon hat uns die Nachricht nur itzt gegeben, und ich habe ihn gebeten, daß er mir die Freude gönnen möchte, sie euch beiden zuerst zu hinterbringen. Meine liebe Schwester, ich wünsche dir tausend Glück zu deiner Erbschaft, und Ihnen, mein Freund, wünsche ich meine Schwester. Wie glücklich bin ich heute!

JULCHEN. Was? Das ganze Rittergut? Und dir nichts? Hätte sie es denn nicht teilen können? Ist es denn auch gewiß? Kann es nicht ein Mißverstand sein? Warum hat sie denn dir nichts vermacht?

LOTTCHEN. Wenn sie dich nun lieber gehabt hat als mich. Genug, die Erbschaft ist deine und für dich bestimmt gewesen. Ich habe genug, wenn ich künftig ohne Kummer mit meinem Geliebten leben kann. Ach, Julchen, ich weiß, daß dem Papa ein jeder Augenblick zu lang wird, bis er dir seinen Glückwunsch abstatten kann. Ich habe ihn gebeten, dich nichts merken zu lassen, bis ich mit dir geredt hätte.

DAMIS. Ich erstaune ganz. Vielleicht wäre es ein Glück für mich, wenn kein Testament wäre. Ach, mein liebes Julchen, soll ich Sie verlieren?

JULCHEN. Lottchen, ich teile das Gut mit dir und dem Papa. Nein, ganz wünsche ich mir es nicht. Ich verdiene es auch nicht. Traurige Erbschaft! ... Ich war unruhig vor dieser Nachricht, und ich bin noch nicht vergnügt. Sie sieht den Damis an. Und Sie, mein Herr ...?

DAMIS. Und Sie, meine Schöne ...?

LOTTCHEN. Kommt, sonst geht die traurige Szene wieder an. Ich weiß, daß der Papa schon ein wenig geschmälet haben wird.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 416-417.
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